Wie die Juden von Kommern endlich zu ihrem Gedenkstein kamen –
Teil 4:  Ergebnis: Ein Versuch, „die Vergangenheit zu bewältigen“?

von Hans-Dieter Arntz
 06.06.2007
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Die folgende Schlussbetrachtung setzt  sich mit 2 Aspekten auseinander:

A.   Warum boykottierten die Juden von Kommern die Einweihung des Gedenksteines?
B.   Gab es nur einen Versuch, „die Vergangenheit zu bewältigen“?

A.  Warum boykottierten die Juden von Kommern die Einweihung des Gedenksteines?


Nach den Feierlichkeiten vom 1. September 1985 blieb die Frage unbeantwortet, warum nur ein einziger einziger jüdischer Überlebenden zur Einweihung des Mahnmals nach Kommern kam. Warum sagten alle anderen jüdischen Gäste ostentativ und ungemein kurzfristig ab? Nach 22 Jahren bin ich dieser Frage noch einmal nachgegangen. Genannt werden Gründe und Argumente wurden in der damals folgenden Diskussion. Sie könnten vielleicht bei ähnlichen Vorhaben künftig berücksichtigt werden. Bei der Beantwortung spielt die Reportage der damals noch unbekannten Journalistin  BETTINA BÖTTINGER  eine nicht unbedeutende Rolle.

1.) Euskirchener Wochenspiegel vom 5. September 1985:

„Bedauert wurde jedoch, dass sich die Anzahl der eingeladenen Gäste zwei Tage vor den Feierlichkeiten  stark reduziert hatte. In drei Autos wollten 13 Kommerner Juden anreisen. Das Vereinskartell hatte sie schon auf Familien aufgeteilt, wo sie mehrere Tage lang als Gäste beherbergt und bewirtet werden sollten. Für den Ehemann der im Dorf sehrbeliebten Emmy Kaufmann, verh.Golding, waren die Aufregungen wohl zu groß gewesen. Sein plötzlicher Herzinfarkt veranlasste die Fahrgemeinschaft, eigenständig die Reise zu planen. So war wohl Kurt Schwarz, der 75jährige Senior der Gäste, das Zentrum aller Kontakte in Kommern.“ (Euskirchener Wochenspiegel vom 5. September 1985)

2.) Kölnische Rundschau vom 2. September 1985:

„Die Befürchtungen der Veranstalter, organisatorische Probleme im Vorfeld der Einweihung des jüdischen Mahnmals könnten Schatten werden, erfüllten sich glücklicherweise nicht. Es kam zu einer würdigen und ernsten Feier, die die deutsch-jüdische Aussöhnung vertiefte. Dass nicht alle ehemaligen jüdischen Mitbürger oder ihre Nachkommen, die auch eingeladen waren, zur Einweihung kommen konnten, hatte gute Gründe. Das lag an einer Erkrankung, aber – wer will’s verdenken – auch am Geld. Eine Reise aus England oder gar den USA nach Kommern ist teuer. Dass sich die Stadt Mechernich bei der Finanzierung des Mahn­mals und der Feierlichkeiten nicht hervortat, wurde gestern in Kom­mern hinter vorgehaltener Hand verbreitet. Nicht alle, die ange­sprochen wurden, waren Feuer und Flamme für die Aussöhnungs­feier. Die Rüge seines Landesrabbi­ners kassierte schließlich ein jüdi­scher Geistlicher aus Bonn, der sich bei den Vorbereitungen we­nig kooperativ gezeigt hatte. Lan­desrabbiner Dr. Hochwald ent­schuldigte sich für das Verhalten seines Glaubensbruders und kam selbst nach Kommern, verlieh damit der Feier hohe Würdigung seitens der jüdischen Gemeinde.“

3.) Ein Dorfbewohner anlässlich der Mahnmal-Einweihung am 1. September 1985:

 „Vielleicht hat man den jüdischen Gästen nicht deutlich genug mitgeteilt, dass sie zwar in  Kommern beherbergt und bewirtet werden, aber die Anreise selber bezahlen müssen.“

Ein Kommunal-Politiker aus dem Kreis Euskirchen anlässlich der Feier:
„Wahrscheinlich sind das politische Gründe, weshalb die Gäste so kurzfristig absagten. In Bitburg hat man nicht nur Soldaten, sondern auch Angehörige der SS posthum geehrt. Immerhin war die SS auch am Holocaust beteiligt. Da wäre ich jetzt auch nicht gekommen.“

