Unter dem Begriff „Genealogie“ versteht man im engeren Sinne laut Wikipedia die historische Hilfswissenschaft der Familiengeschichtsforschung. Umgangssprachlich ist die klassische Ahnenforschung gemeint. Weiterhin wird sie im übertragenen Sinne von den Geisteswissenschaften als eine historische Methode verstanden, welche die geschichtliche Entwicklung verschiedener Sachverhalte der Gegenwart untersucht. Wer sich also mit der Aufarbeitung des Judentums befasst, kommt an dieser Form der Forschung nicht vorbei.
Wenn ich auch selber in den letzten 40 Jahren ein diesbezüglich ergiebiges Archiv erstellt habe, so wächst doch von Jahr zu Jahr mein Respekt vor den Genealogen, die besonders in räumlich überschaubaren Regionen die Existenz und den Verbleib jüdischer Menschen nachweisen und den oft diesbezüglich „entwurzelten“ Angehörigen im Ausland den Nachweis ihrer ursprünglichen Familiengeschichte ermöglichen. Als Dank für die Erstellung des beinahe mosaikähnlichen Ergebnisses werden oft persönliche Begegnungen möglich, die die nüchterne Suche verlebendigen und personifizieren, so dass dies ein kleiner Aspekt der deutsch-jüdischen Aufarbeitung ist. „Der Faden ist also nicht abgerissen!“
Zu diesen Genealogen und Heimatforschern gehört der in Bad Neuenahr-Ahrweiler lebende Matthias Bertram (* 1950), dessen Buch „ ... in einem anderen Land“ in meinen NEWS vom 11. Juli 2015 dargestellt wird. Der Bonner General-Anzeiger stellte es noch vor einigen Tagen, am 21. August 2015, seinen Lesern vor.
In meinen beiden letzten Online Artikeln habe ich mich mit der Familie Heymann aus Euskirchen befasst:
Ursprünglich stammt sie aber aus dem Ahrgebiet - genauer gesagt aus Dernau und Ahrweiler - , so dass mich das Inhaltsverzeichnis und ein entsprechendes Kapitel in Bertrams Buch besonders interessierten:
„Die traurige Geschichte von Ernst-Joseph Heymann, Sohn von Moses Heymann aus der Niederhut, der 1948 als 20 jähriger der Auftrag erhielt, zusammen mit 34 Kollegen, die jüdische Gemeinde in der Altstadt von Jerusalem zu verteidigen“ .
Die Geschichte der jüdischen Familie Heymann wurde in der Ausgabe Nr.35/2015 der Stadtzeitung Bad Neuenahr-Ahrweiler besonders hervorgehoben. Den gesamten zweiseitigen Artikel über die Familie Heymann findet man am Schluss dieses Online-Artikels. Die beiden Originalfotos von der Gefangennahme des Protagonisten Ernst-Josef Heymann (1928-1976) verdanke ich der Curatorin am Museum of Art in Tel Aviv, Ellen Ginton, und Avi Hershberg. Beide sind Nichte/Neffe von Ernst-Josef Heymann. Die Bilder zeigen die Kapitulation vor der jordanischen Armee in der Altstadt von Jerusalem am 28. Mai 1948 nach dem Unabhängigkeitskrieg bzw. dem sogenannten Palästinakrieg. Der 20jährige Ernst-Josef Heymann mit dunklem Mantel steht etwa in der Mitte der 2. Reihe.
(..... ) Meta und Sohn Ernst-Josef erreichten Jerusalem zusammen mit der befreundeten Familie de Boer im Jahr 1938. Ernst-Josef hatte bis 1937 die Volksschule in Ahrweiler besucht und danach bis zur Abreise die jüdische Schule in Siegburg. Als Junge von zehn Jahren kam er im vermeintlich sicheren Palästina an und wuchs in Jerusalem im Haus mit seiner Mutter, seiner Schwester und Selma Bär (aus Ahrweiler) auf. Lotte hatte angewiesen, dass ihr Gehalt, welches sie an der Uni verdiente, in diesen Haushalt floss. Sein Leben nahm einen tragischen Verlauf, als er im Unabhängigkeitskrieg 1948 zu den ca. 35 jungen Männern abkommandiert wurde, die die jüdische Gemeinde in der Altstadt von Jerusalem verteidigen sollten.
Nach zehn Tagen Kampf und Belagerung musste die kleine Truppe sich der jordanischen Armee ergeben. Ernst-Josef wurde Kriegsgefangener in Jordanien (Lager Mafraq). Von einem Fotografen, der sich als arabischer Legionär verkleidet Zugang zur Stadt verschafft hatte, wurde die Kapitulation am 28. Mai 1948 fotografisch festgehalten. Die Fotografien konnten aus Palästina herausgeschmuggelt und veröffentlicht werden(...).
Infolge von Misshandlungen in der jordanischen Gefangenschaft hatte Emst-Josef sowohl physische als auch psychische Probleme. Zurückgezogen lebte er von einer kleinen Pension als Kriegsinvalide. Wenige Jahre später starb seine Schwester Lotte, kurz darauf Mutter Meta. Selma Bär aus Ahrweiler blieb bei ihm und führte, so lange sie konnte, den Haushalt. Nachdem Selma ins Altersheim gekommen war, lebte Ernst-Josef völlig zurückgezogen und isoliert. Etwas zum Essen und zum Lesen bestellte er sich übers Telefon. Bei einem seiner Krankenhausaufenthalte lernte er Sara, eine epilepsiekranke Frau aus einer sehr orthodoxen sephardischen Familie, kennen, Sie heirateten lebten aber, da beide nicht gesund waren, nicht zusammen. Sie hatten ein Mädchen, Miriam Heymann. Ernst-Josef starb schon bald (1976), Sara etwa zur gleichen Zeit. Tochter Miriam Heymann lebt heute mit ihrer Familie in einem sehr orthodoxen Viertel von Jerusalem(...).