Teil 2 (1940-1978)
5. Kapitel: Oberschule für Mädchen (1940 – 1945)
Ostern 1940 - welch eine Umstellung für die Schülerinnen! Als äußerer Rahmen war zwar das alte Schulhaus geblieben, aber von seinen Wänden verschwunden waren die vertrauten Bilder. Nur im Physiksaal hatte das Kreuz auf der geschwärzten Wand sein helles Abbild hinterlassen.
Kommerner Straße: Gebäude der Paritätischen (evangelischen) Mädchenschule Euskirchen
Ein Trost waren die bekannten Gesichter der weltlichen Lehrkräfte, die von der Stadt Euskirchen mit übernommen waren.
Mit der Dominikanerinnenschule verschmolzen wurde die private fünfklassige „Paritätische Mädchenschule“, die 1910 Superintendent Fischer gegründet hatte. Ihre Leiterin, Fräulein Kaibel, trat mit vielen Schülerinnen in die neue Oberschule für Mädchen ein. Kommissarischer Schulleiter wurde Dr. Joseph Steinmetz, der seit dem13.5.1935 am Emil-Fischer-Gymnasium unterrichtete.
Als Studienrat wurde er am 1.4.1940 mit der Leitung der neuen Schule betraut, obwohl er sich nicht um diese Stelle beworben hatte. Nach dem Willen des Schulkollegiums und des Vertreters der Stadt Euskirchen, Bürgermeister Disse, sollte er nach halbjähriger kommissarischer Tätigkeit zum Oberstudiendirektor ernannt werden. Ein solcher Karrieresprung war in der Regel unmöglich und setzte eine nationalsozialistische Haltung voraus. Seine offizielle Ernennung scheiterte jedoch an der Ablehnung der damaligen Parteileitung, die Dr. Steinmetz bald für „politisch unzuverlässig" erklärte. So war Dr. Steinmetz gezwungen, 4 Jahre lang als Studienrat die Stelle eines Oberstudiendirektors ,,i. V." zu bekleiden. Umgekehrt verdankt er dies der Tatsache, dass er nach dem 2.Weltkrieg nicht wie andere ehemaligen Oberstudiendirektoren sofort in den Ruhestand versetzt wurde und seinen Dienst – allerdings nur als Studienrat und erst kurz vor der Pensionierung als Oberstudienrat - ausüben konnte.
Viele Ehemalige bestätigen heute, dass er die christliche Tradition der Schule weiterführte und die Politik - soweit das damals möglich war - von der Schule fernhielt. Sein Protest gegen ein von Nazis geleitetes Internat und die Unterstützung der Rheinbacher Ordensschwestern ließ den politischen Druck gegen ihn immer stärker werden. Es ist anzunehmen, dass nicht nur seine plötzliche Erkrankung, sondern auch die allgemeine Schließung aller Schulen im Herbst 1944
Dr. J. Steinmetz
Vom Oberlyzeum „Sancta Maria“ der Dominikanerinnen gingen folgende Lehrkräfte zur neuen „Städtischen Mädchen-Oberschule“ im Schuljahr 1940/41 über (v. l. n. r.):
Welter, Klein, Plassmann, Bergmann, Dr. Freistedt, Schroers, Geller, Dr. Schmitz, Eltermann
ihn vor der avisierten Absetzung durch die damaligen Machthaber bewahrte. Sein regelmäßiger Kirchgang und seine unangepasste Haltung waren den Nationalsozialisten nicht genehm. Weitere Umstände verhinderten auch nach dem 2. Weltkrieg den verdienten Aufstieg in Führungspositionen.
Aus der Schulchronik 1940/41
Der Unterricht wird am 4. 4. 1940 aufgenommen. Der stellvertretende Anstaltsleiter weist in einer Ansprache auf die Aufgaben und Ziele der neuen Schule hin (…).
Vom 10. 5. bis 17. 6. 1940 kommt mit Rücksicht auf die Luftschutzverhältnisse jeweilig die Hälfte der Schülerinnen täglich zum Unterricht (…). Aus Anlass der siegreichen Beendigung der Flandernschlacht und des ersten Kampfabschnittes im Westen findet am 7. 6. 1940 eine Schulfeier statt.
. . . Der häufigere nächtliche Fliegeralarm erfordert, dass der Unterricht, der ab Schuljahrbeginn in 6 Unterrichtsstunden von 8 bis 13 Uhr durchgeführt worden ist, ab 17. 6. 1940 nach der 5. Unterrichtsstunde schließt. Während der Zeit des Kriegseinsatzes der Schülerinnen, der nachmittags durchgeführt wird, schließt der Unterricht nach der 5. Kurzstunde um 11.25 Uhr (…).Am 25. Juni 1940 findet aus Anlass des Waffenstillstandes mit Frankreich eine Schulfeier statt (…)
Aufgrund der Fliegergefahr beginnen die Sommerferien am 6. 7. 1940. Gemäß Erlass des Herrn Oberpräsidenten stellen sich alle Lehrpersonen, soweit sie nicht aufgrund eines ärztlichen Attestes aus gesundheitlichen Gründen verhindert sind, einen Teil der Ferien zur Erntearbeit zur Verfügung (…). Die schriftliche Reifeprüfung findet am 4. und 5.2.1941 statt (…). Die mündliche Reifeprüfung findet am 11. und 12.3. 1941 unter Vorsitz von Herrn Oberschulrat Herfs statt(…). Lehrkräfte im Winterhalbjahr 1940/41: 19 Damen und Herren.
Themen für deutsche Aufsätze: Kriegshilfsdienst im Sommer 1940 (Kl. 6)(…): „Leutnantsdienst tun heißt: Seinen Leutenvorleben, das Vorsterben ist dann wohl einmal ein Teil davon" (Kl. 6) (…). Der Mensch, ein Glied der Ahnenkette (Kl. 7) (…), Führertum und Kameradschaft als Grundlagen der militärischen Kraft unseres Volkes (Kl. 8) (…). Aufgabe der deutschen Frau im Kriege (Kl. 7 S). Klasse 8: Worin sehe ich die Voraussetzungen zu den beispiellosen Erfolgen in dem uns aufgezwungen Krieg der Westmächte? (…). Nichtswürdig ist die Nation, die nicht ihr Alles setzt an ihre Ehre!
Das zerstörte Euskirchen: Hochstraße (Im Hintergrund das Rathaus)
«Abiturthemen: (…) Welchen Gewinn habe ich aus den Kriegsbriefen gefallener Studenten bezogen? (…) Wie kann die deutsche Frau mitwirken an den Aufgaben unserer deutschen Volksgemeinschaft? (…) Der Sieg des Volksgedankens über den Staatsgedanken. Ein Vergleich zwischen dem Werk Adolf Hitlers und dem Bismarcks (…)."
Nach dem Verkauf des gesamten Schulgeländes der Dominikanerinnen an die NSV wurde das Internat an der Kölner Straße zu einem Amputiertenlazarett. Ursulinen aus Hersel und das Deutsche Rote Kreuz übernahmen die Pflege.
Der seit 1940 an der Oberschule für Mädchen wirkende Hausmeister Eduard Menzel wurde „Einsatzführer von Stadt und Bahnhof". Ihm hat die Marienschule viel zu verdanken. Bei einem Luftangriff mit Brandbomben löschte er das Dachgeschoss „seiner Schule", während seine eigene Wohnung abbrannte. So konnte man den Westflügel und alle Lehrmittel über den Krieg retten. Eine Bombe, die durch mehrere Stockwerke geschlagen war, entschärfte er im Erdgeschoss, ehe sie als Spätzünder das ganze Gebäude in Trümmer legte.
Auch um die Rettung wertvoller Sammlungen ranken sich inzwischen abenteuerliche Geschichten. Bei Kriegsende stahlen junge Russinnen, die als Gefangene zu einem Arbeitskommando zusammengefasst worden waren, was nicht niet- und nagelfest war. Hausmeister Menzel legte das Skelett ( " Emil" )aus dem Biologieraum vor die Kellerräume und zog ihm ein Kopftuch über, wie es die Russinnen zu tragen pflegten. Seit der ersten nächtlichen Begegnung sah man keinen Russen mehr im Keller der zerstörten Städtischen Oberschule!
Da die Großstädte noch mehr als Euskirchen bombardiert wurden, schickten viele Eltern ihre Töchter in die Kreisstadt Euskirchen. So stieg die Zahl der Schülerinnen von 445 (1942) in einem Jahr auf 667. Folgendes Schreiben beweist die Vermutung für die häufige Umschulung:
An den Direktor der Städt. Oberschule für Mädchen
Düsseldorf,
26.9.1942
Herrn Dr. Steinmetz , Euskirchen, Ursulinenstraße 24
,, (…) Nach dem Bombenangriff auf Düsseldorf in der Nacht vom 2. August hielt ich es für ratsam, meine Kinder aus Gründen der Sicherheit so rasch wie möglich in weniger gefährdeten Gebieten unterzubringen (…). Unter dem Eindruck des erneuten Terrorangriffes vom 11. d. Mts. und unter Beifügung eines Anrufs an den Gauleiter richte ich (…)die Frage an Sie, ob Sie meine Tochter (…) als Gastschülerin aufnehmen wollen. Ich bemerke noch, dass die bisher von meiner Tochter besuchte (…)-Schule erheblich beschädigt ist, so dass in ihr vorläufig kein Unterricht abgehalten werden kann.
Mit der Bitte um Rückgabe des Anrufes erwarte ich Ihre Antwort!
Heil Hitler!“
Doch auch Euskirchen wurde immer häufiger von Bomben zerstört. Der Unterricht konnte kaum noch erteilt werden. Im Keller wurden die Fenster zugemauert, um die Schülerinnen vor Glassplittern zu schützen.
Verspätungen der Mädchen aus Bad Münstereifel und Umgebung mussten oft wegen Bombardierungen der Züge in Kauf genommen werden. Auch diesbezügliche Schreiben befinden sich noch in den teilweise vergilbten Schulakten:
Erklärung
14.12.1943
Ich erkläre mich hierdurch einverstanden, dass meine Tochter Ursula bei Vollalarm nach Unter-richtsschluss zur Bahn geschickt wird. Für eventuelle Schäden, die hierdurch entstehen können, mache ich die Schule nicht verantwortlich. (…)
Nur sehr wenige Lehrkräfte der Mädchen-Oberschule von Euskirchen waren von der nationalsozialistischen Ideologie begeistert. Daher kam es zu Entlassungen und Versetzungen. Zwei Lehrerinnen wurden zum Beispiel für ein Jahr nach Luxemburg „ausgetauscht". Es kam aber auch umgekehrt vor, dass eine gewisse Lehrerin regelmäßig zu rassenpolitischen Lehrgängen zur NS-Ordensburg Vogelsang freigestellt wurde…
Der Einfluss auf die Schülerinnen durch die Partei konnte jedoch auch durch kritische Kollegen nicht verhindert werden. Für die heutige Zeit ungemein interessante Schreiben trafen im Sekretariat ein.
