Wer zu den Lesern meiner Bücher und regionalhistorischen Homepage gehört, der weiß, dass in den letzten Jahren der besondere Schwerpunkt meiner Forschungen der umfangreichen Dokumentation über Bergen-Belsen und Josef Weiss (1893-1976) galt. In mehrjähriger, ehrenamtlicher Arbeit entstand das Buch Der letzte Judenälteste von Bergen Belsen, das auch international Anerkennung gefunden hat. Es befindet sich inzwischen nicht nur im US Holocaust Memorial Museum Washington und in der Bibliothek des Hauses der Geschichte in Bonn, sondern auch im Jewish Historical Museum sowie in der Bibliothek des NIOD (Instituut voor Oorlogs-, Holocaust en Genocide) in Amsterdam. Die kalifornischen Stanford University Libraries haben inzwischen sogar das 12seitige Inhaltsverzeichnis ins Internet gesetzt, was auch schon die Deutsche Nationalbibliothek vor längerer Zeit getan hat.
All dies erwähne ich nicht unbedingt aus Stolz, sondern um zu erklären, warum nach Erscheinen des 710seitigen Buches viele Korrespondenzen zu führen sind und immer noch wichtiges Material eintrifft, das sich mit dem niederländischen Durchgangslager Westerbork und dem Konzentrationslager Bergen-Belsen befasst. Hierzu gehören auch Zeichnungen, die zum Beispiel das Leben im holländischen „Auffanglager“ Westerbork wiedergeben. Von hier aus wurden 105.000 Juden nach Auschwitz, Theresienstadt und Bergen-Belsen verschickt.
Die amerikanische Familie Hartog machte jetzt einige von ihnen zugänglich, wofür dem Genealogen und Buchautor Stefan Kahlen zu danken ist. Von ihm bekam ich die Erlaubnis, exemplarisch eine besondere Zeichnung im Internet zu zeigen. Die beiden anderen sind jetzt aber auch bei Familienbuch-Euregio im Internet zu sehen.
Die vorliegende Zeichnung stammt aus dem umfangreichen Nachlass von Edith Hartog (1923-2009), die Westerbork, Theresienstadt und den Holocaust überlebte. Es gibt weiterhin ein großartiges Fotoalbum von Edith und vor allem ein 50seitiges Skript für ihren Enkel Max. Tochter Audrey hatte ihrer Mutter Edith versprochen, ihre Erinnerungen festzuhalten....für Max!
Insgesamt drei Zeichnungen fertigte Edith Hartog im November 1943 im Lager Westerbork an, kurz vor ihrer Deportation nach Theresienstadt. Die mit einfachsten Utensilien angefertigten Zeichnungen geben einen eindrucksvollen und aussagekräftigen Eindruck von den persönlichen Verhältnissen in Westerbork wieder.
Mit anderen Dokumenten sollen die drei Zeichnungen in ein Buch einfließen, das allerdings erst frühestens im Jahre 2017 erscheinen könnte, falls sich engagierte Autoren finden sollten. Psychologisch ist interessant, dass nie Hände oder Finger gezeichnet wurden – wahrscheinlich ein unbewusster Ausdruck der Hilflosigkeit, da einem „die Hände gebunden“ waren und man nicht selber agieren konnte.
Edith Hartog wurde am 17.6.1923 als Tochter von Hugo Hartog aus Würselen und Emma Moses aus Weilerswist in Aachen geboren. Nach einer Zeit auf dem Jüdischen Gymnasium Köln floh Edith etwa im Jahre 1937 mit ihren Eltern sowie ihren Brüdern Kurt und Fritz nach Rotterdam. Der Vater Hugo kam dort bei einem Bombenangriff auf Rotterdam 1940 ums Leben.
Nach nur wenigen Monaten in Maastricht wurden Edith und ihre Mutter Emma im August 1942 nach Westerbork deportiert, wo auch ihre Brüder Kurt und Fritz für einige Jahre interniert waren.
Edith heiratete dort hier 1943 ihren ersten Mann Erwin Meyer, von dem sie sich jedoch nach wenigen Jahren wieder trennte. Im Verlaufe des Jahres 1944 wurden Edith, ihre Brüder und die Mutter Emma von Westerbork nach Theresienstadt deportiert. Hier verblieb sie von September 1944 bis Juni 1945. Die dort geschriebene Postkarte und hier publizierte Ansichtskarte an eine Familie in Little Halls, Minnesota, wurde nie abgeschickt.
Das Schicksal der Familie Hartog gleicht leider dem vieler Juden in Europa. Am 28. Oktober des Jahres 1944 erfolgte die Deportation von Emma Hartog nach Ausschwitz; bereits am 30. Oktober 1944 wurde sie dort in den Gaskammern ermordet. Edith wollte unbedingt bei ihrer Mutter bleiben. Es soll Adolf Eichmann gewesen sein, der Edith nach ihrer Bitte, ihre Mutter begleiten zu dürfen, in Theresienstadt brutal zusammengeschlagen hatte, aber dadurch Ediths Transport nach Auschwitz verhinderte.
Im Mai 1945 wurde sie durch sowjetische Truppen in Theresienstadt befreit. Auch ihre Brüder Kurt und Fritz überlebten. Fritz stand auf „Schindlers Liste” und überlebte in einer Schindler-Fabrik in Brünnlitz. In den frühen Nachkriegsjahren emigrierten Edith, Fritz und Kurt in die USA. Im Jahre 1950 heiratete Edith ihren zweiten Mann Ludwig Mayer, zwei Kinder und ein Enkel gingen aus dieser Ehe hervor. Nach einem langen, erfüllten Leben starb Edith Mayer geb. Hartog am 2. August 2009 in den USA. Die traumatisierenden Ereignisse jener Jahre haben sie aber bis zu ihrem Tod begleitet. Die Zeichnung stammt somit aus dem Anfang ihres Martyriums.