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Die Initiative zur Errichtung eines Mahnmals für die einstige jüdische Gemeinde einer kleinen Eifelgemeinde erstreckte sich über 2 Jahre. Es gab frustrierende, aber auch sehr schöne Momente in einem langwierigen Prozess. In insgesamt 4 Teilen soll der gesamte Verlauf dargestellt werden, um die gemachten Erfahrungen wiederzugeben. Unter der Überschrift, „Wie die Juden von Kommern endlich zu ihrem Gedenkstein kamen“, soll nicht nur der Weg zur Einweihung eines Mahnmals dargestellt werden, sondern gleichzeitig auch ein Teil ihrer jüdischen Geschichte. Besonders wichtig ist aber das abschließende Ergebnis, wie der Versuch der Dorfgemeinde Kommern ausging, „die Vergangenheit zu bewältigen“.
Mehr als 2 Jahrzehnte später sowie bei der Durchsicht alter Akten und Korrespondenzen wundert man sich, wie zeitaufwändig es doch war, ein kleines Denkmal zur Erinnerung an die jüdische Gemeinde errichten zu lassen - in Form eines Findlings mit Gedenkplatte. Ich weiß nicht, ob das heutzutage leichter geworden ist. In der Kreisstadt Euskirchen (1980/81) war eine entstandene Auseinandersetzung sogar so groß gewesen, dass sich die Boulevardpresse in großen Artikeln und die Regionalpresse mit einer zusätzlichen Flut von Leserbriefen engagieren mussten. Jahrzehntelang hatte der Stadtrat nämlich den Euskirchener Juden ein Mahnmal verweigert! Auch die spätere Benennung eines Platzes nach dem jüdischen Arzt Dr. Hugo Oster hatte mehr als 10 Jahre gedauert!!
Ermutigt wurde ich jedoch durch die ungewöhnlich tatkräftige Initiative des Dorfes Flamersheim. Dort hatte es 1984 eine wirklich spektakuläre Einweihung eines Mahnmals und ein viertägiges „Wiedersehensfest“ mit ehemals hier beheimateten Juden gegeben. Selbst der WDR hatte für diese Zeit ein Fernsehteam im Gasthof Ueckert einquartiert und später einen 30minütigen Film produziert.
Was würde also in Kommern geschehen?
Der Zuspruch durch die kleinen jüdischen Gemeinden in den benachbarten Großstädten war nicht ermutigend, weil „so etwas die Aufgabe der eigentlich Betroffenen sein müsste. Jede Gemeinde hat dafür selber zu sorgen!“
Wie ich bereits in Teil 1 erwähnte, war auch beim Kölner Regierungspräsident keiner für „so etwas“ direkt zuständig. Mein diesbezügliches Antichambrieren bei anderen Behörden glich der Tätigkeit eines erfolglosen Handelsvertreters. In dieser Zeit – etwa von Juni 1983 bis Mai 1984 – führte ich viele persönliche Gespräche und wurde durch die Redakteure des „Euskirchener Wochenspiegels“ (Hansen) und der Kölnischen Rundschau zusätzlich unterstützt. Zumindest konnte das Mahnmal im größeren Rahmen thematisiert und bekannt gemacht werden.
Durch die Tatsache, dass ein Onkel meiner Frau Vorgänger des damals amtierenden Pastors von Kommern war, glaubte ich, bei der katholischen Kirchengemeinde besonders mit Zuspruch und aktiver Hilfe rechnen zu können. Selbst heute noch hat der Name „Schäfer“ bei den älteren Dorfbewohnern einen guten Klang.
Ich erinnere mich nicht nur an Briefe, sondern auch an die Begegnung mit dem Pfarrgemeinderat. Brieflich und persönlich konnte ich jedoch mit dem amtierenden katholischen Pastor kein einziges Wort wechseln. Aber der Pfarrgemeinderat empfing mich, um meinen Vorschlag für die Errichtung eines Mahnmals für die jüdische Gemeinde anzuhören.