Nationalpolitische Erziehungsanstalt
Kolmar-Berg in Luxemburg
16.2. 1943
Die Nationalpolitische Erziehungsanstalt Kolmar-Berg (Luxemburg) hat als feste Zelle des Nationalsozialismus im äußersten Westen des Reiches daran mitzuhelfen, dass ein festes Bollwerk für das Deutschtum besteht. Ich bitte Sie, dass Sie mir aus Ihrer 3. Klasse zwei oder drei Mädel nennen, die bereit sind, sich für diese Aufgabe frisch und fröhlich einzusetzen. Ein Merkblatt der Anstalt lege ich bei.
Heil Hitler
(K. Leiterin)
Weiteres aus dem erwähnten Merkblatt:
,,(…) Als Stätte der nationalsozialistischen Gemeinschaftserziehung hat die Nationalpolitische Erziehungsanstalt für Mädel die Aufgabe, durch eine vielseitige Erziehung dem deutschen Volke Frauen heranzubilden, die in hohem Maße die Haltung verkörpern, die von der kommenden Generation deutscher Frauen gefordert wird (…) Um diese Erziehungsaufgabe erfüllen zu können, nimmt die Anstalt nur gesunde, rassisch und charakterlich einwandfreie und geistig überdurchschnittliche Mädel auf (…).Dirndlkleider bzw. Stoffe für Dirndlkleider sind durch die Eltern zu beschaffen (…)".
Obwohl der Staat immer bemüht war, besonders den Nachwuchs politisch voll zu erfassen, gelang ihm das bei den Euskirchener Schülerinnen nur teilweise. Am 1.6.1943 waren zwar 98% der „arischen" Mädchen in nationalsozialistischen Verbänden, aber etwa 70% von ihnen gehörten zusätzlich kirchlichen Gruppen und privaten Gemeinschaften an.
Aus diesem Blickwinkel muss die folgende „Verpflichtung der Jugend" vom 22. 3. 44 interpretiert werden:
,,Am Sonntag, dem 26. 3. 1944, findet die Verpflichtung der 14jährigen zum BDM statt (…). Die Verpflichtung findet im Concordiasaal um 10.30 Uhr vormittags statt (…). Am Samstag, dem 25. März, nachmittags um 15.00 Uhr ist für diese Mädel ein außerordentlicher Pflichtdienst im HJ-Heim, Gerberstraße 36 (…)
Heil Hitler“
Dann folgt eine klassenweise geordnete Aufstellung der Mädchen.
Die Situation in Euskirchen wurde immer brenzliger. Dennoch ist erstaunlich, mit welcher Gewissenhaftigkeit man - allerdings unter welchen Opfern! - den Unterricht fortsetzte. Bombenabwürfe, Explosionen, Brände . . . Immer zahlreicher wurden die Todesanzeigen, die auf dem Schreibtisch der Schulleitung lagen.
Der Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge teilte der Städtischen Oberschule für Mädchen am 22. 4. 1944 mit:
„Über den auf unser Postscheckkonto (…) eingezahlten Betrag in Höhe von RM 430 haben wir uns sehr gefreut (…). Ihre Schule zählt mit zu den eifrigsten, und es wird für die Kinder ein erhebendes Gefühl sein zu wissen, dass sie durch ihr Opfer mit dazu beitragen, unseren gefallenen Helden Ruhestätten zu bereiten, die schön und ihrer würdig sind (…).
Wochen später wurde die Schule aufgefordert, die Schülerinnen über die Wirkung gewisser feindlicher Bomben zu informieren. Am 14. Juni 1944 erfolgte eine Information über den Terror-Einsatz feindlicher Gleitbomben:
(…)Bombe wird getragen von kleinem Gleitflugapparat mit einer Spannweite von 37 cm (…). Feindflugzeug dreht ab (…). Bombe macht beim Niedergang auf ebenem Boden große Sprünge bis zu 100 m. Detonation erfolgt auf Bodenoberfläche (…) Die Gemeindegruppe Euskirchen (Luftschutzamt) bittet, die Schülerinnen in geeigneter Form darüber zu unterrichten (…).
Ab 20. Juli 1944 setzte das große Bombardement auf Euskirchen ein. Immer größer wurde der Strom der Flüchtlinge, der sich vom Westen her durch Euskirchen ergoss. Immer häufiger wurde der Keller zum Unterrichtsraum. Das in der Schule einst einquartierte Reservelazarett hatte einem Feldlazarett Platz gemacht, und der Schulablauf wurde zwangsläufig immer mehr gestört.
Die Lehrerin und spätere Direktorin der Marienschule, Gertrud Neidhardt (1892-1973), wurde aus ihrem Genesungsurlaub gerissen, da sie vier Tage später (ab 18. 8.1944) den erkrankten Schulleiter für drei Monate vertreten sollte. In ihren sehr aufschlussreichen Tagebüchern hielt sie ihre „Premiere" folgendermaßen fest:
Am 18. morgens fanden sich bei der Flaggenhissung 576 Schülerinnen ein. Durch die Neulinge der 1. Klasse und viele Prüflinge für alle Klassen war diese Zahl ohne die im Einsatz sich befindenden 8. Klassen erreicht(…).
(…) Als ich am 4. September die Schule betrat, hatte sich ihr äußeres Bild sehr geändert: über Sonntag war eine Frontleitstelle eingezogen und hatte im Parterre die Klassen 4, 2, 7 sowie das Büro und im 1. Stock noch drei weitere Klassen im linken Flügel bezogen. Zugleich wurden die Klassen 7 von der HJ zur Betreuung der Schanzjugend am Westwall eingezogen; so dienstverpflichtet verließen sie für 6-8 Wochen die Schule(…).
Beschlagnahmt wurde die Küche. Das Büro zog mit ins Direktorzimmer. Das Konferenzzimmer und der Musiksaal blieben. Gegenüber vom Konferenzzimmer war die Verpflegungsstelle. Das Büro wurde ein „Geheimzimmer", die Klasse daneben die Weiterleitungsstelle. Oben schliefen die Soldaten, die versprengt waren. Die Bankbarrikaden auf den Korridoren wurden immer höher. Zur gleichen Zeit wurden die Angriffe der Tiefflieger auf die Bahnen so häufig und gefährlich, dass (…) Klassen in dieser Woche geschlossen werden mussten.
