MÜNSTEREIFEL und KIRSPENICH
Am 15.3.1949 verurteilte das Schwurgericht Bonn drei Münstereifeler wegen »Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Tateinheit mit Landfriedensbruch« zu einer Gefängnisstrafe von je sechs Monaten. Einem der Haupttäter anlässlich der »Reichskristallnacht« wurde während des Verfahrens sogar vorgehalten, er habe damals den Münstereifeler Juden Kaufmann erschießen wollen, wenn er ihn »geschnappt« hätte. Zu den Beschuldigten gehörten weitere zwölf Einheimische, die sich ebenfalls hervorgetan hatten.
Das Gerücht von den unbekannten »Auswärtigen in Räuberzivil« hält sich auch permanent im heutigen Bad Münstereifel. Dies alles erhält jedoch eine »pervertierende Interpretation«, wenn man die Bonner Urteilsbegründung genauer studiert. Die Täter im Verlaufe des Novemberpogroms 1938 waren fast nur Einheimische! Ein Angeklagter trug seine Uniform als Sturmführer, und sogar drei namentlich aufgeführte Polizisten aus Münstereifel waren zudem beauftragt worden, die sogenannte »Judenaktion« persönlich zu beobachten. Sie hatten auf dem gleichen Lastwagen Platz genommen wie die SA-Männer der Stadt. So gelangte man gemeinsam auch nach Kirspenich, wo der Besitz der jüdischen Familien Schweitzer und Kahn zerstört wurde. Wörtlich heißt es in den Gerichtsakten:
Kirspenich
Dort hielt man in der Nähe des jüdischen Schuhgeschäftes Schweitzer. Die Wageninsassen drangen unter Benutzung von Brechstangen und anderen Werkzeugen mit Gewalt in das Haus ein. Die Türen und Fenster des Hauses wurden eingeschlagen. Im Hause wurden dann Möbel und andere Einrichtungs- und Gebrauchsgegenstände zertrümmert oder beschädigt. Die vorhandenen Waren wurden durcheinander geworfen. Von dem Hause Schweitzer zog der Trupp zu dem Wohnhaus des Juden Kahn in der gleichen Ortschaft. Die Polizeibeamten folgten der Menge. Diese brachen auch bei Kahn mit Gewalt in das Haus ein und nahmen wie vorher im Hause Schweitzer die gleichen Zerstörungen vor. Außerdem wurde ein brennender Ofen umgestürzt. Das Feuer wurde von dem Zeugen M(...) gelöscht. Die Frau Kahn wurde in halbbekleidetem Zustand vom ersten Stock die Treppe heruntergeworfen. Man sprach davon, in Arloff die gleiche Aktion gegen den Juden Josef Kahn durchzuführen. Von diesem Vorhaben wurde jedoch Abstand genommen, da es sich um eine kinderreiche Familie handelte. Nach der Beendigung kehrten Polizei und SA gemeinsam nach Münstereifel zurück, wo die Ausschreitungen fortgesetzt wurden.
Münstereifel
Auf der traditionsreichen Orchheimerstraße, der Hauptstraße des kleinen Voreifelstädtchens, lagen Tuchballen, Kleider und Schuhe aus den Geschäften von Carl und Oskar Nathan. Hier wurden auch alle Einrichtungsgegenstände zerschlagen. Willibald Kolvenbach recherchierte, dass man den Personenwagen von Hugo Wolff aus der Stadt schob, um ihn dort zu verbrennen. Die Synagoge auf der Orchheimerstraße wurde geschändet. Zu Brandstiftungen kam es nicht, weil man mit Recht eine Gefahr für die mittelalterliche Stadt mit ihren Fachwerkhäusern befürchtete. Der seit 1823 im Queckenwald bestehende jüdische Friedhof wurde verwüstet, die Grabsteine wurden umgestoßen und zum Teil zerstört.