Das Treffen fand in einem recht dunklen Raum eines auf der Anhöhe liegenden Gebäudes statt. Da ich offenbar nur ein unwesentlicher Punkt auf der Tagesordnung war, musste ich auf dem Flur warten. Beim Auf- und Abgehen kam ich mir wie einer meiner Abiturienten vor, die ungeduldig auf die mündliche Prüfung warten. Endlich trat ich vor den im Halbkreis sitzenden Pfarrgemeinderat, stellte mich namentlich vor und durfte dann sitzend mein Anliegen vortragen. Dies dauerte ungefähr 15 Minuten. Ich wurde weder mit Zwischenfragen unterbrochen noch später um zusätzliche Auskunft gebeten. Bei der Heimfahrt wusste ich überhaupt nicht, wie mein eigentlich doch gar nicht so ungewöhnlicher Vorschlag aufgenommen worden war.
Um es kurz zu machen: ich erhielt auch keine schriftliche Antwort. Jedoch erinnere ich mich deutlich an das Engagement der Familien Hein und Hiller, die mich bereits in den nächsten Tagen privat kontaktierten – vielleicht sogar im Auftrage des Pfarrgemeinderates. Ich weiß es wirklich nicht. Wahrscheinlich durch deren gute Kontakte zu den Vereinen und zur Dorfbevölkerung wurde mir signalisiert, dass ein „Mahnmal irgendwie möglich“ würde.
Diese eigentlich noch unverbindliche Zusage teilte ich am 29. Mai 1984 den in England wohnenden Überlebenden der jüdischen Gemeinde von Kommern mit und erhielt am 11. Juni folgendes Schreiben:
Seit der Kriegszeit hatte sich die Einwohnerzahl des kleinen Eifelortes Kommern auf etwa 3.200 Einwohner verdreifacht. Die Eingemeindung der einst selbstständigen Gemeinde in die Stadt Mechernich und eine rege Bautätigkeit hatten die soziale Nähe zwischen der eingesessenen Bevölkerung und den Neubürgern etwas verfremdet, doch als inzwischen bekannt geworden war, dass „de Jüdde“ eingeladen werden sollten, entwickelten sich sehr positive Begegnungen untereinander. Davon konnte ich für meine regionalhistorischen Forschungen auch profitieren, denn verstärkt erhielt für mein Archiv Dokumente bezüglich der Deportation von 1942, Fotos „aus besseren Tagen“ und endlich den Zugang zum mir ansonsten verschlossenen Gemeindearchiv. Von den demokratischen Parteien oder der evangelischen Kirche hörte ich offiziell bis zum Herbst 1985 gar nichts. Gelegentlich fragte der WDR nach dem Stand und der Terminierung nach, doch konnte ich hierzu anfangs wenig sagen, denn die Organisation für die Einweihung des Mahnmals und der beabsichtigten Einladung lag nun in den bewährten Händen von zwei Männern, die schon damals ihre Verdienste im Vereinskartell und der aktiven Dorfgemeinschaft hatten: Erich Ernst in der Funktion des Vorsitzenden und Johannes Ley als sehr aktiver Geschäftsführer. Deren bewundernswertes Engagement machte es möglich, dass ich mich nur noch auf die Kontakte zu den jüdischen Familien in England zu konzentrieren brauchte.
Am 12. Juni 1985 wurden die jüdischen Gäste in England und die Bevölkerung von Kommern offiziell eingeladen.
Sie korrespondieren mit Johannes Ley,
5353 Mechernich-Kommern
Kommern, den 12.06.1985
Sehr geehrte Damen und Herren!
Der Vorstand des Vereinskartell Kommern e.V. und somit alle Kommerner Vereine haben beschlossen, am 01. September 1985 ein Mahnmal einzuweihen, das an die jüdische Gemeinde und deren Schicksal erinnern soll.
40 Jahre nach Kriegsende und dem Untergang eines verhängnisvollen Systems möchten wir, auch insbesondere unserer Jugend,ein Zeichen
setzen.
In der Ortslage, und zwar am jüdischen Friedhof, wollen wir am Sonntag, dem 01. September 1985, um 11.30 Uhr, dieses Mahnmal feierlich einweihen. Hierzu sind Sie und alle diejenigen, die einen direkten Bezug zur ehemaligen jüdischen Gemeinde in Kommern haben, herzlich eingeladen.
Nachmittags soll um 17.00 Uhr ein festliches Konzert in der Aula der Grundschule Kommern mit Ortsvereinen und jüdischem Kulturkreis den würdigen Abschluß bilden.