4.) WDR 1 und Wochenzeitung „Der Weg“ vom 22. September 1985:

 „Die finanziellen Forderungen eines Synagogenvorstehers aus dem Rhein­land für ein Gebet am Mahnmal waren zudem so hoch, dass sich der Veranstal­ter genötigt sah, auf diese Mitarbeit zu verzichten. Ein 35jähriger Jude aus Euskirchen, der spontan einsprang und seine Gedanken als Vertreter der jünge­ren Generation äußern wollte, sagte wenige Stunden vorher ab, da er dies aus politischen Gründen doch nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren könnte. In einem Hörfunk-Interview im „WDR-regional" bezog er sich auf den Reagan-Besuch und die irreführenden Äußerungen von Bundeskanzler Kohl in Bergen-Belsen.“

5.) Reportage von Bettina Böttinger  am 2. September 1985 im  „WDR-regional“

Radiosprecherin:
Gestern, meine Damen und Herren, gestern sollte in Kommern ein Versöhnungsfest stattfinden. Anlass war die Errichtung eines Mahnmals, das künftig an die Deportation der Kommerner Juden vor 43 Jahren erinnern soll. Immerhin war noch vor Beginn des Dritten Reiches jeder 10. Kommerner ein Jude. Zum gestrigen Festtag waren ehemalige jüdische Mitbürger aus aller Welt eingeladen worden; eine Geste der Versöhnlichkeit unter dem Mahnmal war geplant.

Radiosprecherin:
Was ist denn dabei herausgekommen, Bettina Böttinger? Einen schönen guten Tag nach Bonn. Sie waren ja gestern dabei.

Bettina Böttinger:
Guten Morgen, Frau Jakobs. Die Kommerner hatten es so gut gemeint. Das könnte man vielleicht nachträglich als Motto über diese Veranstaltung setzen. Schon seit Monaten waren sie damit beschäftigt, Briefe zu schreiben. Briefe an die Juden, die früher in Kommern gelebt haben und die Wenigen, die dem Holocaust entkommen waren, um dann am gestrigen Tag zusammen feierlich dieses Mahnmal einzuweihen, um an diesen Tag und diese Zeiten zu erinnern.

Im Jahre 1942, als dann auch noch die letzten Kommerner Juden in die Waggons gepackt worden sind und in Richtung Warschauer Ghetto gekarrt worden. Aber, bei allem guten Willen der Kommerner, es hagelte Absagen, und von den angeschriebenen – rund 25 – Juden, zum großen Teil in England und Amerika, blieb ein einziger übrig, der bereit war, nach Kommern zu kommen.

Die Gründe dafür sind vielleicht zeitbedingt, und auf jeden Fall kann man sagen, dass die Kommerner überhaupt nicht verstanden haben, was eigentlich los war; warum man nicht auf ihr Angebot eingegangen war, warum man nicht begeistert von der Idee war, an ihrem Mahnmal teilzunehmen und  der feierlichen Einweihung.

Ich habe den Vorsitzenden des Vereinskartells im Vorhinein gefragt, wie er sich jetzt fühlt, nachdem er mehr oder weniger alleingelassen dastand mit seiner Feierlichkeit. Und dazu hören wir ihn jetzt selbst:

Vorsitzender des Vereinskartells Erich Ernst:
Die Bevölkerung steht ja 100 Prozent dahinter, und wir werden das jetzt durchziehen. Natürlich ist es für uns jetzt traurig und es hat uns sehr wehgetan, dass Zusagen gegeben worden sind, aber kurzfristig abgesagt wurden von den ehemaligen jüdischen Mitbürgern.

Bettina Böttinger:
Was war los? Warum kamen so viele Absagen? Ich sage es noch einmal: die Kommerner wussten eigentlich gar nicht, wie sie das einzuordnen hatten. Sie hatten es doch halt so gut gemeint. Und wieso sprangen vor allen Dingen die viele Juden, die eingeladen worden waren, so kurzfristig ab? Noch am Mittwoch waren es mehrere Juden, die kommen wollten, am Donnerstag waren es noch 5, am Donnerstag Abend 3, und am Schluss, ich sagte es gerade, war noch einer übrig. Und auch der vorgesehene Redner, ein junger jüdischer Zeitgenosse aus dem Kreis Euskirchen, der eigentlich reden wollte – vielleicht zum Generationskonflikt – man weiß nicht, was er hätte sagen wollen, hat 2 Tage noch vorher abgesagt. Und dieser junge Mann, 35 Jahre alt aus Euskirchen, der selber den Holocaust auch nur aus Erzählungen kennt, der hat mir gesagt, was ihn eigentlich daran gestört hat:

Junger Jude B. aus Euskirchen:
Es ist keine grundsätzliche Verneinung, der Idee Mahnmäler zu setzen, sondern ein Ausdruck unserseits nach den Vorkommnissen der letzten Monate in der Bundesrepublik. Als Beispiel wäre die „Bitburg-Geschichte“ zu nennen. Es ist uns gezeigt worden, dass schöne Worte – wie sie in Bergen-Belsen gesagt wurden – nicht der Wirklichkeit entsprechen. Dieses zeigte sich auch kurz darauf beim Reagen- Besuch. Es scheint eine Tendenz zu sein, uns zu gebrauchen, um einen Rahmen für Veranstaltungen zu bilden, wenn es ins Konzept passt.

Bettina Böttinger:
Da war das Stichwort: Bitburg. Ich glaube, dass in dieser kleinen Gemeinde Kommern, die so viel an Eigeninitiative auf die Beine gestellt hat, um ihren ehemaligen jüdischen Mitbürgern zu zeigen, dass alles vergessen sein soll und dass man einen symbolischen Brückenschlag errichten will, dass diesen Kommerner Bürgern klar geworden ist, dass in diesem Jahr in Bitburg eine „Sache“ begangen worden ist, die auf sehr, sehr viel Sensibilität bei den Juden gestoßen ist.

Sie haben sich natürlich zu spät entschieden, die Juden, z.B. der jüdische Herr, der gerade gesprochen hat, und deswegen war die Enttäuschung herb bei den Kommernern. Und man darf auch nicht vergessen, dass die Juden, die heutzutage sehr alt sind, die damals überlebt haben und heute in den Vereinigten Staaten leben, die hätten für eine Fahrkarte aus den Vereinigten Staaten runde 2000 Mark auf den Tisch legen müssen.

Nun kann man fragen, warum haben sie eigentlich Grund, so begeistert zu sein, auf eine Einladung einzugehen, und dafür eine Menge Geld auf den Tisch zu legen. Kurzum, man kann nur hoffen, dass die Kommerner Bevölkerung, auch der Herr Arntz, der durch mehrere Judenpublikationen sein Engagement in dieser Richtung bewiesen hat, und der Vorsitzende des Vereinskartells, Herr Erich Ernst, dass sie nicht grenzenlos enttäuscht sind, dass die Bevölkerung von Kommern irgendwo merkt, dass es kein Schlag ins Gesicht war, den sie da haben empfangen müssen. Dass es ihr gutes Recht war, das die Juden es vielleicht auch gut finden, dass die Kommerner für sich feiern, dass sie aber skeptisch dahingegen sind, dass sie immer kommen sollen und immer einfach alles nur schön finden.

Radiosprecherin:
Noch ganz  kurz: Sie waren ja gestern da. Wie war’s denn auf dem Fest?

Bettina Böttinger:
Es war sehr feierlich, und das sage ich keineswegs zynisch, sondern der Vereinskartellvorsitzende hat vorher gesagt: „Wir werden es dann durchziehen, auch wenn nur ein ehemaliger jüdischer Mitbürger gekommen ist.“ Es waren morgens bei der Einweihung des Mahnmals rund 400 bis 500 Leute da, für eine relativ kleine Ortschaft, in der 4000 Leute wohnen, ist das eine gehörige Zahl. Landrat und Honoratioren des Landes waren gekommen. Es war eine Stimmung, die dann nach den Worten des Landesrabbiners, der auch seine Rede gehalten hat und aus Düsseldorf angereist war, sicherlich sehr feierlich war und den Gefühlen der Kommerner selbst aus der Seele gesprochen hat.

Radiosprecherin:
Tja, recht herzlichen Dank, Frau Böttinger, nach Bonn.

B.  Auswirkungen des Gedenksteins von Kommern

Dank des rührigen Vereinskartells von Kommern - vertreten durch dessen Vorsitzenden Erich ERNST sowie den Geschäftsführer Johannes Ley – wurden die Feierlichkeiten am 1. September 1985 dennoch zu einem großen Erfolg. Stellvertretend für die vielen weiteren Mitarbeiter muss besonders ihnen für die ausgezeichnete Organisation werden    

 

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Rede von Erich Ernst am Mahnmal

 

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Das Schlusswort bei der Nachmittagsveranstaltung am 1. September 1985 sprach Kurt Schwarz -  der einzige jüdische Gast bei der Einweihung des Gedenksteines. Er versprach, von dem „neuen Geist“ der Dorfgemeinde Kommern bei seinen Glaubensbrüdern zu berichten:

Kurt Schwarz, der Senior der Kommerner Juden, fasste in einer launigen Rede seine Eindrücke zusammen. Dabei dankte er dem Euskir­chener Oberstudienrat Hans-Dieter Arntz für seine Initiative und Vorbe­reitung, dass dieses Gedenkfest überhaupt möglich wurde. Seine Kontakte zu den Kommerner Juden im Ausland wären eine Verbindung zur Heimat gewesen. Kurt Schwarz versprach, seine Eindrücke mit nach England zu nehmen und von dem »neuen Geist« in Deutschland zu berichten.“ (H. Hansen in: Euskirchener Wochenspiegel vom 5. September 1985)

6.) WDR 1 und Wochenzeitung „Der Weg“ vom 22. September 1985:

Eine Hörfunksendung in WDR 1, der Mahnmal-Einweihung gewidmet, hat überdies sicherlich manchen dazu veranlasst, über den Sinn derartiger Feiern nachzudenken. Tatsächlich scheint es inzwischen so zu sein, dass die Voraus­setzungen hierfür einen Wandel erfah­ren haben. Den Hörern wurde nahe gelegt, sich darüber Gedanken zu machen, ob nach dem vieldiskutierten Bit­burg-Besuch die Bereitschaft, „sich versöhnen lassen zu wollen", noch ge­nauso groß sei wie früher, und ob die Einweihung diesbezüglicher Mahnma­le nicht allein Sache der Deutschen wäre. Kritisch auch das Argument des Euskirchener Juden, der schließlich nicht mehr am Mahnmal von Kommern sprechen wollte: „Wir befürchten, dass jüdische Gäste nur nach Bedarf zur Dekoration solcher Feiern dienen sollen!

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Mit 61 Grabsteinen ist der jüdische Friedhof am „Prinzenweg" der größte im Kreis Euskirchen.
Fotos: privat

 

Ob der 1. September 1985 für Kommern nur ein Versuch war, die „jüngste Geschichte“ aufzuarbeiten, sollten die nächsten Jahre beweisen. Vom heutigen Zeitpunkt her kann festgestellt werden, dass die Dorfbevölkerung nicht frustriert war, sondern künftig unvoreingenommen ihr Bemühen fortsetzte, sich mit dem Geschehen im Dritten Reich auseinanderzusetzen. Dies begann eigentlich schon in den nächsten Tagen:

 

Der Meisterboxer grüßte Schwarz mit „Heil Kurt"


Ein Bericht des Kölner Stadt-Anzeigers vom 4. September 1985 von Günter Bressau

Zwei Worte wird Kurt Schwarz, der als einziger der eingeladenen Juden zur Ein­weihung des Gedenksteins am Judenfriedhof nach Kommern gekommen war, nicht vergessen: „Heil Kurt". — So nämlich hatte ihn vor dem Krieg ein alter Sportsfreund begrüßt, der in SA-Uniform an seinem Haus vorbei­marschierte. Es war Peter Vohsen, damals amtierender Deut­scher Meister im Boxen. Schwarz und Vohsen gehörten der Dürener Boxstaffel an.

Diese und andere Begebenhei­ten schilderte Kurt Schwarz den Kindern einer Schulklasse aus Geilenkirchen-Immendorf, die sich zurzeit im Schullandheim Hellenthal aufhalten. Die „Pänz" fragten dem rüsti­gen 75jährigen, der heute in Eng­land lebt, regelrecht Löcher in den Bauch.

Wie er die Reise-Strapazen von England bis nach Kommern denn überstanden habe, wollten sie als erstes wis­sen. „Ich bin doch noch jung", stellte Schwarz dazu fest. Ob er seinen Geburtsort denn noch wieder erkannt habe, wurde er in einem Atemzug weiter gefragt. Damals, so Schwarz, seien die Leute nicht so reich gewesen, da hätten die Häuser seines Ge­burtsorts nicht so schön wie heute ausgesehen.

Nur schwer konnten die Schü­ler begreifen, dass vor und wäh­rend des Naziregimes Bürger verfolgt und vernichtet wurden, die sich nichts zuschulden hat­ten kommen lassen. Das sei, so Zeitzeuge Schwarz, die Politik der damaligen Zeit gewesen, die darauf abzielte, einen Schuldi­gen als Rechtfertigung für die Kriegsvorbereitungen zu finden. Auch die Industriellen von damals können sich laut Schwarz nicht davon freisprechen, dass sie zur Judenverfol­gung beigetragen haben: Je mehr sie für den NS-Staat an Waffen produzieren konnten, je mehr hätten sie verdient.

 

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 Die Lehrerin der Jungen und Mädchen aus Immendorf sieht auch heute im Streben nach Geld eine nicht zu unterschät­zende soziale Gefahr. Da man nicht ändern könne, was geschehen sei, müsse man eben in Zu­kunft die Augen offen halten.

 

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AUCH SEIN VATERHAUS besuchte Kurt Schwarz in Kommern.

 

Voll unterstrich Schwarz die These der Pädagogin, dass diejenigen, die in der Gesellschaft am we­nigsten weitergekommen seien, auf die braune Diktatur beson­ders „angesprungen" seien.

Zwei Antworten hatte Schwarz auf die Frage parat, ob Kommern noch seine Heimat sei: „Ich werde die schöne Zeit hier nie vergessen, ich kann aber auch nicht vergessen, was da­mals passierte." In seiner Jugendzeit hätten sich die Erwachsenen gegensei­tig besucht, ohne Unterschied, ob Jude oder Christ. Schwarz er­innerte sich noch genau daran, wie ihn seine Mutter mit Le­bensmitteln losschickte, damit die Ärmsten des Orts nicht hun­gerten. Besonders am „Schabbes" war der Tisch bei Schwarzens reich gedeckt. Es war immer soviel Brot auf dem Tisch, dass auch für die armen Kommerner Bürger was übrig blieb.

Bevor der Kommerner Gast gestern wieder in das Flugzeug in Richtung England stieg, be­suchte er noch einmal sein Ge­burtshaus in der Gielsgasse. Zum ersten Mal seit seiner Ju­gendzeit sah er das „Kathrienchen" (Katharina Klepper) wie­der, das heute seinem Geburts­haus genau gegenüber wohnt. „Früher als Kind", erinnerte sich Kurt Schwarz, „haben wir beide viel am Mühlenbach gespielt."

Es ist  heute nicht mehr überprüfbar, wie viele Besuche in privater Form erfolgten. Tatsache jedoch ist, dass auch Emmy Golding geb. Kaufmann, deren Ehemann am Tage vor der Einweihung des Mahnmals einen Herzinfarkt erlitten hatte,  mehrfach in Kommern war und von der Herzlichkeit der Dorfbewohner begeistert war. Bei diesen persönlichen Begegnungen spielten die beiden Dorfbewohner Johann Hein, Christine Hiller und Johannes Ley eine dankenswerte Rolle. Darüber berichtete sie 1987 in der Ausgabe Nr. 39 des englischen Magazins „ The Around League“:


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A  RHINELAND  VILLAGE  REVISITED

I was born at Kommern, a village in the Eifel, a picturesque wooded locality south of Cologne, in a house which my ancestors had occupied for generations. My family was known to everyone in the village. Before the Nazis came, there was an atmosphere of harmony between Jews and Gentiles. Jewish people associated freely with non-Jewish neighbours; my closest friend at school was a Roman Catholic. We attended local village functions, but, despite being fully integrated in the life of the Community, most of the Jews were quite strictly observant.

By the early thirties, however, dark clouds started to gather, and when Hitler came to power things went rapidly from bad to worse.  In Kommern, as elsewhere, terror and destruction reached their culmination on “Kristallnacht”, 9th November 1938.  That same day, my father was arrested and sent to Dachau. I immediately went to the Nazi headquarters, despite a notice strictly prohibiting entry by Jews, and pleaded with the S.S. officer in Charge, producing my father's First War military medals. To my great delight, my father was soon released, and after that our only thoughts were on emigration.

