Zwei jüdische Zeitzeugen erinnern sich an Rosh Hashana

von Hans-Dieter Arntz
04.10.2011

Prof. Jeffrey R. Chadwick weist in sehr verständlichen Worten darauf hin, wie vielseitig und lebendig die Wege sind, Rosh Hashana zu feiern. In diesem Jahr war dies am 28. bzw. 29. September. Ein diesbezüglicher Blick ins Internet bestätigt anhand vieler Bilder seine Aussage.

 Auch die sich daran anschließenden Hohen Feiertage bestimmen zurzeit das religiöse Leben frommer Juden. Alois Payer meint hierzu:

"Im Gegensatz zu den anderen wichtigen jüdischen Festen sind die 'Hohen Feiertage', 'Furchtbaren Tage', 'Gewaltigen Tage' oder 'Tage der Ehrfurcht' -- Rosch Ha-Schana (Neujahrsfest) und Jom Kippur (der Versöhnungstag) -- nicht mit historischen Ereignissen verknüpft. Auch sind es keine fröhlichen Feste. Die 'Furchtbaren Tage', wie sie genannt wurden, sind rein religiöse Feste, die Gottes Rolle als Richter des Universums feiern. Sie heben nachdrücklich die Begriffe der Moral, der Gewissenserforschung, des Spirituellen und der Heiligkeit in den Vordergrund.“

Zwei Erlebnisse fielen mir spontan ein, die sich mit der Voreifel und Rosh Hashana befassen. Da geht es zuerst einmal um eine Erinnerung an 1932, die ich in meinen Online-Artikeln Prof. Dr. Joseph Walk vom Leo Baeck Institut in Jerusalem erinnert sich an die jüdische Gemeinde von Bad Münstereifel (2007) und Die „Hohen Feiertage“ im jüdischen Kalender – Erinnerung an das einstige Gemeindeleben von Münstereifel (2009) publizierte. Der Eindruck des damals junger Vorbeters – und späteren Direktors des Leo-Baeck-Instituts in Jerusalem - an die „Hohen Feiertage“ in Münstereifel vermittelt eine friedliche Zeit, die noch nicht von Rassismus und Nationalsozialismus gestört wurde.

 

Synagoge in der Orchheimerstraße   Synagoge in der Orchheimerstraße

Die Synagoge in der Orchheimerstraße von Bad Münstereifel (1932). Rechts davon das ehemalige Kaufhaus Simon Wolff. (Repros: Kolvenbach und Arntz)

 

Auf der 1. Etage des linken Fachwerkhauses befand sich bis 1938 die Synagoge von Münstereifel

 

 

Das zweite Erlebnis befasst sich mit Karl Schneider aus Euskirchen, der Rosh Hashana 1942/43 im Ghetto von Riga erlebte. In meiner Publikation im Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins (1982) zum Thema Religiöses Leben der Kölner Juden im Ghetto von Riga (vgl. auch bei shoa.de) heißt es u.a.:

„ ... Roschhaschana war allerdings ein Feiertag, der eine besondere Würdigung wert war. Von Seiten der Gruppenarbeitseinsätze war schon Sorge getragen, dass soweit es möglich war, alle älteren und religiösen Menschen von der Arbeit befreit waren. Aber große Vorsicht war geboten. Im ersten Jahre unseres Exils gelang es einem großen Teil der Außenarbeiter, auf ihren Arbeitsplätzen dem Aufsichtspersonal zu erklären, dass wir den höchsten Feiertag hätten und dass der Kommandant angeordnet hätte, früher als sonst ins Ghetto zurückkehren zu dürfen. Tatsächlich fiel ein Teil dieser Menschen auf diese Angaben herein und brachte seine Juden schon am frühen Mittag ins Ghetto.

Karl SchneiderNachspiel! Nie hätte der Kommandant davon erfahren, wenn nicht verschiedene Arbeitsplätze telefonisch Kontakt mit dem Ghetto gesucht hätten, um sich von der Wahrheit dieser Angaben zu überzeugen.

Dazu muss ich folgendes berichten: Die Juden arbeiteten teils in Privatbetrieben, bei Wehrmachtseinheiten und bei der SS. Bei der SS war es nicht möglich, besondere Vorteile in Bezug auf die Feiertage herauszuholen, wenn auch ein einzelner Mann eventuell geholfen hätte. Aber die Führer hätten es verboten. Keine Arbeit hätte Mord und Totschlag zur Folge gehabt und war zudem gleichbedeutend mit Sabotage! Bei Einheiten der Wehrmacht konnte man es eher erreichen, weil ein Teil der Soldaten und auch der Vorgesetzten unser Verhalten wegen des Feiertages verstehen konnte. Trotz dieses Vorfalles am Rosch Haschana 1942 konnte die oben erwähnte Angelegenheit ohne Folgen aus der Welt geschafft werden.

Im Jahre 1943 wurde es uns aber von unserer Leitung verboten, wieder auf diese Weise früher ins Ghetto zurückzukehren.
Der Festgottesdienst am Rosch Haschana war besonders eindrucksvoll. Der Kantor gab sein Bestes. Außerdem hatten wir einen Gastsänger, einen ehemaligen lettischen Oberkantor, der auch über eine herrliche Stimme verfügte. Erhebend waren die Reden von Rabbiner Ungar und von Leiser. Schofer blies Berthold Simons selten schön. Der Betsaal war immer weit überfüllt, so dass ein großer Teil der Beter im Treppenhaus und bis zum Hof herunter stand und andächtig betete.

Man wird mich fragen, wo alle die Ritualgegenstände herkamen. Die Antwort ist leider zu leicht. Als wir ins Ghetto einzogen, hatten dort – wie schon erwähnt – große Aktionen gegen lettische Juden stattgefunden. Wir übernahmen diese Wohnungen, so wie die armen Menschen sie verlassen mussten, als sie aus denselben vertrieben wurden. Nicht nur Lebensmittel – allerdings in beschränktem Maße –, sondern auch Kleider und Bekleidungsgegenstände jeglicher Art fanden wir vor. So blieb es nicht aus, dass man gerade in dieser Stadt, wo so viele fromme Juden lebten, auch die Bücher und Ritualien vorfand, die man zu jedem Tag und Feiertag brauchen konnte. Interessant war, dass die meisten Festgebetbücher in Zedernholz gebunden waren. Sie enthielten oft Bilder und Inschriften von Palästina(...).

« zurück zum Seitenanfang