Wir würden uns freuen, wenn Sie an den Feierlichkeiten teilnehmen könnten. Ihre Anschrift haben wir von Herrn H.-Dieter Arntz erhalten, mit dem Sie ja in persönlichem Kontakt stehen.
Sollten Sie bereits am Samstag, dem 31. August 1985 anreisen, werden wir uns um eine Unterkunft bemühen.
Bitte antworten Sie uns bald, ob wir mit Ihrem Kommen rechnen können. Danach werden wir Sie über weitere Einzelheiten informieren.
Mit freundlichen Grüßen
In mehreren Jahrbüchern, Dokumentationen und Artikeln hatte ich schon den bekannten „Getreide-Kommissionär“ des 1. Weltkrieges, Eudard Levano aus Kommern, vorgestellt. Auch zu den Familienangehörigen in England nahm ich jetzt wieder Kontakt auf. Da er besonders bekannt war, wollte ich - anhand seiner Persönlichkeit - in der Presse auf die Einweihung des Mahnmals und die Begegnung mit den überlebt habenden Juden vorbereiten. Ich betone noch einmal, dass ich in der Euskirchener Lokalredaktion der „Kölnischen Rundschau“ einen hilfsbereiten Multiplikator gefunden hatte. Im Grunde genommen waren die beiden folgenden Zeitungsartikel nicht nur eine Vorbereitung auf die Einweihung des Gedenksteines, sondern auch eine knappe Wiederholung der jüdischen Gemeindegeschichte:
„Ein Patent der Ehrlichkeit“ – Juden kommen zur Mahnmal-Einweihung
Kleine jüdische Geschichte Kommerns in 2 Teilen
Ein Mahnmal erinnert an sie
Am 1. September gedenkt die Ortsgemeinschaft Kommern der bis zum Jahre 1942 hier ansässigen jüdischen Gemeinde. Morgens um 11.30 Uhr wird im Rahmen einer Feierstunde am Prinzenweg, in unmittelbarer Nähe des Judenfriedhofs, ein Mahnmal eingeweiht. Ausrichter der Festlichkeiten ist das Vereinskartell unter Leitung von Erich Ernst, das auch für das große Nachmittagskonzert in der Aula der katholischen Grundschule verantwortlich ist.
Persönliche Begegnungen von eingeladenen jüdischen Gästen mit der Dorfbevölkerung werden wohl den Charakter eines Wiedersehensfestes haben. Die offiziellen Veranstaltungen am Sonntag, 1. September, jedoch werden von den Ortsvereinen, der katholischen Pfarre, der Evangelischen Gemeinde Roggendorf und den Schülern der Grundschule getragen.
Etwa 15 jüdische Gäste, die entweder aus Kommern stammen oder ihre Angehörigen hier hatten, werden schon Tage vorher privat untergebracht. Zu ihnen zählen unter anderem die CousinenLilly Clyne und Emmy Golding, deren Familiengeschichte mindestens bis 1784 nachweisbar mit der Ortsgeschichte Kommerns verbunden ist.
Der gemeinsame Urahn Jacob Levi Kaufmann wurde nämlich vor das Arenbergische Gericht als „ Besiegler“ des so genannten Judeneides (Schwur auf die Thora) geladen. Lilly Clyne ist 75 Jahre alt, lebt heute - wie die meisten Kommerner Juden - in England, und ist die Seniorin der Gäste. Ihr Vater war Gustav Kaufmann, der bis 1935 in Hostel ein großes Gut betrieb. Emmy Golding konnte mit ihrer Familie 1939 nach England emigrieren, nachdem die Auswirkungen der „Kristallnacht" und die kurzfristige Verhaftung des Vaters, Sigmund Kaufmann weitere Gefahren andeuteten.
Abraham der Alte war 1710 der erste Jude
Senior der männlichen Gäste ist mit 75 Jahren Kurt Schwarz, Sohn von dem noch heute sehr bekannten Isidor Schwarz. Vertreter der Familien Levano, H. Schwarz und Leo Kaufmann, runden die Gästeliste ab.
