Wiedersehensfeiern - sogenannte „Reunions“ - mit ehemals hier beheimateten jüdischen Mitbürgern sind oder waren häufig bewegend. Das erste größere Treffen in unserer ländlich strukturierten Region der Eifel und Voreifel war 1984 in Euskirchen-Flamersheim. Es wurde teilweise vom Fernsehen übertragen und galt als beispielhafter „Brückenschlag“, der auch so vom damaligen Bundespräsidenten gewürdigt wurde. Das Engagement unzähliger Dorfbewohner und die Bereitschaft der eingeladenen jüdischen Gäste, sich „versöhnen zu lassen“, war beeindruckend. Sie waren zwar privat in Flamersheim untergebracht, aber dennoch auf eigene Kosten angereist.
Das war ein Jahr später im Eifelort Kommern schon etwas anders. Den Schock, dass wirklich nicht jedes Bemühen himmelhochjauchzend begrüßt wurde, mussten die Eifelbewohner damals erst mal verdauen. Dies machte ich später in meiner 4-teiligen Online-Serie deutlich:
Wie die Juden von Kommern endlich zu ihrem Gedenkstein kamen
Die 4 Teile sollten en detail die rührigen und ernstgemeinten Bemühungen der Dorfbewohner von Kommern und das Ergebnis nachvollziehen. Wir lernten damals, dass nicht jeder jüdischer Gast 1985 willens oder finanziell in der Lage war, auf eigene Kosten in seine ehemalige Heimat zurückzukehren, die er jahrzehntelang als „Täterort“ betracht hatte. Dagegen war das Budjet benachbarter Städte manchmal Ursache eines Anreisebooms aus aller Welt, was heute aus verschiedenen Gründen nicht mehr möglich ist.
Wie ich später hörte, waren unsere Erfahrungen oft für andere Gemeinden ein sinnvoller Wegweiser für ähnliche Veranstaltungen. Aber viele Hintergründe hielt ich damals bewusst zurück, um die in Bewegung gekommene Versöhnungsarbeit in der Eifel und Voreifel nicht zu gefährden.
In einem Online-Artikel vom 7. August 2011 erwähnte ich Frau Gisela Fobar geb. Teller, deren Familie in den 1930-er Jahren der Judenverfolgung durch eine Emigration entging. Aus einem jüdischen Seniorenzentrum in New York kam neulich ihre Email-Nachricht, dass sie sich mit einer anderen jüdischen Dame über ihre jüdischen Wurzeln in Gemünd und das Buch Judenverfolgung und Fluchthilfe unterhalten hätte. Dabei erinnerte sie sich an die Hintergründe, die die „Reunion“(1992) in Schleiden und Gemünd in einem besonderen Licht dastehen lassen. Das nun erneut gesichtete Material bestätigt nach etwa 20 Jahren, dass die Wiedersehensfeier mit den „ehemaligen jüdischen Mitbürgern“ zur damaligen Zeit nicht unbedingt erwünscht war und dass die eigentlichen Hintergründe in die Zeit 1988-1990 zurückgehen. Nach mehr als 2 Jahrzehnten - auch im Sinne eines ehrlichen, regionalhistorischen Rückblicks – soll der gesamte Vorgang der damaligen Initiative noch einmal dargestellt werden. Das Ergebnis ist, dass es gelegentlich große Probleme bei derartigen „Versöhnungsfeiern“ gab!
Wunsch nach einer Rehabilitierung der Gemünder Juden (1989/1990)
Die Arbeiten an meinem Buch Judenverfolgung und Fluchthilfe im deutsch-belgischen Grenzgebiet ermöglichten viele Kontakte zu einigen im Ausland lebenden jüdischen Überlebenden, sodass ich im Jahre 1989 auch dem Schleidener Stadtrat vorschlug, die ehemaligen Mitbürger einzuladen. Gleichzeitig war ich um die Rehabilitierung von drei jüdischen Sportschützen bemüht, die nach der „Machtergreifung“ aus dem Gemünder Schützenverein ausgestoßen worden waren. Aber auch meine zusätzliche und berechtigte Kritik an der Inschrift eines fehlerhaften Gedenksteins in Schleiden sowie eine diesbezügliche Darstellung in der o.a. Dokumentation brachten es mit sich, dass die Voraussetzung für eine Einladung „ungünstig“ war. Eine Liste der möglichen Gäste war bereits eingereicht worden. Aber die Zeit verstrich! Im November 1990 ging ich in die Öffentlichkeit und wandte ich mich an die Presse. Die Kölnische Rundschau, Teil Schleiden und das Eifelland, veröffentlichte folgenden Artikel am 5. November 1990:
Beleidigte Kommunalpolitiker fühlen sich“Vorgeführt“ und „abqualifiziert“ (1991)
Da die Überschrift in der Kölnischen Rundschau vom 5. November „Juden bitten um Treffen in Schleiden“ lautete und eine vorläufige Ablehnung die jüdischen Überlebenden selber treffen musste, argumentierten die Schleidener Ratsherren, die auch das eingemeindete Gemünd zu vertreten hatten, dass man „ein gestörtes Verhältnis“ zu mir als Buchautor und Initiator des avisierten Treffens habe. Der Kölner Stadt-Anzeiger, Eifeler Land, ergänzte am 1./2. Juni 1991, dass „nun `Funkstille´ zwischen Arntz und Schleiden“ sei, bestätigte aber die Übergabe wichtiger Anschriften und die ersten Kontakte zu möglichen Gästen. Angeblich sei „Herr Arntz bei organisatorischen Fragen behilflich“:
Erneut gab es in den nächsten Stunden Irritationen, da ich öffentlich die Vermutung geäußert hatte, dass eine Einladung der Juden „bewusst verhindert würde.“ Gleichzeitig wiederholte jedoch die Kölnische Rundschau am 3. Juni 1991, dass alle Anschriften der jüdischen Gäste der Stadtverwaltung bekannt seien.
