Erinnerung an die „Reichskristallnacht“ im Altkreis Schleiden
Auch 70 Jahre nach dem Novemberpogrom von 1938 sollte dieses Ereignis sicher mehr sein als ein historisch einzuordnendes Ereignis. Ursache, Verlauf und Auswirkung sind inzwischen sehr differenziert dargestellt und gewertet worden. Als »Kristallnacht« oder »Reichspogromnacht« gehört es auch längst zum Curriculum des deutschen Schulwesens, so dass über die eigentlichen Fakten jeder Bescheid wissen sollte. Der 9./10. November wird also stets mit der gelenkten und organisierten Zerstörung von Eigentum und Leben der im Deutschen Reich lebenden Juden in Verbindung gebracht werden.
Das Bemühen um historische und moralische Genauigkeit sollte bei der Darstellung und Bewertung der »Reichskristallnacht«, auch 70 Jahre nach diesem Pogrom, ein wesentliches Anliegen sein. Für die Regionalhistorie ist die Sammlung von historischen Fotos. Briefen und anderen Unterlagen immer noch von großem dokumentarischem Wert. Fotosammlungen, Fotoalben und einzelne Aufnahmen aus dem Leben der deutschen Juden vor und nach 1933 sowie der Judenverfolgung sind ein Beitrag hierzu, denn die damaligen Zeitzeugen werden immer weniger. Der Autor des Buches Reichskristallnacht - Der Novemberpogrom 1938 auf dem Lande vertritt nach 30jähriger Forschungsarbeit zum Thema »Juden in der Eifel und Voreifel« immer noch die Ansicht: Je häufiger die Erinnerung, desto eindringlicher die Mahnung!
Stolpersteine
Insofern sind Mahnmale, Tafeln, Stolpersteine und Gedenkfeiern auch 70 Jahre nach dem Pogrom eine moralische Verpflichtung. Es sollte auch nicht vergessen werden, dass in letzter Konsequenz erst durch die regionalhistorische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und der Judenverfolgung eine »Sensibilisierung« bei der Bevölkerung möglich wurde. So gedachten zum Beispiel die Schüler der Hauptschule Mechernich am 19. September 2008 der im Holocaust umgekommenen Angehörigen der jüdischen Familie Ruhr in Mechernich. Der Aktionskünstler Gunter Demnig verlegte in ihrem Sinne fünf sogenannte »Stolpersteine«. Für die inhaltliche Vorbereitung hatte die Lehrerin Gisela Freier gesorgt.
Später, aber sicher nicht zu spät reagiert nun auch die Gemeinde Kall. Im Jahre 1985 war die kleine Eifelgemeinde etwas ins Gerede gekommen war, weil in der bekannten Dokumentation »Gedenkstätten des Nationalsozialismus« von Ulrike Puvogel auch diesem Ort ein kleines Mahnmal zugeschrieben wurde, das an die »Reichskristallnacht« erinnern sollte. Angeblich hätte man der verfolgten und ermordeten Juden gedacht! Aber dieses Mahnmal hat es nie gegeben! Dennoch wurde die angebliche – und nicht vorhandene – Inschrift zitiert: »Zum ehrenden Gedenken an die jüdischen Mitbürger der Gemeinde Kall, die in den Jahren der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft umgekommen sind.«
Obwohl man häufig auf das Versehen hinwies, wurde in Neuauflagen der peinliche Fehler nicht verbessert. Jetzt, 70 Jahre nach dem Novemberpogrom, soll nun doch eine Gedenktafel zur Erinnerung an die ehemalige Synagoge »Im Sträßchen« eingeweiht werden. Nach Absprache mit dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden soll eine Metallplatte auf einem Findling an die kleine Kehilla von Kall erinnern.
Judit.H
Auch der Arbeitskreis Judit.H (Juden im Tal, Hellenthal) hat sich die Aufgabe gestellt, an die ehemaligen jüdischen Mitbürger zu erinnern. Dass dies mit einem gehörigen Feingefühl gemacht werden muss, dürfte auch der 4. Teil der WochenSpiegel-Serie bewiesen haben, denn gerade in Hellenthal/Blumenthal hatte sich während des »Novemberpogroms« der Fanatismus des Nationalsozialismus besonders ausgetobt.
Stele
Das neu erschienene Buch Reichskristallnacht und künftig auch weitere Publikationen weisen auf den tatsächlichen Sachverhalt der dortigen Ereignisse vom 9./10. November 1938 hin. Am 9. November wird nun Judit.H auf dem Grundstück der ehemaligen Synagoge von Blumenthal eine Stele einweihen, die an den Brand und den Untergang der einst großen jüdischen Gemeinde erinnern soll. Hier werden auch einige jüdische Gäste teilnehmen, u. a. die Angehörigen der Familien Heumann und Fromm und des jüdischen Religionslehrers Moses Fernbach.
Moses Fernbach
Da historische Ereignisse auch personifiziert werden sollen, stellte der Verfasser dieser Serie Moses Fernbach in mehreren Online-Artikeln seiner Homepage im Frühjahr 2008 vor und forderte eine Gedenkplatte für einen Mann, der in Schleiden wohnte, in Blumenthal in der Synagoge wirkte und schließlich die einzige jüdische Volksschule des Altkreises Schleiden in Kall leitete. Da er zudem offiziell der letzte Repräsentant der jüdischen Kreisgemeinde war, kam ihm eine exemplarische Funktion zu, der auch im November 2008 gedacht werden wird.
Moses Fernbach und seine Familie konnten im Untergrund überleben und 1947 nach Palästina auswandern. Seine historische Leistung ist zudem die Neugründung der Berliner Synagogengemeinde nach dem 2. Weltkrieg. Stellvertretend für die Nachbarschaft verwirklichte der einheimische Fabrikant Jürgen Fesenmeyer diesen Antrag und ließ auf eigene Kosten eine Gedenktafel anfertigen, die am 9. November um 18.30 in der Straße Holgenbach an der ehemaligen Wohnung von Moses Fernbach angebracht werden soll. In Kooperation mit den Kirchengemeinden und den Repräsentanten von Schleiden und Hellenthal organisiert die »Kirche im Nationalpark Eifel, Arbeitskreis Kirchliche Aktivitäten in Vogelsang« die sicher eindrucksvolle Gedenkveranstaltung »Weg gegen das Vergessen« – zum 70. Jahrestag der Reichspogromnacht am 9. November 1938«.
LINKS
JUDAICA – Juden in der Voreifel, Euskirchen 1983 (3. Aufl. 1986) |
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JUDENVERFOLGUNG und FLUCHTHILFE im deutsch-belgischen Grenzgebiet, Euskirchen 1990 (Dokumentationsband mit 810 Seiten und 550 Fotos) |
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„REICHSKRISTALLNACHT“ – Der Novemberpogrom 1938 auf dem Lande, Aachen 2008 |