Traurige Anmerkung zum Tode der verarmten Hilde Nathan aus Münstereifel: Einsam, aber dann kamen dennoch 200 Israelis zur Beerdigung – obwohl sie die Schoa-Überlebende aus der Eifel gar nicht kannten

von Hans-Dieter Arntz
21.03.2017

Dieser Online-Artikel soll etwas Persönliches zur Geschichte der Juden von Münstereifel beitragen. In meinen Büchern und auch auf dieser regionalhistorischen Homepage habe ich bereits einiges publiziert, aber leider pflegte die kleine Voreifeler Stadt nur wenige persönliche Kontakte mit den 3 Überlebenden oder Nachkommen anderer jüdischer Familien.

Da es sich in meinem heutigen Online-Artikel um die am 27. Februar 2017 verstorbene Hildegard Nathan handelt, möchte ich - am Ende dieses Beitrages - noch einmal auf meine NEWS vom 18.11.2007 und 22.12.2008 eingehen, in denen ich mich mit ihrem Schicksal – während der Zeit des Holocaust – befasste.

Wie ich erst jetzt erfuhr, ist Hildegard Nathan am 27. Februar 2017 in Las Palmas (Gran Canaria) verstorben. Trotz gelegentlicher finanzieller Unterstützung eines ehemaligen Nachbarn war ihre Situation in den letzten Jahren wohl so, dass sie immer mehr verarmt war und schließlich kaum noch Geld für Nahrung und ärztliche Versorgung hatte. Der deutsche Freund bat jüdische Institutionen in Deutschland, ja, in ganz Europa, um Hilfe – leider ohne Erfolg!

Der Tod der aus Bad Münstereifel stammenden Jüdin macht jedoch grundsätzlich auf die wirtschaftliche Situation ähnlicher Holocaust-Überlebender aufmerksam.
Die wohl völlig vereinsamte Frau hatte zuletzt nur noch einen einzigen Wunsch: sie wollte neben ihrer in Israel beerdigten Mutter ihre letzte Ruhestätte finden. Hierfür gab es jedoch auch kein Geld mehr. Dies bewegte die jüdische Gemeinde von Las Palmas, sodass für diesen Anlass gesammelt wurde. Der Leichnam konnte schließlich nach Jerusalem überführt werden. In der Presse wurde über das wenigstens diesbezüglich versöhnliche Ende berichtet:

 

 „Mehr als 200 Israelis kamen in Jerusalem zur Beerdigung – obwohl sie die Schoa-Überlebende aus der Eifel nicht kannten!“

 

 

Ich möchte hierzu folgende Artikel anführen:

Jewish World: Holocaust survivor's final wish was to be buried in Israel

Jüdische Allgemeine v. 01.03.2017: Trauer um Hilde Nathan

ABS Canarias: Muere a los 91 años la judía canaria superviviente del Holocausto nazi, Hilde Nathan

The Times of Israel: Over 200 Israelis attend funeral of Holocaust survivor they did not know

Enlace judio: Ser enterrada en Israel, el último deseo de la superviviente Hilde Nathan

 

Hilde, mit der ich von 1978 bis etwa 2010 im lockeren Briefkontakt stand und von deren wirtschaftlichen Situation ich nichts wusste, wurde am 11. Oktober 1923 in Münstereifel geboren und überlebte mit ihrer jüdischen Familie Theresienstadt und den Holocaust. Sie gehört mit ihren Eltern – Hugo Nathan (*06.02.1891 in Münstereifel) und ihrer Mutter Emilie geb. Cahn (*04.01.1893 in Ratingen) – zu den wenigen jüdischen Überlebenden, die nach dem 2. Weltkrieg nach Euskirchen zurückgekehrt waren, wo sie in der Zeit zwischen 1930 und 1933 in der Neustraße 21 wohnten. Hugo Nathan war Besitzer von zwei Kinos, von denen das „Rex“ in der Hochstraße in der Voreifel sehr bekannt war. Wegen nationalsozialistischer Umtriebe und Diskriminierungen mussten die drei Nathans kurz nach der „Machtergreifung“ die Kreisstadt Euskirchen verlassen und sich in Köln niederlassen, von wo aus sie am 27.07.1942 von Köln nach Theresienstadt deportiert, aber schließlich doch befreit wurde.

Nur am Rande sei erwähnt, dass sich bisher ihre Geburtsstadt Münstereifel noch nicht genügend mit der Geschichte „ihrer“ Juden befasst hat und selbst die genealogischen Anmerkungen zu ihrer Online-Seite „Mahnmal“ noch nicht einmal Hugo und Hildegard Nathan als Überlebende vermerken. Nur die vor einem halben Jahrhundert verfasste PH-Examensarbeit von Willibald Kolvenbach und die kurz danach publizierten Recherchen von Klaus H.S. Schulte gaben - zumindest bis zum Jahre 1942 - einen kleinen historischen Überblick. Im Jahre 1988 hatte ich selber ein Mahnmal im Stadtzentrum von Bad Münstereifel initiiert.

