Kriegsverbrechen an Fremdarbeitern (1945)
Mülheim-Wichterich: Erschießung von Fremdarbeitern in der Voreifel

von Hans-Dieter Arntz
23.01.2007

Die Archive dokumentieren auch heute noch das Schicksal der so genannten Fremdarbeiter oder Zwangsarbeiter, die im Deutschen Reich sklavenähnliche Arbeit verrichten mussten. Tote wurden meist achtlos verscharrt, teilweise sogar auf den ehemaligen jüdischen Friedhöfen, wie das zum Beispiel in Blumenthal, Schleiden oder Kall geschah. Nie hat sich jemand gefragt, warum plötzlich 15 von ihnen an einem einzigen Tag an einer „ansteckenden Krankheit“ verstarben, wie dies das Stadtarchiv von Schleiden ausweist.

Während das Geschehen anlässlich der „Kristallnacht“ unmittelbar nach dem 2.Weltkrieg  juristisch geklärt werden sollte und die „Synagogenbrand-Prozesse“ in der Zeit von 1947 bis etwa 1953 in Bonn, Köln und Aachen unter großer Beachtung stattfanden – mit m.E. sehr schwer verständlichen (milden) Strafen – , wurde das Schicksal der  Kriegsgefangenen aus Polen und Russland  gerichtlich nicht genügend aufgeklärt.

Umso „sensationeller“ waren die wenigen Prozesse, die sich mit den Erschießungen in der Voreifel und Eifel befassten. Ergänzend zu meinem Beitrag über die „Erschießung von Polen in Satzvey“ soll an dieser Stelle von Verbrechen in der Nähe der Römerstadt  Zülpich die Rede sein.

Der Gerechtigkeit halber soll aber auch konstatiert werden, dass sich durchaus nicht wenige Landbewohner verständnisvoll und im umgangssprachlichen Verständnis „korrekt“ verhalten haben. Auf der Seite 411 des Buches Kriegsende 1944/45 zwischen Ardennen und Rhein (Euskirchen 1984) ist folgendes nachzulesen:

„Unter den kriegsgefangenen Ausländern, die in der Landwirtschaft bei Niederelvenich untergebracht waren, befand sich ein 19jähriger Russe, der infolge eines tiefsitzenden Furunkels dringend operiert werden musste. Den deutschen Ärzten war es strengstens untersagt, diese Ausländer zu behandeln. Der „Arbeitgeber“ des Kriegsgefangenen, bei dem auch der Stabsarzt des Lazaretts Quartier bezogen hatte, bot alle erlaubten und unerlaubten Mittel auf, um dem jungen Russen durch eine Operation das Leben zu retten. Streng geheim wurde er mitten in der Nacht unter falschem Namen und in ziviler Kleidung zum Lazarett gebracht und dort operiert; allerdings hatte er dann aber umgehend das Lazarett zu verlassen. Von privaten Helferinnen gestützt, wurde er zu seinem „Arbeitgeber“ gebracht, wo er, ebenfalls streng geheim, gesund gepflegt wurde.“

In der gleichen Umgebung, in unmittelbarer Nähe der bekannten Römerstadt Zülpich, kam es aber auch bei Kriegsende zu Erschießungen von „Fremdarbeitern“, wie dies das Bonner Schwurgericht im Jahre 1965 nachwies.

In dem bereits erwähnten Buch Kriegsende 1944/45 zwischen Ardennen und Rhein (S.415/16) und  in der umfangreichen Dokumentation Kriegsende 1944/45 zwischen Ardennen und Rhein (Euskirchen 1994, 2.Auflage 1995, S.141/42) geht es u. a. auch um derartige Kriegsverbrechen. Sie sollten im Zusammenhang mit  dem Beitrag „Die Ermordung von Zwangsarbeitern in der Voreifel (1944/45) – Erschießung von Polen in Satzvey“ (Vgl. meine Homepage www.hans-dieter-arntz.de)  gelesen werden.

Als Quellen sind hier zu nennen: Kölnische Rundschau, Lokalteil Euskirchen, vom 10.8.1965: „Kinder machten grausigen Fund: „Leichenteile in der Sandgrube“. Vgl. u.a. auch: Kölnische Rundschau vom 23.10.1965: „In letzten Kriegstagen wurden 5 Fremdarbeiter erschossen“ sowie den Bericht des Kölner Stadt-Anzeigers vom 28.12.1965 „25 Jahre Zuchthaus verhängt“. Drei Jahre später teilt die letztgenannte Tageszeitung mit (1.1.1968): „Neuer Prozess um Erschießung von Fremdarbeitern“.

Es folgt jetzt ein Auszug aus dem Kapitel:„Mülheim-Wichterich: In den letzten Kriegstagen wurden fünf Fremdarbeiter erschossen“:

In der Zeit von September bis Dezember 1965 fand vor dem Bonner Schwurgericht der „Eifel-Mordprozess" statt, in dem es um Exekutionen und Ermordung von Zwangs- und Fremdarbei­tern in Schleiden, Mechernich (1944) und Mülheim-Wichterich (16. Februar 1945) ging. Anfang der sechziger Jahre machten spielende Kinder in einer Sandgrube einen grausigen Fund. Sie entdeckten Leichenteile, die, wie die sich daran anschließenden langwierigen Ermittlungen ergaben, von mehreren Personen stammten, die gegen Ende des 2. Weltkrieges erschossen worden waren.

