6.) „Unterirdisches Dorfleben“ in stillgelegten Bergstollen

 

Höhlenleben am Kommerner Griesberg faszinierte amerikanische Kriegsberichterstatter –
Vorbildliches Gemeinschaftsleben unter Tage

Kriegsende 1945:
Eine 7teilige Serie des „Euskirchener Wochenspiegels“ von Hans-Dieter Arntz (24.02.-14.04.2010)

Auszüge aus dem Dokumentationsband von H.-D. Arntz KRIEGSENDE – Durch die Voreifel zum Rhein,
 Helios-Verlag Aachen 2007, ISBN 978-3-938208-61-8

 

Kriegsende Serie 06

 

Am Beispiel der Gemeinde Kommern lässt sich gut beweisen, dass sich trotz Not, Angst und Kriegsschrecken – oder vielleicht gerade deshalb – ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelte, das für die Nachkriegsgenerationen nur schwer nachvollziehbar ist.

Viele Flüchtlinge aus der Eifel hatten hier seit Herbst 1944 vor der nahen Front Zuflucht gefunden. In Kommern wurden hauptsächlich Flüchtlinge aus Hollerath, Simmerath, Dreiborn und Schmidt untergebracht. Sie zogen mit den Einwohnern von Kommern in den Griesberg, wo sich in den ausrangierten Schachtanlagen bald ein „unterirdisches Dorfleben“ entwickelte.

Dort waren schon vorsorglich in monatelanger Arbeit zwei verschüttete Eingänge wieder geöffnet und ein dritter Einlass von einer Pioniereinheit der Deutschen Wehrmacht in das erzhaltige Gestein gesprengt worden. Auf Leitern mussten die Leute in die Schächte und Stollen hinabsteigen. In den weiten Gängen und Schächten hatten sich die Kom­merner häuslich eingerichtet - durch Bretter kleine Verschläge geschaffen. Einige hatten sich sogar richtige Bretterhäuschen errichtet, in denen sie Hausrat und Lebensmittel aufbewahren konnten. In dem Dokumentationsband KRIEGSENDE – Durch die Voreifel zum Rhein  werden die Dimensionen der Höhlen beschrieben:

„Es ging 25 Meter tief in die Erde hinein. Unten zu ebener Erde verlief ein Stollen etwa 60 Meter in den Berg hinein, der am Ende mehr oder weniger schräg abfallend in die zweite Sohle einmündete. Von dort gelangte man über eine Leiter zur dritten Sohle, weiter durch einen senkrechten Schacht wieder über eine mehr als zehn Meter hohe Leiter in die vierte Sohle. Auf jeder Sohle befanden sich größere Hallen und kleinere Räume. An ihren Wänden warf das Gestein fast überall einen glitzernden Schein, bewirkt durch die darin enthaltenen Kristalle, aus denen man früher das Blei gewann“.

Gerade das Höhlenleben am Griesberg war es, was die amerikanischen Kriegsbe­richterstatter später so faszi­nierte. Auf mehreren Fotos hielten sie dieses „Steinzeit-Le- ben" für die Nachwelt fest. Kerzen, Karbid- und Petro­leumlampen spendeten in den finsteren Stollen und Schäch­ten Licht. Waschwasser war in dem ehemaligen Bergwerk auch vor­handen, denn auf der untersten Sohle hatte sich nach der Stilllegung ein regelrechter See gebildet.

Nach dem Bombenangriff vom 11. Februar 1945 zogen die meisten Bewohner des Eifelortes in den Unter­schlupf am Griesberg. Für andere gab am 25. Febru­ar der erneute Bombenangriff auf Kommern den Ausschlag, bei dem erneut Menschenleben zu beklagen waren.

Zwischen 500 und 600 Men­schen wechselten aus der Ort­schaft in die Stollen des Gries­berges, die sie erst wieder verließen, als die amerikani­schen Truppen am Abend des 5. März im Dorf einmarschier­ten. Der Zeitzeuge Heinrich Steffens konstatier­te in seinen Überlieferungen, dass ein älterer Bergmann na­mens Wilhelm Jakob im Stollen für eine gewisse Ordnung sorg­te. Seinen Anweisungen kamen alle nach.

Das Leben in den Kommer­ner Katakomben verlief nicht so chaotisch, wie man heute vermuten könnte. Obwohl in Kommern selbst jeder Mann gebraucht wurde, mussten außer den wehrfähigen Männern auch noch über hun­dert Notdienstverpflichtete nach Euskirchen abgestellt werden. Nachts hatten sie hier die Verwüstungen in den Stra­ßen zu beseitigen, die durch ständige Bombenabwürfe verursacht worden waren. Die Kommerner mussten auch mithelfen, eine Umge­hungsbahn von Dürscheven nach Großbüllesheim zu bauen.

Das Gemeinschaftsleben der Kommerner im Innern des Bergwerks lässt sich nur schwer ohne Pathos schildern. Glaubt man den Leuten, die es am eigenen Leibe erfuhren, dann entwickelte sich unter dem Druck der gemeinsamen Nöte und Ängste ein vorbildliches Gemeinschaftsleben. Einer half dem anderen. Zank und Streit habe es nie gegeben, wird erzählt.

In einer freien Halle wurde sonntags, oft auch an den Werktagen, unter großer Beteili­gung der Gläubigen von Pfarrer Blum das heilige Messopfer ge­feiert. Ergreifend müssen die ge­meinsamen Gebete und Kir­chenlieder tief unter der Erde gewesen sein. Die Gesänge sol­len in dem großen Gewölbe von eigenartiger Klangfülle gewe­sen sein. Noch im Jahre 1949 - also nach Gründung der Bundesre­publik, der allgemein beginnen­den Konsolidierung und den zaghaften Anfängen eines Wirt­schaftswunders - erinnerte man sich an die Notzeiten in den Höhlen von Kommern und an ein Gemeinschaftsgefühl, das schon heute Legende ist. In der 1949 erschienenen Chronik hieß es:

„... Vor uns steht der Notaltar. Kerzen und Karbidlampen er­hellen den Raum. An den Fels­wänden vorbei ziehen sich die notdürftigen Lagerstätten. Aus den weitläufigen Stollen und Räumen des Berges kommen die Leute und sammeln sich um den Altar. Und dann beginnt die heilige Messe, tief unten im Berge. Ein Mädchen betet die deutschen Messgebete, der Küster stimmt die Lieder an, und alle beten und singen in tiefer Ergriffen­heit mit. Eigenartig voll und geschlossen klingt das gemein­same Beten und Singen wider. Der Pfarrer liest das Sonntagse­vangelium und gibt die Namen der letzten Todesopfer bekannt. Wohl selten ist ergriffener und inniger gebetet worden als jetzt, da für diese Toten aus der Gemeinde gebetet wird und um Frieden und Freiheit."

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