Am 19. Februar wandte sich ein Mitglied der vom Regensburger Bischof Dr. Gerhard Ludwig Müller eingesetzten Historischen Kommission zur Bearbeitung der Causa Theresia Neumann (CThN) an mich und bat um Mitarbeit beim zurzeit laufenden Selig- und Heiligsprechungsprozess von Therese Neumann. Die bayerische Bauenmagd wurde weltweit durch ihre Stigmata bekannt. Sie soll auch seit dieser Zeit für den Rest ihres Lebens außer der Kommunion weder gegessen noch getrunken haben. Bei ihren Visionen, die vor allem die Passion zum Inhalt gehabt hatten, soll sie auch in der Lage gewesen sein, aramäisch, die Sprache Jesu, zu hören und anschließend für Sprachexperten verständlich wiederzugeben.
Über die Website zur Geschichte des Gymnasiums Marienschule Euskirchen auf dieser regionalhistorischen Homepage stieß Toni Siegert als Mitarbeiter an der der Causa Theresia auf Informationen über Maria Müller, die Gründerin des einstigen Euskirchener Mädchengymnasiums. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde sie nach ihrer pädagogischen Arbeit auch in kirchlichen Kreisen der Domstadt Köln als Verlegerin bekannt. In diesem Zusammenhang hatte sie Kontakt zu Therese Neumann (1898-1962), ein Umstand, der offenbar als zeitgeschichtliche Rahmeninformation nicht unwichtig ist.
Mit einem Schreiben vom 28.Oktober 2003 bat der Postulator Avv. Dr. Andrea Ambrosi (Rom) um die Eröffnung des Selig- und Heiligsprechungsprozesses „für die Dienerin Gottes Therese Neumann, welche am 18. September 1962 in Konnersreuth im Ruf der Heiligkeit verstorben ist.“
Nach den heute gültigen Rechtsnormen für die Durchführung von Selig- und Heiligsprechungsprozessen sind intensive Nachforschungen über die Schriften und andere Dokumenten, „welche sich auf die Dienerin Gottes, auf ihre Tugenden und ihr gesamtes Leben beziehen, durchzuführen.“ Der Bischof von Regensburg, Dr. Gerhard Ludwig Müller, legte am 19. März 2004 die Zusammensetzung der Historischen Kommission fest, zu deren Vorsitzenden er den Universitätsprofessor Dr. Karl Hausberger aus Regensburg bestimmte. Als Mitglieder und historische Sachverständige der Kommissioin wurden PD Dr. Stefan Samerski und Toni Siegert aus Scheyern ernannt.
Wie bereits gesagt, sollen sich diese Mitglieder der Historischen Kommission der Aufgabe stellen, alle Hinweise auf Therese Neumann zu prüfen. Nach Beendigung dieser Sammlung wird das Fachgremium eine kritische Studie sowohl über die Schriften als auch über die anderen Dokumente vorbereiten und einen Bericht über die geleistete Arbeit verfassen. Dabei spielen die Echtheit der Unterlagen sowie deren tatsächlicher Wert eine große Rolle.
Maria Müller, gebürtig aus Wisskirchen, taucht 1930/31 wiederholt in den diesbezüglichen Akten auf, die zurzeit von der CThN begutachtet werden. Gar nichts ist über ihre Tätigkeit aus der Zeit von 1898-1930 bekannt. In dieser Hinsicht kann die Euskirchener Stadthistorie etwas helfen. Wahrscheinlich sind die folgenden Ausführungen jedoch nur für unsere Region interessant. In der 1978 erschienenen Chronik des Gymnasiums Euskirchen „Unser Weg“ skizzierte ich die pädagogische Arbeit von Anna Müller, die bis 1898 eine höhere Töchterschule in Bergisch Gladbach geleitet hatte. Das Kapitel endete mit der Feststellung:
„Für Euskirchener Mitbürger ist das weitere Schicksal der Vorsteherin Maria Müller und deren Freundin Maria de Rath berichtenswert: beide Damen widmeten sich in Köln dem Journalismus und erwarben 1919 den Verlag Theissing samt der Zeitschrift `Rheinischer Merkur´. Während die bekannte Handarbeits- und Zeichenlehrerin de Rath 1922 in Köln verstarb, wirkte Maria Müller als Geschäftsführerin des St.-Josefs-Vereins GmbH Köln, gab die katholische Zeitung `Vorwärts´ heraus und starb hochbetagt kurz vor Ende des 2.Weltkrieges.“
Genaueres war eigentlich nichts mehr über die Pädagogin und Verlegerin Müller aus Euskirchen-Wisskirchen bekannt. Toni Siegert aus Scheyern, Mitglied der Historischen Kommission zur Bearbeitung der Causa Theresia Neumann (CThN), teilte mir nun am 19. Februar 2008 kurz mit, dass die aus der Voreifel stammende Pädagogin nicht nur journalistisch, sondern auch politisch tätig werden wollte.
