Separatistische Bewegungen hat es schon immer im Rheinland gegeben, und ihr Verlauf ist in den Geschichtsbüchern nachzulesen. Dass aber persönliche Streitigkeiten zwischen einem Eifeler Bürgermeister einerseits und dem Landrat des Kreises Schieiden sowie einem jüdischen Wirtschaftsberater andererseits so kumulierten, dass die Betroffenen ungewollt in die Mühlen der deutschen Innenpolitik gerieten, ist bisher unbekannt geblieben.
Dieser Beitrag beleuchtet erstmals die Hintergründe, die bereits 1917 für separatistische Ideen wichtig wurden, und stellt drei Hauptpersonen vor, die mit dem eigentlichen Verlauf der Unruhen von 1923 nichts mehr zu tun hatten: Bürgermeister Hamacher aus Hergarten, den Grafen von Spee als Landrat von Schieiden sowie Eduard Levano, den in Kommern beheimateten jüdischen „Getreidekommissär" 1).
Auf dem Wege zu den Höhen der Eifel liegt Kommern, das schon im 18. Jahrhundert jüdischer Umschlagplatz für Getreide und Fleisch war. Die Gemeinde wurde viele Jahrzehnte, ab 1820, von Heymann Levano geführt, der einer portugiesisch-sefardischen Familie aus Gymnich entstammte. Er trat auch 1848 und 1853 als Sprecher für die Spezial-Synagogengemeinde Kommern, die nach Zülpich inkorporiert war, auf. Er verlangte 1848 — vergeblich — den Anschluss der jüdischen Gemeinden von Strempt und Mechernich an die Kommerner Gemeinde. Seine Nachfahren waren stets wohlhabende
Kaufleute. Die jüdische Gemeinde von Kommern galt noch um 1920 im weiten Kreis als orthodox-gläubig. Auf Heymann Levano ging u. a. die Einrichtung einer jüdischen Schule in Kommern (1838-1893) zurück. Im Jahre 1869 waren hier 18 jüdische Kinder eingetragen. Nach der Auflösung der Schule in Kommern wegen Mangel an Bedarf, wurde der jüdische Unterricht in Zülpich und ab 1928 von dem Kreisschullehrer Moses Fernbach in Mechernich abgehalten 2).
Dass reiche Leute immer wieder Neider haben, ist bekannt. Die Familie Levano hatte den Ruf, sehr vermögend zu sein. Der Inhaber der Getreide- und Landesprodukten-Firma M. Levano, Eduard Levano, besaß schon im Jahre 1910 ein stattliches Auto mit Chauffeur 3), was für die Eifel eine echte Sensation war. Nachdem 1916/17 auch in dieser Gegend die Lebensmittel und Kornlieferungen knapper wurden, fand man nach altbekanntem Muster in dem Getreidehändler Eduard Levano einen Sündenbock, der in Zukunft für weitere Missstände der Wirtschaft herhalten mußte.
Brot und Getreide wurden rationiert, später auch die notwendigsten Lebensmittel. In den Städten unterdessen, besonders im strengen Winter 1917 (vom 15.1. bis 19.3. starker Frost bis zu 25 Grad), waren Not und Hunger außerordentlich stark gestiegen. Mit den gesetzlichen Rationen konnte kein Mensch auf die Dauer bestehen. Darum kamen die Städter scharenweise in das Hinterland, um — oft durch Tausch — Lebensmittel zu erwerben.
