Als „Krise des Gedenkens“ bezeichnete die „Süddeutsche Zeitung“ am 15. Juli 2014 die Situation, in der sich zurzeit Stommeln befindet. Auch ein Teil der rheinischen Presse schließt sich dieser Auffassung an.
Die restaurierte Synagoge in Stommeln (1987) Quelle: Juden in Stommeln, Pulheim 1987, Band 2, S.294 (Abdruck mit Genehmigung des Vereins für Geschichte e.V.) |
Der etwa 8.000 Einwohner zählende Ortsteil der Stadt Pulheim im Nordwesten Kölns im Rhein-Erft-Kreis, in dem häufig auf besondere Weise der einst hier beheimateten Juden gedacht wird, kämpft jetzt offenbar mit einem spektakulären Bruch der bisherigen Erinnerungskultur. Der Mönchengladbacher Künstler Gregor Schneider, ein „Meister der Klaustrophobie“, hat das einstige jüdische Gotteshaus total verfremdet und „verkleidet“, sodass es - kaum noch erkennbar - als normales Einfamilienhaus wirkt. Befreundete Kollegen aus der Region wiesen mich auf das eigenartige Projekt des Künstlers hin, dessen Arbeitsschwerpunkt „gebaute Räume“ und „gebaute Kunsträume“ sind. Befremdet sind diejenigen, die sich um das Gedenken der im Holocaust umgekommenen Juden bemühen, denn für die Erlaubnis zur Ausstellung in der ehemaligen Synagoge von Stommeln gibt es ja Verantwortliche.
27 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde erstmals in einer Veröffentlichung des Historischen Vereins für den Niederrhein auf die Stommelner Synagoge, - „die einzige alte Synagoge, die im Regierungsbezirk Köln erhalten ist“ -, hingewiesen. Es war Klaus H.S. Schulte, der unvergessene Nestor der rheinischen Judaica-Forschung, der bereits 1972 die von ihm entdeckte jüdische Gotteshaus beschrieb.
Unter der Überschrift „Bemühungen zur Rettung der ehemaligen Synagoge in Stommeln“ – vgl. Juden in Stommeln, Pulheim 1987, Band 2, S.295ff. –, stellte Peter Schreiner die Wiederentdeckung der Stommelner Synagoge und deren Renovierung dar. Am 2. Oktober 1983 fand die Übergabe des Gebäudes an die Öffentlichkeit statt. Es wurde zunächst ins städtische Kulturprogramm einbezogen mit besinnlichen und kulturellen Veranstaltungen. 1990/91 entwickelte der Künstler W. Gies zusammen mit dem damaligen Kulturdezernenten Gerhard Dornseifer das Ausstellungsprojekt „Synagoge Stommeln“.
Seitdem finden dort außergewöhnliche Ausstellungen bedeutender Gegenwartskünstler statt, die die allgegenwärtige Geschichte des Ortes reflektieren. Als eine der ganz wenigen Synagogengebäude im ländlichen Kölner Raum ist es ein Denk- und Mahnmal für die jüdische Gemeinde Stommeln und das Schicksal aller Deutschen Juden. Aber zurzeit „konfrontiert es mit unheimlicher Gegenwart“ und wird von Georg Imdahl in der Süddeutschen Zeitung folgendermaßen beschrieben:
Das Fassadengelb strahlt aggressive Ignoranz aus, ziemlich erbarmungslos konterkariert es das schöne Ziegelrot in der Nachbarschaft. Das Diktum der „Banalität des Bösen" (Hannah Arendt) kommt einem in den Sinn, zitiert doch das Gelb der Fassade auch die Farbe der Diskriminierung im „Dritten Reich". Das renovierte Haus und seine ätzende Durchschnittlichkeit stimulieren nicht eigentlich die Einfühlung in historische Erinnerung, sie konfrontieren stattdessen mit einer Krise des Gedenkens und einer regelrecht unheimlichen Gegenwart. Gerade darin überzeugt die neue Stommelner Adresse „Hauptstraße 85 a", die von nun an, über die Ausstellung von Gregor Schneider hinaus, Bestand haben wird.
Michael Kohler vom Kölner Stadt-Anzeiger meint hierzu in seinem Beitrag „Hier wohnt die Erinnerung“:
Schneiders Einhausung der Synagoge ist zwar nicht perfekt, aber dafür total. Er lässt das jüdische Gotteshaus verschwinden, und während man vor dieser aufreizend normalen deutschen Hausfassade steht, beschleicht einen unweigerlich der Gedanke, dass der Mönchengladbacher Künstler damit das zerstörerische Werk der Nazis vollendet. Aber damit geht man schon deswegen fehl, weil es die Synagoge im Grunde schon seit 1937 nicht mehr gibt. Damals wurde die jüdische Gemeinde in Stommeln zu klein, um im religiösen Sinne noch eine solche zu sein, und verkaufte das Gotteshaus an einen Landwirt, der den Davidstern über der Tür mit Mörtel überdeckte, das Haus als Schuppen nutzte und so vor der Zerstörung bewahrte. Auch der heutige Ausstellungsraum ist eine weitere Einhausung: Im Museum verschwindet die Synagoge, die ohne die Gebete einer jüdischen Gemeinde keine mehr ist.
So bringt Gregor Schneider die Geschichte der Synagoge Stommeln vielleicht besser als alle Vorgänger zum Vorschein, indem er sie verschwinden lässt. Man begreift nun deutlicher: Die Mauern stehen noch, aber die Menschen sind lange ausgelöscht. Schneider nennt diese Erfahrung „verstörende Gewöhnlichkeit" - wie lange diese anhält, ist noch nicht ausgemacht. Das Projekt hat ein offenes Ende und einen Namen, der bleibt: „Hauptstraße 85a". So lautet jetzt die Adresse der Synagoge Stommeln - ihre erste seit dem Krieg.
RÜCKBLICK
Um ihrer Bedeutung gerecht zu werden und einen dauerhaften Prozess der Auseinandersetzung anzuregen, wurde 1990 unter Leitung des damaligen Kulturdezernenten Dr. Gerhard Dornseifer das Kunstprojekt Synagoge Stommeln initiiert.
Die Kulturabteilung der Stadt lädt seit 1991 einmal im Jahr einen Künstler oder eine Künstlerin ein, eine Arbeit zu realisieren, die eine enge Wechselbeziehung mit dem Raum eingeht, seine Architektur definiert und in seinem geschichtlichen Spannungsfeld definiert wird. Die bisherigen, meist sehr beachteten Veranstaltungen und Ausstellung in der renovierten Synagoge von Stommeln waren gelegentlich kontrovers, denn es ist nicht leicht, in einem Relikt aus der Zeit des Holocaust die erwarteten Grenzen zu überschreiten.
Am 7. Dezember 2012 wies ich darauf in meinen NEWS hin. Dort hieß es:
Unter der Überschrift „Kunst und Klang in der Synagoge“ thematisierte die Städte-Serie der Tageszeitung „Express Köln“ am 29. November 2012 (S. 32) ein entstandenes Problem: „Der Raum ist da, nur die Suche nach einem neuen Künstler ist schwierig“: