Im 1. Teil meiner Ausführungen vom 30. Juni 2018 bezüglich des Unterrichtsfaches „Heimatkunde“ in der deutschen Volksschule (1939/40) wiederholte ich, dass Didaktik immer wieder eine Antwort auf die jeweilige Situation einer Gesellschaft ist. Dies konkretisierte u.a. auch in den 1960er Jahren besonders Prof. Möller in seinen Büchern über „neuzeitliche Didaktik“. Anhand einiger mir vorliegender Bücher zur Methodik und Didaktik im 3. Reich habe ich Beispiele herausgesucht, die die politische Indoktrination und ideologische Überfrachtung mit autokratischem Gedankengut belegen. Die Auszüge aus den Büchern (1939-1941) lassen sofort erkennen, dass derartiges in der demokratisch ausgerichteten Nachkriegszeit abzulehnen war. Der eigentlich „gute Ruf“ des Faches Heimatkunde war seit der NS-Zeit stark beschädigt worden. Er konnte auch in den mobilen 1950er und 1960er Jahren - u.a. wegen seiner übertriebenen „Heimat- und Landidylle“ statt einer aktuellen und wissenschaftlichen Orientierung an den Problemen der Gegenwart - nicht mehr wesentlich verbessert werden. Ein exemplarischer Rückblick auf die Zeit 1939/40 ist immer sinnvoll.
Bereits auf der ersten Seite des 275 Seiten starken Bandes „Kamps Handbücher für die praktische Schularbeit“, 3. Band (Das dritte und vierte Schuljahr, 1. Teil, Bochum 1940) fasst Heinrich Bieling die nationalsozialistische Auffassung vom „Unterrichtsfach Heimatkunde“ kurz, bündig und sehr allgemein zusammen: „Der gesamte Unterricht der Volksschule dient der Heimatkunde im weiteren Sinne.“
Dieser Grundsatz beinhaltet als Ziel für das 3./4. Schuljahr die „planmäßige Erfassung der Heimat durch die Schüler“ und ist eigentlich kein Gegensatz zur demokratisch ausgerichteten Pädagogik der Nachkriegszeit. Die damalige Didaktik jedoch erhält sofort einen neuen Sinn, wenn man die einleitenden Gedanken liest, die auf der ersten Seite mit „Grundsätzliches“ betitelt werden:
„Neben dem Heimatgrundsatz tritt schon in der Grundschule das Prinzip der WEHRERZIEHUNG. Schon die Kinder des 1. und 2. Jahrganges hören gern etwas von den Soldaten, die des dritten Jahrganges leben schon den Krieg begeistert mit und erzählen mit leuchtenden Augen von den großen Taten unserer Helden zu Lande, auf dem Wasser und besonders in der Luft. Diese Kinder sehen den Krieg allerdings noch mehr von der Heimat aus. Heimat- und Wehrerziehung sind die beiden Grundsätze der Schularbeit im 3. und 4. Jahrgang.“
Schon auf Seite 10 des o.a. Handbuches wird dem volkskundlichen Aspekt ein erster Platz im Heimatkundeunterricht eingeräumt. Die Familie wird grundlegend als Keimzelle und Ausgangspunkt des Staates apostrophiert. Daher sollte bereits vom Elterhaus und besonders von der Volksschule her eine „rassenbewusste Familienpflege“ bis hin zur „Pflege des Volksgemeinschaftswillen“ erfolgen.
Wörtlich heißt es in dem damals renommierten Handbuch: „Die Familienkunde bildet ja gerade in der Grundschule die wirksamste Ansatzstelle für rasse- und vererbungskundliche Belehrungen.“
Weiterhin soll es bei der praktischen Schularbeit detailliert um Themen wie „Unsere Familie“ sowie „Die Familie als Arbeitsgemeinschaft, Schicksalsgemeinschaft, Blutsgemeinschaft“ (S.10 bis 15) oder spezielle Lesestücke (S.22 ff.) gehen. Unterrichtsreihen – wie zum Beispiel „Die Kreisgemeinschaft“ – sehen u.a. sogar eine antisemitische und judenfeindliche Indoktrination vor (S.101).
Auf Seite 143 befindet sich eins der vielen Gedichte, die jährlich zum 20. April vom Grundschulkind zu „Führers Geburtstag“ gelernt werden sollen.
Die methodisch-didaktische Anweisung für den Volksschullehrer lautet: „Von den Führersprüchen unseres Lesebuches prägen wir ein die Sprüche 2, 3 und 8, weil sie die verbreitetste Stimmung am ehesten vertiefen. Dann zeichnen und malen wir: Unsere Fahnen und Banner. Ein fein geschmücktes Blatt mit einem der Führerworte…!“
Besonderen Wert legte man im nationalsozialistischen Heimatkundeunterricht auf die „völkische Feier und lebendige Gegenwart“ (S.171). Zu dieser Thematik steuerte im Jahre 2009 die Grund- und Hauptschullehrerin Amrei Arntz (verh. Flaming-Arntz) zwei wichtige Artikel bei, die sich mit dieser spezifischen Thematik befassen:
Beide - für den Rahmen meiner Homepage leider zu ausführlichen und daher gekürzten – Online-Beiträge fanden damals bei den Lesern meiner Homepage große Beachtung. Sie wurden teilweise sogar inhaltlich für den Kurzspielfilm „Der kleine Nazi“ berücksichtigt. Amrei Arntz stellte detailliert dar, wie Advent und Weihnachten im Nationalsozialismus „umfunktioniert“ wurden. Sie begründete, warum auch diese „typisch deutschen“ Bräuche und Sitten einem historischen Wandel unterliegen und im Heimatkundeunterricht einen wesentlichen Wert haben sollten.