Die Geschichte der jüdischen Gemeinde Kommern lässt sich anhand des Aktenmaterials im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf nachweisen. Danach war bereits Abraham der Alte 1710 in Kommern ansässig. Er handelte mit Vieh, Fleisch und Korn. Auch die Geschichte der bereits 1899 untergegangenen Judengemeinde in Wißkirchen ist eng mit Kommern verbunden, da sich 1755 die von hier stammenden Juden Levi Zabel und seine Söhne Simon Levi und Susmann Lob in der Nähe von Euskirchen niederließen, da man in der Eifel nicht den erhofften wirtschaftlichen Erfolg hatte.
Die umfangreiche Dokumentation „JUDAICA - Juden in der Voreifel" schildert ausführlich die Geschichte der Kommerner Juden, die sich seit 1794 - der Eroberung linksrheinischer Gebiete durch die Franzosen - verstärkt in der Ortschaft niederließen und wirtschaftlich betätigten. Erstmals seit vielen Jahrhunderten durfte man jetzt Haus und Land selbst besitzen; für den Handel bot „Commern" die beste Standortpräferenz.
In einem Erlass vom 17. Mai 1808 wurden auch die Bürgermeister der Voreifel aufgefordert, über die ansässigen Juden Auskunft zu geben. Die späteren Antworten des Bürgermeisters Guennersdorf sind vom soziologischen wie auch historischem Gesichtspunkt her recht aufschlussreich: „In Commern sind da fünf Familien, 25 Individuen, davon vier für die aktive französische Armee bezeichnet. Dies sind Michel Cain, Ausgehobener des Jahres 13 der neuen Zeitrechnung, Manes Cain vom Jahre 1807, Jakob Levi und Rolef Cain, die 1809 ausgehoben wurden. Die beiden ersten sind Deserteure, der dritte ist zu Luxemburg in Garnison, und der vierte ist zurückgesetzt infolge mangelhaften Wuchses. Drei Familien sind Metzger und Händler. Die beiden anderen sind Tagelöhner in den Minen."
Die auch bei den Kommerner Juden nur mangelhaft ausgeprägte Begeisterung, für Napoleon auf den Schlachtfeldern Europas zu kämpfen, macht die erwähnten Bemerkungen von Bürgermeister Guennersdorf verständlich. Dennoch sei auf ein seltenes Dokument hingewiesen, das nur noch in wenigen Exemplaren in Deutschland erhalten ist.
Händler und Soldaten, meist aber Tagelöhner
Es handelt sich um einen Einberufungsbefehl eines deutschen Juden zum Heer von Kaiser Napoleon. Heymann Levano aus Kommern gehörte zu den bedeutendsten jüdischen Kämpfern. Dieses Dokument befindet sich heute im Besitz von Frau May Levano, Ehefrau von Arthur Levano. Sie kommt ebenfalls zu den Feierlichkeiten.
Wenn auch nicht alle anderen Juden aus Kommern in die Historie eingingen, so sei doch auf einige Momente hingewiesen. So besaß Gottfried Löwenstein um die Jahrhundertwende in Köln eine bedeutende Rohproduktenhandlung. Moses Löwenstein gehörte 1912 dem Rat der Gemeinde Kommern an. Seine Nichte war die Filmschauspielerin Ruth Lawrence. Die 80jährige Tochter von Moses Löwenstein, Rosa Weinberger, lebt heute in den USA und kann aus Gesundheitsgründen nicht kommen. Dennoch hängt sie heute noch an ihrem Geburtsort Kommern.
Dem Kriegerverein Kommern von 1870 gehörten auch Sigmund und Salomon Frohwein an. Jakob Frohwein spendete 1879 einen bedeutenden Betrag für das jüdische Lehrerseminar in Köln und unterstützte - wie übrigens manch andere jüdische Familie - bedürftige Dorfbewohner. Es soll darauf hingewiesen werden, dass Nachfahren heute in London die Firma F. & E. Frohwein Ltd., Sausage Manuf. & Kosher Butchers besitzen.
Der Kern der in der Kölner Straße beheimateten Familie wurde jedoch im Juli 1942 in das Warschauer Ghetto deportiert, wo sich ihre Spur verliert. Aus Warschau übrigens erhielt die Kommerner Familie Hein noch das letzte Lebenszeichen der jüdischen Familie Eiffler. Kein Wunder also, dass die Familien Hein/Hiller einen jüdischen Gast aufnehmen.