Als sich während dieser Zeit die Ernährungslage des Deutschen Reiches ständig verschlechterte und daraufhin fast alle Lebensmittel bewirtschaftet werden mußten, hatten die Bauern ihre Erzeugnisse an einen vom Staat ernannten „Commissionär" zu festgesetzten Höchstpreisen abzuliefern. Der damalige Pfarrer Josef Neuschäfer aus Mechernich-Glehn vermerkte hierzu in seinem Tagebuch:
Commissionär des Kreises Schieiden war leider der Jude Levano aus Commern. Es sei dahingestellt, ob die Höchstpreise zu niedrig angesetzt waren (Roggen durchschnittlich 25 M, Gerste und Weizen sowie Hafer 30—36, zuletzt mit Druschprämie 40 Mark pro Doppelzentner. Jedenfalls hielt jeder Bauer ein beträchtliches Teil der abgabepflichtigen Artikel zurück, um selbst sorgenfrei leben zu können, aber auch leider, um damit schwunghaften Wucher zu treiben ...4)
Die Kritik des Geistlichen scheint sehr subjektiv zu sein. Es müßte zudem geklärt werden, ob sich der Ausdruck „leider" auf den Kaufmann Levano persönlich bezieht oder auf die Tatsache, dass die staatlichen Organe einen Juden zum „Commissionär" des Kreises Schieiden gemacht hatten. Selbst wenn man dem Priester keinen Antisemitismus vorwerfen kann, so schien er jedenfalls Vorbehalte gegen die Praktiken des Getreidehändlers zu haben. Wie er dachten übrigens damals viele Bauern. Auch hier wird wieder sichtbar, wie schnell in Krisen und Notständen der Erfolgreiche global abgewertet wird!
Der in Kommern lebende jüdische Großhändler Levano hatte bis in die Zeit des Nationalsozialismus hinein weitreichende Verbindungen und Handelsbeziehungen im ganzen Rheinland. Gerne ließ er kleine jüdische Unternehmen partizipieren, wie zum Beispiel die Fruchthandlung Emil Herz in Flamersheim. Kein offizielles Konkurrenzgehabe gegenüber der renommierten Firma Juhl in Meckenheim konnte zudem festgestellt werden. Bürger des Ortes Kommern bestätigen heute noch die Großzügigkeit der Familie Levano. Kommunionkinder wurden häufig eingekleidet, wenn die finanziellen Mittel der Eltern nicht ausreichend waren 5). Sehr großzügige Spenden, nicht nur an die Synagogengemeinde, sondern auch an andere Institutionen und kommunale Vereinigungen waren an der Tagesordnung.
Die Funktion des „Commissionärs" in der Kriegszeit jedoch schaffte keine Freunde. Wahrscheinlich polarisierten sich hier jüdischer Geschäftssinn und bäuerliche Schlitzohrigkeit, was von der abhängigen Bevölkerung selten positiv kritisiert wird.
Die im Euskirchener Kreisarchiv lagernde Akte über den Bürgermeister Hamacher aus Hergarten 6) sagt uns heute sehr viel über die Tatsache, wie aus einer persönlichen Animosität dem vorgesetzten Landrat, dem Grafen von Spee, sowie dem Getreidehändler Levano gegenüber eine politische Affäre wurde.
Ein unbekanntes Kapitel aus der Vorgeschichte des Separatismus!
Eduard Levano, der offiziell eine Getreide-, Mehl-, Kraftfutter- und Kunstdüngerhandlung unterhielt, beklagte sich in einem Schreiben vom 27. Juli 1917 an das königliche Landratsamt in Schieiden:
Gelegentlich einer Versammlung der Herren Bürgermeister in Call am 12. d. Mts. wurden von Herrn Bürgermeister Hamacher aus Hergarten über mich derartig schwerwiegende Anklagen ausgesprochen, dass ich unmöglich über die Sache stillschweigend hinweggehen kann. Unter anderem behauptete dieser, ich hätte tausende von Zentnern Weizen zu hun-derten von Mark als beschlagnahmefrei verkauft. 7)
In der hektischen Zeit 1917/18 mußte sich der wohlhabende Getreidehändler gegen wahrscheinlich viele dieser nicht zu beweisenden Behauptungen zur Wehr setzen. In der am 13. April 1918 entschiedenen Disziplinar-untersuchungssache vor dem Kreisausschuss Schieiden kristallisierten sich die wirtschaftlichen und anfangs auch politischen Ansichten des selbstbewusst wirkenden Bürgermeisters heraus. Der im 1. Weltkriege ausge zeichnete und auf Reklamation verletzt aus dem Heeresdienst entlassene Eifeler stellte sich auf den Standpunkt, das die Voreifel-Gemeinden dynamischer würden, wenn sie sich selbst versorgten. Er behauptete, „dass die Getreideversorgung der Gemeinden durch den Kreis, der hiermit den Commissionär Levano betraut habe, kostspielig und unrentabel sei".
