Ein jüdischer Religionslehrer aus Schleiden gehörte zu den Mitbegründern
der Berliner Synagogengemeinde (1945)

von Hans-Dieter Arntz
22.01.2008

Die Chronik der jüdischen Gemeinde von Berlin und auch WIKIPEDIA müssen wohl etwas ergänzt werden. Durch Zufall stellte sich heraus, dass einer der Mitbegründer, der ehemalige jüdische Religionslehrer MOSES FERNBACH (1893-1983) aus Schleiden völlig vergessen wurde. Dies hatte aber auch einen Vorteil: nach mehr als einem halben Jahrhundert konnten zwei jüdische Familien zusammengeführt werden.  

Vor wenigen Tagen ereignete sich etwas, was den Verfasser dieser Zeilen sehr bewegt hat. Am 17. Januar 2008 wandte sich durch Zufall Dr. Werner Rosenthal aus Berlin an mich, um eine genealogische Frage zu klären. Es stellte sich durch Zufall heraus, dass Erich Nehlhans sein Großonkel war. Stolz berichtete er von der Benennung einer „Erich-Nehlhans-Straße im Jahre 2005. Nehlhans (1899-1950) war Mitbegründer und später 1. Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Dr. Rosenthal erinnerte sich vage an die Erzählungen anderer Mitglieder der Synagogengemeinde über den Neubeginn im Jahre 1945 und die Zusammenarbeit mit „einem irgendwie aus der Eifel stammenden Moses Fernbach“, der aber in der Chronik vergessen wurde. Erich Nehlhans und Moses Fernbach waren tatsächlich die Ersten, die gemeinsam in den ersten Tagen nach dem 2.Weltkrieg die Berliner Synagogengemeinde wieder ins Leben riefen. In wenigen Stunden konnte  per Telefon und Internet ein Kontakt zwischen Mirja Brudermann geb. Fernbach, der Tochter des jüdischen Religionslehrers, und Dr. Werner Rosenthal hergestellt werden. Nach etwa 6 Jahrzehnten konnten zwei Familien wieder Beziehungen zueinander aufnehmen.

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Pankows Stadtrat für Stadtentwicklung Martin Federlein (l.) und Werner Rosenthal übergaben die Erich-Nehlhans-Straße der Öffentlichkeit

Quelle: „Zeitung der s/es“ der Stadtentwicklungsgesellschaft  Eldenauerstraße „Wir über uns“, 1/2005,9.Jg. Dezember 2005, Seite 2. Für seine Verdienste wurde Erich Nehlhans geehrt. (Foto SES, Berlin)

Das Leben von Moses Fernbach wird detailliert in der umfangreichen Dokumentation Judenverfolgung und Fluchthilfe im deutsch belgischen Grenzgebiet an mehreren Stellen dargestellt (Vgl. dort: S.303-305 und S.318 ff. sowie ausführlich auf den Seiten  472-491). Die Beiträge könnten durchaus für die jüdische Gemeinde von Berlin als Grundlage zur Erweiterung  ihrer Chronik dienen.

Moses Fernbach wurde am 5. Mai 1893 in Felsberg geboren, war ausgebildeter Volksschullehrer und wirkte in den jüdischen Eifelgemeinden Hellenthal/Blumenthal, Schleiden/Gemünd und Kall. Bis 1940 leitete er eine „Jüdische Schule von Kall“. Er und seine Angehörigen überlebten im Untergrund. Danach nahm er tatkräftig den Aufbau der jüdischen Gemeinde von Berlin in Angriff, was ihm auch in einem Schreiben des Vorstandes vom 1. September 1947 bestätigt wurde. Wörtlich heißt dort:

„Wir erinnern uns daran, dass Sie mit zu den Ersten gehörten, die nach Beendigung des Krieges tatkräftig Hand anlegten, um den Wiederaufbau unserer Gemeinde zu bewerkstelligen, und wir anerkennen die Dienste, die Sie sich in Ihrer Arbeit erworben haben. Sie haben nicht nur in der Repräsentanz gearbeitet und als deren Schriftführer maßgeblich gewirkt, Sie haben auch gleichzeitig als Religionslehrer und Führer der Jugend sich für den Aufbau unserer Gemeinde mit Ihrer ganzen Kraft zur Verfügung gestellt. Sie haben sich stets darum bemüht, dass die Versorgung Berlins mit rituellen Lebensmitteln möglich war und haben durch Ihre Tätigkeit als Schauchet nicht nur mit Rat, sondern auch mit der Tat, unschätzbare Dienste geleistet.“
(Vgl. ARNTZ, Hans-Dieter, Judenverfolgung im deutsch-belgischen Grenzgebiet, Euskirchen 1990, S. 490 ff.)

