Genealogen und Ahnenforscher befassen sich mit der Heimatgeschichte und den Personen bestimmter Gebiete. Meist steht aber am Anfang das Interesse an der Geschichte der eigenen Familienangehörigen und dem diesbezüglich historischen „Erbe“. Bei ihrer Tätigkeit erfassen sie dann oft ein lebendiges Geschichtsbild, das im Laufe der Zeit zur regionalhistorischen Forschung und Sammlung anregt.
So ging es auch mir, als ich mich in den 1960-er Jahren mit meinem Familiennamen Arntz (Aretz, Arretz, Arends) befasste und das Archiv des katholischen Pfarramtes in Würselen aufsuchte. Damals fand ich heraus, dass die Ehefrau eines meiner direkten Vorfahren (ca.1700) nicht nur denselben Mädchennamen wie meine damaligen Verlobte hatte, sondern ihm auch 10 Kinder geschenkt hatte. (Das hielt uns jedoch nicht von der 1969 geschlossenen Eheschließung ab).
Wikipedia weist darauf hin, dass sich fast in jeder Ahnenliste die Vorfahren im 16. bis 18. Jahrhundert in bestimmten Gemeinden häufen. In manchen Dörfern sogar stellen sie einen beträchtlichen Prozentsatz der Einwohnerschaft. Für die Einordnung und Bewertung der Berufe, der Kaufpreise der Güter und Häuser oder der landschaftsgebundenen Begriffe wird damit ein heimatgeschichtliches Grundwissen unentbehrlich. In vielen Fällen ist die bereits vorhandene heimatgeschichtliche Literatur (Chroniken oder Beilagen der Tageszeitungen) eine wertvolle genealogische Quelle, in anderen Fällen bearbeitet gerade der Genealoge das „Ortsfamilienbuch“, die „Ortschronik“ oder erarbeitet heimatgeschichtliche Beiträge und „Lebensbilder“.
Diamantene Hochzeit von Joseph und Anna-Maria Josefine Kramp am 06.02.1924 in Köln, Rheingasse 24
Weiterhin wird stets darauf hingewiesen, dass Heimatgeschichte verbunden mit Genealogie und mit persönlichem Bezug zur Gegenwart, keine abstrakte „Geschichte“ ist. Durch die Verbindung von Personen, Ereignissen, Daten, Häusern und den Lebensumständen der Vergangenheit mit ihren sozialen Konflikten und Kämpfen - oft auch unter Einbeziehung von Herkunftssagen - entsteht ein umfassendes Bild.
Bei der derzeitigen Durchsicht meines Archivs fand ich unzählige Totenzettel aus früherer Zeit, vereinzelt interessante Zeitungsartikel und vergilbte Fotoalben. Mit diesem speziellen Fall möchte ich mich heute auf meiner regionalhistorischen Homepage befassen.
„Totenzettel“ sind einfache oder gefaltete Zettel mit den wichtigsten Lebensdaten eines Verstorbenen, die meist im Rahmen der Totenmesse an die Trauergäste verteilt werden. Der Brauch war früher im gesamten katholischen Europa verbreitet und wird regional immer noch gepflegt.
Mit Recht weist Wikipedia darauf hin, dass sie eine sehr informative Quelle für die Ahnenforschung sind und daher auch von Familienforschern ausgewertet werden.
Inzwischen habe ich festgestellt, dass in der heutigen Hektik, der sehr mobilen Zeit und Globalisierung – sowie auch dem Desinteresse an der eigenen Familiengeschichte –viele persönliche und einst vertraute Dokumente „entsorgt“ werden. Die nur noch wenigen, meist hoch betagte Ahnenforscher, die in „brisanter Zeit“ ihren „Ahnenpass“ zu umfangreichen Familienforschungen erweiterten, können die jüngeren Generationen kaum noch zu einem Rückblick auf die einst wesentlich größeren Familien and Ahnen bewegen. Auch die verschiedenen Regelungen und Änderungen des deutschen Namenrechts erschweren die Genealogie.
Der erwähnte, ab 1933 vorgeschriebene „Ahnenpass“ enthielt Vordrucke zur Bescheinigung von Geburt, Taufe, Heirat und Tod des Inhabers und seiner Vorfahren bis zur fünften Generation (Ur-ur-urgroßeltern, auch: Altgroßeltern) nach Vorlage entsprechender Urkunden. Inwieweit er ausgefüllt sein musste, um als Nachweis zu dienen, war einzelfallabhängig; in der Regel wurden vollständige Nachweise bis zur Generation der Urgroßeltern damals auch als ausreichend angesehen.