Eine gewiss nicht geringe Anzahl Schleidener und Gemünder Bürger äußerte ihr Unverständnis über das unwürdige Spektakel, zumal seit Wochen persönliche Kontakte durch meine Vermittlung möglich geworden waren. Den jüdischen Freunden konnte der Wirbel nicht unbekannt bleiben, so dass mich ein Leserbrief von Mrs Ruth Holden geb. Meyer vom 11. Juni 1991 vor unqualifizierten Vorwürfen in Schutz nahm. Die auch noch heute in England lebende Dame beschuldigte sogar selber den Schleidener Bürgermeister, der „es nicht für nötig befunden habe, auf einen ihrer Briefe überhaupt zu antworten.“
Ich hätte nie gedacht, dass der Vorschlag, ehemalige jüdische Mitbürger wieder in ihre Heimat einzuladen, derart große Diskussionen verursachen könnte. Weiterhin liefen die Streitereien um den fehlerhaften Gedenkstein auf dem jüdischen Friedhof in Schleiden und die mangelnde Bereitschaft der Gemünder Schützen, ihre ehemaligen jüdischen Mitglieder Albert Wolff, Markus Zack und Wilhelm Teller zu rehabilitieren und dies im Protokollbuch festzuhalten. Eine im Jahre 1992 verlesene ablehnende Erklärung ließ Ruth Holden geb. Meyer in Tränen ausbrechen.
Auch auf politischer Ebene wurde inzwischen mein Vorschlag diskutiert. Unglaublich, dass so etwas noch im Jahre 1991 möglich war. Während sich die damals noch großen Parteien öffentlich zurückhielten, verfassten DIE GRÜNEN am 27. Juni 1991 einen „Offenen Brief“, der auch der Regionalpresse und allen Fraktionsvorsitzenden zugestellt wurde:
Betr.: Einladung der ehemaligen jüdischen MitbürgerInnen
Sehr geehrter ............... ,
wie aus der Presse und aus einem Schreiben von Herrn Arntz zu erfahren war, ist es in Zusammenhang mit einem gewünschten Besuch der überlebenden jüdischen MitbürgerInnen in ihrer Heimatstadt Schleiden zu Unstimmigkeiten gekommen.
Unabhängig von Schuldzuweisungen bitten wir diesen Zustand, der für das Ansehen der Stadt Schleiden nur schädlich sein kann, zu beenden. Der bei einigen ehemaligen jüdischen Mitbürgerinnen offensichtlich vorhandene Eindruck - ob begründet oder nicht - in Schleiden nicht erwünscht zu sein, sollte schnellstens beseitigt werden.
Daher bitten wir Sie, folgende Schritte zu unternehmen:
1. Der Bürgermeister setzt sich mit Herrn Arntz in Verbindung und bringt alle in Frage kommenden Namen und Anschriften in Erfahrung.
2. Der Bürgermeister bringt in einem Schreiben an alle noch lebenden jüdischen Schleidener Mitbürger sein Bedauern über den entstandenen Eindruck zum Ausdruck und lädt im Namen des Stadtrates und der Bürgerschaft alle o.a. Personen offiziell zu einem Besuch in ihrer Heimatstadt ein.
3. Der Bürgermeister leitet - in Zusammenarbeit mit Herrn Arntz - alle notwendigen konkreten Schritte für die Organisation des Besuches ein. Interessierte Bürgerinnen, die die zum Exil gezwungenen jüdischen MitbürgerInnen noch persönlich kannten und diese auch evtl. als Gäste aufnehmen würden, werden ausfindig gemacht und ihre Anschriften - für erste Kontaktaufnahmen - an die Eingeladenen weitergegeben.
4. Der Bürgermeister stellt im Stadtrat seine Planung für den Besuch (welcher Rahmen, welche Aktivitäten, welche Kosten) vor.
Auch unabhängig von den bereits vorhandenen Mißtönen und Enttäuschungen erscheint es uns notwendig, daß auch die Stadt Schleiden den Versuch einer moralischen Wiedergutmachung macht und die unter der nationalsozialistischen Herrschaft vertriebenen Mitbürgerinnen zu einem Besuch ihrer ehemaligen Heimat einlädt.
Es kann nicht ausreichen, eine Gedenktafel für die Opfer zu errichten, jedoch die wenigen überlebenden des Holocaust weitgehend zu ignorieren, zumal Herr Arntz hier schon die schwierige Vorarbeit des Ausfindigmachens geleistet hat.
Es ist u. E. beschämend, daß die Opfer nun schon über 50 Jahre auf ein eindeutiges Zeichen aus ihrer Heimat warten müssen. Ein schnelles Handeln scheint uns daher hier geboten.
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Erst am 6. Juli 1991 teilte die Kölnische Rundschau mit der Bemerkung „Nach Kritik an Bürgermeister Reaktion: ....“ das Endergebnis der unnötigen Diskussion mit:
Im Sommer 1992 kam es dann zu einem harmonischen Treffen, über dessen Planung bereits am 22. Februar 1992 berichtet wurde: