Prominente Euskirchener Juden

von Hans-Dieter Arntz
07.03.2008

Der viel geäußerte Hinweis, dass sich die ehemaligen jüdischen Mitbürger nicht nur für ihre deutsche Heimat, sondern auch im lokalen und regionalen Bereich engagiert einsetzten, lässt sich auch für die Kreisstadt Euskirchen und die gesamte Voreifel nachweisen. Andererseits führt auch die Genealogie vieler nicht hier geborener Juden in diese Region.

Prof. Michael Evenari und Dr. Moritz Wallach

Auf dieser Homepage wurde bereits die Lebensleistung des jüdischen Botanikers Prof. Dr. Michael Evenari (1904-1989) hingewiesen, der als Analytiker des Ökosystems „Wüste" und Vertreter der expe­rimentellen Ökologie Weltruhm erworben hatte. Sein Vater Hermann Schwarz stammte aus Euskirchen. Als Walter Schwarz musste Prof. Evenari nach der so genannten Machtergreifung seine deutsche Heimat verlassen und machte dann im späteren Israel Karriere als Wissenschaftler an der Hebrew University in Jerusalem.

Dasselbe gilt für Dr. Moritz (Moshe) Wallach (1886-1957) der als jüdischer Arzt nach Erez  Israel ging, dem damaligen klassischen Palästina, und dort das berühmte Shaare Zedek Hospital gründete. Er wurde schließlich Ehrenbürger der Stadt Jerusalem.

Bekannt ist, dass die Kreis­stadt Euskirchen im letzten Jahrhundert führend in der deutschen  Tuchindustrie  war. Uniformstoffe für 26 Länder wurden hier hergestellt. Unbe­kannt jedoch blieb   es offenbar, dass die jüdischen Familien Simon Wal­lach, Isaac Mayer, Hermann Meyer und Benjamin Wolff zu den Mitbegründern der Zunft der Tuchmacher in Euskirchen gehörten und mit anderen Fir­men den Grundstein zu Euskir­chens einst blühender Tuchin­dustrie legten. Sechs Söhne der Familie Wolff zogen um die Jahrhundertwende nach Belgien und gründeten dort die heute noch berühmte Textilfabrik „Wolff Frères" in Lüttich. Prominent war die bereits erwähnte Familie Wallach schon damals und ist es eigentlich bis heute ge­blieben.

Unter den hur 125 jüdischen Soldaten, die an Napoleons Feldzügen bis 1815 teilnahmen, war mit Simon Wallach auch ein Angehöriger der jüdischen Gemeinde von Euskirchen. Im Revolu­tionsjahr 1848 standen Mitglie­der der Familie Wallach in den Reihen der Euskirchener Bür­gerwehr und schützten die Ein­wohner vor Unruhen und Ausschreitungen. Joseph Wallach war langjähriger Vorsitzender der Kölner Synagogengemein­de; sein Sohn, der bereits genannte Dr. med. Moritz Wallach, wanderte 1902 als Zionist nach Palästina aus und gründete das heute noch be­kannte Shaare Zedek Medical Center in Jerusalem. Inzwischen zeigt ihn eine israelische Briefmarke.

Zur Genealogie der prominenten Euskirchener Familie Wallach gehört natürlich auch der langjährige Vorsitzende der Euskirchener Metzgerinnung, Moses Wallach, der in der Wilhelmstraße 49 wohnte und 1929 verstarb. Sein Neffe, der später in Mönchengladbach lebende Leitende Bibliotheksdi­rektor i. R. Dr. Simon Wallach, war derjenige, der die Biblio­thek der Knesseth in Jerusalem aufbaute und später ihr Direk­tor wurde.

Dr. Hugo Oster

Ein bekannter Arzt und SPD-Ratsherr war Dr. Hugo Oster (1878-1943). Mit seiner Familie kam er im Holocaust um. Der feingeistige Mediziner, der auch Lyrik publizierte und in Leserbriefen als überzeugter Sozialdemokrat gegen Standesunterschiede kämpfte, kann durch Beispiele etwas charakterisiert werden.

 

hugo oster

Auszug aus dem Buch von Hans-Dieter Arntz JUDAICA – Juden in der Voreifel, Seite 149.

Die Sozialdemokraten der Stadt Euskirchen waren seit den Neuwahlen vom 5. Oktober 1919 u. a. durch den jüdischen Mediziner Dr. Hugo Oster ausgezeichnet vertreten. Anfangs hatte er sich als praktischer Arzt in der Wilhelmstraße 36 niedergelassen, ehe er dann später Besitzer des Hauses Baumstraße 7 wurde und bis zur Deportierung im Sommer 1942 auch blieb. Er war bei der Arbeiterschaft außerordent­lich beliebt, und seine Rechnungen erregten bei den Kassen Kopfschütteln, da er stets den Mindestsatz verlangte.