Da man seit spätestens September 1944 mit einer vollständigen Belegung der Schule durch Wehrmacht und Flüchtlinge rechnen musste, begannen die Lehrkräfte mit der Bergung der wertvollen Bücher in Kisten im Keller. Gertrud Neidhardt setzte ihr Tagebuch fort:
Der Alarm kam so früh und dauerte oft über den ganzen Vormittag; der Beschuss mit Bordwaffen wurde dabei auch in der Stadt immer schlimmer, so dass die Eltern zum größten Teil ihre Kinder nicht mehr schickten. Die Strecke Düren-Bonn war fast eine Woche unbefahrbar, so dass die Kolleginnen von dort nicht mehr kommen konnten. Wir unterrichteten in der wenigen alarmfreien Zeit ganz kleine Restklassen und fragten uns nach dem Sinn dieses Arbeitens.
Endlich kam Ende September 1944 der ersehnte Erlass des Provinzialkollegiums, dass die Schulen zu schließen wären. Die Lehrkräfte bargen noch die Sammlungen, dann gingen auch sie in den Kriegseinsatz. Nur die Hausmeisterfamilie Menzel blieb noch im Gebäude.
Von mehr als 26 Bomben getroffen bot die Städtische Oberschule für Mädchen beim Einmarsch der Amerikaner in Euskirchen (März 1945) ein trostloses Bild. Erstaunlich, mit welchem Gottvertrauen Frau Neidhardt, Studienrätin und stellvertretende Schulleiterin, ihre „Erinnerungen an das Kriegsgeschehen 1944/45" beendet: ,,Deus providebit - Ich habe Gottvertrauen!"
6. Kapitel: Die Nachkriegsjahre (1945-1958)
Die Situation bei Kriegsende war folgende: Das Internatsgebäude war zu 75% zerstört und unzugänglich. Das Schulhaus an der Ursulinenstraße von Volltreffern und Blindgängern, Splittern und Nässe stark mitgenommen. Der Ostgiebel war mit mehreren Unterrichtsräumen, der Westgiebel mit dem 2. Treppenhaus zerstört. Das Dach war größtenteils abgedeckt. Das so genannte „Engelhaus" mit der Hausmeisterwohnung war ausgebrannt. In der feuchten Schulküche im Keller hatte Hausmeister Menzel für sich und seine Familie eine Notwohnung hergerichtet.
Die Stadtverwaltung Euskirchen wünschte die Rückkehr der Dominikanerinnen und kündigte gleichzeitig den nicht auf Lebenszeit angestellten Lehrkräften. Verordnungen der Militärregierung sahen die Eröffnung der Mädchenschule zum I. Oktober 1945 vor. Dr. Steinmetz erhielt von Oberschulrätin Dr. Bardenhewer (Düsseldorf) den Auftrag, den inneren Aufbau der Schule in Angriff zu nehmen. Er war politisch – trotz seiner ehemaligen Position – nicht vorbelastet und genoss wegen seiner aufrechten Haltung das Vertrauen der Verantwortlichen.
Der äußere Aufbau wurde zunächst aus privater Initiative begonnen: Anfang August 1945 wurde durch die Familie Menzel das Treppenhaus der Schule zugänglich und ein kleiner Raum im 1. Stock ,,dicht" gemacht. Die Lehrerinnen Neidhardt und Eltermann begannen mit einer Schülerin die im Keller geborgenen naturwissenschaftlichen Sammlungen in diesem Raum zu säubern und zu inventarisieren. Nach und nach stießen weitere Kolleginnen zu ihnen. Inzwischen hatte sich Gertrud Neidhardt auf Bitten der Oberschulrätin Bardenhewer bereit erklärt, die kommissarische Schulleitung zu übernehmen.
Schulleiterin Gertrud Neidhardt
Nach Scheitern der Verhandlungen mit den Dominikanerinnen beschloss die Euskirchener Stadtverwaltung, die Schule als städtische Anstalt wieder zu eröffnen.
Nun wurden Notmauern errichtet, Fenster aus Bilderglas oder abgewaschenen Röntgenfilmen, eingefasst von Pressfaserplatten, gedichtet; Bunkeröfen wurden aufgestellt. Am 13. November 1945 traten 22 Schülerinnen zum 1. Sonderlehrgang an. Am 10. Dezember wurden bereits alle Klassen mit 328 Schülerinnen unterrichtet. Wegen Raummangel musste der Unterricht oft eingeschränkt werden: die 2. bis 5. Klasse erschien nur an drei, Klasse 1 an fünf Tagen; die Oberstufe täglich.
Dem Chronisten erscheint die Nominierung der ersten Lehrkräfte nach dem 2. Weltkrieg wichtig: Neidhardt, Dr. Steinmetz, Dr. Gräfin Spee, Meyer, Dr. Freistedt, Klein, Gießen, Bergmann, Eltermann, Plaßmann und Geller.