I arrived in England in May, 1939, and managed to obtain entry visas for my parents, who arrived in England just three days before war started.  My sister had already left for America several months earlier; however, al my father's and my mother's brothers and sisters perished in the Holocaust.

In the years since these events, my thoughts have often concentrated on the untimely death and unspeakable sufferings of entire families of Jews.  In 1984, therefore, I wrote to the Bürgermeister of Kommern suggesting a memorial to the innocent Jewish people brutally murdered by the Nazis. His reply was that, owing to financial stringency, it was regrettably not possible to accede to my request.

I next approached Herr Hans-Dieter Arntz, the non-Jewish author of a remarkable book about the Jews of Kommern.  He persuaded several village organisations to take an interest in my project and to subscribe the necessary funds.  The memorial was erected, and preparations were made for a simple ceremony, to be attended by the Rabbi of Düsseldorf, the Bürgermeister and local dignitaries, and many others from the village.

I had agreed to attend and had prepared an appropriate speech.  Unfortunately, however, just before the day, my husband was admitted to hospital.  I was unable to attend the ceremony, the promoters of the project were bitterly disappointed and I was determined to go at a later date. Accordingly, I wrote to Hans-Dieter Arntz that my cousin and I, and my daughter Helen, who speaks German, intended to spend a weekend in the village early in September 1986.

An old school friend and her son met us at the airport and drove us to Kommern, where we received a cordial welcome.  The following day, a former neighbour took us to see the memorial.  It is in front of the Jewish cemetery under a beautiful tree, a simple stone tablet with an inscription about the murders of the Jewish inhabitants of the village by the Nazis. Then we went  to re-establish contact with all the people we wanted to meet.  I well remember that some had sympathised with our plight, and one family had even brought much needed food to a Jewish family, coming at dead of night to avoid detection.  Others had actively supported the Nazis and revelled in our misery.

That evening many people visited us at our hotel, including members of the organisations which had contributed funds for the memorial.  Many of them were too young to have taken an active interest in the Nazi movement. One of the ladies present fetched her guitar so that Helen could entertain us with folk songs in English, German, Spanish, Hebrew and Yiddish - all were delighted with her performance.

Next day was spent travelling around to see other friends.  They all seemed pleased to see us, and in some cases their welcome was quite overwhelming. When I arrived home my thoughts were an amalgam of joy and sadness.  It gave me great pleasure to see that the non-Jewish people of a German village had co-operated to perpetuate the memory of Jews slaughtered in the Holocaust - a small belated recognition of collective guilt; but thoughts of the sufferings endured by my relatives and friends can never be eradicated from my mind. My weekend visit to the village of my birth will always remain a highly emotional memory.


EMMY GOLDING

 

Die Euskirchener Lokalausgabe der Kölnischen Rundschau gab den englischen Bericht von Emmy Golding geb. Kaufmann  in ihrer Wochenendausgabe am 20. Juni 1987 wieder:

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Die Bitte um ein Denkmal für die Kommerner Juden
Ein herzlicher Empfang in der alten Heimat

 

Emmy Golding, eine in Kommern geborene Jüdin, besuchte im September ihre alte Heimat. Sie war es auch gewesen, die im Kontakt mit H.-Dieter Arntz den Bau eines Mahnmals anregte, das mittlerweile für die Kommerner, die als Juden im Holocaust umkamen, errichtet worden ist. Über das Wiedersehen mit ihrer alten Heimat schrieb die gebürtige Kommernerin jetzt in „The Around League", dem Magazin der jüdischen Frauenliga:

Ich wurde in dem Eifeldorf Kommern geboren, einem malerischen, waldigen Ort süd­lich von Köln, in einem Haus, das meine Vorfahren seit Gene­rationen bewohnt hatten. Mei­ne Familie kannte jeder im Dorf. Bevor die Nazis kamen, bestand eine Atmosphäre der Harmonie zwischen Juden und Nichtjuden.

Die jüdischen Einwohner hatten einen unbeschwerten Umgang mit ihren nichtjüdischen Nach­barn; meine engste Freundin in der Schule war eine Katholikin. Wir besuchten örtliche Dorfein­richtungen, aber, obwohl wir in dem Leben der Gemeinschaft voll integriert waren, wurden die meisten Juden doch genau beobachtet.