Dass der volksnahe Arzt auch die Interessen seiner jüdischen Gemeinde berücksichtigte, bewies die Stadtratssitzung vom 3. Mai 1921. Der Synagogen-Vorstand hatte erneut einen Zuschuss für Dr. Salomon Heilberg beantragt, der den jüdischen Religionsun­terricht an den Volksschulen leitete. Die Finanzkommission beabsichtigte, den bisher gezahlten Zuschuss von 450 Mark auf 1000 Mark zu erhöhen. Manche Abgeordnete jedoch vertraten die Ansicht, dass nur eine geringere Bezahlung in Betracht käme, da die katholischen und evangelischen Geist­lichen ohne Vergütung unterrichteten und somit paritätisch vorgegangen werden müsse. In dieser Hinsicht versagten alle Sozialdemokraten ihrem Parteimitglied Dr. Oster die Unterstüt­zung.

Dennoch beugte sich der Mediziner nicht der Parteiräson und stellte seine Sache voran. Seine Überzeugung teilte der katholische Geistliche und Studienrat am Jungengymnasium, der Zentrumsmann Heinrich, der auf die Reichsverfassung hinwies sowie auf die Tatsache, dass in Elementarschulen der Religionsunterricht auch von den Elementarschullehrern gegeben würde. Da christliche Lehrer aber nicht jüdischen Religionsunterricht erteilen könnten, müssten Aushilfskräfte beschäftigt und natürlich auch bezahlt werden. Der Zuschuss in Höhe von 1000 Mark, rückwirkend ab 1. April 1920, wurde abschließend mit den Stimmen des Zentrums, der bürgerlichen Wählervereinigung und des von seiner Partei im Stich gelassenen Dr. Hugo Oster bewilligt.

(Vgl. Hans-Dieter Arntz, JUDAICA – Juden in der Voreifel, Euskirchen 1983/86, S.148)

 

In dieser Form wahrte der SPD-Stadtverordnete häufig seine Eigenständigkeit, war aber in seiner Partei sehr geachtet. Da 1981 kein Name mehr an die Präsenz der Euskirchener Juden erinnerte, sollte eine Dr.Hugo-Oster-Straße - stellvertretend für die Leistungen jüdischer Stadtverordneter - an den beliebten „Armenarzt von Euskirchen“ erinnern. Es kam zu einer beschämenden Prozedur in den nächsten 10 Jahren, bis dann ein Dr.Hugo-Oster-Platz vor dem Euskirchener Amtsgericht endlich Wirklichkeit wurde. Ähnliche Irritationen gab es schon, als um ein Mahnmal für Euskirchener Juden gefordert wurde.

 

prominente juden

Nach Dr. Hugo (l.) Oster wurde in Euskirchen eine Straße benannt. Alfred Baumgartner (r.) war Reichsbahndirektor im 1. Weltkrieg
(Copyright: Hans-Dieter Arntz)

 

Alfred Baumgartner (1875-1951)

Viele Leistungen von Juden aus der Voreifel wurden deshalb vergessen, weil nach dem verloren gegangenen 1.Weltkrieg „heroische Taten“ nicht mehr gefragt waren und ab 1933 systema­tisch abgewertet und negiert wurden. Zum Beispiel lachte man den jüdischen Kaufmann und Feuerwerker Lion im Verlauf der „Reichskristallnacht“ in Euskirchen aus, als er in der ersten Etage seines Hauses Hochstraße 18 schutzsuchend seine Orden zeigte.

Anerkennung erwarb sich auch  Alfred Baumgartner (1875-1951) aus Euskirchen als Reichsbahndirektor. Das Fachorgan „Die Deutsche Bundesbahn“, 1952, Seite 513, erinnerte sich des in Euskirchen geborenen Mitbürgers:

Alfred Baumgarten wurde am 14. Juni 1875 in Euskirchen geboren, studierte das Baufach an der Technischen Hochschule in Aachen, wurde 1902 Regie­rungsbaumeister in Köln und leitete dort von 1911 bis 1816 das Betriebsamt 1. Aus Anlass der großen Stockungen im Osten kam er 1916 als Direktions-Mitglied und Dezernent 33 nach Königsberg. Im Jahre 1919 wurde er in gleicher Eigenschaft nach Frank­furt und im Jahre 1920 als Dezernent 31 und Leiter der Betriensabteilung nach Elberfeld versetzt. Hier wurde er zum 1. November 1924 zum Direktor bei der Reichsbahn  ernannt.

