Seit Jahrhunderten: Kirmes in Euskirchen:
Geschichte, Mundartliches, Speisen und Bewirtung, Polizeiverordnungen

von Hans-Dieter Arntz
10.05.2007

Die Euskirchener Stadtgeschichte beweist anhand vieler Urkunden und Berichte, dass Kirmes und Jahrmarkt schon im Mittelalter zu den wichtigsten Ereignissen einer einst landwirtschaftlich strukturierten Gesellschaft gehörten. Seit nunmehr 217 Jahren gibt es hier die traditionelle Maikirmes, seit 427 Jahren die Herbstkirmes, deren Ursprung im Simon-Juda-Markt liegt.

In der Zeit vom 12. bis zum 15. Mai 2007 lockt nun wieder die bekannte Donatus-Kirmes viele auswärtige Besucher in die Innenstadt von Euskirchen. Historisch gesehen ist sie jedoch die „jüngste“ von einst drei Jahrmärkten.

In meinem regionalhistorischen Archiv befinden sich viele Kopien von Urkunden und Euskirchener Ratsprotokollen. Besonders ergiebig allerdings sind die Zeitungsartikel der letzten 130 Jahre. Besonders nach dem 2.Weltkrieg ging die Archivarbeit der Heimatforscher Hubert Lückerath, Peter Simons oder des Mundartdichters Theodor Niessen in die gängigen Beiträge  ein. Ich selber konnte diesem Fundus auch einige Artikel beisteuern. Damit die heutige Lokalpresse nicht immer wieder jährlich dieselben Zeitungsartikel vorlegt, möchte ich ältere Abhandlungen berücksichtigen, die sich mit Sitten und Bräuchen der Euskirchener Kirmes, aber auch mit der Historie, Speisen und Bewirtung, Polizeiverordnungen etc. befassen.

Grundsätzlich gilt folgende Wikipedia-Auskunft (2007) über den Ursprung von Kirmes und Jahrmarkt:

„(…) wirtschaftlich nicht nur, weil Waren verhandelt wurden, sondern auch, weil die Händler oft von weit her kamen, längere Zeit im Marktort verbrachten und dort Teile ihres Gewinnes in Herbergen, Läden usw. ausgaben. Auch konnten so Nachrichten aus entfernten Gebieten ausgetauscht werden; ein Jahrmarkt war also auch in sozialer Hinsicht von größter Bedeutung. Oft wurden auch kirchliche Sonderveranstaltungen gehalten. Zu den Jahrmärkten reisten oft auch die "Entertainer" des Mittelalters: Tanzbärenleiter, Gaukler, Wahrsager, Quacksalber, Musikanten, Troubadoure usw. Dadurch war ein Jahrmarkt auch eine Gelegenheit zur Unterhaltung mit Fahrgeschäften und Wurfbuden für das ganze Volk. Letzterer Aspekt herrscht bei den heute noch bestehenden Jahrmärkten vor. Der Handel mit Waren ist in den Hintergrund getreten oder fast gänzlich.“

Der Euskirchener Mundart-Dichter Theodor Niessen gefiel in der Nachkriegszeit mit seinem Gedicht „Kermese“ (1953):

 

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Zeitungsberichte haben besondere inhaltliche Schwerpunkte. Hubert Lückerath, der ehemalige Euskirchener Standesbeamte und Heimatforscher, konzentrierte sich 1963 in seinem Beitrag  auf die typischen Mahlzeiten und die Bewirtung der Kirmesgäste:

 

Hubert Lückerath (1963) in der Kölnischen Rundschau, Lokalteil Euskirchen: „Kermesback on Suebroode“ 

 

Von jeher waren die rheinischen Kirmessen wahre Volks- und Familienfeste. Zur Kirmes gehörte der Besuch von Verwandten und Bekannten aus nah und fern, das Haus musste voll sein. Alle wurden reichlich bewirtet, das verlangte die Ehre des Hauses.

Die Hausfrauen hatten in der Woche vor der Kirmes alle Hände voll zu tun mit Vorbereitungen aller Art, insbesondere waren sie samt den Töchtern damit beschäftigt, die Vorbereitungen für die Bewirtung ihrer Gäste zu treffen, insbesondere den „Kirmesback" herzurichten.