Dies wurde besonders in der Zeit 1930/31 deutlich. Damals stand sie in engem Kontakt mit Dr. Fritz Gerlich, der mit Hilfe ihrer St.-Josefs-Druckerei seinen Plan einer katholischen Kampfzeitung gegen die Nationalsozialisten realisieren wollte. Aus verschiedenen Gründen - u.a. wegen des schlechten technischen, herunter gewirtschafteten Zustandes von Setzerei und Druckerei - kam das Projekt dann doch nicht zustande. Fritz Gerlich entschloss sich daher für eine Druckerei in München, wo der "Illustrierte Sonntag" als Vorgänge des "Geraden Weg" gegründet wurde. Am 9.3.1933 wurde er verhaftet und am 30.4.1934 im KZ Dachau ermordet.
Anna Müller hatte damals auch engen Kontakt zu Therese Neumann. Es gibt briefliche Korrespondenz. Mindestens einmal war sie in Konnersreuth und sprach mit der Stigmatisierten.
Anna Müller aus Euskirchen-Wisskirchen (sitzend), Gründerin des Gymnasiums Marienschule Euskirchenund Verlegerin religiöser und politischer Schriften (Foto: Copyright H.-D. Arntz) vor dem Zweiten Weltkrieg. |
In dem Schreiben der Historischen Kommission an mich heißt es dann ergänzend:
Daher besteht eine sachliche Relevanz zwischen Maria Müller und der Causa. Rein formal ist daher in jenen Aktenteilen, die für Rom aufbereitet werden sollen und wo die Frau genannt wird, auch eine kurze Biographie beizulegen. Wir arbeiten uns im Moment durch einen Aktenbestand von ca. 350- bis 500Tsd. Seiten. Neben sämtlichen Bistumsarchiven in Deutschland und Mitteleuropa sind wichtige staatliche Archive im gesamten Gebiet des ehemaligen Deutschen Reiches betroffen. Dazu kommen etwa 6.000 gedruckte Veröffentlichungen zu diesem Fall. Mindestens 1.000 Einzelbiographien sind weltweit zu klären. In vielen Fällen wird man - trotz des Einsatzes moderner Datenbanken - keine Fakten mehr zuordnen können.
Im konkreten Falle der Maria Müller genügt vorerst der wichtige Hinweis auf ihr Umfeld in Euskirchen und Köln sowie Ihre Angabe, dass diese (1897?) damals 37 Jahre alt war. Demnach scheint sie zum Zeitpunkt der Verhandlungen mit Gerlich (1930/31) etwa 70 Jahre alt gewesen zu sein. Das wäre eine Antwort auf die reichlich komplizierten Verhandlungen mit der Frau, die von allen Beteiligten als `schwierig´ und `misstrauisch´ beschrieben wird. Aus hiesigen Akten ist ersichtlich, dass sie wohl eine gute Journalistin, aber wenig erfahren mit Verlagstechnik und Verlagsgeschäften war. Entsprechend marode war ihr Kölner Maschinenpark herunter gewirtschaftet, den sie Ende 1931 dem erfahrenen Journalisten Gerlich und einem Verlagskaufmann präsentierte.
Zitat Gerlich: `Trostlos aber sah es in den Druckereiräumen aus. Hier spottete es jeder Beschreibung. Durch die Dächer regnet es herein. Die Plafonds in den Etagen fallen herunter. Die Maschinen haben Rost angesetzt. Das Schriftenmaterial liegt zum Teil durcheinander geschmissen am Boden und in Stellagen. Maschinenteile sind abmontiert...´.
Rückblick auf die frühere Darstellung der pädagogischen Tätigkeit der Anna Müller
aus der Chronik des Gymnasiums Marienschule Euskirchen:
Am 16. Februar 1898 teilte der königliche Kreisschulinspektor Bürgermeister Selbach mit:
Ein Bedürfnis zur Einrichtung einer Privaten-Töchterschule hierselbst ist durchaus nicht vorhanden. Wir haben hier zwei gute, sechsklassige Volksschulen, die in allen Unterrichtsfächern, in welchen die Töchterschule Unterricht erteilen will, die beiden fremden Sprachen ausgenommen, Vorzügliches leisten (…) Die Einrichtung einer Töchterschule beeinträchtigt unsere Volksschule. Es muss mehr Augenmerk darauf gerichtet sein, unsere sechsklassige Volksschule zu einer siebenklassigen auszubauen. Dies wird durch die Abgabe einer Anzahl Schülerinnen an eine Höhere Töchterschule unmöglich. Ja, der Bestand der sechsklassigen Schule ist hierdurch gefährdet. In den untersten Klassen der Mädchenschule ist die Zahl der Schülerinnen so gering, dass leicht das Eingehen einer Unterklasse herbeigeführt werden könnte (…) Unzufriedenheit könnte außerdem entstehen, da die höhere Töchterschule nur vormittags unterrichtet. So ist kein Abbau der Klassenunterschiede möglich.
Die Sorgen des königlichen Kreisschulinspektors waren teilweise berechtigt. Schon 2 Wochen vorher konnte die Euskirchener Zeitung ihren Lesern mitteilen, dass bereits so viele Kinder angemeldet worden seien, dass die Eröffnung der Höheren Töchterschule zu Ostern 1898 in „sicherer Aussicht" stehe. Am 24. März 1898 erteilte die Königliche Regierung, Abteilung für Kirchen und Schulwesen in Köln, Fräulein Müller die Konzession zur Errichtung der privaten Mädchenschule mit der Auflage, „Hülfslehrpersonen" anzustellen.
Die aus Wißkirchen stammende Pädagogin, die interessanterweise Großtante einer späteren Marien-Schülerin, Agnes Müller, wurde, wies durch Prospekte, Besuche und Zeitungsinserate weiterhin auf ihre „Katholische Höhere Mädchenschule zu Euskirchen" hin. Tatsächlich eröffnete Schulvorsteherin Maria Müller die 2. Höhere Töchterschule Euskirchens am 21. April 1898. Das Schullokal befand sich auf der „Kölner Straße, neben der Wohnung des Kreisphysikus Dr. Schlecht".
Fünf Tage vorher unterrichtete die Euskirchener Zeitung ihre Leser über den Unterrichtsgang:
,...Einrichtung und Lehrplan der Schule wird so sein, dass auch schon Kinder im Alter von 6 Jahren, also mit der beginnenden Schulpflichtigkeit, aufgenommen werden. Die drei unteren Stufen, also die Abtheilungen für Kinder von sechs, sieben und acht Jahren, werden den gesetzlich vorgeschriebenen Unterrichtsgang der Volksschule erhalten. Mit Beginn des vierten Schuljahres folgt der Unterricht dann dem Lehrplan der höheren Mädchenschule und beginnt damit auch zuerst der fremdsprachliche Unterricht, in der französischen Sprache. Der Anfang des vierten Schuljahres kann demnach als der geeignetste Zeitpunkt in die höhere Schule bezeichnet werden für diejenigen Kinder, deren Eltern dieselben nicht von vornherein dieser Schule zuweisen wollen, da bei einem späteren Übertritt das ganze versäumte Pensum durch besonderen Unterricht nachgeholt werden muss. Jetzt bei der Eröffnung der Schule wird der fremdsprachliche Unterricht in allen mittleren Klassen von den Anfangsgründen an vorgenommen werden. Das weitere ist den Prospekten über die Anstalt zu ersehen (. . . ).
Die bisherige Vermutung, dass die von den Ehemaligen so oft zitierte Lehrerin de Rath Mitbegründerin der höheren Töchterschule war, ist nur unter Vorbehalt richtig. Richtig ist vielmehr, dass die examinierte Volksschullehrerin mit Maria Müller seit Jahren innig befreundet war, kontinuierlich Handarbeits- und Zeichenunterricht an der Töchterschule erteilen durfte und sich seit 1898 vergeblich bemühte, eine „Gewerbeschule für Damen" einzurichten.
Die Gründerin des heutigen Gymnasiums Marienschule Euskirchen:
Maria Müller (links); rechts: Maria de Rath
Foto: Copyright H.-D. Arntz
Der Chronist besuchte in Aachen eine noch lebende Schülerin beider Lehrerinnen, nämlich Frau Mieze Moll, geb. Hack. Die 1898 in die höhere Töchterschule eingetretene Schülerin erinnert sich heute noch lebhaft an den intensiven Unterricht und stellte nicht nur Fotomaterial, sondern auch einen lesenswerten Beitrag für diese Festschrift zur Verfügung.
