Zur ehemaligen Synagoge von Euskirchen: Hilfe für das Euskirchener Stadtarchiv durch eine regionalhistorische Online-Recherche

von Hans-Dieter Arntz
24.05.2008

Unter der Überschrift Stadt Euskirchen – Das Stadtarchiv bittet um Ihre Mithilfe suchen Euskirchener Mitarbeiter seit dem 29. März 2007 eine Bestätigung, dass ein offenbar nicht einzuordnender Ausriss aus einer süddeutschen Zeitung mit irreführender UNTERschrift den Innenraum der ehemaligen Euskirchener Synagoge (1887-1938) zeigt.

 

synagoge_euskirchen01

Frage: Euskirchen?

Antwort: München!

Aus der Suchanzeige des Euskirchener Stadtarchivs

Hauptsynagoge in München von 1887 in der Herzog-Max-Straße

 

Dass es sich eventuell um die Überschrift eines darunter nicht mehr gezeigten Fotos handeln könnte, war offenbar nicht ins Kalkül gezogen worden. Auch die Dimension des gezeigten Gebäudes stimmt nicht mit den längst publizierten Bauplänen des jüdischen Gotteshauses überein. Diese waren bereits im Jahre 1983 auf den Seiten 100/101 des Buches Judaica – Juden in der Voreifel publiziert worden und hätten auch vor 14 Monaten bestätigen können, dass es sich keineswegs um das jüdische Gotteshaus in der Annaturmstraße handeln konnte.

Es gab keine derartigen Seitenfenster, da die Euskirchener Synagoge in einer Häuserzeile stand. Es bestand kein rechtes Seitenschiff oder die Geräumigkeit für so große, beidseitige Bankreihen. Die Baupläne weisen nur durchgehende Sitzgelegenheiten für je10 Personen auf. Richtig ist allerdings, und das beweisen erhalten gebliebene Fotos vom Innenraum, dass in den 1930er Jahren ein kleiner Mittelgang bestand, von dem links und rechts je 4-5 Sitzplätze abgingen. Auch das  hätten die Mitarbeiter des Euskirchener Stadtarchivs unschwer erkennen können.

 

synagoge_euskirchen02
Entnommen aus: Hans-Dieter Arntz, JUDAICA - Juden in der Voreifel, Euskirchen 1983, Seite 101.

 

Insofern hätte man vielleicht die vielen jüdischen Institutionen und Archive befragen können, ohne als Fachkraft der angeblich falschen UNTERschrift des Bildes irgendeine Bedeutung beizumessen. Da man aber offenbar auch keine Kontakte zu Überlebenden pflegt, dürfte eine systematische Archivarbeit unvollständig bleiben. Zumindest könnte Frau Lottie Hillburn (Heilberg) diese Ansicht vertreten, die als Witwe des bekannten Euskirchener Rechtsanwaltes Dr. Leo Heilberg (Lionel Hillburn) über weitere Kontakte in den USA zu ehemals in Euskirchen beheimateten Juden verfügt. Auch andere Kompetenzen wurden nie – erfolgreich - kontaktiert. Hätte man von der Existenz der Bonner Ausstellung „Synagogen in Deutschland – Eine virtuelle Rekonstruktion“ (17. Mai bis 1. Oktober 2000) gewusst, wäre die Suchanzeige des Euskirchener Stadtarchivs sicher unterlassen worden!

 

1. Allgemeine Anmerkungen zur Erinnerung an die „Reichskristallnacht“

Aber eigentlich werden spezielle Fragen angesprochen, die im Jahre 2008 – also 70 Jahre nach der „Reichskristallnacht“ – besonders akut werden könnten: Wie setzen sich – oft junge und ortsfremde – Wissenschaftler oder Mitarbeiter von Archiven mit der tatsächlichen Wirklichkeit der anfänglichen Judenverfolgung auseinander? Stehen ihnen auch Ergebnisse von Recherchen zur Verfügung, die mittels einer systematischen Oral History gewonnen wurden? Haben sie überhaupt persönliche Kontakte zu den jüdischen Überlebenden ihrer Region? Wie werden deren Erfahrungsschatz und deren „Erinnerungsstücke“ gesucht, bewertet und archiviert?