Gebacken wurde in Euskirchen wie auch in der Umgebung recht viel. In manchen Euskirchener Fa­milien wurden am Ende des 19. Jahrhunderts bis zu 50 Pfund Mehl verbacken. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Backwaren viel derber waren als heute und dass jeder Kirmesgast eine gute Portion Ge­bäck für seine Familienmitglieder, die nicht mitkommen konnten, mit bekam. Diese Backwaren packten die Gäste beim Heimweg in die „Kössezeeg" (Kissenbezug), die der Vater über dem geschulterten Stock heim trug. Selbst das Zusenden von Kirmesweck an Verwandte und Bekannte war damals üblich. Hier soll ein Beispiel dafür gegeben werden: Eine wohlhabende Familie in Euskirchen erhielt alljährlich von ihren Verwandten aus Kuchenheim zu deren Kirmes einen Korb voll Kirmesweck. Als Gegenleistung schickten die Euskirchener den Kuchenheimern bei der Euskirchener Kirmes ebenfalls einen Korb Kirmesweck, obwohl die Empfänger selbst eine Bäckerei betrieben. An diesem alten Brauch wurde noch lange festgehalten.

Es waren hauptsächlich Hefe­teigsachen wie Weck mit und ohne Rosinen, Fladen mit Birnen und Pflaumenkraut. Torten mit Apfel­kompott, mit Mus aus getrockneten Pflaumen, mit Griesmehl oder Reis, alles schön mit Riemchen verziert, Apfeltorten mit Stückäpfeln und tüchtig Zimt und Ko­rinthen darauf, Streukuchen mit oder ohne Füllung von Griesmehl oder Reis. Der bekannte „Kanehlkränz" (Zimtkranz) mit viel Butter, Zucker, Zimt. Rosinen und Zitronat fehlten in keinem Kirmesback. In diesem Backwerk waren manchmal so viele der genannten Zutaten, dass beim Backen ein großer Teil von diesen guten Sachen auslief und auf den Backplatten einen zuck­rig-fetten Rückstand hinterließ, um den sich die Jungen, die die Backplatten zu reinigen hatten, schlugen, um daraus ihre „Pechklötzchen" zu rollen, eine vergangene Art von Karamellen. Die Bäcker waren von dieser Verschmutzung der Platten keinesfalls begeistert.

An kleinen Backwaren wurden hergestellt: große und kleine Knipplätzchen, Apfel- und „Pflaumenmickchen" (Zuschlag), Rollkuchen, Ochsenaugen und „Napoleonshütchen". Zu den letzteren wurde ein gut handgroßes Stück Teig gerollt, mit etwas Marmelade gefüllt und an drei Ecken eingeschlagen, ein Dreispitz, der aus der Franzosenzeit des 19. Jahrhunderts stammte. Sonst gab es höchstens einen „Rodong" oder vielleicht einen „Bisquit", der fertig in der Form zum Abhacken gebracht wurde.

Der Kirmesback

Wie vollzog sich nun der Kirmesback? Er geschah im Lohnback, das heißt, die Hausfrauen machten zu Hause den Teig und die Zutaten fertig und gingen damit zu ihrem Bäcker. Dieser hatte bereits Wochen vorher eine genaue Einteilung seiner Kundschaft in Backgruppen vorgenommen und an der Backstube angeschlagen. An diese Ein­teilung wurde sich streng gehalten.

Der Bäcker hatte für die nötigen außergewöhnlichen Hilfskräfte ge­sorgt, alles war bis ins kleinste vorbereitet. Mit Hilfe des Bäckers und seiner Helfer machten die Hausfrauen in der Backstube ihre Sachen ofenfertig, und beim Ab­hacken zeigte es sich, wer von den Frauen backen konnte oder wer seinen Teig nicht richtig zubereitet hatte. Die Art der Teigherstellung entschied für gutes oder schlechtes Gebäck. Vom Bäcker verlangte man natürlich immer gutes Back­werk, ob der Teig schlecht oder gut war. Sie hatten an den Back­tagen schon ihre liebe Last.

 

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Werbung im Euskirchener Volksblatt am 17. Mai 1876

Hauptkampftage

Der Kirmesback begann am Mittwochnachmittag vor der Kirmes mit dem Backen der Mürbe­plätzchen (Kleinknipplätzchen), die nach dem Erkalten in einen Stein­topf gelegt wurden, damit sie schön mürbe wurden.

