Jüdische Gäste in Flamersheim
Ein Sonderbericht des Euskirchener Wochenspiegels vom 28. Juni 1984

Fotos und  Beitrag von H. Hansen
20.02.2008

Zu einem beeindruckenden Erlebnis wurde das, was man mit »Versuch zur Versöhnung und Wiedergutmachung« bezeichnen könnte: das Wiedersehen mit einst im "Judendorf Flamersheim" beheimateten jüdischen Mitbürgern (21.-24. Juni 1984). Was hier damals in einem kleinen Voreifeldorf mit etwa 2.000 Einwohnern geschah, wurde zwar von den Medien aufmerksam verfolgt, hinterließ aber bei allen Beteiligten einen nachhaltigeren Eindruck als dies jemals in einer größeren Gemeinde bzw. in einer anonymen Großstadt möglich ist!

 

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Ehemalige jüdische Mitbürger gemeinsam mit ihren Gastgebern und den Organisatoren bei einer Visite im Kreishaus, wo sie von Landrat Linden, Oberkreisdirektor Dr. Decker und Bürgermeister Bauer herzlich begrüßt wurden. Anschließend stellte man sich dem Fotografen zu einem Erinnerungsbild.

 

flamersheim02Etwa 20 jüdische Mitbürger bzw. deren direkte Angehörigen im Alter von 75 bis 10 Jahren waren angereist, wurden privat beherbergt und bewirtet. Sie lebten bei ehemaligen Freunden, der Haushälterin, dem früheren Sportskameraden oder Dorfbewohnern, zu denen man vor der Diskriminierung durch die Nationalsozialisten einen besonders guten Kontakt hatte. Was sich in und vor den stattlichen Fach­werkhäusern abspielte, wurde vom 3. Programm des Fernsehens ver­folgt und wird am 20. September vom »Landesspiegel« (21.45-22.15) übertragen. Die Radiosendung »Zwischen Rhein und Weser« berichtete live.

Die wenigen offiziellen Veranstaltungen unterschieden sich jedoch wenig von denen anderer Großstädte, selbst - wenn auch die Begegnung mit Bundespräsident Karl Carstens und Bundestags-Vizepräsident Stücklen einen besonderen Eindruck hinterließ. Hier übrigens begegnete man Frieda Daniel verh. Pfeuffer aus Euskirchen-Kirchheim, von der man angenommen hatte, dass sie im Holocaust umgekommen wäre. Diese Begegnung ging den Flamersheimer Juden besonders nahe.Die privaten Begegnungen im einstigen »Judendorf Flamersheim«, das um die Jahrhundertwende   etwa 11% Juden hatte und  somit  im Rheinland eine Sonderstellung ein­nahm, zeigten erstmals, dass nicht Geld, sondern die vertraute Intimität des Ortes derartige Begegnungen zu einem großen Erfolg werden lässt. Da spendierte Metzgermeister Peter Jonas das gesamte Fleisch für Emp­fänge und die Haushalte der Gast­geber; der Flamersheimer Arzt Dr. Stelzer weigerte sich, ein Honorar für  die siebenmalige Behandlung der 75jährigen Else Oster zu nehmen, »da Sie doch Gast im Orte sind«.

Schulklassen trafen sich geschlossen vor den Häusern von Lotte Herz und Erwin Weiss, warteten mehrere Stunden, ehe sie Kon­takt zu ihren ehemaligen Klassenka­meraden  bekamen. Bürgermeister Dr. Hermesdorf (Schleiden) eilte persönlich nach Bonn, um vor der Synagoge seinen  ehemaligen Freund Kurt Weiss zu begrüßen. Dass es in Flamersheim schon immer toleranter als woanders zuging, bewies einmal mehr die ökumenische Arbeit der beiden Pfarrgemeinden, die das Sonntagsprogrammgestalteten. So wurde die Einweihung des Mahnmals auf dem Marktplatz zu einer echten Demonstration der Versöhnung.

Mehr als 50 jüdische Gä­ste, die zusätzlich - teilweise unter beschwerlichen Umständen – am letzten Tag nach Flamersheim angereist waren, erlebten, dass sich der Geist im einstigen „Judendorf“ nicht geändert hatte. Erschüttert mussten der Bonner Synagogenvorsteher Schafgans und Kantor Vida geste­hen, dass sie selten einer derartigen Veranstaltung beigewohnt hatten. Dies war nicht nur durch die Innig­keit der   Programmgestaltung  be­gründet, sondern durch die Tatsache, dass mehrere hundert Bewohner des Dorfes Flamersheim Zeugen der Mahnmal-Ein­weihung auf dem historischen Marktplatz wurden.

Höhepunkt des viertägigen Wiedersehensfestes wurde wohl die Nach­mittagsveranstaltung am   Sonntag im Atrium der modernen Grundschu­le von Flamersheim. Der Bonner Synagogenvorsteher Schafgans führte durch ein festliches Konzert mit kantoralen und jüdischen Gesängen. Nachdem Bürgermeister Wolf Bauer (Euskirchen) den jüdischen Gästen zum Abschied die Wappenteller der Stadt überreicht hatte,  fasste Sigi Oster die Eindrücke der jüdischen Gäste zusammen. Er, dem übrigens sein ehemaliger Fußballverein die Ehrennadel überreicht hatte, meinte, dass  er zurückgekommen  sei,  um Brücken zu schlagen. Die Rückkehr sei ihm sehr schwer gefallen, aber er und seine Freunde kehrten glücklich in ihre Heimat zurück.

Wie schon vorher die Gebrüder Erwin und Kurt Weiss, beide Söhne des einstigen Synagogenvorstehers Arthur Weiss, hob auch er die Arbeit des »JUDAICA« Autors Hans-Dieter Arntz hervor. Er zeichnete den Euskirchener Oberstudienrat mit der aus Israel mitgebrachten Janusz-Korczak-Medaille aus und konstatierte, dass sich dieser Organisator des viertägigen Festes um die »christlich-jüdische und deutsch-israelische« Versöhnung verdient gemacht habe.

Ergreifend wurde der  Abschluss durch  die vielköpfige  Menge,  als sich  die Zuhörer nach  Ende des Konzertes spontan erhoben und jü­dische   Lieder  anstimmten. Höhepunkt war wohl das Lied »Schalom alachem«, bei dem sich alle Teilnehmer bei den Händen nahmen und das demonstrierten, was wohl den Geist dieser beachtenswerten Veranstaltung ausmachte.

 

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Die Flamersheimer Juden, mit Ihren Begleitern Renate und Hans-Dieter Arntz, während des Empfangs beim Bundespräsidenten Karl Carstens in Bonn. (Fotos und Text: Hellmuth Hansen)

 

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