Zur Aufarbeitung des NS-Terrors und der Judenverfolgung in Luxemburg

von Hans-Dieter Arntz
06.07.2015

Immer noch und überall in der Welt stellt sich die Frage: Wie verhalten sich Versöhnung und Aufarbeitung zueinander? Kann man historisch überall eine Zuordnung zwischen den beiden Begriffen vornehmen? Und wie kann Versöhnung überhaupt als ein Modell der historischen Aufarbeitung plausibel gemacht werden?

Zumindest dies ist die grundsätzliche Frage, die Prof. Sándor Fazakas (Ungarn) immer wieder stellt. Sie mag auch heutzutage für viele Länder gelten, aber sicher nicht mehr für die deutsch-luxemburgischen Verhältnisse. Die Versöhnung hat bereits unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg stattgefunden. Aber die Aufarbeitung des NS-Terrors und der damit verbundenen Judenverfolgung wurde im Großherzogtum noch nicht vollständig vollzogen, obwohl diesbezüglich vieles in den letzten Jahren getan wurde.

Im Oktober 2014 thematisierte man dort zum Beispiel das Problem der Reflexion über Kollaboration erneut. Aber weiterhin bleibt die Frage auch historisch aktuell: Inwiefern, wo und warum waren Luxemburger damals in deutsche Maßnahmen involviert? Eine bisher kaum gegebene Antwort ist wichtig, denn es gab auch hier viele Verfolgte und Opfer.

 

Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit von Luxemburg

In meinen NEWS vom 1. Dezember 2014 berichtete ich von meinem Besuch der Gedenkstätte Dachau, wo ich in einem Teil der Ausstellung einige Hinweise auf luxemburgische Häftlinge fand. Damit gab es einen kleinen Hinweis auf die Gefangenen, die man aus dem Großherzogtum in das Deutsche Reich deportiert hatte.




Die Ausstellung im ehemaligen Konzentrationslager Dachau erinnerte mich an die inzwischen begonnene Kooperation und persönlichen Kontakte zu Monsieur Henri Juda, Präsident von MemoShoah Luxembourg, der zurzeit mit Historikern und entsprechenden Organisationen die jüngste Vergangenheit von Luxemburg und des deutsch-luxemburgischen Grenzgebietes erforscht bzw. bereits bekannte Sachverhalte vertieft.

In Luxemburg wütete ab 1940 derselbe Terror, Rassismus und Verfolgungswahn wie in den von den Deutschenbesetzten Ländern. Es wäre aber historisch verfehlt, sich auf allgemeine Forschungsergebnisse zu verlassen, denn vieles war auch hier sehr spezifisch und regional bedingt. Dies zu erforschen und vertiefen ist auch die Aufgabe einer luxemburgischen Historikerkommission, die sich zurzeit mit der durchaus noch gängigen Wahrnehmung auseinandersetzt, ausschließlich Opfer Deutschlands und damit in keiner Weise mitverantwortlich für die Schoa zu sein.



Am 31. Oktober 2014 wies Anina Valle Thiele in der Jüdischen Allgemeinen auf eine diesbezügliche Diskrepanz hin:

.... Obwohl der ehemalige Premier Jean-Claude Juncker es bis zum Ende seiner Amtszeit hinausgezögert hatte, sich im Namen Luxemburgs offiziell für die Kollaboration zu entschuldigen, war er doch genötigt, eine Historikerkommission einzusetzen. Zum Jahresende will sie ihren Bericht über die Zeit der deutschen Besatzung und den Umfang der Luxemburger Mitwirkung vorlegen....

Durchaus nicht wenige Juden aus der Voreifel und Eifel sind über Luxemburg in die angebliche Sicherheit geflüchtet und haben schon vor 1940 eine antisemitische Stimmung gespürt und später darüber berichtet. Daher war zum Beispiel die in Differdingen bis zum 2. November laufende Ausstellung „Als Differdingen `judenrein´ wurde. Der Tag, an dem sich unsere Wege trennten“ ein wichtiger Anlass für Diskussionen und Erinnerung. Ich wies bereits in meinen NEWS vom 30.09. 2014 auf die Wichtigkeit der Ausstellung hin. Sie befasste sich mit der Shoah in Luxemburg sowie im nahen deutsch-luxemburgischen Grenzgebiet und dokumentierte dabei auch die Kollaboration von Bürgern von Differdingen. Insofern bezog sie implizit Position im Streit über die „eigene“ Beteiligung zur Zeit der deutschen Besatzung.

Eine Ausstellung in Differdingen widmet sich der Judenverfolgung in der Stadt


Ausstellungsplakate © Claude Piscitelli / Plakate: Kontext.lu


Tatsächlich hatte die Gemeinde Differdingen bereits im vorauseilenden Gehorsam eine Liste aller dort ansässigen Juden angefertigt. Die Informationen, die Differdinger an andere Differdinger weitergegeben haben – etwa, indem lokale Polizisten bereits ab August 1940 Nachbarschaftsumfragen durchführen, um Juden ausfindig zu machen – haben nach und nach erlaubt, dass jüdisches Eigentum konfisziert und Menschen deportiert werden konnten. Ihrem Eifer ist es zu verdanken, dass eine Liste all der Leute, die das Land nach dem September 1939 verlassen haben, angefertigt wurde.

