WOCHENSPIEGEL-SERIE von Regionalhistoriker Hans-Dieter Arntz:

Wochenspiegel Serie

„REICHSKRISTALLNACHT“ im Altkreis Euskirchen Nr. 3 von 6

Teil 3 von 6 vom 22. Oktober 2008: WEILERSWIST: „Die Synagoge brannte vollständig aus“

 

WEILERSWIST und LOMMERSUM

 

Der Novemberpogrom in Weilerswist muss in unmittelbarem Zusammenhang mit dem benachbarten Lommersum gesehen werden: Die Zerstörung in beiden Ortschaften und die Brandstiftung in Weilerswist wurden von denselben auswärtigen Tä­tern vorgenommen.

Der wesentliche Unterschied jedoch ist die Tatsache, dass in Weiler­swist am Abend des 10. November 1938 die Sy­nagoge in Brand gesteckt wurde und durch die An­wohner »nur die üblichen Diebstähle« vorkamen, während in Lommersum in der Nacht vom 10. zum 11. November ein nicht unbe­deutender Teil der Bevöl­kerung ungehemmt plün­derte. Die kleine Synagoge in der Zunftgasse wurde nicht zerstört, weil sie be­reits ein Jahrzehnt vorher an nichtjüdische Nachbarn verkauft worden war. Den­noch nimmt dieser kleine Ort bereits in den gericht­lichen Ermittlungen und Prozessen der Zeit 1938/39 eine besondere Stelle ein.

 

WOCHENSPIEGEL-SERIE von Regionalhistoriker Hans-Dieter Arntz

 

Unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg - noch im Jahre 1945 - wurde das Gesche­hen während der »Reichs­kristallnacht in Weilerswist und Lommersum« erneut untersucht. Offenbar war die Verbrennung wichtiger Unterlagen, vor dem Ein­marsch der Amerikaner im März 1945, bekannt geworden. Die Heimatforscherinnen Margarete Fiedler und Helene Kürten publizierten bereits 1988 in der Schrift »Vergangenheit unvergessen« Aufzeich­nungen aus dem Gemein­dearchiv.

 

Weilerswist

Sie führen in ihrer Doku­mentation mehrere Au­genzeugenberichte für die Geschehnisse in der Nacht vom 10. zum 11. November 1938 an. Der Maschinist A. gab zum Beispiel am 1. September 1945 - also wenige Tage nach der Einnahme der Ortschaft Weilerswist durch die Amerikaner - folgende Aussage zu Pro­tokoll:

Für den Abend des 10. November 1938 erhielt ich von der SA Befehl, mich in der Bahnhofswirtschaft zum Appell einzufinden. Als ich hinkam, traf ich be­reits 30 bis 40 Mann an, da­runter auch einige, die aus fremden Orten waren und die ich nicht kannte. Dort erfuhr ich von der bevorste­henden Aktion gegen die Juden und dass an anderen Orten bereits die Synago­gen in Brand gesetzt seien. Da ich nun direkt an der Synagoge wohnte, fürch­tete ich bei Inbrandsetzen dieser ein Übergreifen des Feuers auf meine Wohnung.

Die erschienenen Leute wurden nun für die Aktion eingeteilt, und ich bemerke, dass die meisten von uns für Heimerzheim bestimmt waren. Da aber kein Wa­gen kam, um uns abzuho­len, wurde in Weilerswist begonnen. Ich wurde nach der Synagoge beordert, da ich ja mit der Örtlichkeit am besten vertraut war. Ich ging nun nach Hause und holte meine Frau mit dem Kinde aus dem Bett heraus.

