WEILERSWIST und LOMMERSUM
Der Novemberpogrom in Weilerswist muss in unmittelbarem Zusammenhang mit dem benachbarten Lommersum gesehen werden: Die Zerstörung in beiden Ortschaften und die Brandstiftung in Weilerswist wurden von denselben auswärtigen Tätern vorgenommen.
Der wesentliche Unterschied jedoch ist die Tatsache, dass in Weilerswist am Abend des 10. November 1938 die Synagoge in Brand gesteckt wurde und durch die Anwohner »nur die üblichen Diebstähle« vorkamen, während in Lommersum in der Nacht vom 10. zum 11. November ein nicht unbedeutender Teil der Bevölkerung ungehemmt plünderte. Die kleine Synagoge in der Zunftgasse wurde nicht zerstört, weil sie bereits ein Jahrzehnt vorher an nichtjüdische Nachbarn verkauft worden war. Dennoch nimmt dieser kleine Ort bereits in den gerichtlichen Ermittlungen und Prozessen der Zeit 1938/39 eine besondere Stelle ein.
Unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg - noch im Jahre 1945 - wurde das Geschehen während der »Reichskristallnacht in Weilerswist und Lommersum« erneut untersucht. Offenbar war die Verbrennung wichtiger Unterlagen, vor dem Einmarsch der Amerikaner im März 1945, bekannt geworden. Die Heimatforscherinnen Margarete Fiedler und Helene Kürten publizierten bereits 1988 in der Schrift »Vergangenheit unvergessen« Aufzeichnungen aus dem Gemeindearchiv.
Weilerswist
Sie führen in ihrer Dokumentation mehrere Augenzeugenberichte für die Geschehnisse in der Nacht vom 10. zum 11. November 1938 an. Der Maschinist A. gab zum Beispiel am 1. September 1945 - also wenige Tage nach der Einnahme der Ortschaft Weilerswist durch die Amerikaner - folgende Aussage zu Protokoll:
Für den Abend des 10. November 1938 erhielt ich von der SA Befehl, mich in der Bahnhofswirtschaft zum Appell einzufinden. Als ich hinkam, traf ich bereits 30 bis 40 Mann an, darunter auch einige, die aus fremden Orten waren und die ich nicht kannte. Dort erfuhr ich von der bevorstehenden Aktion gegen die Juden und dass an anderen Orten bereits die Synagogen in Brand gesetzt seien. Da ich nun direkt an der Synagoge wohnte, fürchtete ich bei Inbrandsetzen dieser ein Übergreifen des Feuers auf meine Wohnung.
Die erschienenen Leute wurden nun für die Aktion eingeteilt, und ich bemerke, dass die meisten von uns für Heimerzheim bestimmt waren. Da aber kein Wagen kam, um uns abzuholen, wurde in Weilerswist begonnen. Ich wurde nach der Synagoge beordert, da ich ja mit der Örtlichkeit am besten vertraut war. Ich ging nun nach Hause und holte meine Frau mit dem Kinde aus dem Bett heraus.
Inzwischen fuhren zwei SS-Leute aus Euskirchen mit dem Auto vor, die sich unterwegs bei M. eine Kanne Benzin gekauft hatten. Diese beiden nun brachen die Tür der Synagoge auf und gössen den Benzinkanister, nach der Straßenseite hin, in der Synagoge aus. Mittels eines Ballens Papier, der in meinem Küchenofen entzündet wurde, wurde das Benzin in Brand gesetzt. Ich fürchtete noch für meine eigenen Möbel und gab meiner Befürchtung Ausdruck. Daraufhin erwiderte mir der SS-Mann, dass ich im Schadenfalle vom Staate neue Möbel erhalten würde. Als das Feuer größer wurde, lief ich selbst zum Schmied Hartmann hin, der die Feuerwehr alarmierte, die dann auch bald kam und mein Haus feucht hielt, so dass es nicht in Flammen aufging. Die Synagoge brannte vollständig aus, und ich hielt die ganze Nacht bei dem Brande die Wache. Während dieser Zeit kam der Parteigenosse R., Weilerswist, bei mir vorbei und rief mir zu: "Hinten kannst Du billig einkaufen, da liegt Zeug genug herum.' Meine Frau gab ihm darauf zur Antwort: ,Nein, das kommt nicht in Frage, mein Mann bleibt hier'!....)
Lommersum:
Gegen die Kaufmannsfamilie Kain und weniger gegen die inzwischen wirtschaftlich eingeschränkten zwei Familien Stock richteten sich die Übergriffe im benachbarten Lommersum am Abend des 10. November 1938. Für keinen Ort in der Voreifel gibt es so viele detaillierte Gerichtsakten und Zeugenaussagen aus den Jahren 1938/39 (!) wie für Lommersum. Die Gerichtsurteile wurden unmittelbar nach dem Novemberpogrom ausgesprochen und nicht erst nach dem 2. Weltkrieg! In dem neu erschienenen Dokumentationsband »Reichskristallnacht« heißt es hierzu:
Kurz vor Mitternacht wurde es in den Dorfstraßen unruhig. Man hörte splitterndes Glas und das Zerschlagen von Gegenständen. Dies kam aus dem Kaufhaus Kain und den Häusern der Familien Stock in der Zunftgasse.
Frau Kain kam weinend mit ihrer Tochter zu Bekannten in die Zunftgasse, die nur 100 m von ihrem Kaufhaus entfernt ist. Hier wurden beide bis zum nächsten Tag versteckt und versorgt. Willy Kain kam in ,Schutzhaft'. Auswärtige, aber auch einheimische Nazis, standenteilweise angetrunken in der Zunftgasse und warfen die Möbel der jüdischen Familien Stock auf die enge Straße. Da in der Nachbarschaft eine Frau im Sterben lag und die Randalierer von der Richtigkeit dieser Angabe überzeugt werden konnten, kam es hier nicht zu den gröhlend angekündigten Brandstiftungen. Die 'Viehjuden' Stock waren im Ort sehr beliebt gewesen. Sie konnten durch die Hintergärten verschwinden und wurden von den Nachbarn am Anfang der Zunftgasse aufgenommen.«
Am folgenden Tag fuhren Polizisten mit einem Pferdefuhrwerk durch Lommersum, um die gestohlenen Waren wieder einzusammeln. Noch heute gibt es in manchen Familien Tischdecken und andere Textilien aus dem jüdischen Kaufhaus Willy Kain. Das neu erschienene Buch »Reichskristallnacht« zitiert aus den Gerichtsunterlagen u.a.: Das Bonner Gericht bestätigte einer verurteilten Bäuerin »typische Dummheit (...). Es ist wegen des geringen Bildungsgrades der angeklagten Ehefrau (...) nicht anzunehmen, dass sie die politischen Auswirkungen ihrer Verfehlung übersehen hat.
LINKS
JUDAICA – Juden in der Voreifel, Euskirchen 1983 (3. Aufl. 1986) |
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JUDENVERFOLGUNG und FLUCHTHILFE im deutsch-belgischen Grenzgebiet, Euskirchen 1990 (Dokumentationsband mit 810 Seiten und 550 Fotos) |
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„REICHSKRISTALLNACHT“ – Der Novemberpogrom 1938 auf dem Lande, Aachen 2008 |
„REICHSKRISTALLNACHT“ im Altkreis Euskirchen
Teil 2: Euskirchen („Synagogenbrand-Prozess“) Teil 3: Weilerswist und Lommersum |