Josef Kramp aus Köln (1840-1932)
In meinem Archiv fand ich zufällig einige Unterlagen, die sich mit den Ur-Urgroßeltern meiner Frau befassen: Joseph Kramp (1840 -1932) und Anna Kramp geb. Deimann (1845 -1924). Es handelt sich um Totenzettel, Erinnerungen an eine diamantene Hochzeit (1924) und einen Zeitungsartikel aus dem Jahre 1930.
Sie heirateten am 2. Februar 1864, wohnten in der Domstadt Köln, Rheingasse 24, hatten ingesamt 17 Kinder (!!) und feierten 1924 nach 60 Jahren ihre diamantene Hochzeit. Kein Wunder also, dass das mir vorliegende Foto eine große Gesellschaft zeigt.
„Jupp“ schilderte 1930, anlässlich seines 90. Geburtstages, dem „Kölner Tageblatt“ seine Jugenderinnerungen. Hier ging es um Ereignisse, die vor etwa 150 Jahren alltäglich und normal waren, heute aber nicht uninteressant sind:
- Josef Kramp war Veteran von 1870/71.
- Er lebte zu einer Zeit, als der Kölner Dom noch nicht fertig gebaut worden war, und das Dach nur mit Brettern bedeckt war. Wenn es regnete, kam die Nässe durch die Decke und konnte die Andächtigen beträchtlich stören. Die Marktleute, die früh
morgens ihre Waren zum Markt brachten, machten es sich im Gebäude bequem oder gingen einfach durch den Dom und schnitten so ein Stück des Weges ab.
- Auf dem Neumarkt spielten die Kinder und ließen dort ihre Drachen steigen.
- Die Kölner hatten Mitte des 19. Jahrhunderts keine Lust zum Reisen. Nach Bonn gelangte man nur zu Fuß, mit dem Schiff und dann erst etwas später mit der neuen Eisenbahn. Brücken gab es auch noch nicht. Man benutzte eine Art Fähre zum Überschreiten des Rheins.
- Frauen war es nur selten gestattet, Wirtschaften zu betreten und dort ein Kölsch zu trinken.
- Josef Kramp war ein keineswegs unbekannter Schnitzer. Er schnitzte in den 1850-er Jahren die Köpfe, die in den Innenräumen zu sehen waren (und dann im 2. Weltkrieg verbrannten).
- Anlässlich der Hochzeit im Jahre 1864 kaufte sich der Bräutigam „zwei Röcke. Sein Vater war darüber sehr empört und schalt ihn wegen der Verschwendung“.
- In den 1850-er Jahren war man sehr sparsam. Zur Kommunion bekam ein Junge eine Hose, so groß zugeschnitten war, dass er sie auch noch mit 20 Jahren tragen konnte.
- Josef Kramp hatte 17 Kinder, von denen zur Zeit des Artikels im „Kölner Tageblatt“ (3. Juni 1930) 34 Enkel und 10 Urenkel lebten.
Anna Maria Josefine Kramp (1845-1924)
Nach den feierlichen Exequien in der Kölner Pfarrkirche St. Maria im Kapitol wurde Anna Maria Josefine Kramp am 24. Juli 1924 auf dem Friedhof Melaten beerdigt.
Der 60jährigen „glücklichen Ehe entsprossen 17 Kinder, von denen 8 Kinder der Mutter in die Ewigkeit vorangingen“.
Wörtlich heißt es im vorliegenden Totenzettel:
Durchdrungen von echt christlichem Geiste erzog sie ihre Kinder gottesfürchtig und war es für sie eine Wohltat, im Kreise ihrer Lieben zu verweilen.
An ihrem Grabe trauern ihr Gatte, 9 Kinder, 3 Schwiegersöhne, 5 Schwiegertöchter, 33 Enkel, 7 Urenkel, 3 Schwager, 3 Schwägerinnen und die übrigen Anverwandten, welche ihre liebe Seele dem hl. Opfer der Priester und dem frommen Gebete der Gläubigen empfehlen, damit sie desto eher
ruhe im ewigen Frieden.