 Inzwischen fuhren zwei SS-Leute aus Euskirchen mit dem Auto vor, die sich un­terwegs bei M. eine Kanne Benzin gekauft hatten. Diese beiden nun brachen die Tür der Synagoge auf und gössen den Benzinka­nister, nach der Straßen­seite hin, in der Synagoge aus. Mittels eines Ballens Papier, der in meinem Küchenofen entzündet wurde, wurde das Benzin in Brand gesetzt. Ich fürch­tete noch für meine eigenen Möbel und gab meiner Be­fürchtung Ausdruck. Da­raufhin erwiderte mir der SS-Mann, dass ich im Scha­denfalle vom Staate neue Möbel erhalten würde. Als das Feuer größer wurde, lief ich selbst zum Schmied Hartmann hin, der die Feu­erwehr alarmierte, die dann auch bald kam und mein Haus feucht hielt, so dass es nicht in Flammen auf­ging. Die Synagoge brann­te vollständig aus, und ich hielt die ganze Nacht bei dem Brande die Wache. Während dieser Zeit kam der Parteigenosse R., Wei­lerswist, bei mir vorbei und rief mir zu: "Hinten kannst Du billig einkaufen, da liegt Zeug genug herum.' Meine Frau gab ihm darauf zur Antwort: ,Nein, das kommt nicht in Frage, mein Mann bleibt hier'!....)

Lommersum:

Gegen die Kaufmannsfami­lie Kain und weniger gegen die inzwischen wirtschaft­lich eingeschränkten zwei Familien Stock richteten sich die Übergriffe im be­nachbarten Lommersum am Abend des 10. Novem­ber 1938. Für keinen Ort in der Voreifel gibt es so viele detaillierte Gerichtsakten und Zeugenaussagen aus den Jahren 1938/39 (!) wie für Lommersum. Die Ge­richtsurteile wurden unmit­telbar nach dem Novem­berpogrom ausgesprochen und nicht erst nach dem 2. Weltkrieg! In dem neu erschienenen Dokumenta­tionsband »Reichskristallnacht« heißt es hierzu:

Kurz vor Mitternacht wurde es in den Dorfstraßen unruhig. Man hörte splitterndes Glas und das Zerschlagen von Gegen­ständen. Dies kam aus dem Kaufhaus Kain und den Häusern der Familien Stock in der Zunftgasse.

Frau Kain kam weinend mit ihrer Tochter zu Bekannten in die Zunftgasse, die nur 100 m von ihrem Kaufhaus entfernt ist. Hier wurden beide bis zum nächsten Tag versteckt und versorgt. Wil­ly Kain kam in ,Schutzhaft'. Auswärtige, aber auch ein­heimische Nazis, standenteilweise angetrunken in der Zunftgasse und warfen die Möbel der jü­dischen Familien Stock auf die enge Straße. Da in der Nachbarschaft eine Frau im Sterben lag und die Randa­lierer von der Richtigkeit dieser Angabe überzeugt werden konnten, kam es hier nicht zu den gröhlend angekündigten Brandstif­tungen. Die 'Viehjuden' Stock waren im Ort sehr beliebt gewesen. Sie konn­ten durch die Hintergärten verschwinden und wurden von den Nachbarn am An­fang der Zunftgasse aufge­nommen.«

 Am folgenden Tag fuhren Polizisten mit einem Pferdefuhrwerk durch Lommersum, um die gestohlenen Waren wie­der einzusammeln. Noch heute gibt es in manchen Familien Tischdecken und andere Textilien aus dem jüdischen Kaufhaus Willy Kain. Das neu erschienene Buch »Reichskristallnacht« zitiert aus den Gerichtsun­terlagen u.a.: Das Bonner Gericht bestätigte einer verurteilten Bäuerin »ty­pische Dummheit (...). Es ist wegen des geringen Bildungsgrades der ange­klagten Ehefrau (...) nicht anzunehmen, dass sie die politischen Auswirkungen ihrer Verfehlung überse­hen hat.

 

LINKS
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JUDAICA – Juden in der Voreifel, Euskirchen 1983 (3. Aufl. 1986)

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JUDENVERFOLGUNG und FLUCHTHILFE im deutsch-belgischen Grenzgebiet, Euskirchen 1990 (Dokumentationsband mit 810 Seiten  und 550 Fotos)

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„REICHSKRISTALLNACHT“ – Der Novemberpogrom 1938 auf dem Lande, Aachen 2008

„REICHSKRISTALLNACHT“ im Altkreis Euskirchen

josef weiss

Teil 1:  Euskirchen

Teil 2: Euskirchen („Synagogenbrand-Prozess“)

Teil 3: Weilerswist und Lommersum

Teil 4: Zülpich und Sinzenich

Teil 5:  Münstereifel und Kirspenich

Teil 6:  Mechernich und Kommern

 

 

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