WOCHENSPIEGEL-SERIE von Regionalhistoriker Hans-Dieter Arntz:

Wochenspiegel Serie

„REICHSKRISTALLNACHT“ im Altkreis Euskirchen Nr. 1 von 6

Teil 1 von 6 vom 08. Oktober 2008: Die „Reichskristallnacht“ in der Kreisstadt

EUSKIRCHEN: Die „Reichskristallnacht“ in der Kreisstadt

 

Am 9./10. November jährt sich zum 70. Mal ein Ereignis, das als »Reichskristallnacht« oder »Novemberpogrom 1938« in die Geschichts­bücher einging. Hans-Dieter Arntz berichtet in einer neuen Wochen-Spiegel-Serie über die Ereignisse im Altkreis Euskirchen.

Die seit der »Machtergreifung« der Nationalsozialisten beginnende Verfolgung und Entrechtung der Juden hatte einen vorläufigen Höhepunkt gefunden und gilt heute als radikaler Wendepunkt in der deutschen Politik gegenüber den Juden. In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938, aber auch noch Tage danach, brannten Synagogen in ganz Deutschland, wurden jüdische Geschäfte und Wohnungen demoliert und mehr als 30.000 Menschen in Konzentrationslager verschleppt. Die danach einsetzende systematische Verfolgung führte zum Holocaust.

 

WOCHENSPIEGEL-SERIE von Regionalhistoriker Hans-Dieter Arntz

 

Der »Novemberpogrom« hatte auf dem Lande, wo einer den anderen persönlich kennt, oft eine andere Dimension als in den Großstädten. Hier gab es selten die Anonymität der angeblichen »Täter im Räuberzivil«. Oft handelte es sich um bekannte Fanatiker aus der Nachbarschaft. Diese per­sönliche und soziale Komponente erschwerte auch in der Nachkriegszeit die vollständige Erforschung und Bewertung sowie die objektive Auswahl der Archivunterlagen und Zeugenaussagen.

Wenn man nach 70 Jahren die Unterla­gen der »Synagogenbrand-Prozesse« (1947-1954) analysiert, stellt man weiterhin fest, dass vieles bei den Richtern keine Beachtung fand. Dennoch verurteilte nach dem 2. Weltkrieg die Bonner Strafkammer vier Euskirchener Männer zu Freiheitsstrafen zwischen 4 und 12 Monaten. Am 1. September 2008 überließ der Amerikaner Egon Fromm, der mit seinen Eltern nach der »Reichskristallnacht« fluchtartig seine deutsche Heimat verließ, dem Chronisten ein sel­tenes Foto aus dem Jahre 1936, das den Euskirchener Rabbiner Ferdinand Bayer mit Sohn Raphael und der Familie Fromm zeigt. Die friedliche Idylle im Hof der Baumstraße 7 lässt nicht erkennen, dass die Entrech­tung der jüdischen Mitbürger bereits ihre wirtschaftliche Existenz bedrohte.

Karola und Walter Fromm besaßen nur noch bis zum Herbst 1938 das renom­mierte Kaufhaus »Euskirchener Strumpfwaren und Trikotagen« (E.S.T.) im Stadtzentrum, und Rabbiner Bayer hatte mit den an­wachsenden Problemen der stetig kleiner werdenden Synagogengemeinde zu kämpfen. Alle Personen auf dem Foto erlebten zwar die »Reichskristallnacht«, konnten aber dem späteren Holocaust entkommen. Der Familie Fromm gelang die rechtzeitige Auswanderung nach Amerika. Rabbiner Bayer und seine Angehörigen überlebten im Unter­grund und fanden nach dem Kriege in den USA und Is­rael eine neue Heimat.

Als Antwort auf das Atten­tat des 17jährigen Herszel Grynspan, der sich in Paris an einem deutschen Bot­schaftsangehörigen rächen wollte - wegen der Auswei­sung von mehr als 30.000 Glaubensbrüdern, einschließlich seiner Eltern -, wurde im Deutschen Reich in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 und noch Tage danach ein Pogrom initiiert, der als »Reichskristallnacht« unvergessen blieb. Er sollte spontan wirken, war aber gründlich vorbereitet und organisiert worden. Viele Details, die sich auch auf den Altkreis Euskirchen beziehen, wur­den in dem neu erschienen Buch »Reichskristallnacht« dokumentiert.

Das gilt auch für den »Euskirchener Synagogenbrand-Prozess«. Im Sommer 1947 wurde den nur noch wenigen Beschuldigten detailliertes Belastungsmaterial vorgelegt. Da sich mehrere Euskirchener durch besondere »Sühne-Maßnahmen« und »Persilscheine« vorzeitig der Anklage entziehen konnten, kam es vor den Bonner Gerichtsschranken nur noch zu einem Prozess gegen eine Handvoll Eu­skirchener SA-Männer. Aber damit waren dann wirklich die Ermittlungen in Bezug auf den Synago­genbrand von Euskirchen endgültig abgeschlossen. Ein Zeitungsbericht nennt alle Täter mit vollem Namen. In der kommenden Woche lesen Sie einen Auszug aus dem Buch »Reichskristallnacht«, der den letzten Stand des »Sy­nagogensturms in Euskirchen« darstellt.

 

LINKS
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JUDAICA – Juden in der Voreifel, Euskirchen 1983 (3. Aufl. 1986)

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JUDENVERFOLGUNG und FLUCHTHILFE im deutsch-belgischen Grenzgebiet, Euskirchen 1990 (Dokumentationsband mit 810 Seiten  und 550 Fotos)

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„REICHSKRISTALLNACHT“ – Der Novemberpogrom 1938 auf dem Lande, Aachen 2008

„REICHSKRISTALLNACHT“ im Altkreis Euskirchen

josef weiss

Teil 1:  Euskirchen

Teil 2: Euskirchen („Synagogenbrand-Prozess“)

Teil 3: Weilerswist und Lommersum

Teil 4: Zülpich und Sinzenich

Teil 5:  Münstereifel und Kirspenich

Teil 6:  Mechernich und Kommern

 

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