1820: Gewerbepatente an die Juden von Kommern
Der Aufstieg der Kommerner Juden begann 1820, als der Gemeinderat an Salomon Eiffler, Falk Frohwein, Abraham Kaufmann und Heymann Levano Gewerbepatente mit folgender Begründung ausgab: „In Erwägung, dass die in dieser Gemeinde anwesenden Juden sich bis heran weder mit Wucher noch sonst mit unerlaubten Gewerben abgegeben haben, ist der Gemeinderat einstimmig des Erachtens, dass ein Patent der Ehrlichkeit und der Moral erteilt werden kann.“
Der bereits erwähnte Heymann Levano gründete in Kommern die erste jüdische Schule (1838-1893), die zum Beispiel im Jahre 1869 von 18 jüdischen Kindern besucht wurde. Die Synagoge befand sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts in der Pützgasse. Sie fiel den Ausschreitungen in der „Kristallnacht" am 10. November 1938 zum Opfer.
Im Jahre 1899 gab es in Kommern fast 100 Juden, etwa dieselbe Anzahl wie im bekannten .Judendorf' Flamersheim. Wahrscheinlich ist diese Tatsache mitbestimmend dafür, warum sich besonders in Kommern die Bereitschaft zur Einweihung eines Mahnmals gut in die Wirklichkeit umsetzen ließ.
Wird fortgesetzt
Da die Einweihung des Mahnmals am1.September 1985 stattfinden sollte, konnte man sich noch zwei Wochen lang vorbereiten. Man muss der Gemeinde Kommern zugestehen, dass jetzt wirklich viel getan wurde. Auch der Schützenverein und der Kirchenchor waren bereits aktiv, und in der Grundschule standen musikalische Übungsnachmittage auf dem Programm. Vermutlich gab es jetzt auch verstärkte Korrespondenzen mit den jüdischen Gästen, von deren genauer Ankunft allerdings noch keiner etwas Genaues wusste. Dies war wohl ein Aspekt, der sich später rächen sollte. Davon soll jedoch erst später die Rede sein. Am 21. August konnte ich selber noch unbeschwert den nächsten Zeitungsartikel publizieren, der als Fortsetzung die Geschichte der jüdischen Gemeinde von Kommern beinhaltete:
Eine Judengemeinde ausgelöscht
Mahnmal soll immer daran erinnern
Artikel aus der Kölnischen Rundschau, Lokalteil Euskirchen, vom 21. August 1985
von Hans-Dieter Arntz
Das Mahnmal, das am 1. September um 11.30 Uhr auf einer Rasenfläche, Am Prinzenweg, in unmittelbarer Nähe des jüdischen Friedhofs, offiziell eingeweiht wird, erinnert an das Leben und Wirken der Synagogengemeinde Kommern. Sie bestand von etwa 1710 bis zum 13. Juli 1942.
Eduard Levano, der ungewollt in die Innenpolitik des Deutschen Reiches geriet.
Mit der Deportation der Familien Eiffler, Frohwein, Horn, Herz, Kaufmann, Kahn, Lewin, Schmitz und Steinhardt ins Warschauer Ghetto wurde eine einst blühende Judengemeinde der Eifel ausgelöscht. Das würdige Mahnmal, das durch den Kiwanis-Club Nordeifel und durch das Vereinskartell Kommern finanziell ermöglicht wurde, weist auf die Verfolgung durch den Nationalsozialismus hin.
Die Geschichte der Gemeinde, die um die Jahrhundertwende etwa 100 Mitglieder hatte, was etwa 10 Prozent der Gesamtbevölkerung entsprach, war eng mit der Geschichte des Ortes verbunden und ganz besonders mit der großbürgerlichen Familie Levano. Diese portugiesisch-sefardische Familie stammte aus Gymnich und ist seit 1800 in Kommern nachweisbar. Etwa seit 1900 hatten die Kornhändler Levano das Getreide- und Viehfuttermonopol in den damaligen Kreisen Schleiden und Euskirchen und spielten indirekt auch eine bedeutende Rolle in der Innenpolitik des Deutschen Reiches.
