EUSKIRCHEN: „Spontaner“ Sturm war bestens organisiert
Am 10. November 1938 brannte in Euskirchen die Synagoge. In seinem neuen Buch »Reichskristallnacht« berichtet der Autor über die juristische Aufarbeitung im Jahre 1947.
In einer Verhandlung vor der Bonner Strafkammer entrollte sich noch einmal das Bild jener düsteren Novembertage des Jahres 1938, an denen organisierte Terrorbanden der Nazis gegen Synagogen und jüdische Geschäftshäuser wüteten. Auch im Kreise Euskirchen sollte der Sturm auf die Synagogen unter dem Anschein einer spontanen Volkskundgebung durchgeführt werden.
Der SA-Standartenführer So(...) übermittelte am Morgen des 10. Novembers dem SA-Sturmführer Sp(...) fernmündlich den Befehl, dass alle erreichbaren SA-Männer mittags in der Schlosserei Rövenich am „Kahlen Turm“ anzutreten hätten. Dort sammelten sich etwa 30 bis 35 Mann, die von Sp(...) erfuhren, dass der Sturm gegen die jüdischen Gotteshäuser beginne. Darauf ging es durch stille Seitenstraßen im Gänsemarsch zur Synagoge an der Annaturmstraße. Inzwischen waren bereits andere SA-Männer im Kraftwagen dorthin gefahren und hatten die Türe aufgebrochen. Die Horde drang in das Gotteshaus ein und „räumte auf.“
Weiterhin heißt es in dem Zeitungsartikel aus dem Jahre 1947:
Sp(...), der heute 64 Jahre alt ist, schilderte als Angeklagter, wie er als Führer eines Feuerlöschzuges in Euskirchen zunächst noch verhindert habe, dass bei dieser Aktion Brand angelegt wurde. Er selbst habe sich an der Zerstörung der Inneneinrichtung nicht beteiligt, sondern nur zugesehen. Auch der 67 Jahre alte Oberscharführer J. (K...) will nicht aktiv eingegriffen haben. Er sei nur befehlsgemäß mitgegangen und habe sich bald wieder entfernt, weil er solchen Frevel nicht habe mitmachen wollen. H. K(...), heute 35 Jahre alt, hat sich dagegen besonders hervorgetan. Er legte sich, wie er selbst eingesteht, ein zum Ritus bestimmtes Gewand an und sprang damit während der Zerstörungsarbeit seiner Kameraden in der Synagoge umher. K(...) soll auch die Bundeslade zerstört haben, streitet dies aber in der Verhandlung entschieden ab.
Der Scharführer W. D(...), 32 Jahre alt, widerruft das frühere Geständnis, dass er an den Ausschreitungen teilgenommen habe. Völlig passiv schließlich will sich auch der 37 Jahre alte Scharführer M. St(...) verhalten haben. Schließlich war da noch der Scharführer H. Th(...), ein Mann, dem der Medizinalrat bescheinigt, dass er wegen angeborenen Schwachsinns nicht zurechnungsfähig sei bei der Rotte.
Von der Synagoge zog die Bande zum Warenhaus Horn an der Kommernerstraße. Der Angeklagte St(...) gibt zu, dort Ballen Stoff auf die Erde geworfen zu haben. Anschließend bestiegen die SA-Männer einen Lastzug und fuhren nach Kommern, wo ebenfalls die Synagoge zerstört wurde. Standartenführer So(...), so behaupten mehrere Angeklagte, habe einen Benzinkanister in das Gebäude geworfen. Dann seien sie weiter nach Mechernich gefahren. Dort hätten bereits Mechernicher und Schleidener SA-Männer das Zerstörungswerk im jüdischen Bethaus durchgeführt gehabt, während St(...) behauptet, mehrere der Euskirchener SA-Männer seien noch in die Synagoge eingedrungen. Dann brach in Münstereifel der Sturm gegen Synagoge und jüdische Geschäftshäuser los.
Die Angeklagten wollen diese Arbeit aber der Münstereifeler SA überlassen haben. Auch in Flamersheim sei man bereits dabei gewesen, das jüdische Bethaus mit der Kreuzhacke niederzulegen, so dass man sich zur Rückkehr nach Euskirchen entschlossen habe. Bei ihrem Eintreffen in Euskirchen wollen die Angeklagten gehört haben, dass am frühen Nachmittag die Synagoge und das Warenhaus Horn von ortsfremden Elementen in Brand gesteckt worden seien. Der Angeklagte Sp(...) habe sich sofort zur Feuerwehr begeben, um sich an den Löscharbeiten zu beteiligen, die sich allerdings auf den Schutz der Nachbarschaft beschränkten.
Vor der Strafkammer versuchten die Angeklagten, sich als harmlose Mitläufer hinzustellen. Unbekannte hätten die Aktion in Wirklichkeit durchgeführt. So bleibt nur die Beteiligung an der Zusammenrottung übrig, deren sich die Angeklagten im Sinne des Landfriedensbruches schuldig gemacht haben. Die Persönlichkeit der Angeklagten lässt aber keinen Zweifel darüber, dass es sich bei ihnen um Männer handelt, denen mehr zuzutrauen ist als eine harmlose Zuschauerrolle. Sogar der alte Kämpfer Th(...), dem das Gericht wegen angeborenen Schwachsinns den Paragraphen 51 zubilligen musste, hatte es bei den Nazis zu Rang und Ansehen gebracht. Die Strafkammer verurteilte H.K(...) zu einem Jahr, W. D(...) zu neun Monaten, M. St(...) zu sieben Monaten, E. Sp(...) zu sechs Monaten und J. K(...) zu vier Monaten Gefängnis. Wenn auch diese Angeklagten, so führte der Vorsitzende in der Urteilsbegründung aus, nicht zu den geistigen Urhebern der Verbrechen vom 9. und 10. November 1938 gehörten, so hätten sie doch dafür einzustehen, dass sie als gefügige Diener einer ruchlos und verbrecherisch handelnden Parteileitung nicht die Hemmungen aufgebracht hätten, um den ihnen erteilten Befehlen den nötigen Widerstand entgegenzusetzen.
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JUDAICA – Juden in der Voreifel, Euskirchen 1983 (3. Aufl. 1986) |
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JUDENVERFOLGUNG und FLUCHTHILFE im deutsch-belgischen Grenzgebiet, Euskirchen 1990 (Dokumentationsband mit 810 Seiten und 550 Fotos) |
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„REICHSKRISTALLNACHT“ – Der Novemberpogrom 1938 auf dem Lande, Aachen 2008 |
„REICHSKRISTALLNACHT“ im Altkreis Euskirchen
Teil 2: Euskirchen („Synagogenbrand-Prozess“) Teil 3: Weilerswist und Lommersum |