Donnerstags und freitags waren die Hauptkampftage des Kirmesbacks. Ununterbrochen ging die Arbeit weiter, eine Gruppe von Hausfrauen löste die andere ab, bei Tag und bei Nacht. Bei diesem Werk waren die Euskirchener Hausfrauen in ihrem Element, eine suchte die andere zu übertrumpfen hinsichtlich der Güte und Variatio­nen des Backwerks. In den damals sehr kleinen Backstuben ging es an den Tagen zu wie in einem Bie­nenhaus, das fortgesetzte „Geschratel" der Frauen nahm kein Ende bis zum frühen Samstag­morgen. Dann war die Schlacht ge­schlagen, und die Bäcker und ihre Gehilfen atmeten auf.

Neu zugezogene Hausfrauen standen diesem Tun zunächst ver­wundert gegenüber, aber bald waren sie auch dabei, und die Alt-Euskirchener Frauen weihten sie gern in die Künste eines zünftigen Kirmesbacks ein.

Zum Abtransport der fertigen, noch warmen Backwaren wurde die ganze Familie herangezogen, gleich ob es Tag oder Nacht war. Es musste beschleunigt geschehen, weil die nächste Gruppe bereits anrückte. Man nahm breite Bretter und Türen zum Wegschaffen, und man sah nicht selten dabei Türen mit einem herzförmigen Ausschnitt.

Das Ende des Kirmesbacks glich einer geschlagenen Schlacht. Bäcker und Helfer freuten sich, wenn alles geklappt hatte. Es war Kunden­dienst der damaligen Zeit, der nur ganz geringen Verdienst abwarf. Mit dem Ersten Weltkrieg hörte der Kirmesback langsam auf, und heute kennt man ihn nur dem Namen nach.

Sauerbraten

Dass den Kirmesgästen außer dem Backwerk auch sonst beson­ders gute warme Mahlzeiten in reichem Maße geboten wurden, war selbstverständlich. Zur Kirmes wurde fast in jedem Euskirchener Hause ein Schinken angeschnitten, und keinesfalls fehlte auf der Kir­messpeisekarte der bekannte rheinische Sauerbraten. Die Zuberei­tung erfolgte nach den überlieferten Rezepten. Das richtige Fleischstück musste es sein, lange genug in Essig gelegen ohne übermäßig sauer zu sein, so dass es schön mürbe war. Außer den sonst üblichen Gewür­zen kamen an besonderen Zutaten hinzu: eine gute Portion Rosinen und einige Brocken „Köstekooche" (Honigkuchen). Das Ganze langsam, möglichst in einer gusseisernen Kasserolle im Backofen geschmort. Dazu blaue Nierenkartoffeln mit Apfelkompott. Das war ein Festessen!

Die Euskirchener Hausfrauen haben es stets verstanden, ihre Gäste mit besten Speisen und Getränken zu bewirten. Dafür ernteten sie immer reichlich Dank.

Die Art der Kirmesaktivitäten und das Angebot des Amusements sind volkskundlich und historisch sehr interessant. Sie ähnelt aber auch den ökonomischen und zeitlichen Gegebenheiten in anderen deutschen Regionen. Meist ist ein religiöser oder politischer Anlass der Grund dafür, wie  eine Kirmes  entstand. Mit einem Wallfahrtsort oder einem Markt gingen schnell Beköstigung, Bewirtung, Unterhaltung einher:

 

Hans-Dieter Arntz: „Im Rathaus Tanz für 7,5 Silberlinge –
Der Magistrat versoff den Gewinn“

(in: Kölner Stadt-Anzeiger vom 9.5.1980, Lokalteil Euskirchen)

 

Jährlich überraschen die Schausteller mit neuen Attraktionen. Doch nur wenigen Kirmesbesuchern dürfte bekannt sein, dass es seit 1580 die Herbstkirmes und seit 1790 die Maikirmes in Euskirchen gibt (…).

Im Euskirchener Stadtarchiv befindet sich ein Druckblatt vom 21. September 1580, mit dem der Magistrat den Bürgern und auswärtigen Marktbesu­chern mitteilte, dass der Herzog Wilhelm von Jülich seiner ge­treuen Mithauptstadt Euskirchen das alte Marktprivileg von 1322 bestätigte und den „Herbst-Jahrmarkt" auf den Tag „Simon-Juda", den 28. Oktober, festsetzte. Trotz geringfügiger Änderung des Datums  wird die Herbstkirmes in diesem Jahr (1980/ d. Verf.) 400 Jahre alt.