Separatistische Bewegungen hatte es schon immer im Rheinland gegeben, und ihr Verlauf ist in den Geschichtsbüchern nachzulesen. Dass aber die persönlichen Streitereien zwischen dem Hergartener Bürgermeister H. einerseits sowie dem Landrat des Kreises Schleiden, Graf von Spee, und dem „Getreidekommissionär" Eduard Levano andererseits so kumulierten, dass die Betroffenen ungewollt in die deutsche Innenpolitik gerieten, konnte erst die umfangreiche Dokumentation „JUDAICA – Juden in der Voreifel“ enthüllen.
Am 12. Juli 1917 klagte der Hergartener Bürgermeister H. , dass der von der Regierung ernannte „Getreidekommissionär" Eduard Levano Tausende von Zentnern Weizen ohne Erlaubnis mit Gewinn verkauft hätte. Immerhin war dem jüdischen Großhändler die Rationierung des Getreides im Kreise Schleiden aufgetragen worden, was ihm keineswegs die Sympathien der Bauern sicherte.
Eine im Kreisarchiv Euskirchen lagernde Akte berichtet uns heute über die Kooperation zwischen dem adeligen Landrat und dem jüdischen Getreidehändler, denen — trotz massiver Vorwürfe — keine Unregelmäßigkeiten nachgewiesen werden konnten.
Dennoch schienen die Bauern des damaligen Kreises Schleiden weiterhin gegen Adel und Judentum gewisse Vorbehalte zu haben. Die zeitbedingten Einschränkungen der Bauern und die Vorschriften in Bezug auf Getreiderationierung waren sehr streng. Der als cholerisch dargestellte Bürgermeister H. hetzte jedoch in den ersten Nachkriegsmonaten derart die Bevölkerung auf, dass es zu Unruhen kam. Ein politischer Skandal konnte auch durch zwei Gerichtsverfahren nicht verhindert werden.
Die Bauern des Kreises Schleiden forderten in mehreren Großveranstaltungen die Absetzung des Landrates und des jüdischen „Getreidekommissionärs" sowie die Ausrufung einer separatistischen „Rheinischen Republik". Eine Bewegung, die die Loslösung der rheinischen Gebiete vom Deutschen Reich forderte, nahm sich der Sorgen der Bauern des Kreises Schleiden und deren Sprachrohr, des Ex-Bürgermeisters H. , an.
Schneller, als dieser es wahrscheinlich ahnte, geriet er in die Räder der deutschen Politik. Am Ende sprach keiner mehr von den ehemaligen Hauptdarstellern, als im Oktober 1923 die „Sonderbündler" in Aachen tatsächlich die „Rheinische Republik" ausriefen und für mehrere Wochen das gesamte Rheinland — einschließlich der Eifel — besetzten. Der Getreidehandel Levano konnte dennoch bis etwa 1935 sein Monopol behaupten.
Diese Familie Levano, die jahrzehntelang vielen Menschen aus Kommern Arbeit gab und auch sehr freigiebig war, wird durch zwei Familienangehörige am 1. September 1985 vertreten sein. Es handelt sich um die in England lebende May Levano, Ehefrau von Eduard Levano, sowie den Kaufmann Werner Levano aus Aachen, der ein Neffe des bekannten Eduard Levano ist.
Das Vereinskartell Kommern konnte Kontakt zu 25 Familien in aller Welt aufnehmen, die direkt oder indirekt aus Kommern stammen. Von den angesprochenen 50 bis 60 Personen werden etwa 15 bei den Einweihungsfeierlichkeiten anwesend sein. Frau Elsa Homes, Tochter von Leo Kaufmann aus der Mühlenstraße, bedauert in ihrem Schreiben, dass sie mit 80 Jahren nicht mehr imstande ist, ihre Heimat zu besuchen. Gerne wünscht sie aber brieflichen Konkakt mit ehemaligen Klassenkameraden.
Hilde Schwarz und Hedwig Herz sind beide älter als 70 Jahre, lassen es sich aber nicht nehmen, von England herüberzukommen. Immerhin gehören auch sie zu denjenigen, die erstmals nach der Emigration in die Eifel zurückkehren.