Wörtlich heißt es im Sitzungsprotokoll:
Hiermit erwähnte er, dass Levano in den Jahren 1915 und 1916 mehrere 1000 Zentner Weizen nach auswärts verkauft, dafür Roggen eingetauscht und an diesem Geschäft hunderte von Mark verdient habe. Ebenfalls stellte er die Behauptung auf, dass der aus dem Kreise stammende Weizen von Levano als beschlagnahmefreie Auslandsware verkauft worden sei...
Im Zusammenhang mit seinen Angriffen gegen Levano wegen der Getreideversorgung führte der Angeschuldigte aus, dass Levano es verstehe, den Landrat durch seine semitische Schlauheit an sich zu ziehen, sich ihm unentbehrlich zu machen und seinen Willen stets bei ihm durchzusetzen. Levano habe sich den Landrat durch Erweisung von Gefälligkeiten gefügig gemacht. U. a. erwähnte er, dass er dem Landrat ein Auto billig überlassen habe ...8)
Die Attacken des als cholerisch dargestellten Bürgermeisters waren nicht erfolgreich. Der wohlhabende Commissionär Levano aus Kommern und der prominente Landrat, der einem berühmten adeligen Geschlecht angehörte, gingen siegreich aus dem Verfahren hervor.
Dennoch schienen die Bauern des damaligen Kreises Schieiden, der heute weitgehend zum Kreis Euskirchen gehört, weiterhin gegen Adel und Judentum gewisse Vorbehalte zu haben. Die vielen Einschränkungen der Bauern und die zeitbedingten Vorschriften waren sehr streng. Belastend war zudem, dass man zu Kriegsende und in der Nachkriegszeit für die Versorgung der Städter Sorge zu tragen hatte. Dennoch spitzte sich die Affäre um den Bürgermeister aus Hergarten einerseits und um den jüdischen Getreidehändler und adeligen Landrat andererseits, bald zu.
In einem Schreiben vom 4. November 1919 an den Regierungspräsidenten in Aachen bestätigte der selbstbewusste Bürgermeister aus Hergarten:....., dass im Kreise, und diese Tatsache wird dem Herrn Regierungspräsidenten nicht unbekannt sein, namentlich in bäuerlichen Kreisen, Haß gegen den Herrn Landrat, Graf von Spee, ist. In meiner Bürgermeisterei ist dies auch der Fall" 9).
Weiterhin wird die jüdische Firma aus Kommern angeschwärzt, Mehlsäcke nicht pünktlich zurückzuliefern. Auch die Geistlichkeit der benachbarten Dörfer hätten gegen die Juden Vorbehalte. Hamacher meinte wörtlich:
Es ist mir bekannt, dass der Herr Pfarrer von Vlatten bei dem Herrn Landrat vorstellig geworden ist mit der Bitte, zu verhindern, dass die Firma Levano sich in Vlatten festsetze. Auch auf anderer Seite war mir gesagt worden, dass die Firma Levano darauf hinzielte, das Fruchtgeschäft des Herrn K. in die Hand zu bekommen. Der Firma Levano war bekannt, dass Herr K. durch den Heldentod seines einzigen Kindes an dem Geschäft nur noch geringes Interesse hatte und dass ein kleiner Anstoß genügen würde, ihn zur Aufgabe des Geschäftes zu bringen. Dass Herr Levano Geschäftsführer der Kreiskornstelle war, ist eine Tatsache ...
Es stand für mich nach meiner Kenntnis der früheren Verhandlungen fest, dass der unverantwortliche Ratgeber des Herrn Landrat als derjenige anzusehen ist, der die Gelegenheit benutzte, seinen Konkurrenten auszuschalten ...