Diesbezügliche Rituale und Riten sollten einstudierte „Angewohnheiten“ sein, die einen absoluten Bezug zur deutschen, nationalsozialistischen Gemeinschaft hatten: „Brauchtum ist gemeinschaftliches Handeln, durch Tradition bewahrt, von der Sitte gefordert, in Formen geprägt, mit Formen gesteigert, ein Inneres sinnbildlich auszudrücken, funktionell an Zeit oder Situation gebunden.“ Diese Ziele verfolgte der Nationalsozialismus schon ab 1933.
Die o.a. gekürzten Online-Artikel von Amrei Arntz beweisen, dass man bereits im Jahre 1934 das „Jesuskind“ durch den neuen „Heiland Hitler austauschen“ wollte. Die umfangreiche historische Darstellung der Pädogogin war im Jahre 2009 insgesamt noch nicht abgeschlossen, so dass in den beiden o.a. Online-Artikeln auch bewusst auf den Abdruck der vielen Fußnoten verzichtet wurde.
Zurück zum Thema: Schulkinder spielen gerne. Wie sollte dies zum Beispiel im „Heimatkundeunterricht“ in Form von Schulfeiern oder Spielen berücksichtigt werden?
Alle für die Eifel und Voreifel vorgesehenen Schulbücher und Anweisungen für deutsche Volksschullehrer auf der Basis der Richtlinien vom 15. Dezember 1939 heben die massenmediale Beeinflussung der Institutionen Familie, Kindergarten und Volksschule hervor. Selbst diesbezüglich spielte der bereits erwähnte „Wehrunterricht“ eine wichtige Rolle. Demzufolge wird unterschwellig das Soldatische und „Heldische“ - selbst bei Texten und Gesellschaftsspielen - für die Vorweihnacht didaktisch berücksichtigt.
In ihrem Buch „Schule im Nationalsozialismus" ergänzt übrigens Elke Nyssen, dass neben Radiosendungen „eine kaum mehr zu übersehende Vielzahl von Zeitungen, Heften, Büchern und Jahrbüchern von und für HJ" erschienen, „die alle der totalen ideologischen Beeinflussung des Jugendlichen dienen sollten".
Würfelspiel „Wir fahren gegen England“ und „Zinn-Pimpfe“ als Weihnachtsgeschenke (aus: Sonderdokumentation Nr. 2 des Verlags für geschichtliche Dokumentation, Hamburg o.J., S. 42 und 44)
Prof. Kölsche und der Oberregierungs- und Schulrat Nitschke publizierten auf etwa 290 Seiten ein „Handbuch für Junglehrer und Junglehrerinnen zur Weiterbildung und zur Vorbereitung auf die 2. Lehrerprüfung“ (Kamp Verlag, Bochum 1941). Es beinhaltet die inzwischen vollständige Umgestaltung des deutschen Volksschulwesens und die Neuordnung für kommende Examina. Besonders die NS-Verpflichtungen, die ab S. 282 ff. als „Innere Schulangelegenheiten (Unterricht)“ schon beinahe vertraulich wirken, weisen immer wieder der Vererbungslehre und Rassenkunde eine verpflichtende Bedeutung zu. Wer heutzutage tatsächlich noch eine nationalsozialistische Pädagogik loben sollte - wo es noch „richtiges Deutschtum sowie Zucht und Ordnung“ gab -, der befasse sich mal intensiv mit den Anweisungen (auch für den Heimatkundeunterricht) für damalige Junglehrer:
… hat vor allem darauf hinzuweisen, dass der Schüler den Unterschied zwischen Rasse und Volk und weiter die Begriffe Nation, Sprach-, Kultur- und Bekenntnisgemeinschaft klar erfasst. Bei der Besprechung der europäischen Rassen und insbesondere der Rassenkunde des deutschen Volkes muss das nordisch bestimmter Rassengemisch des heutigen deutschen Volkes gegenüber andersrassischen fremdvölkischen Gruppen, besonders also dem Judentum gegenüber, herausgestellt werden.
(…) Die Gefahren der Rassenmischung mit fremdartigen Gruppen, besonders solchen mit außereuropäischen Bestandteilen, sind ausdrücklich darzustellen (…). Jede Vermischung mit wesensfremden Rassen (leiblich oder geistig-seelisch) bedeutet für jedes Volk Verrat an der eigenen Aufgabe und somit am Ende Untergang.“
Wenn vielleicht auch heute wieder ein stärker „Heimatbezug“ gewünscht wird - und sogar die gelegentliche Forderung nach einem allerdings reformierten Heimatkunde-Unterricht geäußert wird -, so sollte natürlich auch der mobilen und globalen Veränderungen Rechnung getragen werden. Aber viele Kinder von Neubürgern und Zugezogenen fühlen sich heutzutage recht fremd in ihrer neuen Gemeinde und Schulbezirk. Was sollte an einer „wertfreien, demokratisch ausgerichteten Heimatkunde“ falsch sein?
Dass für das Grundschulkind weiterhin ein persönlicher Bezug zu seiner Familie, Umgebung und seiner „Heimat“ bleiben sollte, dürfte m. E. nicht abgelehnt werden!
Ein Unterrichtsfach Heimatkunde in der heutigen Grundschule der bundesrepublikanischen Bundesländer ist vielleicht doch nicht so abwegig, zumal in einer Zeit, in der es sogar „Heimat-Ministerien“ u.a. gibt.