Stolpersteine wurden inzwischen auch hier verlegt. Aber meine letzte Erinnerung an Hildegard Nathan hat etwas mit ihrer letzten Enttäuschung zu tun: Wenn auch bekannt war, dass sie in Gran Canaria wohnte, so hatten es doch die Verantwortlichen von Bad Münstereifel im Februar 2009 unterlassen, sie über die Verlegung der Stolpersteine für ihre Verwandten Oskar Nathan (*1898) und Berthold Nathan (*1908) zu informieren – oder sie gar einzuladen.

Zu dem sehenswerten, 60minütigen Dokumentarfilm „Die verlorenen Kinder von Köln“, in dem auch Hilde Nathan über die Zeit der Verfolgung, der entflohenen Minsk-Deportation und über den Aufenthalt in Theresienstadt berichtet, findet man von dem Produzenten und Drehbuchautor Jürgen Naumann folgendes im Internet:

Montag, 20. Juli 1942. Pünktlich um 15.00 Uhr verlässt der Reichsbahnzug DA 219 den Bahnhof Köln-Deutz. In den Waggons: über eintausend jüdische Menschen aus Köln, darunter auch 335 Kinder. Die meisten von ihnen kommen aus den jüdischen Schulen sowie Heimen der Stadt, sind zwischen vier Monate und 19 Jahre alt, viele von ihnen sind elternlos. Das Reiseziel Minsk in Weißrussland ist geheim. Für die Mehrzahl ist es die erste Reise ihres Lebens überhaupt; angetreten in der Hoffnung, im Osten ein neues Leben beginnen zu können. Es soll zugleich ihre letzte Reise sein, denn als der Sonderzug am 24. Juli frühmorgens um 6.42 Uhr Minsk erreicht, wartet bereits ein Exekutionskommando, bestehend aus Mitgliedern der Waffen-SS und des Sicherheitsdienstes an tags zuvor in einem Waldstück hinter dem Vernichtungslager Maly Trostenez ausgehobenen Gruben auf sie.

Die Deportierten müssen sich bis auf die Unterwäsche ausziehen, niederknien und werden kaltblütig von hinten erschossen. „Die vergessenen Kinder von Köln" erzählt von unbeschwerter deutsch-jüdischer Kindheit, von späterer Abweisung und Isolation bis hin zu Vertreibung und Tod. Und von der „Jawne" in Köln, dem einzigen jüdischen Gymnasium im Rheinland, das auf tragische Weise mit der Ermordung der Kinder in Minsk verbunden ist. Jahrelange Recherchen des Autors Jürgen Naumann und sein zähes Suchen nach Filmmaterial und Dokumenten, die als vernichtet galten, machten diese bedrückende Dokumentation möglich. Entstanden ist eine akribische Rekonstruktion über ein bis heute weitgehend unbekanntes Massaker an arglosen Kindern. Das, was im Sommer 1942 in Köln geschah, hat sich so oder so ähnlich in vielen Städten des Deutschen Reiches zugetragen: Jüdische Kinder und Jugendliche, häufig elternlos, wurden vor den Augen der „arischen" Bürger auf Befehl der Gestapo „in den Osten evakuiert". Die Männer der Exekutionskommandos kehrten nach dem Krieg in ihre bürgerlichen Berufe zurück. Trotz mehrerer Ermittlungsverfahren blieben sie am Ende unbestraft.

Abschließend folgt nun eine Wiedergabe der beiden, oben genannten NEWS von meiner regionalhistorischen Homepage:

 

Gerettet, obwohl Hilde Nathan aus Euskirchen eigentlich zu den „vergessenen Kindern von Köln“ zählte (2 Filmausschnitte)

Der Fernsehfilm „Die vergessenen Kinder von Köln" erzählt von unbeschwerter deutsch-jüdischer Kindheit, von Abweisung und Isolation, von Vertreibung und Tod. Und von der "Jawne" in Köln, dem einzigen jüdischen Gymnasium im Rheinland, das auf tragische Weise mit der Ermordung der Kinder in Minsk verbunden ist. Erstmals wurde die Dokumentation am 1. November 2006 im Fernsehen ausgestrahlt. Zu diesem Transport sollte eigentlich Hilde Nathan aus Münstereifel bzw. Euskirchen zählen. Hier in der Voreifel besaßen die Eltern zwei Kinos, die bereits 1932 wegen andauernder Diskriminierung der eigentlich noch gar nicht etablierten Nationalsozialisten boykottiert wurden. Die jüdische Familie verzog nach Köln.

Dank der persönlichen Erlaubnis der Jürgen Naumann Filmproduktion, von-Groote-Str. 47, 50968 Köln, können heute zwei kurze Filmausschnitte gezeigt werden, in denen die heute in Gran Canaria lebende Hilde Nathan (geb. 1923) über ihre Erlebnisse in Euskirchen - und dann später in Köln - berichtet. Anhand umfangreicher Ermittlungsakten, in denen die Täter minutiös die Exekutionen schildern, konnte der Ablauf der Ermordung der 1164 Juden aus Köln rekonstruiert werden.