Wenn mir das Wort „jüdisch" in die Feder geflossen ist, kann dies nur darauf zurückzuführen sein, dass jüdischer Geschäftssinn schon damals im Vordergrund des Interesses stand. Jedes Handbuch der Volkswirtschaftslehre behandelt diese Frage lang und breit. Gerade der Zusammenbruch mit seinen widerlichen Erscheinungen hat aber gezeigt, welche Bedeutung diese Frage für unser Wirtschaftsleben hat.
Für den Kreis Schieiden stellt die Geschäftsverbindung mit der Firma Levano die JUDENFRAGE dar. Ich habe daher zunächst geglaubt, unbedenklich das Wort „jüdisch" gebrauchen zu können. Später habe ich mich dann doch zur Streichung entschlossen, weil die Konstruktion nicht einwandbar war und ich sonst den ganzen Satz hätte ändern müssen.
Ich habe mich gar nicht gescheut, das Wort „jüdisch" zu gebrauchen, da ich hierin eine Herabsetzung des Inhabers der Firma Levano nicht erblicke, die sich ihres Bekenntnisses wohl nicht schämen. Am allerwenigsten kann aus meinen Worten ein Vorwurf gegen den Herrn Landrat herausgelesen werden! 10)
Die Auseinandersetzung des Hergartener Bürgermeisters mit seinem Vorgesetzten, der angeblich durch die jüdische Firma zu Unregelmäßigkeiten — zum Nachteil der einheimischen Bauernschaft — angestiftet worden sei, eskalierte in den nächsten Monaten zu einem politischen Skandal. In weiteren Beweisaufnahmen glaubte Hamacher in dem jüdischen Pferdehändler Salomon Kaufmann aus Hellenthal einen geeigneten Zeugen für seine Sache gefunden zu haben. Es scheint aber, dass jener für eine maßlose Enttäuschung sorgte, da er zum Vorteil des Getreidehändlers aussagte und sich gegen jegliche Lügen verwehrte. Erst das Preußische Oberverwaltungsgericht in Berlin beendete in seiner Sitzung vom 14. Oktober 1920 die Gerüchtemacherei. Die sofortige Entlassung des Bürgermeisters wurde veranlagt, weil er die Bauernschaft gegen die Obrigkeit aufhetzen würde. Tatsächlich hatten die Bauern aus dem Schleidener Gebiet recht eigensinnig die Abkehr von Landrat von Spee und Commissionär Levano insofern zu erreichen versucht, dass sie sich von den beabsichtigten Erweiterungen und Selbständigkeitsrechten der Provinzialverbände entfernten und die möglichst baldige Anerkennung der „Rheinischen Republik" forderten. Um die zu erreichen, hatte es recht aufsässige Sitzungen in Gemünd und Kall gegeben, die diesem Verlangen Ausdruck verleihen sollten.
Die Absetzung von Hamacher — als Ergebnis des Rechtsstreites gegen Levano und von Spee — war wohl der eigentliche Grund zur politischen Profilierung des Eifelers. Eine Bewegung, die die Loslösung der rheinischen Gebiete vom Deutschen Reich forderte, nahm sich der Sorgen der Bauern und deren Sprachrohr, Ex-Bürgermeister Hamacher, an. Schneller als dieser es wahrscheinlich wollte, geriet er in die deutsche Politik. Am Ende sprach keiner mehr von den ehemaligen Hauptdarstellern.
Die Eifeler Bauern fühlten sich durch die „Rheinische Volksstimme", einer täglich auf dem Postweg zu erhaltene Zeitung, gut vertreten. Diese war das „Organ zur Behinderung der Einführung der neuen Verfassung" und von den britischen Militärbehörden offiziell genehmigt. Auch die „Gemünder Zeitung" als „Organ für die Wahrnehmung der Interessen der Landwirtschaft und des Mittelstandes sowie der Kriegsbeschädigten und Hinterbliebenen der Kriegsbeschädigten im Kreise Schieiden" griff sensationshaschend jede Aktualität auf. Am 27. Dezember 1919 wurde hier auf der ersten Seite berichtet, wie massiv die Bauernschaft gegenüber den Vertretern des Regierungspräsidenten auftrat, zumal sie nur bei Anwesenheit des Landrats zu verhandeln bereit war.
Am 20. November 1920 mischte sich nun der spätere Separatistenführer Smeets aus Köln in seiner „Freien Zeitung", die sogenannte „Rheinische Republik", in das brisante Geschehen ein und baute die Situation als „Schicksalsfrage der besetzten rheinischen Gebiete" aus. In seinem Aufruf an die Leser wurde auf der ersten Seite eine Entscheidung mitgeteilt, die mit dem Juden Levano aus Kommern aber auch wirklich nichts mehr zu tun hatte:
AUFRUF! — Die Rheinische Republikanische Volkspartei und die Pfälzische Republikanische Volkspartei haben nunmehr ihre gemeinsamen Ziele festgelegt und sich entschlossen, in engem Zusammenhang für die Autonomie der Rhein lande und der Pfalz einzutreten! 11)
Der Artikel „Abwehr rheinischer Landwirte gegen Berliner Frechheiten" verherrlichte die Aktivitäten des ehemaligen Hergartener Bürgermeisters, sprach ihm das Vertrauen aus und resümierte:
Der Fall Hamacher zeigt den rheinischen Bauern aufs neue, dass sie von Berlin nichts zu erwarten haben. Rettung wird ihnen nur durch die Befreiung des Rheinlandes, für die ihre Vorväter 1831, 1848 und zur Zeit des Kulturkampfes so energisch gefochten haben. Aber immerhin: Aus dem Verhalten der Rheinischen Bauernschaft geht hervor, dass das alte, tapfere Geschlecht der Kämpfer für die rheinische Freiheit auch heute noch nicht ausgestorben ist.12)
Ohne jetzt auf die in den beiden nächsten Jahren sich kumulierenden Ereignisse einzugehen, sei gesagt, dass weder Hamacher noch von Spee und Levano für die nun folgenden Unruhen die Schuld trugen.
Die Verbitterung vieler Menschen jedoch, die ihr Geld verloren hatten, die Zwangswirtschaft, die drückende Notlage etc., trieben viele in die Arme der „Sonderbündler", der Separatisten, die ihren Anhängern für die Zukunft goldene Berge versprach. Smeets war oft im Kreis Schieiden anwesend und hielt weitere Versammlungen ab, so in Dreiborn, Einruhr und Gemünd, wo die Bewegung die meisten Mitglieder hatte.
Im Oktober 1923 nahm die Separatisten-Bewegung ernstere Formen an. Am 21. Oktober 1923 wurde in Aachen die „Rheinische Republik" ausgerufen. Am nächsten Tag erschienen in Schieiden drei Separatistenführer aus dem Kreis im Landratsamt, um, unterstützt von bewaffneten Männern, eine Versammlung zu sprengen. Man forderte Landrat von Spee auf, die Versammlung abzubrechen, da in den Großstädten die „Rheinische Republik" ausgerufen worden sei. Am 25. Oktober schleppte man den Landrat gewaltsam aus seiner Privatwohnung und brachte ihn nach Daun, wo er in einem Hotel und später im Gefängnis des Amtsgerichts gefangen gehalten wurde. Am 30. Oktober wurde er nach Koblenz vor die neugebildete „Regierung" der „Rheinischen Republik" geführt. Die Separatisten verlangten vergeblich von ihm die Anerkennung der De-facto-Gewalt. Dann entließ man ihn für neun Tage nach Berlin, um die Stellungnahme der preußischen Regierung zu der verlangten Erklärung und die Entscheidung von dort einzuholen. Nach Ablauf der ihm gestellten Frist gab der Landrat bei seiner Rückkehr aus Berlin die Erklärung ab, dass er sich nach wie vor weigere, die separatistische Regierung anzuerkennen. Daraufhin wurde er für abgesetzt erklärt. Jetzt gab es weitere politische Verwicklungen, weil die belgische Besatzungsbehörde dies nicht anerkannte.
Am 25. Oktober 1923 vertrieben die Schleidener die „Sonderbündler", und viele von ihnen gaben recht schnell ihre Mitgliedskarten ab. Die Heimatchronik rühmt sich, dass „die Arbeiter, Beamten und Bauern am tätigsten bei der Abwehr der Separatisten waren, „und die Aktion im Kreise Schieiden war das Signal für eine größere Säuberungsaktion im ganzen Rheinlande" 13).
Der späteren Nazi-Presse kann man den „Separatisten-Abwehrkampf" detailliert entnehmen. Die Schüsse auf Smeets am 17. März 1923 hatten genügend Schlagzeilen geliefert 14), hinderte aber die Gefolgsleute nicht, ihre Pläne in die Wirklichkeit umzusetzen.
Die nationalbewusste Heimatforschung von 1929 setzte dem Kreis Schieiden, wo bereits 1917/18 separatistische Bestrebungen nachweisbar sind, rückwirkend ein Denkmal im Abwehrkampf:
Dass damals das Rheinland dem Reich erhalten blieb, verdankt Deutschland besonders auch den Bewohnern des Kreises Schieiden, die in der Abwehr der Separatisten am tätigsten waren und die sich rühmen dürfen, als die ersten mit den Sonderbündlern aufgeräumt zu haben.
Im Jahre 1923 haben die Rheinländer die Dankesschuld heimgezahlt dafür, dass Preußen 1813 die Macht Napoleons brach und damit Deutschland gerettet hat. So ist der Rurkrieg mit all seiner Not und selbstgewählten Entbehrungen das neue Moskau geworden, das dem Vordringen des Napoleonismus ein Ziel gesetzt hat (Prof. Grimm im Limbourgprozeß) 15).
Anmerkungen:
Detaillierte Darstellungen sind in der umfangreichen Dokumentation zu finden:
1) Arntz, H.Dieter: „JUDAICA —Juden in der Voreifel" (Buch in Vorbereitung, 1983)
2) Schulte, Klaus H. S.: Dokumentation zur Geschichte der Juden am linken Niederrhein. Düsseldorf 1972, S. 124
3) Schreiben von Fritz Juhl/Amsterdam 7.1.1981
4) Falter, Winfried: Der 1. Weltkrieg im Tagebuch eines Landpfarrers. In: Jahrbuch des Kreises Euskirchen 1981, S. 13/14
5) Information von Frau Kirsch/Euskirchen v. 13. 4. 1982
6) Kreisarchiv Euskirchen (Abteilung Schieiden), Nr. 082/022-60: Disziplinarverfahren gegen den Bürgermeister Hamacher. Später in der Lokalpresse ab 1920 detailliert aufgeführt
7) ebenda (1. Disziplinarverfahren)
8) ebenda
9) dito, aber III (2. Disziplinarverfahren) 10) ebenda
11) Die angeführten Artikel und Zeitungen befinden sich in der erwähnten Akte Nr. 082/022-60, Kreisarchiv Euskirchen
12) vergl. Anm. 11)
13) Janssen, Josef: 100 Jahre Kreis Schieiden 1829/1929. (Geschichte seiner Kultur und Wirtschaft), hrsg. im Auftrage des Kreisausschusses, Schleiden 1929, S. 103-107
14) Miebach, Hannes: Die Schüsse auf Smeets und Kaiser, in: „Westdeutscher Beobachter" v. 24. 1. 1934 sowie „Ägi-dienberg, Der Rheinische Freiheitskampf!" In: „Westdeutscher Beobachter" v. 16. 11. 1935
15) Janssen, a. a. O. S. 107, vergi. auch: Köln. Volkszeitung v. 30.10.1923 zum Thema: „Aus der Separatistenzeit 1923. Der Kampf um Haimbach"