40 Jahre nach Kriegsende und 43 Jahre nach der Deportation der zurückgebliebenen Juden aus Kommern ist die Dorfgemeinschaft nun bereit, ein Wiedersehen zu gestalten. Dass sich beide Kirchen, die Grundschule und alle Vereine hinter diese nicht leichte Aufgabe stellen, sollte gelobt werden. Die 15 angemeldeten Gäste teilten dem 1. Vorsitzenden des Vereinskartells, Erich Ernst, mit, dass sie die Geste der Versöhnung gerne annehmen wollen. Frau Emmy Golding geb. Kaufmann zitierte den Begriff vom „Brückenschlagen", unter dem auch die Feierlichkeiten am 1. September vor- und nachmittags stehen sollen.
Diejenigen, die vielleicht erstmals den Judenfriedhof von Kommern betreten, finden auf fast 2000 qm noch 61 Grabsteine. Somit dürfte der Friedhof, Am Prinzenweg, einer der größten im gesamten Euskirchener Kreisgebiet sein. Er wurde schon vor 1840 eröffnet. Der jüngste Grabstein stammt aus dem Jahre 1935 und erinnert an die 1866 geborene Rosa Kahn. Dass auch von dieser Familie vielleicht Angehörige aus England kommen, bleibt bisher ein Wunsch der Veranstalter.
Der „Wochenspiegel“, mit seinen Ausgaben Schleiden und Euskirchen, wies am 15. August 1985 bereits auf das Programm der Einweihung hin. Diese kostenlose Wochenzeitung erreichte somit jeden Haushalt in den Altkreisen Schleiden und Euskirchen und wurde mit knapp 100.000 Exemplaren verteilt.
Jüdische Gäste in Kommern
Ein Beitrag des Wochenspiegels vom 15. August 1985 von Helmut Hansen
Mit großem Engagement werden zurzeit die letzten Vorbereitungen zur Einweihung eines Mahnmals in Kommern betrieben. 40 Jahre nach Kriegsende und 43 Jahre nach der Deportierung der Kommerner Juden gedenkt die Dorfbevölkerung der jüdischen Gemeinde.
In unmittelbarer Nähe des jüdischen Friedhofes, auf einer Rasenfläche »Am Prinzenweg«, wird am 1. September um 11.30 Uhr ein Mahnmal eingeweiht, das, auch mit einem Zuschuss des Kiwanis-Clubs Nordeifel, vom Kommerner Vereinskartell ermöglicht wurde. Ein Findling erinnert an die seit 1710 nachweisbare Judengemeinde, die durch den Nationalsozialismus ausgelöscht wurde. Angeregt und seit 1983 vorbereitet wurde ein Wiedersehensfest mit rechtzeitig emigrierten Kommerner Juden von dem Euskirchener Oberstudienrat Hans-Dieter Arntz, dessen umfangreiche Dokumentation »JUDAICA — Juden in der Voreifel« wichtige Kontakte ins Ausland knüpfte. So werden bereits Ende August etwa 15 jüdische Gäste anreisen, die von der Kommerner Bevölkerung privat beherbergt und bewirtet werden.
Die eigentliche Arbeit leistete aber das Vereinskartell unter Leitung des 1. Vorsitzenden, Erich Ernst, und des Schriftwartes, Johannes Ley, in deren bewährten Händen die Gesamtorganisation liegen wird. Sie erreichten, dass sich auch die katholische Pfarrgemeinde Kommern und die evangelische Gemeinde Roggendorf sowie die Ortsvereine und die Grundschule gemeinsam an den Aktivitäten beteiligen. Die Bevölkerung von Kommern und Interessierte aus benachbarten Ortschaften haben nach den Feierlichkeiten am 1. September die Möglichkeit, alte Kontakte wieder aufzunehmen. Die jüdischen Gäste haben nämlich ausdrücklich gewünscht, Gelegenheit zu privaten Begegnungen zu bekommen. Bei den Einweihungsfeierlichkeiten werden auch Vertreter der Bonner Synagogengemeinde anwesend sein.
Am Nachmittag gegen 17.00 Uhr werden die Ortsvereine und Schulkinder die jüdischen Gäste durch ein abwechslungsreiches Konzert erfreuen. Dieses findet in der Aula der katholischen Grundschule von Kommern statt.
Wer sich historisch über das Leben und Wirken der jüdischen Gemeinde von Kommern informieren will, kann dies anhand des bereits erwähnten Buches »JUDAICA« tun, das bereits in der 2. Auflage erschien und im Buchhandel erworben werden kann.