In Differdingen ist damit die Kollaboration weiter gegangen als in anderen Gemeinden. Denn die Einwohner der Südgemeinde haben ihrer Verwaltung schon vor der deutschen Besatzung nicht nur die Namen, sondern auch die Religionszugehörigkeit der jüdischen Auswanderer mitgeteilt. Und sie haben ihnen »gemeldet«, welche Familienmitglieder noch in Differdingen geblieben sind. Bedingt durch eine starke Einwanderungswelle aus Deutschland nach Erlass der Nürnberger Gesetze lebten 1940 rund 90 Juden in Differdingen.....

Zur augenblicklichen Situation

Henri Juda kämpft in Luxemburg für die Aufarbeitung des NS-Terrors, die Geschichte des damals verfolgten Judentums und für die Aussöhnung zwischen den Völkern. Beruflich ist er als Vizepräsident der Credit Suisse Luxembourg tätig, ehrenamtlich jedoch als Präsident von MemoShoah, eine Initiative, die ich bereits in 2 Online-Artikeln auf meiner Homepage vorgestellt habe:

Konzept für die Shoah-Gedenkstätte „Cinqfontaines“ in Luxemburg

MemoShoah in Luxemburg und „Comité de patronage“ zur Erinnerung und Mahnung

Zurzeit erinnern an das damalige Geschehen in Luxemburg erinnern erst einige Gebäude, Museen und Stellen. Diesbezüglich möge man folgenden Hinweis beachten.

In den letzten Wochen hat sich nun wieder einiges getan. Nach dem sogenannten Artuso-Bericht und der Analyse durch die Verfassungskommission entschuldigten sich das Parlament und die Regierung von Luxemburg! Am 5. Juni 2015 hieß es im „Luxemburger Wort“:

Das Parlament wird sich bei der jüdischen Gemeinde entschuldigen. Zu diesem Schluss kamen die Mitglieder des Institutionenausschusses nach langen Beratungen über den Artuso-Bericht. Das Parlament wird das Leid, das der jüdischen Bevölkerung in Luxemburg während des Zweiten Weltkriegs zugefügt wurde, zudem offiziell anerkennen.

Auch die Regierung wird am 9. Juni Stellung beziehen. Premier Bettel wird sich am Dienstag vor dem Parlament bei der jüdischen Gemeinde entschuldigen.

Am 8. Juni wurde auf die bevorstehende Diskussion über die Judenverfolgung in Luxemburg hingewiesen. Léon Marx vom „Tageblatt.lu Online“ diskutierte die „Debatte für die Geschichtsbücher“, die sich tatsächlich kurz danach als eine solche bestätigte:

Das sensible Thema war den Abgeordneten so wichtig, dass in der zuständigen Kommission während mehreren Sitzungen an einem Resolutionstext gefeilt wurde, in der das Leid der jüdischen Gemeinschaft unter der Besatzungszeit durch die Nazis anerkannt und bedauert wird.

Das Parlament entschuldigt sich in der Resolution, die zumindest in der Kommission einstimmig angenommen wurde, formell bei der jüdischen Gemeinschaft für das Fehlverhalten von Teilen der zivilen Verwaltungskommission.

Kollaborationsfreudig: Diese war nach Kriegsausbruch und dem Exil der Regierung im Mai 1940 vom Parlament eingesetzt worden. In Ermangelung klarer Richtlinien zeigten sich einzelne ihrer Vertreter als allzu kollaborationsfreudig (Link) gegenüber der Besatzungsmacht.

Fehlerhaftes Verhalten, das unter die Verantwortung der luxemburgischen Autoritäten falle und für das man sich entschuldigt, wie es in dem Resolutionstext heißt. Notiert wird mit Genugtuung in dem Resolutionstext, dass es laut dem Artuso-Bericht keine offizielle Kollaboration der Exilregierung mit der Besatzungsmacht gab.

Vor dem Einmarsch der deutschen Besatzungstruppen 10. Mai 1940 lebten rund 3700 Juden in Luxemburg. Ende Oktober 1941, nachdem der Gauleiter einen Auswanderungsstopp verhängt hatte, waren es rund 700. Nach Schätzungen wurde ein Drittel der vor dem Krieg in Luxemburg lebenden Juden ermordet.
Folgende Links führen zu aktuellen Artikeln, die sich mit der Aufarbeitung des NS-Terrors, der gelegentlichen Kooperation und der Judenverfolgung in Luxemburg befassen:

Ein Denkmal für die ermordeten Juden

Juden-Verfolgung mit System

Bettel: "Wir waren nicht die Helden"

Die Aufarbeitung des NS-Terrors und der Judenverfolgung in Luxemburg mobilisiert zurzeit nicht nur die Historiker, sondern auch einen nicht unbedeutenden Teil der Bevölkerung. Recht spät – aber keineswegs zu spät – wurden Forschungsprojekte in Gang gesetzt und Aktivitäten gestartet. In Erinnerung an deren schreckliches Schicksal unter der Naziherrschaft von 1940 bis 1945, will „MemoShoah Luxembourg asbl“ sen­si­bi­li­sie­ren und informieren, wobei auch den unschuldigen Opfern anderer Völkermorde und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die weiterhin stattfinden, gedacht werden soll.

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