Die Schwierigkeiten, die diese Lehrkräfte meisterten, waren nach heutigen Vorstellungen eigentlich unüberwindbar. Viele Aktenordner zeugen von einem hartnäckigen Kampf mit der Militärregierung. Schulbücher aus der Zeit des Nationalsozialismus mussten vernichtet, Tafel und Kreide besorgt oder Lektüre genehmigt werden; neue Unterrichtspläne wurden vom britischen Bildungsoffizier (Herbst 1945) kritisiert (…). Am 27. November 1945 kämpfte Frau Neidhardt als kommissarische Schulleiterin um den schuleigenen Radioapparat:
An die Militärregierung
27. Nov. 1945
Euskirchen
Betr. Gesuch um Rückgabe des Schulradioapparates an die Oberschule für Mädchen in Euskirchen
Als Euskirchen amerikanisch besetzt wurde, stellte die Leitung der Oberschule für Mädchen das Radiogerät der Schule dem Kommandanten zur Verfügung. Dieser versprach ausdrücklich, das Gerät wieder zurückzugeben, sobald der Unterricht wieder aufgenommen würde. Das Radiogerät ist zurZeit im Hotel Joisten, wo es nach Aussage der Besitzerin, Frau Joisten, kaum benutzt wird.
Da der Unterricht in der Oberschule für Mädchen wieder begonnen hat, ist das Gerät aus folgenden Gründen unentbehrlich:
1. (…). 2. Infolge der Kriegsereignisse besitzt die Schule z. Z. keine Uhr. Im Interesse der auswärtigen Schülerinnen ist es aber unbedingt notwendig, stets die richtige Zeit feststellen zu können und danach die Zeichen zum Schluss des Unterrichts geben zu können (…). 3. Wegen des Fehlens derTagespresse werden eilige, wichtige Mitteilungen durch Radio bekannt gegeben. So konnte z. B. die Schulleitung die Schülerinnen nicht rechtzeitig benachrichtigen, dass der 21. November schulfrei war, und die auswärtigen Schülerinnen kamen umsonst unter großen Strapazen zur Schule.
i. V. Neidhardt
- Studienrätin –
Alle Briefe mussten ins Englische übersetzt und teilweise beglaubigt werden. Die Englischlehrerin musste alle Unterrichtsentwürfe der Kollegen wöchentlich einmal übersetzen und der Kommandantur zur Genehmigung vorlegen. Dann wurden zum Beispiel acht Glühbirnen für die Schule angefordert, wobei genau zu errechnen war, wie lange die tägliche Brennzeit sein würde und welche Räume damit erhellt würden.
Die kommissarische Schulleiterin kämpfte fast zwei Jahre um einen alten Schrank, den sich nach einem Bombenangriff ein Nachbar entliehen hatte. Am 19. November 1945 teilte der Euskirchener Stadtbaumeister im Auftrage des Bürgermeisters der Schule mit, dass mit keinem Fensterglas zu rechnen wäre: (…) In der Stadt wohnen noch rund 600 Familien, die in Küche und Schlafzimmer ohne Glas sind . . . Ebenso ist die angelieferte Dachpappe, wie nachträglich bekannt gegeben wurde, nur zur Bedachung von Wohnhäusern bestimmt“.
Der Schulweg der damaligen Schülerinnen war unbeschreiblich. So berichtete Frau Christel Schorn, geb. Jungbluth:
Im Winter 1945/46 gab es noch keine Bahnverbindung von Weilerswist nach Euskirchen. Die Züge endeten wegen einiger gesprengter Brücken in Großbüllesheim, für uns Fahrschüler ein großes Problem. Dank der Vermittlung von Frau Neidhardt konnten wir zunächst die Gelegenheit wahrnehmen, auf einem überdachten Lastwagen der britischen Besatzungsmacht, der Arbeiter nach Euskirchen brachte, stehend mitzufahren. Bereits um 6.30 mussten wir bei Eis,Schnee und Dunkelheit von zu Hause weg. Später mussten wir den Zug bis Büllesheim benutzen und gingen von dort zu Fuß zur Schule (…). Als der Zugverkehr Anfang März 1946 wieder bis Euskirchen aufgenommen wurde, bedeutete das für uns Weilerswister eine große Erleichterung, obwohl die Fahrt in überfüllten, mit Hamstertaschen und-säcken beladenen Zügen noch bis zur Währungsreform ein Problem blieb.
Auch der Schulweg von Flamersheim her war abenteuerlich. Frau Marlis Lutsch, geb. Jüsten erzählte:
Die wenigen Postbusse zwischen Flamersheim und Euskirchen waren überbesetzt mit Arbeitern und Angestellten, so dass wir 10-14jährigen Schulkinder nie mitgenommen wurden. Unsere Fahrräder hatten eine so miserable Bereifung, dass wir es selten schafften, ohne Panne 8 km biszur Marienschule zu kommen. Damals half einer dem anderen beim Reifenflicken. Wir kamen selten zur 1. Unterrichtsstunde an.
Dann kam der kalte Winter mit viel Schnee und Glatteis. Ein Arbeiter der Gerberei Christian Schaefer in Flamersheim, der Pferd und Wagen besaß, erbarmte sich unser. Er lud uns – die etwa 10 Kinder - jeden Morgen an einer bestimmten Stelle des Dorfes gegen 6.30 auf. Jeder musste sich bei den arktischen Temperaturen eine warme Wolldecke mitbringen, um sich einzuschlagen, denn der Wagen war von allen Seiten offen. Dann ging die Fahrt los, mal über Kuchenheim, mal über Stotzheim. Diese Strecken bestimmte natürlich der sehr robuste Kutscher.
Dass es uns Kindern bei der zweistündigen Fahrt sehr kalt wurde, ist klar. So animierte uns der Kutscher: „So, ühr Penz, jetz wit jesonge,sünst bleve ich stöhn!" Also sangen wir Kinder, so gut und so viel wir konnten, denn der Kutscher blieb wirklich stehen, wenn wir mit unseren vor Kälte zitternden Stimmen zu singen aufhörten.
So ging es also jeden Morgen, etwa vier Monate lang. Mittags aber fuhren wir mit dem Zug nach Stotzheim und liefen zu Fuß die letzten vier Kilometer nach Hause (…).