Drei Jahrmärkte

Bedeutend ist die Maikirmes. Nachdem es lange Zeit drei Jahrmärkte gegeben hatte, pendelte sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts der jetzige Veranstaltungsrhythmus Früh­ling-Herbst ein. Denn am 13. Fe­bruar 1788 kam eine Verord­nung des Kurfürsten, wahr­scheinlich als Antwort auf eine Bitte des Euskirchener Magistrates, „betreffend ggste. Concession des neuen Jahrmarks auf St. Georgii Tag den 23. Aprilis".

Dieser Markt wurde aber schon im nächsten Jahr verlegt. Denn am 1. Juli 1789 — wenige Tage vor dem „Sturm auf die Bastille" — traf eine Verord­nung des Kurfürsten vom 6. Juni desselben Jahres ein, „inhalts welcher ggst. erlaubet werden, den auf den 23. April bestimten Markttag in der Stadt Euskirchen künftig auf den ersten Samstag im Monat Mey zu verlegen".

Seit etwa 1820 findet der vorgezogene „Matthäus-Markt" jedoch am 2. Sonntag des Mai statt, und zwar mit Rücksicht auf benach­barte Städte, denen man die äl­teren Ansprüche auf den 1. Maisonntag nicht streitig machen wollte.

Die Veranstaltungen, die in Verbindung mit der Maikirmes standen, ergänzten oft die Mai­feiern in den jeweiligen Dörfern. Kein Wunder, wenn die Euskirchener Zeitung 1892 das „volkstümlichste vaterstädtische Fest, die Kirmes" wortreich begrüßte, da sie von der Jugend und „auch von der reiferen Jugend"  lang ersehnt worden sei. Der Saal des Rathauses war noch Anfang des 19. Jahrhunderts an den Kirmestagen „an einen hiesigen Wirt zur Abhaltung von Tanzvergnügen verpachtet“. Der Eintritt betrug 7,5 Silbergroschen; dafür wurde eine „gute Flasche Wein verabreicht.“

 

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Vor vielen Jahrzehnten eine Attraktion für die Euskirchener Kirmes: Der Zulauf zu „Deutschlands größtem Hippodrom“ war entsprechend groß. (Reproduktion:  Hans-Dieter Arntz)

 

Bis 1845 waren kaum größere Säle für den Maitanz in Euskir­chen vorhanden. Die wenigen dafür zur Verfügung stehenden Räume in den Gastwirtschaften reichten keineswegs aus. Die Marktstandsgelder flossen in längst vergangenen Zeiten teils in die Stadtkasse, wurden aber zum anderen Teil von den ehr­samen Ratsherren verzehrt  „als Ausgleich für deren Mühewaltung.“

Attraktionen

Der verstorbene Euskirchener Heimatforscher Hubert Lückerath erinnerte sich gerne an die jeweiligen Attraktionen der Kirmes. Neben dem obligatori­schen „Haut den Lukas"  oder dem traditionellen Riesenrad imponierte ihm das „Schiffers Museum", das ein halbes Jahr­hundert lang die Kirmesbesu­cher fesselte. Es war ein Zeltbau mit einer vorgelagerten Rampe und einer Wand mit großen Vergrößerungsgläsern, durch die als Buntbilder Neuigkeiten aus aller Welt zu sehen waren.

Etwa 100 Jahre lang konnte man das „Original Kölner Hänneschen-Theater" der Witwe Buschhausen aus Köln auf der Maikirmes finden. Um die Jahr­hundertwende standen  Bänkel- und  Moritatensänger an der Ecke Baum- und Annaturmstraße. Attraktiv war 1935 die Lili­putanerstadt auf dem Kirchplatz, für Euskirchen etwas ganz Neues. Tierdressur,  Schießhallen  und Schiffschaukel,   Raupe und  Selbstfahrer gehörten natürlich auch dazu.

