Foto: F. J. Vogt
WA. Einer der Straßen des Neugebietes »Im Mühlenacker« gab die Stadt Euskirchen den Namen des am 16. Mai 1893 geborenen ehemaligen jüdischen Mitbürgers Josef Weiss. Zugleich ließ sie an dessen Geburtshaus in der Pützgasse 16 eine Gedenktafel anbringen, die die Erinnerung an Weiss’ Schicksal (und das seiner Familie) wach halten soll.
Wer war Josef Weiss? Als zweitjüngstes von neun Kindern hat der mundartlich "Jupp" Gerufene die örtliche Volksschule besucht, im Kölner Kaufhaus der Familie mütterlicherseits eine Lehre gemacht und als Frontsoldat mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse dekoriert im Ersten Weltkrieg für Deutschland gekämpft … und überlebt. Nach der Machtübernahme durch die Nazis wurde er verhaftet, kam dann aber frei und ging in die Niederlande, wohin seine Frau mit den beiden Söhnen Wolfgang und Klaus-Albert bereits während seiner Haft geflohen war. Mit einem Vetter baute er in Amsterdam eine Lederwarenfabrik auf, half Emigranten und, jüdische Kinder in die Niederlande zu schleusen.
Nach der Besetzung der Niederlande durch Nazi-Deutschland wurde Weiss und dessen Familie im Lager Westerbork inhaftiert, wo er in die so genannte jüdische Selbstverwaltung eingebunden war. Hier setzte sich Weiss für seine Mitgefangenen ein, deren Los er zu erleichtern versuchte. Als „wirtschaftlich wertvolle Juden“ eingestuft, wurde die Familie Weiss 1944 ins KZ Bergen-Belsen (wo Anne Frank umkam) verbracht, wo er bald in einem der neun Lager die Funktion des stellvertretenden Judenältesten wahrnahm. Es herrschten katastrophale Bedingungen, die Weiss mit Geschick, großem Einfallsreichtum und noch mehr persönlichem Mut und Opferbereitschaft zu bessern versuchte.
Würde bewahrt
Dass sein Vater sich seine Würde bewahren konnte, als Einziger von den Nazis nicht geduzt, sondern mit „Herr Weiss“ angesprochen worden sei, war seinem mit inhaftierten Sohn Klaus-Albert in Erinnerung geblieben. Und, dass sie 1945 aus Bergen-Belsen in einem Zug voller Typhus-Kranker abtransportiert, zwölf Tage durch Deutschland herumgeirrt seien und am Ende von russischen Soldaten in Brandenburg befreit wurden. Selbst erkrankt, konnte Weiss während der Fahrt noch Lebensmittel für Kinder beschaffen und für viele Mitgefangene zum Retter werden. Die Familie Weiss ging nach Israel, wo Jupp Weiss am 12. September 1976 in Jerusalem verstarb, sein Sohn Klaus-Albert kam vor 24 Jahren bei einem Unfall ums Leben.
Schwiegertochter Yona Weiss und vier Enkelinnen Jupp Weiss’ (u.a. aus Israel, USA und England) nahmen jetzt zusammen mit weiteren Familienangehörigen an den beiden kleinen Feiern anlässlich der Straßenbenennung und Enthüllung der Gedenktafel teil. Für die Angehörigen war es der erste Besuch in Deutschland.
Zu den Feierstunden hatten sich zahlreiche Flamersheimer Bürger und Vertreter der dortigen Vereine eingefunden. Nach einem Grußwort von MdL Klaus Voussem und einer kurzen Erklärung des Heimatforschers und Buchautors Hans-Dieter Arntz enthüllte zunächst Yona Weiss das Straßenschild, das den Namen ihres Schwiegervaters trug, um sich anschließend mit kurzen Worten an die Versammelten zu wenden.
Sehr gerührt
Die Gedenktafel an Jupp Weiss Geburtshaus in der Pützgasse 16 enthüllten die vier Enkelinnen gemeinsam. „Es hat mich sehr gerührt, als Herr Arntz mir über die Initiative berichtete, eine Straße … nach meinem Großvater zu nennen“, wandte sich Enkelin Atara Zachor Dayan namens der Familie an die Versammelten. „Wir hatten eine solche Ehre und Wertschätzung nicht erwartet. Wir alle, ich und die ganze Weiss - Familie weltweit, danken Ihnen dafür sehr“. Zum ersten Mal auf deutschem Boden und an der Stelle, wo Jupp Weiss geboren und aufgewachsen sei, zu stehen, „ist ein Anlass den ich nie vergessen werde, eines der ergreifendsten Ereignisse in meinem Leben. … Eine Reise, zurück zu meinen Wurzeln, die für mich als „Holocaust-Kind der zweiten Generation“ sehr schwierig, sehr bewegend und sogar beängstigend ist. Bis heute hatte ich es vermieden, Deutschland zu besuchen. Aber jetzt, wo Sie meinen Großvater auf so schöne Art ehren, habe ich mich entschlossen, an der Zeremonie teilzunehmen. Leute, die Sie hier leben werden, in einer nach einem besonderen und außergewöhnlichen Menschen benannten Straße! Ich hoffe, dass sein Name Sie dazu veranlassen wird, Ihre Kinder im Einklang mit seinem Wesen und seiner Vision zu erziehen, genau wie wir Weiss-Kinder gelehrt wurden, menschlich zu sein, Leute zu lieben und alle Menschen als gleichwertig anzusehen. … Ich bin meinem Großvater, den ich nur bis zum sechsten Lebensjahr kannte, dankbar, dass er mir sein Erbe ins Blut übertragen hat.- Ich danke Ihnen von ganzem Herzen. Gott segne Sie alle“!
Vorbild
Mit dem jüdischen Sprichwort, dass ein Mensch erst vergessen sei, wenn sein Name vergessen ist, leitete Bürgermeister Dr. Uwe Friedl seine Ansprache ein. „Damit der Name von Josef Weiss nicht vergessen wird, ehren wir ihn heute mit Gedenktafel und Straßen-Benennung“. Die Dorfgemeinschaft als vorbildlich in ihrer Erinnerungsarbeit bezeichnend und an das Wiedersehensfest vor 30 Jahren erinnernd, ging Friedl noch einmal auf die Vita Weiss’ ein, der in Westerbork vielen Menschen das Leben gerettet habe und sich auch im KZ Bergen-Belsen für seine Mitinhaftierten eingesetzt habe. Weiss Worte zum letzten Sederabend (Vorabend des Pessachfestes) seien ob ihrer schonungslosen Offenheit mehr als nur „zu Herzen gehend“.
Mit „Es ist zwar paradox, den Satz aus der Haggada zu zitieren: Jeder, der komme, der esse mit uns!, denn hier ist das Gegenteil“, habe sich Weiss an seine hungernden und erkrankten Mitgefangenen gewandt. „Alle haben wir Hunger. Wir von der (jüdischen) Leitung können Euch nichts mehr besorgen. Ich kann Euch kein Brot geben, nur mit Worten kann ich Euch Mut zusprechen. Haltet die letzten fünf Minuten aus“. Die wenigen noch vorhandenen Lebensmittel (Kohl und Saft) waren dem Kinderheim für die 90 dort untergebrachten Kinder gegeben worden. „Seine Beständigkeit, Besonnenheit und Würde machten ihn zum Vorbild in einer Zeit und in Verhältnissen, die nicht menschenwürdig waren. Die Person Jupp Weiss sollten wir gerade in der Region, aus der er stammte, ehren“, mahnte Friedl.