Unseren heutigen Schülern ist es sicher unbegreiflich, dass der Schulbesuch in den Nachkriegsjahren von der Qualität des Schuhwerks abhing. Noch am 26. September 1947 musste Oberstudiendirektorin Neidhardt dem Stadtdirektor mitteilen, dass die Notlage vieler Schülerinnen unserer Anstalt „das Schuhwerk betreffend“ groß ist. „Schon jetzt müssen sie den Unterricht versäumen, wenn das eine ungenügend verschlissene Paar Schuhe geflickt werden muss. Manche besitzen überhaupt nur Sandalen, und nur die herrschende Trockenheit hat den Schulbesuch ermöglicht. Bei Regenwetter und im kommenden Winter wird es ihnen unmöglich sein, die Schule zu besuchen."
Der Kampf um die Bezugsscheine, gegen Kälte und Hunger: das waren die ersten Nachkriegsjahre! Dennoch konstatieren noch heute alle Befragten, dass das soziale Umfeld, die Kameradschaft und das Verhältnis zum Nachbarn viel besser waren als heute. Aktivitäten der Schule wurden von allen dankbar anerkannt; die Freude am Schulgeschehen war nach den Schrecken des 2.Weltkrieges groß.
Im Schuljahr 1946/47 begann der Aufbau im ehemaligen Internatsgebäude, wieder durch eigene Initiative. Sechs Frauenschülerinnen schafften sich in schwerer körperlicher Arbeit einen Klassenraum, um ihre Klasse wieder eröffnen lassen zu können. Der Unterricht blieb während des ganzen Schuljahres weiterhin eingeschränkt und gestört. Die Sexta begann ihren Unterricht mit fast zwei Monaten Verspätung. Die Herbstferien wurden auf Anordnung der Militärregierung um 14 Tage wegen Seuchengefahr verlängert. Im Winter waren wegen unzureichender Heizung bzw. starker Rauchentwicklung nur sieben Klassenzimmer benutzbar. Oft brachten die Schülerinnen Holz aus den benachbarten Trümmern mit, um die „Bunkeröfen“ in den Klassenzimmern zu „stochen“. Die durchschnittliche Erwärmung der Räume lag bei etwa 6-8 Grad. Wegen des oft einsickernden Regens gab es Ziegelsteine, auf die die Mädchen ihre Füße setzten…
Im Schuljahr 1947/48 wurde im Internatsgebäude zwar eine weitere Klasse hergerichtet, aber der Mangel an Räumen störte den Unterricht doch erheblich. Immer wieder drangen Regengüsse durch das schadhafte, nur mit Pappe gedeckte Dach. Wen verwundert da noch das dringliche Schreiben von Schulleiterin Neidhardt an den Euskirchener Stadtdirektor vom 14. 11. 1947:
Heute Mittag 13 Uhr nach Schulschluss flog vom Dach aus gerade vor den Haupteingang der Schule an der Ursulinenstraße eine etwa 3 m lange Latte, wie sie zum Annageln von Dachpappe benutzt wird. Aus derselben stehen 4 lange Nägel heraus. Nur durch eine glückliche Fügung wurden eine Schülerin und Studienrat Meyer vor Verletzungen bewahrt (…)
Decken und Wände der Klassenzimmer weichten oft auf; die Lichtanlage versagte häufig. Der Sturm schlug den Qualm in die Zimmer. Die verzweifelte Situation kann in der Akte „Notgemeinschaft" nachgelesen werden. In diesem gedruckten „Rundschreiben an die Elternschaft der Schülerinnen der Stadt. Studienanstalt mit Lyzeum und Frauenoberschule zu Euskirchen" vom 11.5. 1948 wurden alle Mängel noch einmal aufgezählt: Nässe in den Klassenzimmern, nicht ausreichende Bunkeröfen, 6 bis 8 Grad Celsius in den Räumen, Fußböden aus Steinplatten, baufällige Giebelwand des Schulgebäudes zur Schulseite (…). Alle Eltern wurden zur Mitarbeit aufgerufen.
Im Rundschreiben Nr. 2 sollte mit allen Kräften der Wiederaufbau der Mädchenschule erwirkt werden. Listen wurden aufgestellt mit Auskunft über die Berufstätigkeit der Väter. Maurer, Zimmerleute etc. wurden aufgerufen, mit Hand anzulegen. Andere Eltern aufgefordert, durch Spenden in Form von Lebensmitteln, Fachleute aus dem Baugewerbe anzulocken und für schnelle Arbeit zu belohnen.
Zum Namenstag erhielt Schulleiterin Neidhardt ein kleines Geldgeschenk zur Anschaffung von Beleuchtungskörpern im Schulgebäude, und das Geburtstagskind Plaßmann war von einem Korb voller Naturalien aus Euskirchens Gemüsegärten begeistert.
Es folgte endlich der Aufschwung nach der Währungsreform im Juni 1948; weitere Räume konnten in einen besseren Zustand versetzt werden. Im Frühjahr 1949 wurden die Ruinen des „Engelhauses“ abgetragen. Das ganze Gelände wurde enttrümmert und nach der Ursulinenstraße hin durch eine Mauer geschlossen. Im Oktober 1949 begann endlich der Wiederaufbau durch die Stadt, und somit nicht mehr durch die Eigeninitiative der äußerst aktiven „Notgemeinschaft". Im März 1950 feierte die Schulgemeinde endlich Richtfest.
Im September 1950 stellte die Generalpriorin der Dominikanerinnen von Arenberg, Mutter Maria Gratia, die letzte Direktorin der Schule, an die Stadt die Bitte, der Schule den alten Namen „Sancta Maria", wenn auch in deutscher Form, wiederzugeben. Der auch avisierte Name „St. Marien" wurde jedoch, um keine zu starke konfessionelle Bindung zu vermitteln, in „Marienschule" umgewandelt. Seit dem 9. 5. 1951 führte das städtische Mädchengymnasium die Bezeichnung „Marienschule, städtisches neusprachliches Mädchengymnasium und Frauenoberschule".