Absoluter     Höhepunkt     der Maikirmes  1899 war das „Hippodrom" auf  dem   Annaturmplatz, das laut Reklame aus  15 gut  zugerittenen Pferden bestand, „worauf  Damen,  Herren und  Kinder  ohne  jede  Gefahr reiten   können".   Somit   hatten weitere    „neuartige    Attraktionen" weniger   Zulauf,   nämlich  ein „Schweine-Karrousel" auf dem Kirchplatz und ein  „Kinematograph" auf   dem   Klosterplatz. Längst sind auch die Zeiten  von „Güls Grand-Theater-Variete" vorbei, wo es Vorstel­lungen  in  der  höheren  Magie, Gymnastik und Turnkunst gab.

Da es vor einigen Jahren große Schlägereien auf der Euskirchener Kirmes gab, stellt sich die Frage, ob dies symptomatisch für diese Veranstaltung in einer ländlich strukturierten Gegend ist. Mit diesem Problem beschäftigte sich bereits eine Sitzung der Bonner Handelskammer vom 7. Dezember 1897. Vor 110 Jahren stand nämlich eine Beschlussfassung auf der Tagesordnung, die nach der Diskussion um „die Frage der Einschränkung der Kirmesfeiern“ vorgesehen war. Im Kleindruck berichtete die Euskirchener Zeitung am 18. Dezember 1897:

(…) Der Vorsitzende berichte, dass 24 größere Firmen des Bezirks um weitere Auskünfte über die Schädigungen, welche durch die Kirmesfeiern veranlasst werden, gebeten worden sind. Darauf sind 23 Antworten eingelaufen. 19 Firmen haben eine Einschränkung der Kirmesfeiern gewünscht, während vier Firmen, darunter drei in Euskirchen, keine Veranlassung haben, über diese Feiern zu klagen, weil für sie nur eine Kirmes in Betracht komme. Von den genannten 19 Firmen werden insgesamt etwa 8189 Arbeiter beschäftigt. De Zahl der durch Kirmessen in diesen 19 Betrieben verloren gegangene Arbeitszeit war beträchtlich!

Demzufolge war wohl das Verhalten der Kirmesbesucher in dem aufstrebenden Zentrum der heimischen Tuchindustrie ordentlich und gab nicht zur Beanstandung Anlass.

Zucht, Ordnung und Sauberkeit der Euskirchener waren im Dritten Reich Euskirchener Maxime. Schon für den Karneval gab es charakteristische Vorschriften, über die ich bereits an anderer Stelle berichtet habe. Vgl. Seit 1840 Karneval in Euskirchen.

Über „Kirmessorgen des Euskirchener Rathauses“ berichtet das Volksblatt am 25. Oktober 1935:

 

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In diesem Artikel wird die auch heute noch vorherrschende Sorge der Verwaltung betont, „ bei Zeiten für Ordnung und Sauberkeit auf den Straßen und Plätzen zu sorgen.“  Der unbekannte Heimatforscher – vermutlich war es der Rektor Peter Simons – zitiert den Beschluss des Euskirchener Stadtrates vom 24.Oktober 1743, „dass denen bürgeren durch den stattdiener angesagt werden solle, dass bei den einstehenden marktag der Dreck von den straaßen unter eines halben goldgulden straf hinwegschaffen sollen.“

Die weitere Sorge galt der „Sicherung der Ordnung und des Bürgerfriedens“, wie aus dem Zeitungsartikel zu entnehmen ist. Somit wollte man „Gängler“ und „Schelme“ nicht auf der Euskirchener Kirmes haben. Da diese „manchmal auf verbotenen Wegen wandelten“, erstellte man daher besondere Ausweise und Bürgerwachen für die Fremdenkontrolle wurden aufgeboten. Diese Männer erhielten „nach gethanem Dienst für den mann 2 quart bier“.

Wie aus dem gleichen Zeitungsbericht von 1935 noch hervorging, machte man sich ernsthaft Sorgen um das Standgeld. Die Schausteller anlässlich der Euskirchener Kirmes 1770 hatten ihre Beiräge nicht unmittelbar an die Stadtkasse abzuführen, sondern mussten sich mit  „Unternehmern“ und „Verpächtern“ herumschlagen, die käuflich diese Funktion erworben und dann wahrnehmen durften. Im Jahre 1906 dagegen ging man marktwirtschaftlich aggressiver vor:  Die Standplätze wurden regelrecht versteigert. Vielleicht sollte sich im Jahre 2007 der Euskirchener Stadtrat ein ähnliches Verfahren auch mal überlegen (?).