 

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Der jüdische Religionslehrer Moses Fernbach hielt sich unter dem Namen Max Friedrichs bis zur Zerstörung Magdeburgs - am 16.1. 1945 durch Bombenangriff - bei seinem Freund Carl Müller auf. Danach lebte er bis Anfang Mai 1945 bei einer Familie Tews in Birkenwerder bei Berlin. Nachdem die damalige Reichshauptstadt endgültig gefallen war, konnte er sich wieder öffentlich zeigen. So schnell wie möglich wollte er nach Berlin. Da es keine Verkehrsmittel gab, trat er einen nicht ungefährlichen Fußmarsch an. Unterwegs traf er einen Bekannten - Erich Nehlhans - der früher Inhaber eines Postkartenverlages war und als „Untergrundler" ebenfalls das rassistische Dritte Reich überlebt hatte. Diese beiden Männer beschlossen, die Berliner Juden wieder zu sammeln und eine Gemeinde neu aufzubauen. Moses Fernbach berichtet:

Wir beide trafen nur einen geringen Rest von Juden, die irgendwo überlebt hatten oder aus den Konzentrations- sowie Vernichtungslagern zurückgekommen waren. Im Krankenhaus in der Iranischen Straße existierte nominell noch die ,Reichsver­einigung der Juden Deutschlands', die 1939 auf Befehl der Nationalsozialisten gegründet werden musste. In den letzten Jahren hatte sie nur noch die schreckliche Aufgabe gehabt, Deportationslisten zusammenzustellen. In dem Gebäude hausten sogar noch einige Angestellte, zumeist Personen, die einst in einer privilegierten `Mischehe' lebten, und verschiedene kranke und alte Menschen. Alles in allem fanden wir - Erich Nehlhans und ich - etwa 200 bis 300 Menschen -; als letzten Rest der deutschen Juden!

Nach einiger Zeit eröffneten wir in Berlin die Büros der Jüdischen Gemeinde, ohne Bezahlung und deutsche Unterstützung. Die Russen hatten die `Reichs Vereini­gung' als Institution des 3. Reiches rasch aufgehoben, zumal die Verhandlungen mit den letzten Angestellten keine positiven Ergebnisse gebracht hatten. Im Juli 1945 machte ich in den damaligen Berliner Zeitungen bekannt, dass alle geretteten Juden sich melden sollten. Zum Glück hatte ich vorher in der ehemali­gen Reichssippenkartei, die ich besetzen ließ, eine genaue Aufstellung der damals in Deutschland wohnhaften Juden vom Stand des 1.Mai 1938. So konnte ich unverzüglich den verhaften lassen, der sich jetzt plötzlich als Jude ausgab und irgendwie bevorzugt werden wollte. In dem Hause Oranienburger Straße 8, das Nehlhans und ich zum neuen Büro der Jüdischen Gemeinde von Berlin machten, fanden wir weiterhin Aktenordner über die vielen Deportationen und deren Teilnehmer. Das ehemalige Hauptbüro in der Oranienburgerstraße 9 war im Krieg fast völlig zerstört worden.

Pervers war es eigentlich, dass wir im ehemaligen Reichssippenamt der Nazis residierten. Nur ein Hausmeister war zurückgeblieben. Alle Büromöbel, Akten oder Schreibmaschinen ließen wir beschlagnahmen. So begannen wir mit dem Aufbau der Jüdischen Gemeinde von Berlin!" (Nach: „Berliner Juden 1947. Eine Gemeinde entstand auf Trümmern", in: „Yedioth Hayom“ / Israel vom 7.11.1947.)

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Interessant ist der weitere Hinweis von Moses Fernbach, dass eine zusätzlich ge­fundene Sippenkartei die Personalbögen sämtlicher Mitglieder der NSDAP mit Passbildern enthielt, die von den Ameri­kanern übernommen wurden, weil die Russen sie damals nicht haben wollten. Als provisorischer Generalsekretär ließ er 10000 Fragebögen zur Registrierung der deutschen Juden anfertigen. Im Jahre 1947 hatte man auf diese Art und Weise 8 000 Mitglieder der Jüdischen Gemeinde erfasst, von denen 1350 im Untergrund überlebt hatten bzw. 3 500 in Mischehen lebten oder deren Ehepartner zum Juden­tum übergetreten waren.


An eine Arbeit in meinem Beruf als jüdischer Volksschullehrer war nicht mehr zu denken, da es praktisch keine jüdischen Kinder mehr gab. Andererseits konnte ich an einer allgemeinen Schule nicht mehr arbeiten, da der Schmerz über das Unheil noch zu groß war. Man hatte mir den Rektorposten an einer 24klassigen Schule angeboten, aber eine solche Tätigkeit traute ich mir zur damaligen Zeit einfach noch nicht zu. Ich lebte von Unterstützungen aus Amerika. Am 8. Oktober 1947 zog ich mit meiner Ehefrau und der jüngsten Tochter nach Palästina, um mit meinen Angehörigen zusammen zu sein.

Bis zu diesem Zeitpunkt war Moses Fernbach in Berlin Religionslehrer, Schauchet und Repräsentant der 21köpfigen, von der Stadt Berlin ernannten Versammlung sowie deren Schriftführer. Bei seinem Abschied gab es eine kleine Feier. Eine Bescheinigung vom 1. September 1947 - unterschrieben von dem Gemeindevorstand Erich Nehlhans, Dr. Fabian, Julius Meyer, Karl Busch und Dr. Münzer - bestätigte dem einstigen jüdischen Religionslehrer von Schleiden und Kall, dass er maßgeblich am Aufbau der Jüdischen Gemeinde von Berlin beteiligt gewesen war.

QUELLE

ARNTZ, Hans-Dieter, Judenverfolgung und Fluchthilfe im deutsch-belgischen Grenzgebiet, Euskirchen 1990, S. 487 ff.

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