Im Rahmen einer musischen Feier am I. April 1958 wurde Oberstudiendirektorin Gertrud Neidhardt von „ihrer" Marienschule verabschiedet. Nach vier Jahrzehnten pädagogischer Lehramtstätigkeit trat sie in den gesetzlichen Ruhestand. In den vielen Abschiedsreden wurde ihre erfolgreiche Tätigkeit von 1921 bis 1940 am Oberlyzeum St. Adelheid - Privatinstitut in Pützchen bei Bonn - sowie in Euskirchen von 1940 bis 1958 hervorgehoben. Nicht erst seit ihrer Beförderung zur Oberstudiendirektorin der Marienschule am 1. Mai 1947 hatte sie eine große Aufbauarbeit geleistet. Selbst der im September 1958 seiner Bestimmung übergebene Erweiterungsbau der Marienschule ist einzig allein ihre Leistung!
Mit der Pensionierung der beliebten Direktorin ging eine Epoche in der Geschichte der Euskirchener Marienschule zu Ende, eine Epoche, die gekennzeichnet war durch Zerstörung und Aufbau, Hunger und Schulspeisung, Ratlosigkeit, Fleiß und Erfolg. Gertrud Neidhardt war immer stolz darauf, Tradition und Geist der Schule bewahrt zu haben.
In Anwesenheit der Oberschulrätin Clasen überreicht Bürgermeister Kleinertz
der scheidenden Schulleiterin Gertrud Neidhardt ein Geschenk (1958)
7. Kapitel: Innerer und äußerer Ausbau (1958-1976)
Am 7. 5. 1958 übernahm Frau Dr. Auguste Röttger kommissarisch und ab 3.6.1959 als Oberstudiendirektorin die Leitung der Marienschule. Anlässlich ihrer Verabschiedung im Juli 1976 formulierte der Vorsitzende der Schulpflegschaft, Karl-Heinz Dumoulin, die Leistung der Direktorin so: ,, (…) In einer Zeit, in der durch äußere Einflüsse viel Unruhe in die Schule gebracht worden ist, hat Frau Dr. Röttger immer wieder Voraussetzungen für eine kontinuierliche Arbeit geschaffen!"
Aufgrund ihrer katholischen Haltung nahm die Schulleiterin sofort wieder Kontakt zu den Dominikanerinnen von Arenberg auf, die bis 1940 das Bild des Euskirchener Mädchengymnasium geprägt hatten. Diese Kontinuität bewirkte sicher, dass viele ehemalige Schülerinnen ihre eigenen Töchter wieder in die „Marienschule“ schickten.
Mit der Einweihung des Neubaus an der Ursulinenstraße am 27. 9. 1958 hatte schon die äußere, bauliche Entwicklung der Marienschule begonnen. Es folgten die Turnhalle (1961) und der erste Bauabschnitt eines zukünftigen Schulzentrums am Rüdesheimer Ring.
Im Sommer 1973 bezog das „Mädchengymnasium Marienschule Euskirchen“ ein neues Gebäude an der Moselstraße (heute Basingstoker Ring), so dass auch äußerlich der Blick in die Zukunft sichtbar wurde.
Nach nur zweijähriger Bautätigkeit fand 1973 der Umzug „ins Grüne" statt, und lobend hielt die Festrednerin, Oberschulrätin E. Bröcker, die Tatsache hervor, dass Stadt und Planung mit diesem Bauwerk einen „Blick in die Zukunft" getan hätten.
Der innere Ausbau der Schule kündigte sich seit der Saarbrückener Rahmenvereinbarung v. 29./30. 9. 1960 sowie den so genannten Stuttgarter Empfehlungen zur didaktischen und methodischen Gestaltung der Oberstufe vom 28./29. 9. 1961 an.
Nach gründlicher und reiflicher Überlegung entschied sich man sich, ab Schuljahr1974/75 die differenzierte gymnasiale Oberstufe einzuführen. Die Demokratisierung der Schule und die daraus resultierende Vergrößerung allgemeiner „Chancengleichheit" sollte auch an der Euskirchener Marienschule durch Enttypisierung und Durchlässigkeit der Oberstufe, gleiche Gewichtung aller Fächer bezüglich der Lehrinhalte und der Stundenzahl, durch Einführung eines differenzierten Angebots von Grund- und Leistungskursen, durch Durchlässigkeit der Schultypen und punktemäßige Leistungsbewertung ermöglicht werden.
Zur diesbezüglichen Vorbereitung hatte die Anstalt zu Beginn des Schuljahres 1973/74 mit der Reform der „differenzierten Mittelstufe" begonnen, die für Obertertia und Untersekunda einerseits eine zusätzliche Grundausbildung in zu wählenden Fachgebieten, andererseits eine gewisse Spezialisierung in vier Unterrichtsstunden vorsah.
Trotz Reformen, Studentenunruhen, „Emanzipation" der Schüler, Änderungen der Curricula und Drängen nach Mitbestimmung verstand es Dr. Auguste Röttger, mit „lächelnder Zähigkeit" (Stadt-Anzeiqer, Lokalteil Euskirchen), die Marienschule zu einem echten Zentrum gymnasialer Bildung zu machen. Zudem unterstützte sie den deutsch-französischen Jugendaustausch mit Schülerinnen von Charleville, förderte Exkursionen und Bildungsreisen und erhielt die christliche Haltung der einstigen „Sancta Maria". Die große Wiedersehensfeier mit den Dominikanerinnen von Arenberg ging in die Euskirchener Stadtgeschichte ein.