Das hier darzustellende Verbrechen in Mülheim-Wichterich wurde zehn Angehörigen des Einsatzkommandos 4 der Gestapo-Leitstelle Köln zur Last gelegt.

Die Angeklagten bestritten die Tat oder beriefen sich auf Befehlsnotstand. Sie waren damals dem Befehlshaber, Major der Schutzpolizei Arthur He[...], unterstellt. Gegen Ende des Krieges gehörten sie der Grenzpolizei in den Kreisen Schleiden und Euskirchen an, einer Sonderform der Gestapo. Als die Westfront näherrückte, waren sie in das Einsatzkommando 4 übergeführt worden.

Die Lokalpresse teilte am 10. August 1965 die vollständigen Namen der Angeklagten mit. Dies soll an dieser Stelle nicht geschehen.

Arthur He[...] hatte 1944/45 eine von drei Exekutionen angeordnet, während die anderen Erschießungsbefehle von der Leitstelle in Köln gegeben worden seien. Vier der insgesamt elf Morde spielten sich am 6. November auf Gut Hombusch in der Nähe von Mechernich ab.

Der Rundschau-Journalist Leo Gäntgen berichtete in der Lokalausgabe vom 23. Oktober 1965:

In Mülheim-Wichterich (bei Zülpich) gibt es keine Augenzeugen für das Geschehen. Hier wusste man nicht einmal, dass da oben in der alten Kiesgrube, etwa 350 Meter von der Burg Mülheim entfernt, fünf Fremdarbeiter erschossen wurden.

Das Bonner Schwurgericht unter Vorsitz von Landgerichtsdirektor Dr. Bohnen erschien am Donnerstag mit neun Angeklagten und neun Verteidigern, mit zwei Richtern und der Staatsanwaltschaft sowie sechs Geschworenen und einem Ersatzgeschworenen am Tatort. ,Hier ist die Stelle, wo ich die zwei Leute aus einem Meter Entfernung niederschoss', erläutert einer der Angeklagten die damalige Situation. Abseits stehen einige Arbeiter und der Bauer Peter Fink (43), dem heute die Kiesgrube gehört. Er schildert dem Gericht, wie es vor zwanzig Jahren hier ausgesehen hat. Dem Vorsitzenden erscheint diese Aussage so wichtig, dass er den Landwirt zum Zeugen macht und seine Aussagen protokollieren lässt. Der Bauer wird sodann an der Stelle, wo vor 20Jahren die Fremdarbeiter erschossen wurden, vereidigt.

In der nahe gelegenen Burg Mülheim wird die Ortsbesichtigung fortgesetzt. Von hier wurden die Gefangenen abgeholt und zur Hinrichtungsstätte geführt. Hier residierte auch das Bataillonskommando unter Major He[...], der den Erschießungsbefehl erteilte. Unter­sturmführer Schn[...], heute einer der Hauptangeklagten, musste diesen Befehl an die seinem Kommando unterstellten Mitglieder der Grenzpolizei weitergeben. In der Nähe der Hauptstraße in Mülheim kam es darüber zu einer Auseinandersetzung zwischen Schn[...] und den Soldaten. Ein Teil weigerte sich einfach, diesen Befehl auszuführen. Noch einmal rollt vor dem geistigen Auge das Geschehen an diesem 16. Februar 1945 ab. Der Kriminalassistent K[...] wird aus seinem Quartier geholt und erhält den Befehl, die Fremdarbeiter, es waren Flamen, zu erschießen. Die Gefangenen sind in einem dunklen Raum auf der Burg untergebracht. Unter dem Vorwand, oben sei ein Lkw steckengeblieben, werden die nichtsahnenden Gefangenen den kleinen Hügel hinan zur Kiesgrube geführt. Der Angeklagte K[...]; „Erst wenige Meter vor der Grube wurden sie misstrauisch!" K[...] erschoss den ersten und kehrte um, wo ihm auf der Burg Untersturmführer Schn[...] den zweiten Gefangenen übergab. Danach konnte der jetzige Angeklagte nicht mehr. Den dritten Mann soll ein inzwischen verstorbener Angehöriger der damaligen Grenzpolizei, die dem SSD (Staatssicherheitsdienst) unterstellt worden war, erschossen haben. Der Tod der beiden anderen gefundenen Fremdarbeiter ist bis heute ungeklärt. Worum ging es eigentlich bei dieser Tatortbesichtigung? Man kann vermuten, dass der Befehlsnotstand der jetzigen Angeklagten untersucht werden sollte, denn immer wieder zeigten die Angeklagten zu einem Fenster der Burg hin, von dem aus der kommandierende Major die Exekution verfolgt hatte. Der Vorsitzende fragte nach Geschützdonner und Maschinengewehrfeuer und ob Soldaten in der Nähe waren. Tatsächlich konnte man von dem erwähnten Fenster aus die Stelle sehen, wo die Fremdarbeiter erschossen wurden. Bei der Urteilsverkündung vom 27. Dezember 1965 wurden hohe Zuchthausstrafen verhängt.

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