MECHERNICH und KOMMERN
Die Zerstörungen und Synagogenbrände, die in der Zeit vom 9.-11. November 1938 auch in den Altkreisen Euskirchen und Schleiden stattfanden, unterschieden sich oft deutlich von denen in den Großstädten.
Während sich dort, in den anonymen Stadtzentren, tatsächlich »Auswärtige« austobten, waren es auf dem Lande und in der Eifel meist Einheimische, die jeder kannte. Hier war die Brutalität oft persönlich und derart brutal, dass selbst die Nationalsozialisten drakonische Strafen verhängten. So wurden bereits für Verbrechen in Lommersum, Zülpich oder auch Mechernich 1938/39 Gefängnis- oder Zuchthausstrafen ausgesprochen.
Aber obwohl man zum Beispiel wusste, wer in Kommern die Synagoge in der Pützgasse angesteckt hatte, gab es in den Nachkriegsprozessen keine Sühne mehr. Bevor es am 10. November zum Synagogenbrand kam, war schon um 8.45 der Bürgermeister des kleines Amtes telegraphisch angewiesen worden, »einen gewissen Hugo Levano« und Siegmund Kaufmann (der allerdings schon offiziell seinen Wohnsitz nach Sinzenich bei Zülpich verlegt hatte) zu verhaften und der Gestapo auszuliefern.
Das Archivmaterial in der Synagoge sollte unverzüglich beschlagnahmt werden. Diebstähle und Plünderungen waren zu verhindern. Tatsächlich wurden die Gebrüder Levano gegen 17.30 von der Gestapo abgeholt und in Bonn inhaftiert. Das neu erschienene Buch Reichskristallnacht beschreibt anhand der Aktenlage, dass am frühen Nachmittag Euskirchener SA-Männer, unterstützt von einquartierten Westwall-Arbeitern aus der Umgebung, nach Kommern kamen. Sie hatten sich schon in der Voreifel aktiv hervorgetan. Unterwegs waren weitere fanatisierte Nationalsozialisten auf den offenen Lastwagen zugestiegen.
»Aufs Land!«
Die Parole hieß: »Aufs Land!« An der Kölner Straße, in Höhe der Poststelle, wurde haltgemacht. Zwei Mädchen im Alter von 12 und 13 Jahren beobachteten von einem Garten aus die Männer und hörten, wie sie sich nach der Synagoge erkundigten und davon sprachen, sie anzuzünden. Die Kinder liefen nach Hause, um die Eltern zu alarmieren. Wegen der Enge der zur Synagoge führenden Straße konnte der überfüllte Lastwagen nicht unmittelbar vor das Gebäude vorfahren und musste am Bürgermeisteramt parken.
Während sich ein Teil der Männer abwartend zurückhielt, drangen etwa 4 bis 5 von den »Auswärtigen«, aus Euskirchen stammenden SA-Männer sofort zu dem Gebäude vor, wo sich schon einige Nachbarn versammelt hatten.
Deren SA-Standartenführer So(...) warf einen Benzinkanister in das Gebäude. Bei einer Gerichtsverhandlung in der Nachkriegszeit aber wollte keiner mehr dessen Brandlegung eindeutig beweisen. Zeugen jedoch hatten gesehen, wie er mit einem Benzinkanister in die Synagoge hineingegangen war und dass kurz danach eine kleine Explosion mit anschließender Verpuffung erfolgte. Als So(...) zu dem Lastwagen zurückkam, soll er gerufen haben: »Die Sache ist erledigt!« Dies bestätigen auch die Gerichtsunterlagen.
