Hellenthal und Blumenthal
Anfang September 2008 überließ Egon Fromm dem Verfasser des neu erschienenen Buches Reichskristallnacht ein Familienbild aus dem Jahr 1936, das die jüdischen Angehörigen der Familien Heumann, Katz, Rothschild und Fromm aus Hellenthal zeigt.
Samuel Heumann, der 1858 in Hellenthal geboren wurde, feierte 1936 hier zum letzten Mal mit allen Angehörigen seinen Geburtstag. Nach der »Reichskristallnacht« verließ er seine Heimat, flüchtete in die Niederlande und kam am 1. Mai 1943 im Lager Westerbork um. Seine Tochter Karola verh. Fromm besaß mit ihrem Ehemann das große »Euskirchener Strumpf- und Trikotagenhaus« (E.S.T.) auf der Wilhelmstraße/Ecke Neustraße, zog sich aber mit ihrer Familie zwei Wochen vor dem Novemberpogrom zu ihren Eltern nach Hellenthal zurück, nachdem das Geschäft zwangsarisiert worden war. Sie ahnten nicht, dass der rassistische NS-Terror im abgelegenen Hellenthaler Tal noch schlimmer wütete als woanders im Voreifel- und Eifelgebiet. Einige der auf dem Foto gezeigten Personen können es noch heute bezeugen.
Die Urteilsfindung im Hellenthaler »Synagogenprozess« wirkte makaber; zumindest belegen das die fielen Gerichtsakten. Auch die seitenlangen Zeitungsberichte aus den Jahren 1952-1954, die teilweise wortgetreu die belastenden Zeugenaussagen der Verfahren in den verschiedenen Instanzen wiedergeben, lassen heute vieles in einem anderen Licht erscheinen.
Die angeklagten Haupttäter wurden nach mehreren Instanzen, die erst beim Bundesgerichtshof endeten, teilweise freigesprochen. Es wurde ermittelt gegen einen fanatischen Ortsgruppenleiter, einen offenbar irregeführten Fabrikanten und einen vergesslichen Feuerwehrmann. Sie sollten offenbar Schuld am Brand der Synagoge von Blumenthal haben. Bis zum Jahre 1954 erlebte die Eifelbevölkerung ein Schmierentheater, in dem die Belastbarkeit der Zeugen und das deutsche Recht strapaziert wurden. Aufgrund der Einsprüche gegen mehrere Gefängnisstrafen wurde ganz am Schluss nur noch der damalige Amtsbürgermeister F(...) wegen Beihilfe zur Brandstiftung und wegen Freiheitsberaubung im Amt zu einer Gefängnisstrafe von insgesamt einem Jahr verurteilt.
Kernpunkte der Verhandlungen waren der »Blumenthaler Synagogenbrand« sowie der sogenannte »Prangermarsch«, der am Tage nach der »Kristallnacht« von Hellenthal nach Blumenthal durchgeführt wurde. Damals waren mindestens 15 jüdische Bürger verhaftet und im Triumph durch die Orte geführt worden.
Einen besonderen Stellenwert hätte die Aussage des jüdischen Metzgers Karl Haas haben können, der als Augenzeuge vieles mitbekommen hatte und sein Wissen nach dem Kriege einer gerechten Justiz mitzuteilen bereit war. Aber auch diese wurde schließlich nicht zur Kenntnis genommen. Seine eidesstattliche Aussage vom 17. November 1949 lautete jedoch u.a.:
(...) Am Morgen des November 1938, als die Synagoge in Blumenthal angezündet wurde, erschien der Arno Rothschild an unserer Türe und teilte uns mit, dass die Synagoge brenne. Er bemerkte, er sei in der Synagoge gewesen. Dort sei der Bürgermeister F(...), der SS-Mann Schw(...) und die Sch(...)- Jungen gewesen. Sobald man ihn gesehen habe, sei hinter ihm her geschossen worden. Wer nach ihm geschossen hatte, konnte er nicht angeben (...). Rothschild bat um Rat, was er tun solle. Da wir der Meinung waren, dass nachher wieder behauptet würde, Rothschild habe geschossen, haben wir ihm geraten, nach Belgien zu gehen. Rothschild hat dann bei uns Kaffee getrunken und dann Deutschland verlassen.
