Unter der Überschrift Immer wieder auch in Euskirchen: Jüdische Spurensuche in der ehemaligen Heimat stellte ich vor etwa 10 Jahren die jüdische Familie Breschinsky (Breschinski) vor, die am 23. September 1938 – nur wenige Wochen vor der „Reichskristallnacht“ - fluchtartig die Kreisstadt Euskirchen verließ und nach Palästina emigrierte. So rettete der am 5. Mai 1901 in Polen geborene Max Breschinsky die vierköpfige Familie und baut in Haifa eine neue Existenz auf. Damit kam die jüdisch-polnische Familie der bevorstehenden Ausweisung zuvor. Im Jahre 1961 verlor er jedoch bei einem Verkehrsunfall sein Leben.
Mit der heute in Israel lebenden Tochter Ruth Azoulai (*1933) und ihrem Bruder Isel (*1935, heute USA) stehe ich in persönlichem Kontakt. „Ruthi“ besuchte im Jahre 2008 Euskirchen und stand nachdenklich vor dem Haus in der Wilhelmstraße 33, in dem sie einst wohnte und ihr Vater das Lederwarengeschäft Werthheim & Breschinsky besaß.
Das mir überlassene Familien- und Fotoarchiv dokumentiert ein jüdisches Schicksal, das zwar leider vielen anderen ähnelt, aber sich en detail doch unterscheidet. Ein markanter Unterschied ist die Tatsache, dass Max Breschinsky kein „typischer“ jüdischer Flüchtling war, der seine polnische Heimat verlassen hatte, nur um künftig in Deutschland zu leben. Nein! Er wurde als 14jähriger im Kriegsjahr 1915 von den Deutschen auf der Straße festgenommen und zwangsweise in das Deutsche Reich deportiert. Nur die Tatsache, dass der Jugendliche nicht mehr in seine Heimat zurückkehren konnte, ist die politische Ursache, dass er Ende Oktober 1938 – mit seiner in Euskirchen gegründeten Familie – infolge der Polenaktion - mit etwa 17.000 polnischen Juden aus Deutschland - ausgewiesen werden sollte. Dieser Maßnahme konnten sich die Breschinskys durch ihre offizielle Emigration zuvorkommen.
Die Familie Breschinsky, deren ursprünglicher Name sich erst ab 1938 der jeweiligen Landessprache anpasste, hatte ihre Wurzeln in Polen. Vater Max Breschinsky wurde am 5. Mai 1901 in Scheradow bzw. Zyrardow und seine Frau Maria geb. Besser am 26.12. 1904 in Czentochau geboren.
Sie gehörten also zu der erwähnten Gruppe verfolgter polnischer Juden, die aus Polen stammten und im Herbst 1938 wieder dorthin ausgewiesen werden sollten.
Hierzu möchte ich erklären (Vgl. H.-D. Arntz: Isidors Briefe, Aachen 2009, S. 102/103):
25. März 1938: Polen erklärt alle Pässe von Polen für ungültig, die länger als 5 Jahre im Ausland leben:
Am 25. März 1938 verabschiedete das polnische Parlament (Sejm) ein Gesetz in Bezug auf polnische Bürger, die Polen seit fünf aufeinander folgenden Jahren nicht mehr besucht hatten. Diesen Leuten sollte die Staatsbürgerschaft aberkannt werden, es sei denn, dass der Pass erneuert würde. Das eigentliche Ziel dieses Gesetzes war (S.243), zu verhindern, dass polnische Juden nach Polen zurückkamen. Unter den im Jahr 1933 annähernd 500.000 Juden in Deutschland - dies ist die offizielle Zählung ohne Halbjuden, Vierteljuden und ohne 3/4-Juden -, gab es 98.747 Juden ausländischer Nationalität. Von diesen waren 56.480 polnische Juden. Die verzweifelten Versuche von vielen dieser Juden, der Staatenlosigkeit zu entgehen, hatten keinen Erfolg; ihre Nationalität wurde Ende Oktober 1938 aberkannt, so dass sie ab dann als staatenlos galten.
Die Nazi-Regierung, die so viele Juden wie möglich loswerden wollte, sah den polnischen Schritt als eine Bedrohung für ihre eigene antijüdische Politik. Wenn sie nichts tun würden, dann könnte man diese Juden vielleicht nicht mehr nach Polen ausschaffen, weil die Polen dann argumentieren würden, dass die Betroffenen nicht mehr polnische Bürger waren. Eine der Hauptleitlinien des Nazi- Parteiprogramms von 1920 war, Deutschland von Ausländern zu befreien, und an erster Stelle galt dies für die Juden. Ideologisch gesehen bestand deshalb für die Nazis höchste Alarmstufe, einem Daueraufenthalt der polnischen Juden in Deutschland zuvorzukommen. Aber es scheint doch, dass die NS-Regierung die polnischen Juden bis 1938 toleriert hat.
In dem Familienarchiv fand ich neben vielen Fotos auch mehrere Ausweise und Bescheinigungen, die von der Stadtverwaltung Euskirchen ausgestellt worden waren. Ein Dokument bestätigt mit offiziellem Stempel und der Unterschrift des städtischen Beamten die „Zwangsverpflichtung“ (somit Deportation) des damals 14jährigen Max Breschinsky. Bisher hatte ich derartiges noch niemals in einem Archiv gefunden und daher möchte ich auf „derartiges“ mal hinweisen.
Bescheinigung der Polizeiverwaltung Euskirchen („Occupied Territory“) von 1921
Max Breschinsky wurde im Jahre 1915 von der deutschen Militär-Verwaltung zwangsweise zum Arbeiten nach Deutschland geschickt. Derselbe blieb nach der Revolution hier in Deutschland und machte sich am 1. September 1920 hier in Euskirchen unter der Firma H. Wertheim & Breschinsky selbständig. Seit dieser Zeit leitet betr. Max Breschinsky dieses Geschäft in Euskirchen und wohnt auch daselbst.
Die Polizeiverwaltung Euskirchen (…)
Mein Hinweis könnte vielleicht auch unter dem Gesichtspunkt „Flüchtlinge“, „Einwanderer“ oder „Emigranten“ betrachtet werden – also unter einem recht aktuellen und komplizierten Aspekt ….
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Immer wieder auch in Euskirchen: Jüdische Spurensuche in der ehemaligen Heimat |