Als am Montag, dem 20. Juli 1942, pünktlich um 15.00 Uhr der Reichsbahnzug DA 219 den Bahnhof Köln-Deutz mit über eintausend jüdischen Menschen aus Köln verließ, waren darunter auch 335 Kinder, die meisten aus den jüdischen Schulen und Heimen der Stadt. Sie waren zwischen vier Monate und 19 Jahre alt. Das Reiseziel Minsk in Weißrussland war geheim. Für viele war es die erste Reise ihres Lebens; angetreten in der Hoffnung, im Osten ein neues Leben beginnen zu können. Es sollte ihre letzte Reise sein. Als der Sonderzug Minsk am 24. Juli frühmorgens um 6.42 Uhr erreichte, wartete bereits ein Exekutionskommando, bestehend aus Mitgliedern der Waffen-SS und des Sicherheitsdienstes, auf sie.

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Das Schicksal wollte es jedoch, dass Hilde nicht zu den „vergessenen Kindern von Köln“ gehörte, die 1942 bei diesem Massaker ihr Leben verloren. Mit ihren Eltern Hugo (geb. 1891) und Emilie (geb. Cahn, 1893) Nathan kam sie jedoch nach Theresienstadt. Es grenzt an ein weiteres Wunder, dass Eltern und Tochter den Holocaust überlebten und nach Euskirchen zurückkehrten. Über ihre Erlebnisse hat sie ein dreiteiliges Manuskript von c. 400 Seiten verfasst, das zurzeit überarbeitet wird und in Buchform erscheinen soll.

Jürgen Naumann ist mit der Thematik „Judentum“ gut vertraut. Schon sein Film „Das Erbe der Väter“, der sich mit der jüdischen Industriellen-Familie Strauß (nach der NS-Machtergreifung Otto Wolff-Konzern) befasste, wurde für den Adolf-Grimme-Preis 2006 vorgeschlagen.

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Ausschnitte aus dem  Film von Jürgen Naumann "Die vergessenen Kinder von Köln"


 

18.11.2007
Hilde Nathan – ein „vergessenes jüdisches Kind“ aus Münstereifel/Euskirchen

imgUnter der Überschrift „Die vergessenen Kinder von Köln“ strahlte der WDR am 05. November eine einstündige Dokumentation von Jürgen Naumann aus. Hier ging es um die Deportation von über 1000 Juden, darunter 335 Kinder, die von Köln nach Minsk deportiert wurden. Der im Jahre 2006 gedrehte Film schilderte eindringlich auch Einzelschicksale und befasste sich mit Hilde Nathan (geb. 11.10.1923 in Münstereifel), die mit ihren Eltern den Holocaust überlebt hatte und heute auf Gran Canaria lebt.

Hilde Nathan, mit der ich bis heute in telefonischem Kontakt stehe, schrieb ihre Erinnerungen in  3 großen Abschnitten nieder, von denen der erste unter der Überschrift „Überlebt zu Dritt – Ein Augenzeugenbericht“ in hektographierter Form vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln hergestellt und zum Verkauf angeboten wird. Für eine diesbezügliche Edition wurde das Manuskript von Barbara Kirschbaum dankenswerterweise redigiert. Während sich der vorliegende 1.Teil mit der Zeit in Köln (1940-1941) befasst, geht es im zweiten (1942-1943) und  dritten Teil (1943-1945) um den Verbleib in Theresienstadt und die ersehnte Befreiung im Mai 1945. In einem halbstündigen Telefonat am 7. November erzählte mir die jüdische Augenzeugin von der Schwierigkeit, einen geeigneten Buchverlag für die Veröffentlichung ihrer Erinnerungen (Teil 2/3) zu finden.

Die jüdische Familie Hogo Nathan, die bis zur „Machtergreifung“ Kinos in Münstereifel und Euskirchen besaß, hatte ihren Lebensmittelpunkt in der Voreifel, zog aber dann nach Köln, von wo sie am 27. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert wurde. Einem Transport nach Minsk konnte sich Hilde Nathan entziehen. Auch durch das Buch JUDAICA – Juden in der Voreifel erfuhr die Bevölkerung, dass Eltern und Tochter überlebt hatten.

Die gesamte Familie litt aber unter kaum vorstellbaren Zuständen. Hierüber schreibt die heute in Gran Canaria lebende Zeitzeugin in drei Abschnitten, für die sich offenbar bisher kein Verlag interessiert hat, obwohl sie in einer beeindruckenden Art – auf etwa 400 Schreibmaschinenseiten –  ein wichtiges Zeitdokument sind. Alle drei Teile des Manuskriptes „Überlebt zu Dritt“ sollten unbedingt – in vollständiger Form – publiziert werden.

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