In den frühen 30er Jah­ren jedoch sammelten sich dunkle Wolken, und als Hitler an die Macht kam, gerieten die Dinge rasch vom Regen in die Traufe. In Kommern wie an­derswo erreichten Terror und Zerstörung in der „Kristallnacht“ am 9. November 1938 ihren Höhepunkt.

Am selben Tag wurde mein Vater verhaftet und nach Da­chau gebracht. Ich ging sofort zur Nazi-Dienststelle, obwohl ein Aushang den Eintritt von Juden streng verbot, und disku­tierte mit dem Dienst tuenden SS-Offizier, indem ich die mili­tärischen Auszeichnungen mei­nes Vaters aus dem Ersten Weltkrieg hervorholte. Zu mei­ner großen Freude wurde mein Vater bald entlassen, und da­nach drehten sich unsere Über­legungen nur um die Auswan­derung.

Ich kam im Mai 1939 nach England an und brachte es fertig, Einreisevisa für meine Eltern zu erhalten, die drei Tage vor Kriegsbeginn in England ankamen. Meine Schwester war nur einige Monate früher nach Amerika abgereist; alle Brüder und Schwestern meines Vaters und meiner Mutter kamen je­doch im Holocaust um.

In den Jahren seit diesen Ereignissen haben sich meine Gedanken oft auf den vorzeiti­gen Tod und die unaussprechlichen Leiden ganzer Judenfami­lien gerichtet.

Daher habe ich 1984 einen Brief an den Bürgermeister von Kommern geschrieben und vor­geschlagen, ein Denkmal für die unschuldigen Juden zu errich­ten, die von den Nazis brutal ermordet wurden. Seine Ant­wort lautete, dass es wegen Geld­knappheit  bedauerlicherwei­se nicht möglich sei, meiner Bitte zu entsprechen.

Dann wandte ich mich an Herrn Hans-Dieter Arntz, den nicht­jüdischen Autor eines bemer­kenswerten Buches über die Juden von Kommern. Er über­zeugte mehrere örtliche Orga­nisationen, sich für mein Pro­jekt zu interessieren und  sich um die die notwendige Finanzierung zu kümmern. Das Denkmal wurde errichtet und eine einfache Feier vorbereitet, an der der Rabbiner von Düsseldorf, der Bür­germeister, örtliche Würdenträger und viele andere des Ortes teilnehmen sollten. Ich hatte zugestimmt zu erschei­nen und eine angemessene Ansprache vorbereitet.

Un­glücklicherweise wurde kurz vor dem Tag jedoch mein Mann ins Hospital eingeliefert. Ich war unfähig, der Feier beizu­wohnen. Die Förderer des Projektes waren bitter enttäuscht, und es wurde entschieden, dass ich zu einem späteren Datum kommen sollte. Folglich schrieb ich  Hans-Dieter Arntz, dass meine Kusine, ich und meine Tochter Helen, die Deutsch spricht, die Absicht hätten, im frühen September 1986 ein Wo­chenende im Ort zu verbringen.

Eine alte Schulfreundin und ihr Sohn holten uns vom Flug­hafen ab und fuhren uns nach Kommern, wo wir ein herzli­ches Willkommen erfuhren. Am folgenden Tag zeigte uns ein Nachbar das Denkmal. Es steht vor dem Jüdischen Friedhof unter einem schönen Baum, eine einfache Steintafel mit einer Inschrift über die Ermordung der jüdischen Dorfbewoh­ner durch die Nazis. Danach erneuerten wir die Verbindung zu all den Men­schen, die wir zu treffen wünschten.  

Ich erinnere mich gut, dass einige mit unserer Notlage Mitgefühl gehabt hat­ten. Eine Familie hatte sogar einer jüdischen Familie die dringend notwendigen Le­bensmittel gebracht, indem sie mitten in der Nacht kam, um eine Entdeckung zu vermeiden. Andere hatten die Nazis aktiv unterstützt und in unserem Elend geschwelgt. An jenem Abend besuchten uns viele Menschen in unserem Hotel, einschließlich Mitglieder jener Organisationen,  die  Geld für das Denkmal beigesteuert hatten. Viele von ihnen waren zu jung, um aktiv an der Nazi-Be­wegung teilgenommen zu ha­ben.

Eine der anwesenden Damen holte ihre Gitarre, so dass Helen mit Volksliedern in Englisch, Deutsch, Spanisch, Hebräisch und Jiddisch unterhalten konn­te — alle waren von ihrer Vorstellung entzückt.

Den nächsten Tag verbrach­ten wir mit Herumreisen, um andere Freunde zu besuchen. Sie alle schienen sich über unseren Besuch zu freuen, und in einigen Fällen war der Emp­fang ganz überwältigend. Als ich zu Hause ankam, waren meine Gedanken eine Mi­schung aus Freude und Trau­rigkeit.

Es war eine große Freude für mich, dass die nichtjüdische Bevölkerung eines deutschen Dorfes mitgewirkt hatte, die Erinnerung an die im Holocaust abgeschlachteten Juden zu ver­ewigen;  eine kleine, verspätete Anerkennung von Kollektiv­schuld. Aber die Gedanken an die erlittenen  Leiden meiner Verwandten und Freun­de können nie aus meinem Gedächtnis gelöscht werden. Mein Wochenendbesuch in dem Dorf meiner Geburt wird immer eine höchst gefühlsmäßige Erinnerung bleiben.

EMMY GOLDING

 

Wenn auch im Jahre 1985 der Gedenkstein in Kommern bei den ehemaligen jüdischen Mitbürgern nicht die gewünschte Resonanz hatte und deren persönliche Anwesenheit schmerzlich vermisst wurde, so kann heutzutage doch konstatiert werden, dass der damalige Versuch, „die Vergangenheit bewältigen“ zu wollen, keineswegs umsonst gewesen ist. Vielseitig ist seitdem die Dorfgemeinschaft aktiv geworden: Schulklassen arbeiten inzwischen verstärkt die regionalhistorisch relevante jüdische Gemeindegeschichte auf, „Stolpersteine“ sind in den letzten Jahren verlegt worden, Kontakte zu den Kindern der damaligen Gäste wurden nicht nur gefunden, sondern auch vertieft. Dies gilt besonders für die Angehörigen der Familie Levano. Auch im Stadtgebiet Mechernich gibt es nun ein Mahnmal, das an die jüdische Gemeinde der Stadt erinnert. Eine umfangreiche Dokumentation hat ebenfalls die gesamte „jüngste Geschichte“ wissenschaftlich aufgearbeitet.

Die Auswirkungen des 1. September 1985 reichen bis in die Gegenwart.

Archivunterlagen beweisen, dass im Jahre 1941 die Juden von Münstereifel nach KOMMERN umziehen mussten, so dass das Ende ihrer Gemeinschaft (1942) mit der der jüdischen Gemeinde von Kommern zusammen betrachtet werden muss.

 

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Quelle: Hans-Dieter Arntz, JUDAICA – Juden in der Voreifel, Euskirchen 1983, Seite 350

 

Insofern bekommt die folgende NEWS  in meiner Homepage vom 2. Februar 2007  eine durchaus aktuelle Wichtigkeit:

Kommern:  Jüdische Bücher wieder nach 65 Jahren inFamilienbesitz

Als Angehörige der jüdischen Familie WOLFF darüber in Kenntnis gesetzt wurden, dass ihre Deportation in Kommern/b. Mechernich am 13. Juli 1942 bevorstand, übergaben sie in der Nacht vor ihrem Abtransport  die wichtigsten Bücher der inzwischen aufgelösten jüdischen Gemeinde an den christlichen Nachbarn Toni B. zur Aufbewahrung. Der spätere Bürgermeister der Gemeinde Kommern (1956-1969) und seine Angehörigen nahmen die Aufgabe sehr ernst.

Der Regionalhistoriker Hans-Dieter Arntz konnte nun vor einiger Zeit die Bücher in die rechtmäßigen Hände zurückgeben. Als Mitarbeiter an der genealogischen Forschungsarbeit „Descendants of the Wolff Family“ bekam er Kontakt zu Janet Isenberg in Glen Rock/N.Y (USA), einer nahen Verwandten der eigentlich aus Münstereifel stammenden Familie Wolff. Er verschaffte den postalischen Kontakt zu der deutschen Familie B. und schickte in deren Auftrag acht hebräische Bücher in die Vereinigten Staaten. Die Büchersendung bekam einen besonderen Wert  durch die persönliche Widmung in einem vergilbten Band: „Für Max Wolff in Münstereifel zum seinem Barmizwahfeste Ostern 1905 – von seinem Onkel Samuel und Tante Eliese von Osann.“ Der Familie B. in Kommern gebührt ein besonderer Dank!

 

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Foto: Arntz

E N D E 

 

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