Jahresausflug der jüdischen Firma Levano aus Kommern im Jahre 1933,
die auch vielen christlichen Dorfbewohnern Arbeit und Brot gab.
Inzwischen war das Festprogramm für den Nachmittag des 1. September 1985 bekannt geworden. Das Jugendorchester der Musikschule Mechernich bereitete das Concerto grosso op. 3, Nr.8 von Antonio Vivaldi vor, die Kinder der Grundschule Kommern übten israelische Lieder und Tänze ein, die jüdischen Künstler des bekannten Trio Kinnor hatte man zur festlichen Untermalung eingeladen. Am 23. August teilte ich allen jüdischen Gästen in England noch einmal schriftlich mit, dass wir uns auf Ihr Kommen freuen würden.
Etwa 3 bis 4 Tage vor der Einweihung traf plötzlich bei den Veranstaltern - völlig unerwartet und kaum nachvollziehbar - die Nachricht ein, dass die jüdischen Gäste nicht kommen würden. Nur einige wussten, was hinter den Kulissen geschehen war. Ich möchte ich mich bei der Analyse etwas zurückhalten, aber der Versuch einer späteren Erklärung durch die Wochenzeitung „Der Weg“ trifft meines Erachtens den Kern:
Brückenschlag – nicht ganz gelungen
Evangelisches Sonntagsblatt für das Rheinland, Nr. 39, vom 22. September 1985
(…) Die Vorbereitungen des Kommerner Vereinskartells unter Leitung des ersten Vorsitzenden Erich Ernst liefen seit etwa einem Jahr. Wenige Tage vor der Veranstaltung stand noch fest, dass etwa 15 jüdische Gäste aus dem Ausland anreisen würden, die von der Dorfgemeinschaft privat beherbergt und bewirtet werden sollten.
Aus bisher nicht geklärten Gründen hagelte es Stunden vor der Veranstaltung Absagen, so dass schließlich nur ein einziger Besucher eintraf, der 75jährige Kurt Schwarz aus England. Ob der Gesundheitszustand der Gäste oder deren finanzielle Belastung der eigenen Anreise eine Rolle spielten, bleibt bisher unklar. Die finanziellen Forderungen eines Synagogenvorstehers aus dem Rheinland für ein Gebet am Mahnmal waren zudem so hoch, dass sich der Veranstalter genötigt sah, auf diese Mitarbeit zu verzichten.
Ein 35jähriger Jude aus Euskirchen, der spontan einsprang und seine Gedanken als Vertreter der jüngeren Generation äußern wollte, sagte auch wenige Stunden vorher ab, da er dies aus politischen Gründen doch nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren könne. In einem Hörfunk-Interview im „WDR-regional“ bezog er sich auf den Reagan-Besuch und die irreführenden Äußerungen von Bundeskanzler Helmut Kohl in Bergen-Belsen.
Dazu muss ergänzt werden, dass das Konzentrationslager Bergen-Belsen mit der Voreifel insofern in einem gedanklichen Zusammenhang steht, als der bekannte „Judenälteste“ Joseph („Jupp“) Weiss – durch den übrigens der Tod von Anne Frank belegt wurde -, aus dem benachbarten Flamersheim stammte.
Von diesen wenig schönen Hintergründen abgesehen, (…).
Bis heute ist nicht konkret geklärt, was zu der plötzlichen Absage der jüdischen Gäste geführt hat! Jedoch soll im 4. Teil dieser Abhandlung auf diese Frage noch einmal eingegangen werden.
Tatsache ist, dass der Veranstalter vor großen Problemen stand.
Aber das bewundernswerte Engagement des Vereinskartells von Kommern fand auch hier sehr schnell eine Lösung. Nach der telefonischen Darstellung der Situation war der Landesrabbiner Dr. Hochwald sofort bereit, durch seine persönliche Anwesenheit der Feier eine hohe Würdigung seitens der jüdischen Gemeinde zu geben. Nur Insider jedoch wissen um die organisatorischen Leistungen des Vereinskartells – insbesondere des Vorsitzenden Erich Ernst und des Geschäftsführers Johannes Ley.
Fortsetzung folgt