Bei den in der Zeit von 1978 bis 2008 vom Autor befragten Augenzeugen gab es nie einen Zweifel darüber, dass derselbe Mann auch der Brandstifter war. Wenig später loderten Flammen aus dem jüdischen Bethaus in der Pützgasse. Nur die Mauern blieben stehen, wie auch das Getreidelager der Firma Levano. 24 Stunden später, in der Dunkelheit der Nacht vom 11. zum 12. November, nachdem es nicht mehr brannte und die Glut nachgelassen hatte, suchten die Nachbarn in den qualmenden Überresten der Synagoge nach Sach- und Kultgegenständen. Der Bürgermeister hatte am 12. November aufgrund eines Funkspruchs dem Landrat Bericht zu erstatten. Offiziell hieß es in seiner Antwort: »Auf ganz ungeklärte Weise brannte am Mittag gegen 13.30 die Synagoge in Kommern bis auf die Umfassungsmauern ab.«
Zum Einsturz gebracht
In Mechernich war es eine Clique von etwa 15 einheimischen SA-Männern, die gemeinsam mit dem fanatischen Amtsbürgermeister und Ortsgruppenleiter Horden von Westwall-Arbeitern und Anwohner aufhetzten, so dass eine besondere Eifelspezifische Variante der »Kristallnacht« praktiziert werden konnte. Die seit 1950 laufenden Synagogenbrand-rozesse, die bereits 1990 in dem Buch Judenverfolgung und Fluchthilfe im deutschbelgischen Grenzgebiet erstmals ausgewertet wurden, ergaben, dass sogar systematisch Häuser zum Einsturz gebracht wurden. Die Organisatoren saßen im Hotel Gr. und gaben Anweisungen, die minutiös nachvollzogen werden konnten.
In den ersten Nachkriegsjahren waren die Mechernicher noch derart geschockt, dass keiner zu einer Anzeige bereit war. Erst am 6. März 1950 klagte der nun in Enschede (Niederlande) lebende Jude Hermann Baruch die gesamte Mechernicher Clique an. Daraufhin kam es zu unbefriedigenden Gerichtsverhandlungen.
Fotos aus dem Privatarchiv des Verfassers beweisen, dass sich die Mechernicher Bevölkerung - wie bei einer Kirmesveranstaltung - am Nachmittag des 10. November 1938 vor dem Kaufhaus Jenny Kaufmann zusammenrottete, um mitzuerleben, wie in das jüdische Haus Löcher geschlagen und dort Seile befestigt wurden, so dass eine Schleppmaschine das Gebäude zum Einsturz brachte. Diese Originalfotos wurden ebenfalls in dem neuen Dokumentationsband Reichskristallnacht publiziert. Dies geschah auch mit anderen Gebäuden und sogar mit der Synagoge von Mechernich! Deren Inneres war durch einen Brand bereits stark zerstört worden. Von den persönlichen Misshandlungen fällt die Vergewaltigung eines jungen - »arischen« - Mädchens auf, mit der sich ein SA-Mann indirekt an der Jüdin Simon »rächen« wollte.
Druck der Straße
Obwohl es jeder Mechernicher anders wusste und die Zeugen eindeutige Aussagen machten, sprachen die Richter Urteile aus, die in ihrer Milde auch heute noch kaum nachvollzogen werden können. Dem fanatischen Amtsbürgermeister und Ortsgrup-penleiter von Mechernich bestätigten die Richter am 5. September 1952 tatsächlich, dass er sich am Tage der »Judenaktion 1938 im Allgemeinen sehr zurückhaltend benommen« habe. »Wenn er im hier vorliegenden Falle den Anlass zur teilweisen Zerstörung jüdischer Gebäude gegeben hat, so hat er dies nicht aus Hass gegen die Juden getan, sondern nur in einer allerdings in keiner Weise zu billigenden Wahrung kommunalpolitischer Interessen. Die, freilich nur in einem geringen Umfang durchgeführte, teilweise Zerstörung der Mechernicher Synagoge belastet ihn stärker; hier hat er bis zu einem gewissen Grade dem Druck von oben und dem Druck der Straße nachgegeben.«
Unter Berücksichtigung aller dieser Umstände meinte die Kammer, dass für den Angeklagten eine Gefängnisstrafe von vier Monaten angebracht gewesen wäre. Aus besonderen juristischen Gründen aber musste das Verfahren gegen ihn eingestellt werden. Ein Traktorfahrer aus Harzheim sowie der Ortsgruppenleiter und Amtsbürgermeister von Mechernich, die - der eine mehr, der andere weniger - nach normalem Rechtsempfinden für die Zerstörung von elf Häusern, davon fünf Geschäftshäusern, verantwortlich sein mussten, brauchten für diese Aktivitäten keinen Tag im Gefängnis abzusitzen!
LINKS
JUDAICA – Juden in der Voreifel, Euskirchen 1983 (3. Aufl. 1986) |
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JUDENVERFOLGUNG und FLUCHTHILFE im deutsch-belgischen Grenzgebiet, Euskirchen 1990 (Dokumentationsband mit 810 Seiten und 550 Fotos) |
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„REICHSKRISTALLNACHT“ – Der Novemberpogrom 1938 auf dem Lande, Aachen 2008 |