Künstlerische Verfremdung der ehemaligen Synagoge von Stommeln

von Hans-Dieter Arntz
21.07.2014

Als „Krise des Gedenkens“ bezeichnete die „Süddeutsche Zeitung“ am 15. Juli 2014 die Situation, in der sich zurzeit Stommeln befindet. Auch ein Teil der rheinischen Presse schließt sich dieser Auffassung an.

Synagoge Stommeln

Die restaurierte Synagoge in Stommeln (1987) Quelle: Juden in Stommeln, Pulheim 1987, Band 2, S.294 (Abdruck mit Genehmigung des Vereins für Geschichte e.V.)

Der etwa 8.000 Einwohner zählende Ortsteil der Stadt Pulheim im Nordwesten Kölns im Rhein-Erft-Kreis, in dem häufig auf besondere Weise der einst hier beheimateten Juden gedacht wird, kämpft jetzt offenbar mit einem spektakulären Bruch der bisherigen Erinnerungskultur. Der Mönchengladbacher Künstler Gregor Schneider, ein „Meister der Klaustrophobie“, hat das einstige jüdische Gotteshaus total verfremdet und „verkleidet“, sodass es - kaum noch erkennbar - als normales Einfamilienhaus wirkt. Befreundete Kollegen aus der Region wiesen mich auf das eigenartige Projekt des Künstlers hin, dessen Arbeitsschwerpunkt „gebaute Räume“ und „gebaute Kunsträume“ sind. Befremdet sind diejenigen, die sich um das Gedenken der im Holocaust umgekommenen Juden bemühen, denn für die Erlaubnis zur Ausstellung in der ehemaligen Synagoge von Stommeln gibt es ja Verantwortliche.

27 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde erstmals in einer Veröffentlichung des Historischen Vereins für den Niederrhein auf die Stommelner Synagoge, - „die einzige alte Synagoge, die im Regierungsbezirk Köln erhalten ist“ -, hingewiesen. Es war Klaus H.S. Schulte, der unvergessene Nestor der rheinischen Judaica-Forschung, der bereits 1972 die von ihm entdeckte jüdische Gotteshaus beschrieb.

Unter der Überschrift „Bemühungen zur Rettung der ehemaligen Synagoge in Stommeln“ – vgl. Juden in Stommeln, Pulheim 1987, Band 2, S.295ff. –, stellte Peter Schreiner die Wiederentdeckung der Stommelner Synagoge und deren Renovierung dar. Am 2. Oktober 1983 fand die Übergabe des Gebäudes an die Öffentlichkeit statt. Es wurde zunächst ins städtische Kulturprogramm einbezogen mit besinnlichen und kulturellen Veranstaltungen. 1990/91 entwickelte der Künstler W. Gies zusammen mit dem damaligen Kulturdezernenten Gerhard Dornseifer das Ausstellungsprojekt „Synagoge Stommeln“.


Synagoge Stommeln


Seitdem finden dort außergewöhnliche Ausstellungen bedeutender Gegenwartskünstler statt, die die allgegenwärtige Geschichte des Ortes reflektieren. Als eine der ganz wenigen Synagogengebäude im ländlichen Kölner Raum ist es ein Denk- und Mahnmal für die jüdische Gemeinde Stommeln und das Schicksal aller Deutschen Juden. Aber zurzeit „konfrontiert es mit unheimlicher Gegenwart“ und wird von Georg Imdahl in der Süddeutschen Zeitung folgendermaßen beschrieben:

Das Fassadengelb strahlt aggres­sive Ignoranz aus, ziemlich erbarmungslos konterkariert es das schöne Ziegelrot in der Nachbarschaft. Das Diktum der „Bana­lität des Bösen" (Hannah Arendt) kommt ei­nem in den Sinn, zitiert doch das Gelb der Fassade auch die Farbe der Diskriminie­rung im „Dritten Reich". Das renovierte Haus und seine ätzende Durchschnittlichkeit stimulieren nicht eigentlich die Einfüh­lung in historische Erinnerung, sie kon­frontieren stattdessen mit einer Krise des Gedenkens und einer regelrecht unheimlichen Gegenwart. Gerade darin überzeugt die neue Stommelner Adresse „Hauptstra­ße 85 a", die von nun an, über die Ausstel­lung von Gregor Schneider hinaus, Be­stand haben wird.

 

Michael Kohler vom Kölner Stadt-Anzeiger meint hierzu in seinem Beitrag „Hier wohnt die Erinnerung“:

Schneiders Einhausung der Syn­agoge ist zwar nicht perfekt, aber dafür total. Er lässt das jüdische Gotteshaus verschwinden, und während man vor dieser aufrei­zend normalen deutschen Haus­fassade steht, beschleicht einen unweigerlich der Gedanke, dass der Mönchengladbacher Künstler damit das zerstörerische Werk der Nazis vollendet. Aber damit geht man schon deswegen fehl, weil es die Synagoge im Grunde schon seit 1937 nicht mehr gibt. Damals wurde die jüdische Gemeinde in Stommeln zu klein, um im religiö­sen Sinne noch eine solche zu sein, und verkaufte das Gotteshaus an einen Landwirt, der den David­stern über der Tür mit Mörtel über­deckte, das Haus als Schuppen nutzte und so vor der Zerstörung bewahrte. Auch der heutige Aus­stellungsraum ist eine weitere Ein­hausung: Im Museum verschwin­det die Synagoge, die ohne die Ge­bete einer jüdischen Gemeinde keine mehr ist.

So bringt Gregor Schneider die Geschichte der Synagoge Stom­meln vielleicht besser als alle Vor­gänger zum Vorschein, indem er sie verschwinden lässt. Man be­greift nun deutlicher: Die Mauern stehen noch, aber die Menschen sind lange ausgelöscht. Schneider nennt diese Erfahrung „verstören­de Gewöhnlichkeit" - wie lange diese anhält, ist noch nicht ausge­macht. Das Projekt hat ein offenes Ende und einen Namen, der bleibt: „Hauptstraße 85a". So lautet jetzt die Adresse der Synagoge Stom­meln - ihre erste seit dem Krieg.

 

RÜCKBLICK
Um ihrer Bedeutung gerecht zu werden und einen dauerhaften Prozess der Auseinandersetzung anzuregen, wurde 1990 unter Leitung des damaligen Kulturdezernenten Dr. Gerhard Dornseifer das Kunstprojekt Synagoge Stommeln initiiert.

Die Kulturabteilung der Stadt lädt seit 1991 einmal im Jahr einen Künstler oder eine Künstlerin ein, eine Arbeit zu realisieren, die eine enge Wechselbeziehung mit dem Raum eingeht, seine Architektur definiert und in seinem geschichtlichen Spannungsfeld definiert wird. Die bisherigen, meist sehr beachteten Veranstaltungen und Ausstellung in der renovierten Synagoge von Stommeln waren gelegentlich kontrovers, denn es ist nicht leicht, in einem Relikt aus der Zeit des Holocaust die erwarteten Grenzen zu überschreiten.

Am 7. Dezember 2012 wies ich darauf in meinen NEWS hin. Dort hieß es:

Unter der Überschrift „Kunst und Klang in der Synagoge“ thematisierte die Städte-Serie der Tageszeitung „Express Köln“ am 29. November 2012 (S. 32) ein entstandenes Problem: „Der Raum ist da, nur die Suche nach einem neuen Künstler ist schwierig“:

 

Synagoge Stommeln

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