Maria Hack gehörte damals zu den etwa 50 Mädchen, die von Vorsteherin Maria Müller, der Handarbeits- und Zeichenlehrerin Maria de Rath, der Turnlehrerin und Schulamtsbewerberin für mittlere und höhere Schulen Maria Unterharnscheidt sowie der jungen Pädagogin Susanna Kreis vor- und nachmittags unterrichtet wurden, wie es die Vorschriften der Regierung zwingend vorschrieben. Da dem Kreisschulinspektor auch die Aufsicht über die Höhere Töchterschule oblag, fand am 5. März 1899 sowie am 16. April 1900 die obligatorische Revision statt. Sie gibt über Leistungsvermögen von Schülern und Lehrerinnen, über die Struktur und das Curriculum der Anstalt guten Aufschluss:
Königlicher Kreisschulinspektor Euskirchen
16. April 1900
Betrifft Revision der höheren privaten Mädchenschule
Die Revision der höheren Privat-Mädchenschule fand am 6. des Monats statt. Sie zählt 63 Schülerinnen und zwar 52 einheimische und 11 auswärtige. Von diesen sind 54 katholisch, 4 evangelisch und 5 israelitisch. Sie sind in drei Klassen eingeteilt.
Zur Unterklasse gehören die Kinder der drei untersten Schuljahre, im ganzen 14; zur Mittelklasse die des 4., 5. und 6. Schuljahres: 28. Zur Oberklasse die des 7., 8. und 9. Schuljahres: 21. Den Unterricht erteilen die Vorsteherin Maria Müller und zwei für höhere Mädchenschulen geprüfte Lehrerinnen, Katharina Krayer und Josephine Hillenbrandt; diese letzteren sind seit Ostern des Jahres an der Schule angestellt. Den Handarbeitsunterricht erteilt die Lehrerin Maria de Rath. Den Religionsunterricht gibt den katholischen Kindern der katholische Pfarrer, den evangelischen der evangelische Lehrer Pabst und den israelitischen der jüdische Lehrer Dr. Heuberg.(Dr.Heilberg?/d.V.)
Unterklasse:
Lehrerin Krayer. Sie ist für den Unterricht der jüngeren Kinder recht geeignet. Mit gutem Geschick hat sie diese im Lesen, Schreiben und Rechnen gut gefördert und ihnen auch die vorgeschriebenen biblischen Geschichten vermittelt.
Mittelklasse:
Lehrerin Hillenbrandt. Diese ist ernst in ihrem Auftreten und fest und bestimmt in ihren Anforderungen. Der biblische Geschichtsunterricht war gut erteilt. Die Prüfung im Deutschen, im Lesen, Deklamieren und in der Grammatik ergab ein befriedigendes Resultat. Als Aufsätze wurden genommen Diktate, Wiedergabe von Lesestücken, Erzählungen etc. mit hinreichendem Erfolge. Im Rechnen waren die beiden Bruchrechnungen befriedigend vorgenommen worden. Die Leistungen in der Geographie und Geschichte waren recht befriedigend. Mit besonderem Eifer wird der Unterricht im Französischen betrieben. Die Kinder hatten die Hülsverben gut erlernt. Sie hatten eine befriedigende Aussprache und konnten die aufgegebenen Übungen geläuig übersetzen.
Oberklasse:
Vorsteherin Müller. Gute Kenntnis und befriedigendes Verständnis der vorgeschriebenen biblischen Geschichte war vorhanden. Lesen, Deklamieren, Grammatik und Aufsatz befriedigten. Auch waren den Kindern einige der hauptsächlichsten deutschen Dichter bekannt. Im Rechnen hatten sie die bürgerlichen Rechnungsarten befriedigend erlernt. In der Geschichte hatten sie die deutsche und preußische Geschichte und aus der Geographie Europa erlernt. Die Leistungen befriedigten. Im Französischen, in der Grammatik, in der schriftlichen und mündlichen Übersetzung hatten die Kinder gute Fortschritte gemacht. Im Englischen ist ein Anfang gemacht worden.Die Haltung der Kinder in allen Klassen war gut. Sie waren aufmerksam und lebendig beim Unterrichte, ruhig und fleißig bei der stillen Beschäftigung.“
Die Schulvorsteherin Maria Müller genoss bald das Vertrauen der Euskirchener Bevölkerung. Gute Lehrkräfte, solide Arbeit und häufig abgehaltene Elternabende bewiesen, dass die Höhere Töchterschule, die inzwischen ein Haus an der Oststraße gekauft hatte, voll in die „Stadt der Schulen" integriert war.
Weniger der Gesundheitszustand der tüchtigen und ehrgeizigen Schulvorsteherin als der Mangel an wissenschaftlich examinierten Lehrkräften verhinderte den möglichen Ausbau der Anstalt. Im Gegensatz zur ersten Höheren Töchterschule mangelte es dieses Mal nicht an Schülerinnen und Interesse der Eltern. Im Gegenteil, 58 Schülerinnen in drei Klassen nahmen vor den Weihnachtsferien 1903 bewegt von ihren Lehrerinnen Abschied.