Bald darauf wurde er als Referent für Deutschland für den Personenzugsfahrplan (Referent 20) in die Hauptverwaltung berufen und am 1. Dezember 1925 zum Reichsbahndirektor und Mitglied der Hauptverwaltung befördert.Die politischen Veränderungen des Jahres 1933setzten seinem Wirken in der Hauptverwaltung ein Ende. Nach kurzer Tätigkeit als Leiter des Berliner Verkehrsmuseums siedelte er nach London über. Seine Lebensgefährtin hatte diese Umstellung der Lebensverhältnisse nicht überstanden.

Nachdem er nach dem Zusammenbruch wieder in seine Rechte eingesetzt worden war, konnte er gelegentlich wieder nach Deutschland kommen, wo er Heilung für ein altes Leiden suchte: Hier ist er dann bei seiner Tochter am 30. April 1951 in Hamburg gestorben. Baumgarten hat mit seinen großen Erfahrungen auf dem Gebiet des Fahrplanwesens in vollem Ausmaß den ungewöhnlichen Anforderungen entsprochen, die die ersten Jahre an die Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft  stellten. Die von ihm veranlasste völlige Umgestaltung der Fahrplanbücher und Aushänge und die Methode ihrer Herstellung wurden vorbildlich für viele andere Bahnverwaltungen.

Geschwister Cleffmann und Josef („Jupp“) Weiss aus Flamersheim

Julius Cleffmann und seine Schwester Rosalie aus Flamersheim wanderten mit dem letz­ten Schiff vor Ausbruch des 2. Weltkrieges nach Casablanca aus: Rosalie Davids Töchter Ilse heiratete dort den Rechtsanwalt Maurice Schumann, einen Bruder des früheren französischen Außenministers Robert Schumann. So reichten jüdische Familienbeziehungen von Flamersheim bis in die hohe Politik Frankreichs hinein. Ilse Schumann besaß vor 25 Jahren noch einen großen Teil des Weidelandes in Flamersheim und Kirchheim.

Julius Cleffmann und seine Schwester Rosalie aus Flamersheim wanderten mit dem letz­ten Schiff vor Ausbruch des 2. Weltkrieges nach Casablanca aus: Rosalie Davids Töchter Ilse heiratete dort den Rechtsan­walt Robert Schumann, einen Bruder des früheren französi­schen Außenministers Maurice Schumann. So reichten jüdi­sche Familienbeziehungen von Flamersheim bis in die hohe Politik Frankreichs hinein. Ilse Schumann besaß vor 25 Jahren noch einen großen Teil des Weidelan­des in Flamersheim und Kirchheim.

Ebenfalls aus Flamersheim stammt der berühmte Josef („Jupp“) Weiss (1893-1976), der charismatische „Judenälteste von Bergen-Belsen“ der nach Ansicht vieler Juden während des nationalsozialistischen Terrors als Held in der Zeit des Holocaust angesehen wurde.

Als „Judenältester“ im „Sternlager und Hauptadministrator des Lagers Bergen-Belsen hatte er immer mit der SS zu verhandeln. Eli Dasberg erinnert sich in seinem Nachruf Joep Weisz overleden, in: N.I.W Holland v.8.10.1976:

Jupp Weiss war immer aufgeschlossen für das Leid seiner Mitbrüder. Manches Mal begleitete er einen Leidensgenossen bis zum Zaun, von wo aus der Weg zum Verbrennungs­ofen unvermeidbar war. Ich denke an zahlrei­che Appelle auf dem staubigen Platz, im strö­menden Regen oder im kalten Wind sowie brennender Sonne, wo sich die Leute des Lagers aufstellen mussten und gezählt wurden, als wenn ein Geizhals sein Geld zählt. Jupp Weiss war nach außen hin unbewegt. So lief er manches Mal hinter dem Sturmmann oder dem Feldwebel her - mit dem Notizbuch in der Hand. Wie ein Sklave hinter seinem Herrn -aber nicht sklavisch! Immer würdig, aber nie­mals untertänig! Gezwungen wie ein Hund, hinter seinem Meister herzugehen, aber er lief immer vornehm und mit aufrechtem Haupt. Er reagierte nie auf schmierige Bemerkungen und lachte nie über die hassvollen Anspielungen. Er bewahrte immer Abstand, was für ihn selbst­verständlich war. Er wies auf die unhaltbaren Zustände und das Fehlen genügender sanitä­rer Anlagen hin. Er traute sich, um die fälligen Reparaturen zu bitten, obwohl seine lästigen Bitten immer wieder abgewiesen wurden. Er war mutig. Er unternahm vieles, ohne jedoch dabei waghalsig zu werden.

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