Die Durchsicht meines Zeitungsarchivs ergab auch die Höhe des jeweiligen Standgeldes. Die Angabe in der Euskirchener Zeitung vom 24.10.1906 lautet:

Die diesjährige Versteigerung der Jahrmarktplätze ergab die hohe Summe von 2400 Mark. Dazu kommt noch eine Tageseinnahme von den kleinen Ständen in der Höhe von einigen Hundert Mark, sodass  immerhin 2600 Mark an Standgeld unser Gemeindesäckel durch die Kirmes einnimmt.

Die Kreisstadt Euskirchen hat heute etwa 52 000 Einwohner. Es gibt viele „Auswärtige“ und „Zugezogene“, immer weiniger „Einheimische“, die sich in der Euskirchener Stadtgeschichte auskennen. Der Unterricht im Fach Heimatkunde wurde in der Grundschule durch Sachunterricht  ersetzt. Da werden Nachbarschaft und Wir-Gefühl überall postuliert, aber durch Eingemeindungen oder Zuwanderung neutralisiert. Migration, Pendlersystem und Verkrustung in der pädagogischen Tätigkeit der Kirchen verfremden die einstige Intimität und den sozialen Kontakt. So könnte die Heimat- und Regionalforschung am Beispiel der Euskirchener Kirmes einen Beitrag leisten, um die Identität der Stadt Euskirchen „noch einigermaßen“  zu wahren.

Ein Rückblick auf frühere Sitten und Bräuche ist jedoch in der Regel nostalgisch, und die Erinnerung an die „gute, alte Zeit“, als die Euskirchener Kirmes noch nicht organisierte Belustigung und kostspieliges „Entertainment“ war, zeigt, wie sehr sich Bürgersinn und Heimatnähe gewandelt haben. Früher fand die Euskirchener Kirmes nicht nur auf dafür vorgesehenen Straßen und Plätzen statt, sondern „eigentlich überall“, wie mir Hubert Lückerath schon vor 35 Jahren immer wieder  vorhielt. Somit wirkt auch sein Rückblick, den er 1971 verfasste, nostalgisch: 


FHubert Lückerath: „Es ist halt alles ein bisschen teurer –
Erinnerung aus einer alten Beilage zur  Euskirchener Kirmes“

(In: Kölnische Rundschau, Lokalteil Euskirchen, vom 28.10.1971)

 

Reiner Zufall, dass mir gerade die Beilage des ominösen Jahres 1933 in die Hände fiel. Wie lange hat der gute alte „Ratskeller" in frohen und weniger frohen Stunden viele treue Stammgäste und manche Gelegenheitsgäste gesehen und bedient. Nun hat er vor weni­gen Wochen seine Tore geschlossen.

Wie war das doch überhaupt damals so ganz anders als heute. Was die Anzeigen einer Kirmesbeilage alles erzählen können, sollte man gar nicht glauben.

Da erwartet „unser Kolpinghaus" die Gäste zum Kirmesball auf einer neuen erstklassigen Tanzfläche und bietet „beste Ge­tränke ohne Weinzwang". Der Eintritt ist sogar frei. Inzwischen, nach fast vierzig Jahren, bietet das Kolpinghaus keine Tanzfläche, keinen Wein und schon gar keinen Eintritt mehr.

Im Tivoli
Wie gerne erinnern sich die alten Euskirchener an das Tivoli. „Da wird sich alt und jung erfreuen", hieß es damals in der Kirmesbeilage, und diese Ankündigung war kaum übertrieben. Während aller Kirmestage wurde hier etwas ge­boten. Im Saal waren Eintritt und Tanz am Sonntag bis 19 Uhr ganz frei. Am Dienstag während des Marktes wurde ein Frühkonzert geboten, und ein „gutes Mittagessen" stand den Hungrigen schon ab 1 Reichsmark zur Verfügung.

„Im Hasebräu" auf der Commerner Straße, die damals noch nicht mit „K" geschrieben wurde, bot man für drei Kirmestage Kon­zert der erstklassigen Kölner „Accordeon- und Stimmungskapelle Jac. Kessel an nebst Konzert- und Gesangvorträgen des MGV „Liederkranz" und musikalischen Darbietungen der S. A.-Sturmbannkapelle.“

Unterhaltung herrschte auch im „Rheinischen Hof", an den sich die alten Euskirchener so gerne erinnern und der einem Bombenangriff zum Opfer fiel. Ein Doppelquartett hatte an al­len drei Kirmestagen der Gasthof Jägerhof in der Wilhelmstraße verpflichtet. Frau Witwe Wilhelm Jäger bot hier „das Beste aus Küche und Keller, ff. gepflegte Weine und Biere". Auch hier hat sich erst kürzlich ein Wandel voll­zogen. Neue Inhaber werden wohl auch 1971 das Beste zu bieten ver­suchen.