Mehrere Juden, die einst in Hellenthal gelebt und den Holocaust überlebt hatten, waren aus den Niederlanden, USA und Belgien angereist, um die Verbrechen anlässlich des Novemberpogroms 1938 in Hellenthal/ Blumenthal zu bezeugen. Der Hauptzeuge Karl Haas ergänzte: »Noch am gleichen Morgen wurde nach Arno Rothschild bei uns gesucht. Im Laufe des Morgens am gleichen Tage erschien der Landjäger F(...) bei uns und teilte uns mit, dass wir in der Zeit von 10 bis 1 Uhr das Haus nicht verlassen dürften.
Gegen Mittag wurden mein Bruder Emil und ich ebenfalls von F(...) in Begleitung des Sch(...) abgeholt und vor das frühere Gesellschaftshaus das damalige 'Braune Haus' gebracht. Dort wurden wir gesammelt, bis alle Juden aus Blumenthal und Hellenthal zusammen waren. Anschließend wurden wir durch Hellenthal und Blumenthal zu der noch brennenden Synagoge geführt. Diesen Aufzug leitete der Ortsbürgermeister F(...). Da waren noch u.a. der SS-Mann Schw(...), A(...)Sch(...),D (...)Sch(...) und, soweit ich mich zu entsinnen glaube, der Sohn des Notars Z(...) aus Gemünd.
In diesem Aufzuge war ein alter Mann namens Salomon Kaufmann, der sehr schlecht gehen konnte. Da wir im Gleichschritt gehen mussten, konnte Kaufmann diesen nicht beihalten. Er blieb zurück und wurde daraufhin mehrere Male mit Fußtritten bedacht. Dabei schrie er laut auf. Dies habe ich selbst gesehen! Ich kann jedoch nicht sagen, wer Kaufmann getreten hat, da außer den vorgenannten Personen noch eine ganze Reihe von SS-Leuten den Aufzug herumschwirrten, die jedoch nicht aus Hellenthal waren. An der Synagoge wurden wir um das schwelende Gebäude herumgeführt und dann zum Bürgermeisteramt gebracht. Hier mussten wir uns aufstellen und wurden fotografiert.
Vor dem Bürgermeisteramt tat sich ein Feldmeister mit Namen H(...) aus dem Arbeitsdienstlager Blumenthal ganz besonders hervor. Vor dem Bürgermeisteramt stand nämlich eine Fahnenstange. H(...) erklärte, einer von uns müsse oben an der Fahnenstange aufgeknüpft werden und die anderen der Reihe nach darunter gehängt werden.
Wie unbegreiflich für manchen die Urteilsfindung wirkte, möge aus den Gerichtsunterlagen zu entnehmen sein, die der Autor zum großen Teil schon 1990 in seinem Dokumentationsband Judenverfolgung und Fluchthilfe im deutsch-belgischen Grenzgebiet, aber auch neulich wieder in seinem Buch Reichskristallnacht publiziert hat. Symptomatisch ist zum Beispiel eine richterliche Formulierung in der Urteilsbegründung:
Zwar hat der Zeuge eindeutig den S(...) in der Synagoge gesehen, wie er die Benzinkanister entleerte, doch ist das nur subjektiv. Heute trägt er eine Brille; somit kann vermutet werden, dass er im Jahre 1938 sicher auch schon schiecht sehen konnte...
LINKS
JUDAICA – Juden in der Voreifel, Euskirchen 1983 (3. Aufl. 1986) |
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JUDENVERFOLGUNG und FLUCHTHILFE im deutsch-belgischen Grenzgebiet, Euskirchen 1990 (Dokumentationsband mit 810 Seiten und 550 Fotos) |
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„REICHSKRISTALLNACHT“ – Der Novemberpogrom 1938 auf dem Lande, Aachen 2008 |