Einer der besonders fanatischen Haupttäter bekleidete das Amt des Propagandaleiters, wurde aber nach dem Kriege durch den Entscheid des Entnazifizierungsausschusses vom 5. Februar 1949 nur in die »Gruppe 4 ohne Beschränkungen« eingestuft. Bezüglich eines anderen Täters wird in dem neu erschienene Buch »Reichskristallnacht« – Der Novemberpogrom 1938 auf dem Lande aus den Gerichtsunterlagen zitiert:
An den Ausschreitungen bei der jüdischen Familie Kaufmann war auch der Angeklagte G(...) beteiligt. Er befand sich in einer Menge, die sich alsbald nach Beginn der geräuschvollen Zerstörungsarbeit vor dem Hause angesammelt hatte und aus neugierigen Zuschauern und solchen Personen bestand, die von außen Gewalttätigkeiten gegen das Haus verübten. Aus dieser Menge heraus hob der Angeklagte G(...) schwere Steine auf und warf sie in die Fenster des Hauses Kaufmann hinein. Von dem Hause Kaufmann zog die gewalttätige Menge zu dem Hause des Juden Adolf Wolff und verübte hier dieselben Gewalttätigkeiten gegen den Besitz der Juden wie in den bereits heimgesuchten Häusern. Aus diesem Hause wurden eine jüdische Familie, die dort noch nicht lange wohnte - ein Mann, eine Frau, ein Junge und ein krankes Kind - mit Schlägen und Fußtritten in die Nacht hinausgetrieben.
Stadtbekannt
Ein Zeuge sagte während des Prozesses vor der Strafkammer des Bonner Landgerichtes im März 1949 unter Eid aus, dass er schon am Nachmittag des 10. November über die Absichten der stadtbekannten Münstereifeler Nationalsozialisten informiert gewesen sei. Er sei deswegen am Nachmittag mehrfach durch das Stadtzentrum gegangen und habe alle Vorgänge sehr genau beobachtet. Dieses wäre sogar möglich gewesen, obwohl der Hauptangeklagte und ein Elektriker mit einer Zange für die Unterbrechung der Straßenbeleuchtung gesorgt hatten.
Die Gerichtsunterlagen belegen, dass die Ausschreitungen in Münstereifel fast die ganze Nacht vom 10. zum 11. November andauerten. Dennoch wurden nur wenige Zeugenaussagen von den Richtern berücksichtigt oder als unwirklich abgetan. In der Anklageschrift hieß es dennoch:
Die drei Polizeibeamten (...) machten auch in Münstereifel während der Aktion Überwachungsdienst. Kurz nach der Rückkehr von Kirspenich wurde bekannt, dass dort schon wieder die geschädigten Judenhäuser von Einheimischen ausgeplündert würden.
Die Polizei wollte aber nichts mehr festgestellt haben. Der Zeuge Z(...) hatte vor der Strafkammer des Bonner Landgerichts »eidlich und glaubwürdig bekundet«, was er alles gesehen habe. Aber die Richter bewerteten diese Aussagen folgendermaßen:
Diese Bekundung kann aber aus dem Grunde nicht als unbedingt zuverlässig angesehen werden, weil der Zeuge heute stark kurzsichtig ist und in seiner Wahrnehmungsfähigkeit weiter durch - wenn auch mäßigen - Alkoholgenuss während eines Wirtshausaufenthaltes von mindestens 4 Stunden sicher beeinträchtigt war...
LINKS
JUDAICA – Juden in der Voreifel, Euskirchen 1983 (3. Aufl. 1986) |
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JUDENVERFOLGUNG und FLUCHTHILFE im deutsch-belgischen Grenzgebiet, Euskirchen 1990 (Dokumentationsband mit 810 Seiten und 550 Fotos) |
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„REICHSKRISTALLNACHT“ – Der Novemberpogrom 1938 auf dem Lande, Aachen 2008 |
„REICHSKRISTALLNACHT“ im Altkreis Euskirchen
Teil 2: Euskirchen („Synagogenbrand-Prozess“) Teil 3: Weilerswist und Lommersum |