Eine Serie von Hans-Dieter Arntz (Teil 9)
Es war, als ob man die Zeit der Ordensjunker" und des imitierten Rittertums noch einmal in aller Pracht darstellen wollte: Der letzte Tag des viertägigen Burgfestes am 21. August 1939 wurde zu feinem gesellschaftlichen Höhepunkt. Bei Fackellicht, in Paradeuniform und Damenbegleitung ioch über dem Urftsee, gab es kindrücke, die den heute noch lebenden ehemaligen „Führeranwärtern" unvergessen geblieben sind. Und dennoch diskutierte man über ein wichtigeres Thema. Nur Stunden vorher hatte der großdeutsche Rundfunk vom geplanten deutsch-sowjetrussischen Abkommen berichtet, das dann auch am 23. August 1939 abgeschlossen wurde.
Fast die gesamte Belegschaft der Ordensburg Vogelsang befand sich am 1. September auf dem Nürnberger Parteitag, als plötzlich die Meldung eintraf, dass sich das Deutsche Reich mit Polen im Kriegszustand befinde. Die Ereignisse überschlugen sich. Bereits in Nürnberg, wo schon erste Musterungen stattfanden, wurde den „Führeranwärtern" bzw. „Burg-Bunkern" befohlen, unverzüglich in die Heimatorte zurückzukehren. Kaum einer kam nach Vogelnang in die Eifel zurück. Die Junker-Ausbildung war somit beendet. Sie hatte insgesamt nur vom 1. Mai 1936 bis zum 1. September 1939 stattgefunden! Es ist bekannt, dass die Ordensjunker" mit einer gewissen Begeiferung, ja, mit Fanatismus in den zweiten Weltkrieg hineinmar-ichierten. Beförderungen und Belichte über ihre Tapferkeit als Frontsoldaten der Deutschen IVehrmacht wurden schnell publik, Burgkommandant Hans Dietel meldete sich ebenfalls zur Front und fiel als Leutnant im Mai 1941 auf Kreta. Durch eine umfangreiche Korrespondenz blieb er mit seinen „Junkern" verbunden. Die Briefe stellen jedoch ein Dokument nationalsozialistischen Fanatismus dar. In Abwesenheit von Hans Dietel leitete Kameradschaftsführer Traut die Verwaltungsarbeit von Vogelsang. Gelehrt wurde nicht mehr, da spätestens im Mai 1940 — mit Beginn des sogenannten Westfeldzuges — deutsche Truppen kurzfristig einkaserniert wurden, Messerschmitt-Staffeln starteten auf dem Flugplatz am Walberhof unaufhörlich in Richtung Westen. Das Lazarett auf Vogelsang war mit Verwundeten überfüllt. Es darf nicht verheimlicht werden, dass ehemalige Junker auch ihren Einsatz hinter den Fronten hatten. Als Gebietskommissare im Osten fanden sie oft ein Betätigungsfeld, das ihrer Ausbildung gemäß war. Der Maßstab ihres Handelns war oft von den Ordensburgen gesetzt worden. Auch der ehemalige Kommandant Richard Manderbach (1936-1939) wurde in der Ukraine eingesetzt.
Auch im Westen hatten sich Mitglieder der Ordensburg Vogelsang im Sinne des national-sozialistischen Terrors bewährt. Ein gutes Beispiel dafür ist der Bereitschaftsleiter und Lehrer für Rassenkunde, Dr. Werner Schw., nach dem ab 1946 wegen Mordes gefahndet wurde. Ab 1941 war dieser Kommandant des kleinen Konzentrationslagers Ommen bei Zwolle in der niederländischen Provinz Overyssel. Dort wurden mehr als zwei Dutzend Häftlinge zu Tode geprügelt. Von Anfang 1944 an leitete Werner Schw. die Jagd auf niederländische Widerstandskämpfer, von denen einige von ihm persönlich oder auf seine Veranlassung hin ohne Gerichtsverfahren erschossen worden sind. Der einstige Gaureferent auf Vogelsang konnte erst nach langen Recherchen gefunden werden. Anfang 1942 machte die Ordensburg Vogelsang einen verwahrlosten Eindruck. Einquartiertes Militär hatte die Räume unansehlich gemacht, Gebäudetrakte wurden geschlossen.
Luftaufnahme bei Kriegsende von dem zerstörten Burggelände. Deutlich sind die Einschläge der Bomben zu erkennen.
Nach einer ausgiebigen Renovierung wurden ab Mai 1942 bis Sommer 1944 einige Kameradschaftshäuser mit Schülern der Adolf-Hitler-Schulen von Franken, Mo selland und der Westmark belegt. Gleichzeitig fand ab 1942 eine Anzahl von „Fremdarbeitern" Beschäftigung im Küchendienst und der Gebäudewartung. Die NS-Frauenschaft Köln-Aachen brachte bei Kriegsende viele Frauen aus den zerstörten rheinischen Großstädten in den Burganlagen unter. Hier fanden sie Schutz vor den schweren Bombenangriffen. Manches Kind wurde in der Redoute, dem ehemaligen Lazarett, geboren. Die englische Feindpropaganda baute diesen Umstand aus und funktionierte in ihren Sendungen die Ordensburg Vogelsang als „Niederlassung des Lebensborn" um. Tatsächlich wurde mancher ehemalige Junker an der Front durch ähnliche Gerüchte verunsichert. Tatsache jedoch ist, dass solche Vermutungen völlig unsinnig waren. Auch Dreiborner Mütter hatten ihre Kinder mit Hilfe des geachteten Arztes Dr. Wunsch in der Burg zur Welt gebracht. Mit Beginn der Ardennen-Offensive am 16. Dezember 1944 erhielt die Ordensburg Vogelsang erneut eine Aufgabe im Aufmarschgebiet der deutschen Truppen. Doch starteten jetzt wesentlich weniger Messerschmitt-Geschwader als 1940, das Lazarett war genauso überfüllt. Aber es gab keine offizielle Burg-Verwaltung mehr. Im Oktober 1944 hatten sich die Angestellten in Richtung Sonthofen abgesetzt. Schon vorher war die große Bibliothek dorthin gebracht worden.
Bomben fielen auf die benachbarte Sperrmauer des Urftsees, in dem 45 Millionen Kubikmeter Wasser gestaut werden konnten. Diese hielt aber stand und blieb erhalten. Viele Bomben jedoch verfehlten ihr Ziel, und manche explodierte auf dem Gelände der Ordensburg Vogelsang. Bei Luftangriffen wurden der große Hörsaal im Hauptgebäude, der rechte Flügel des Adlerhofes und zwei Kameradschaftshäuser total zerstört. Insgesamt wurden jedoch nur 20 % der anderen Gebäude in Mitleidenschaft gezogen. Anfang Februar stand fest, dass die Ordensburg Vogelsang nicht mehr in die Verteidigungsstrategie der Deutschen Wehrmacht einbezogen werden sollte.
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NS-Ordensburg Vogelsang: Irritationen um Aufarbeitung der Geschichte |