Zum inneren Ausbau der Schule gehörten auch die zaghafte Kooperation mit dem Emil-Fischer-Gymnasium sowie die Einführung der Koedukation (1975/76); Veränderungen, an die sich viele erst gewöhnen mussten.
Am 2. 3. 1977 verlieh Papst Paul VI. der in den Ruhestand getretenen Schulleiterin den päpstlichen Orden „Pro Eclesia et Pontifice". Mit dieser Auszeichnung sollte das Engagement im katholischen Raum auf nationaler und internationaler Ebene anerkannt werden. Seit 31 Jahren ist Dr. Röttger Mitglied im „Verein katholischer deutscher Lehrerinnen" und bekleidet seit 15 Jahren das Amt der Vizepräsidentin des „Secretariat International de l'Enseignement secondaire catho-lique", einst Vereinigung von nahezu allen katholischen Studenten- und Akademikerverbänden in der ganzen Welt.
Mit dem Eintritt in die Gegenwart findet eine Chronik ihr Ende!
Während des Interregnums von Juli 1976 bis Ende Januar 1977 leitete Studiendirektor Volker Piesche kommissarisch die Marienschule. Am 1. Februar wurde von der Dezernentin der Schule, Frau LRSD E. Bröcker, Herrn Oberstudiendirektor Karl Schlesinger die Leitung der Marienschule übertragen.
Ein für die Schule bedeutsames Ereignis war die erste Abiturprüfung nach der neuen Prüfungsordnung. Am 18. Juni 1977 wurden 81 Abiturientinnen entlassen, die erstmals die reformierte gymnasiale Oberstufe in der Sekundarstufe II durchlaufen und sich erfolgreich der neuen Abi-turprüfung unterzogen hatten.
Grundlage der Oberstufenreform und der Abiturprüfung waren die Übereinkunft der ständigen Konferenz der Kultusminister v. 2. 7. 1971, der Einführungserlass des Kultusministers NRW vom 19. 4. 1972 und die Abiturprüfungsordnung vom 21.8.1975. Alle Schülerinnen der Jahrgangsstufe 13 wurden zur Prüfung zugelassen, alle bestanden das Abitur. Diese Tatsache ist wohl nicht zuletzt auf die gezielte Schullaufbahnberatung der Schülerinnen und auf das Bemühen der Lehrer, die Reform durch intensive Information transparent zu machen, zurückzuführen.
Gegenüber dem Jahre 1976 stieg die Abiturientinnenzahl von 54 auf 81, was einer Steigerung von 50% entspricht. Die Abiturdurchschnittsnote der Marienschule verbesserte sich 1977 trotz der Individualisierung der Schullaufbahnen nicht; sie verblieb bei 2,8. Die Durchschnittsnoten der Schüler lagen zwischen 1,3 und 3,7. Die Begründung mag wohl in der gestiegenen Abiturientenzahl zu finden sein. Am Ende des Schuljahres 1976/77 wurden 954 Schüler und Schülerinnen (45 Jungen/909 Mädchen) von insgesamt 91 Lehrern unterrichtet. Im September 1978 werden es etwa 1100 (150 Jungen/950 Mädchen) sein.
In 110 Jahren (1868-1978) hat sich die Marienschule verändert. Aus der einstigen Höheren Töchterschule ist ein modernes Gymnasium geworden, das im geistes-, natur- und gesellschaftswissenschaftlichen Bereich den Anforderungen einer modernen Bildungspolitik gerecht wird, das Mitmenschliche und Erinnernswerte an die Schulzeit aber auch weiterhin zu erhalten bemüht bleibt.
Ende
NACHTRAG: Fotos aus der Chronik „Unser Weg“
des Gymnasiums Marienschule Euskirchen (1868-1978)
1. Fachlehrer im Jahr 1978
2. Frühere Lehrerkollegien
3. Klassenaufnahmen 1948 und 1968
4. Aus der Geschichte der Marienschule
Zu 2.)
Das Kollegium der Dominikanerinnen mit Baumeister Reitz bei der Grundsteinlegung der Turnhalle (1927)
Weltliche Lehrkräfte an der „Sancta Maria“ im Schuljahr
1927/28 (v.l.n.r.): Marx, Dr. Overberg, Schulte, Prof. Altmeyer, Werner, Bergmann, Steuffmehl, Müller, Krug, Dr. Wagner
Vom Oberlyzeum „ Sancta Maria“ der Dominikanerinnen gingen zum Schuljahr 1940/41 folgende Lehrkräfte zur neuen „Mädchen-Oberschule Euskirchen“ über: (v.l.n.r.) Welter, Klein, Plassmann, Bergmann, Dr. Freistedt, Schroers, Geller, Dr. Schmitz, Eltermann
Das Lehrerkollegium der Marienschule im Jahre 1954
Das Lehrerkollegium im Jahre 1957
Das Kollegium 1973/74 beim Einzug in das neue Schulgebäude auf dem Basingstoker Ring
Das Kollegium im Schuljahr 1975/76
Zu 3)
Zu 4) Aus der Geschichte der Marienschule:
Das Oberlyzeum „Sancta Maria“ der Dominikanerinnen in Euskirchen
Die beiden Abiturklassen 1965
Links: Pensionierung von Musiklehrerin Mostert und Oberschullehrerin Elisabeth Geller (1975)
Rechts: In den Ruhestand gingen 1972: Elisabeth Bischof, Pastor Backes und Kunsterzieherin Eltermann
Karneval in der Marienschule
Schüler und Lehrer des Gymnasiums Marienschule Euskirchen im Jahre 1978.
ENDE
LINKS
Aus der Chronik des Gymnasiums Marienschule Euskirchen