Am Beispiel der Euskirchener Synagoge heißt das zum Beispiel: Warum nimmt man keinen Einblick in die dort vorhandenen Bauakten oder entsprechende Publikationen, die doch im eigenen Hause vorliegen? Jeder „alte“ Euskirchener kannte zudem die Synagoge und könnte heute sofort anhand der Dimension der im Foto gezeigten Synagoge den Standort Euskirchen ausschließen. Paradox ist es, dass mir Mrs. Perry Margoles aus Milwaukee, Wisconsin U.S.A., am 10. Mai 2008 die Seite 154/e meines JUDAICA-Privatmanuskriptes, das ich  1981/82 mit einer alten Schreibmaschine verfasste und nur wenigen Interessenten zugänglich machte, als Kopie zuschicken konnte. Ihr war nie mitgeteilt worden, dass die Collage der Baupläne aus meinem eigenen Archiv stammte.

Ein weiterer Aspekt zielt grundsätzlich auf die zeitbegrenzte und statische Arbeit in Archiven, deren Informationsstand zum Thema Judentum und Holocaust meist 1945 endet. Das bedeutet, dass im Jahre 2008 – in dem wahrscheinlich medienwirksam des Novemberpogroms 1938 gedacht wird -, eine Flut von Publikationen, posthumer Ehrungen und  Gedächtnisfeiern zu verzeichnen sein wird, die auf alten – oder veralteten – Chroniken und Verwaltungsakten beruhen, aber oft nur die Wirklichkeit der damaligen NS-Zeit tangieren.

Problematisch wird die zu erwartende Flut von „Stolpersteinen“ sein, deren Inschriften gelegentlich unvollständig oder gar falsch sind. Natürlich kann man dem verdienten  Kölner Bildhauer Gunter Demnig keinen Vorwurf machen, wenn er auf die Art an die Opfer der NS-Zeit erinnert, indem er vor ihrem letzten Wohnort Gedenktafeln aus Messing ins Trottoir verlegt. Er graviert aber nur die Fakten, die ihm genannt werden. Was ist aber, wenn die Anschrift gar nicht stimmt, die Daten nur aus NS- Verwaltungsakten stammen oder Schicksale gar falsch benannt werden?

So könnten zum Beispiel heute die Bewohner des Hauses Hochstraße 56 (damals Adolf-Hitler-Straße)  verwundert sein, wenn sie wüssten, dass der vor ihrem Hause verlegte „Stolperstein“ zur Erinnerung an Ilse Rolef  dort eigentlich nicht hinpasst. Die heute in Australien und Kanada lebenden Angehörigen des ehemaligen Besitzers, Isidor Marx, verschafften damals vielen Euskirchener Juden eine „Scheinadresse“, die natürlich nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmte – höchstens mit den NS-Akten des Einwohnermeldeamtes und Grevens Adressbuch. Konkret heißt das, dass die kleine Ilse Rolef (1929-1944) schon seit Oktober 1938 längst bei ihren Verwandten in Holland lebte und sogar am 16. Februar 1939 offiziell in Rotterdam angemeldet war. Eine Ummeldung nach Amsterdam erfolgte am 27. März 1939, wo sie unter der Anschrift Rapenburgerstraat 171 nachweisbar ist. Ihre heute in Brüssel lebende Cousine Irene Silberschmidt geb. Rolef bestätigte, dass Ilse Rolef spätestens in der Verfolgungszeit nach der Reichskristallnacht im November 1938 nicht mehr in der Hochstraße 56 gelebt hatte. Weiteres kann man in dem Buch JUDAICA und am Ende einer weiteren Darstellung nachlesen. Ein „Stolperstein“ an dieser Stelle jedoch erinnert an sie,  - was jedoch im Prinzip nie falsch ist. Je häufiger die Erinnerung, desto eindringlicher die Mahnung!

Welchen Sinn haben nun meine kritischen Anmerkungen? Sie betonen den Wert einer systematisch betrieben Oral History und den nicht abbrechenden Kontakt zu einst in der Region beheimateten jüdischen Mitbürger.

Reicht es, wenn man „irgendwo“ erinnert, selbst an der eventuell falschen Adresse? ABER: In der Hektik des Jahres 2008 wird es viele Verwechslungen und Fehler geben, die immer wieder – wahrscheinlich spätestens im Jahre 2018 – von Archiven übernommen werden. Das bezieht sich auch auf die die „Stolpersteine“ für einige Angehörige der jüdischen Familie Schneider in der Klosterstraße 4. Außerdem könnte man in diesem Fall Angehörige der jüdischen Familien zu der Verlegung einladen!

 

2. Die Suche nach der „richtigen“ Synagoge: Es ist NICHT Euskirchen!

Beim Surfen in der regionalhistorischen Internet-Welt stieß ich nun zu Pfingsten auf die erwähnte Suchanzeige des Euskirchener Stadtarchivs. Da man davon ausgehen konnte, dass bisher keine Antwort auf die vor 14 Monaten gestellte Frage eingetroffen war, versuchte ich selber eine Lösung zu finden. Um es kurz zu machen: Die gesuchte Synagoge hat mit Euskirchen überhaupt nichts zu tun, sondern ist die Hauptsynagoge in München von 1887 in der Herzog-Max-Straße  (von A. Schmidt). Die vom Euskirchener Stadtarchiv publizierte Ansicht mit der falschen UNTERschrift wurde von der Frauenempore in Richtung Aron ha-Kodesch fotografiert.

Weniger das Ergebnis, sondern der Weg, wie ich  – mit Hilfe meines Sohnes Carsten – nach kurzer Zeit zu dem Ergebnis kam, beweist, wie hilfsbereit die angesprochenen Archive, Institutionen und jüdischen Zeitzeugen sind und online bei Recherchen unterstützen. Insofern muss ich den etwa 25 angeschriebenen Email-Partnern danken. Viele bestätigten zwar sofort, dass das Gebäude niemals in Euskirchen gestanden haben könnte, waren aber kurzfristig nicht in der Lage, die gezeigte Innenansicht zu lokalisieren. Die Heimatforscherin Ute Metternich (Oberwinter) sowie Mrs Miriam Intrator vom Leo Baeck Institute in New York (Center for Jewish History) waren die Ersten, die die gesuchte Synagoge als die Münchener Hauptsynagoge erkannten. Dies wurde kurz danach von Frau Dr. Elfi Pracht-Jörns und Rita Wagner (Köln) bestätigt.

Dr. Joachim Hahn (Plochingen) sowie Dipl.-Ing. Mirko Przystawik (Braunschweig) und Michael Levi (Australien) erkannten als kompetente Spezialisten das Innere der gesuchten Synagoge und konnten weitere Fotos der Münchener Synagoge zur Verfügung stellen, von denen ich hiermit einige zeigen möchte. Ich danke allen Mitarbeitern und Lesern meiner regionalhistorischen Homepage, denn ihre sofortige Reaktion  und Antwort auf eine spontane internationale Online-Recherche half nicht nur dem Euskirchener Stadtarchiv.

 

3. Zur Verfügung gestellte Fotos und  Links zur Münchener Hauptsynagoge  (1887) in der Herzog-Max-Str.

Dipl.-Ing. Mirko Przystawik von der Bet Tfila-Forschungsstelle für jüdische Architektur in Europa an der Technischen  Universität Braunschweig sowie  Dr. Joachim Hahn von Alemannia Judaica, einer bekannten Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden  im süddeutschen und angrenzenden Raum, stellten einige Fotos zur Verfügung, die die gesuchte Münchener Hauptsynagoge aus verschiedenen Perspektiven zeigen. Derjenige, der die Suche nach der Synagoge als „Online-Wettbewerb“  aufgefasst hat, sollte darauf hingewiesen werden, dass Frau Ute Metternich aus Oberwinter als Erste auf die Münchener Synagoge und auf das abgebildete Farbbild  der TU Darmstadt  hinwies.

 

synagoge_euskirchen03

LINK
link
link
link
link
link

« zurück zum Seitenanfang