Statt zur Sonntagsarbeit durften Kinder zur Sonntagsschule gehen:
Da Euskirchen vor etwa 180 Jahren keine ordentliche Schule besaß, muss angenommen werden, dass mit Beginn der Industrialisierung und der Entwicklung der heimatlichen Tuchindustrie auch das Schulwesen seine Impulse erhalten hat", schreibt Hans-Dieter Arntz in seinem soeben von der Stadt Euskirchen herausgegebenen Büchlein „Die Entwicklung des Euskirchener Schulwesens unter Berücksichtigung der Industrialisierung.
Dieses erste und fleißige Werk über die Entwicklung des Euskirchener Schulwesens schließt eine echte Lücke in der Heimatforschung und bietet dabei aufschlussreichen und interessanten Wissensstoff, von dem es eigentlich erstaunlich ist, dass er solange ungesichtet blieb. Studienrat Hans-Dieter Arntz ist Erziehungs- und Sozialwissenschaftler am Mädchengymnasium Marienschule in Euskirchen. Er hat in monatelanger Kleinarbeit Archive in Aachen, Koblenz, Brühl, Düsseldorf durchforstet, insbesondere aber auch das Euskirchener Stadtarchiv - nach entsprechenden Hinweisen seines damaligen Leiters, des 1971 verstorbenen Redakteurs Carl Brandt.
Die Ergebnisse dieser Arbeit sind in der 100 Seiten starken Schrift, die durch zahlreiche Bild- und Urkundenbeigaben bereichert wird, enthalten.
Frühere Schularten
Ausgehend vom 15. Jahrhundert und der ältesten Urkunde über die Euskirchener Schulgeschichte weist der Verfasser wissenschaftlich nach, dass sich erst mit dem Aufkommen und der Festigung der Euskirchener Tuchindustrie die Kreisstadt zur „Stadt der Schulen" entwickelte. Es gab sogar am Ende des 19. Jahrhunderts eine Judenschule.
Zu den Etappen der Euskirchener Schulgeschichte gehören u.a.: Volksschule, Sonntagsschule für „Fabrikkinder“, Gymnasium, evangelische Privatschule, Berufs- und Handelsschule, Höhere Töchterschule, Kleinkinderschule, Sonntagsarmenschule, bis hin zum ersten Vorschlag zur Gründung einer „Realklasse" mit höherer Schulbildung durch den Lehrer Obernier um1835. Erst am 18. April 1950 wurde jedoch erst in Euskirchen eine Realschule eröffnet.
Mit Genehmigung des Verfassers entnehmen wir einige Passagen aus dem Büchlein, die dokumentarisch erläutern, dass - in ihrer Zeit und aus ihrer Zeit heraus beurteilt -, die Euskirchener Fabrikanten wohl kaum die allerschlimmsten „Ausbeuter" gewesen sein dürften.
Die Sonntags-Armenschule
Bürgermeister Boener (1817-1836) hatte 1829 eine Sonntags-Armenschule einrichten können, die für alle berufstätigen Jungen obligatorisch wurde. Hierzu der Verfasser:
Im Vergleich zu anderen Industriestädten war es den Euskirchener Fabrikanten hoch anzurechnen, dass sie die »aus dem Handwerk überkommene patriarchalische Einstellung der Arbeitgeber« weiter beibehielten und u.a. darauf verzichteten, sonn- und feiertags arbeiten zu lassen. So konnten die 8-14jährigen Kinder ungehindert zur „Sonntags-Armenschule“ - ab 1835 Sonntagsschule - gehen.
Zu dem damaligen Verhältnis Fabrikherr—Arbeiter heißt es u. a. weiter:
„Beispielhaft und für die Voreifelstadt charakteristisch war die von dem 1. Elementarschullehrer Franz Obernier (1829 -1838 an der Euskirchener Knabenschule) entworfene Übereinkunft zwischen den Fabrikanten der Gemeinde Euskirchen hinsichtlich des Verhaltens gegen die bei ihnen arbeitenden schulpflichtigen Knaben und deren Eltern. Da die Entwicklungsgeschichte . der Euskirchener Sonntagsschule" - so der Verfasser - „von der Heimatforschung bisher falsch dargestellt wurde, soll die verhältnismäßig gute Zusammenarbeit zwischen Schulvorstand, Lehrern und Fabrikanten anhand der von mir zufällig entdeckten Übereinkunft, einer heute vergilbten Urkunde, bewiesen werden."
„Das Rauchen der Knaben"
Aus dem fast modern wirkenden „Lehrvertrag" für die Erziehung der 8-14jährigen „Fabrikknaben“, die „bei schlechter Ernährung vom frühen Morgen bis zum späten Abend mit Arbeiten, die ihren Kräften oft gar nicht angenehm sind", in Euskirchen beschäftigt wurden, zitieren wir zur Kennzeichnung der damaligen Schul- und Sozialsituation aus dem Büchlein:
„§ 1: Kein Gesuch von Eltern um Arbeit für ihre Söhne darf Berücksichtigung finden, wenn selbe nicht ein für den betreffenden Knaben entsprechendes Entlassungszeugnis aus der Schule oder einen von dem Herrn Bürgermeister ausgestellten Erlaubnisschein zum Besuch der Sonntagsschule vorzeigen können."
„§ 5: Nur den Eltern darf der bedingte Lohn oder sogenannte Anlernverdienst ausgezahlt werden, um den Knaben jede Gelegenheit zu nehmen, für Branntwein und Tabak Mittel zu gewinnen."
„§ 7: Lieder, Gespräche und Handlungen bei den Fabrikarbeitern, welche die Sittlichkeit gefährden, sollen weniger den Erwachsenen, viel weniger den Knaben gestattet werden. Der Gebrauch, dass die Knaben den Erwachsenen die Tabakpfeife anzünden müssen, soll, wo er noch besteht, sofort abgeschafft und überhaupt das Rauchen der Knaben nicht gestattet werden."
Aus Kölnische Rundschau vom 6. Dezember 1973
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Wie Euskirchen mit der Industrialisierung langsam zur „Stadt der Schulen" wurde | |
Die Entwicklung des Euskirchener Elementarschulwesens |