„Treffpunkt ist im Cafe Bonn" wurde gleich in mehreren Anzei­gen einer einzigen Beilage versi­chert. Hier trifft sich heute nie­mand mehr, der guten Kaffee trin­ken oder feinen Kuchen essen will. Das Cafe hat vor wenigen Monaten seine Pforten für Feinschmecker geschlossen.

Wissen Sie noch, wo der Gasthof „Hansa-Eck" damals war? Im er­sten Augenblick wusste ich es auch nicht, bis ich las: Vuvenstraße, Besitzer: Geschwister Thiebach. „An allen Kirmestagen Konzert", heißt es in der alten Anzeige. Muss das damals ein kulturfreudiges Euskirchen gewesen sein! Allüber­all Konzert, Gesangdarbietungen, Chöre „und erstklassige Ka­pellen". Albert Krämer, Kondito­rei, Kaffee, Weinhaus, bot an allen Kirmestagen nicht nur Konzert, sondern verpflichtete als Gast so­gar den Kölner Opernsänger Fritz  Hunding.

Solisten

Als „Altes Konzerthaus am Platze" empfahl sich auch der in­zwischen nicht mehr existierende „Jägerhof" an der Mühlbachstraße unter Abraham Meyer mit einer „erstklassigen Kapelle" mit Solisten.

Aber auch sportliche Attraktionen wurden geboten. Zur Herbstkirmes bot „Marschall Hindenburg" — später ließ man den Marschall weg — auf der Kommerner Straße einen Meisterschaftskampf im Ringen: I. AC Duisdorf gegen I. AC Euskirchen. Dann gab es einen Kirmesball des Euskirchener Athletenclubs, einen Kirmesball des Tambourkorps Germania und einen Festball des E.A.C unter der Mitwirkung von Mitgliedern des Harmonievereins, außerdem an allen Tagen auf einer neu angelegten Legelbahn ein großes Pottkegeln.

Verschwunden ist der historische Zehnthof inzwischen, der Weinbrand und Likör aus eigener Fabrikation anbieten konnte. Ver­schwunden ist der Theater-Verein Constantia, der zum Kirmesmon­tag in die Tonhalle einlud, um mit dem Lustspiel in drei Aufzügen „Die fidele Familie" seine Zu­schauer zu erfreuen. Einheitspreis 0,50 Mark. Das Restaurant Weiler in der Kessenicher Straße existiert als solches heute auch nicht mehr.

Und die Eintrittspreise! Nicht mehr als 20 Pf Eintritt und den üblichen Tanzgroschen verlangte zu jener Zeit der Euskirchener MGV für seinen Großen Festball in der Concordia. „Kein Bierauf­schlag", versprach die Gaststätte „Zur Weststadt", und beim Preis­kegeln in der Gaststätte Hohn auf der Münstereifeler Straße 23 ko­stete das Los nur 20 Pf. Sogar frei war der Eintritt zu einem humori­stischen Konzert des Original-In­strumental- und Gesangsquartetts Lustige Kölner im Gasthof „Zum Burggraf".

Die Düsseldorfer Radschläger waren damals die Sensation in der Gaststätte Kier auf der Kommer­ner Straße. Wer spricht heute schon noch von Radschlägern?!

Stimmung

Überall Musik, überall Attrak­tionen, überall Kirmestrubel; Frühschoppen-Konzert im Hotel zur Post, Stimmungskonzert bei Peter Brodesser, Duo und Komiker an drei Tagen im Restaurant Ge­schwister Schmitz am Rathaus, Konzert mit Tanzeinlagen im Markt-Restaurant mit freiem Ein­tritt und freiem Tanz.

Waren das noch Zeiten? Sicher, das waren noch Zeiten, werden die alten Euskirchener und die vielen Besucher von Erft und Eifel sich erinnern. Sicher sind sie das.

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