Wer kann Auskunft über jüdische Sportler in Euskirchen geben – besonders in einer „Sportgruppe des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten“ (RjF) während der Zeit 1933-1936 ?
Bekannt ist nur folgendes:
Es lässt sich heute nicht mehr eindeutig nachweisen, wer von den Mitgliedern der etwa seit 1848 bestehenden Euskirchener Sportvereine katholisch, evangelisch oder jüdisch war. Das könnte eigentlich positiv gewertet werden, denn für die damalige Zeit der Abschottung von konfessionellen Minderheiten ist es bedeutsam, dass nur im Sportleben persönliche Beziehungen zwischen Juden und christlichen Euskirchenern und keine Diskriminierungen stattfanden.
Der jüdische Lehrer Matthias Eckstein initiierte sogar die Gründung des ETSV-ETSC Sportvereins, und laut vorhandenem Protokollbuch waren sogar auch zwei evangelische Persönlichkeiten an der Gründung des damals gegründeten Euskirchener Turnverein (ETV) beteiligt: Turnlehrer Wilhelm Vierkötter und Laurenz Fischer, Vater des Nobelpreisträgers Emil Fischer. Dort eingetragenen Mitglieder und jüdische Sportler wie Wolff und Mayer bereicherten auch am Anfang des 20. Jahrhunderts die Vereine.
Abraham Orchan war erfolgreicher Ringer, und Karl Schneider, Sohn des Fischhändlers Ignatz Schneider, war ein oft siegreicher Radrennfahrer und später Mitglied des Gauvorstandes deutscher Rennfahrer (BDR). Weiterhin hatte im Jahre 1910 im benachbarten Lommersum der jüdische Textilhändler Willi Kain den örtlichen Sportverein gegründet.
Im Laufe der Zeit entstanden und verschwanden viele Sportvereine. Recht beliebt waren am Ende des19. Jahrhunderts Turnen und Kraftsport, wozu damals Gewichtheben und Ringen gehörten. Erstmals wurde im Juni 1891 humorvoll in der Lokalpressse erwähnt, dass ein jüdischer Kraftsportler, der beliebte Euskirchener Gastwirt Abraham Meyer, im „Originaltheater von Geschwister Melich" zu einem Ringkampf angetreten war, an dem jeder Bürger teilnehmen konnte.
Der muskulöse Jude ging unbesiegt aus dem Kampf gegen den „bärenstarken Sohn des schwarzen Kontinents" hervor, und schmunzelnd lasen am nächsten Morgen die Mitbürger in der Zeitung, dass „ihr" Abraham „auf den Ausgang des zweiten Kampfes stolz sein kann... An blauen Flecken und abgestreiften Hautstellen soll es bei ihm allerdings nicht fehlen. Aber solche Kleinigkeiten muss man bei derartigen Gelegenheiten eben mit in Kauf nehmen!"
Nach dem 1. Weltkrieg, im Frühjahr 1920, traten Vertreter des Allgemeinen Turnvereins der Stadt Euskirchen, des Athleten-Vereins Euskirchen, des Euskirchener „Sport-Clubs 1913“, des „Euskirchener Turnvereins 1886“, des „Euskirchener Turn- und Fechtklubs“ und des Radfahr-Vereins „Adler“ als erste Mitglieder dem neu gegründeten Stadtsportverband Euskirchen bei, dem sich in den kommenden Monaten alle sporttreibenden Vereine in der Stadt Euskirchen anschlossen.
Das Vereinsleben spielte auch im etwa 12.000 Einwohner zählenden Euskirchen eine besondere Rolle und beeinflusste das soziale und kulturelle Zusammenleben. Dies wird in meinem Buch „JUDAICA – Juden in der Voreifel“ dargestellt. Besonders spezielle Zusammenschlüsse zu Beginn des 20. Jahrhunderts - wie zum Beispiel der „Jüdische Wanderverein“ oder der „Jüdische Tennisclub“, dessen „jüdische Turnierequipe“ (1928) aber m. E. nur eine Unterabteilung eines anderen Vereins war -, stärkten das jüdische Zusammengehörigkeitsgefühl.
Unter dem Vorsitz des tatkräftigen Textilhändlers Siegfried Hanauer wurde 1920 die Ortsgruppe der „Vereinigung deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens" ins Leben gerufen, die bald über 60 Mitglieder zählte. Ihr Ziel war die Bekämpfung des Judenhasses. So gab es jetzt auch einen jüdischen Wanderverein sowie die bereits erwähnte Tennis-Equipe, so dass nun innerhalb der Gemeinde das gesellige Leben sehr gefördert wurde. Fast zur gleichen Zeit wurde der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten (RjF) auf Initiative von Leo Löwenstein gegründet.
Auch seine Zielsetzung war die Abwehr des Antisemitismus in Deutschland unter Berufung auf die Tatsache, dass im Ersten Weltkrieg etwa 85.000 deutsche Juden gekämpft hatten, von denen etwa 12.000 fielen. Das Ziel der Veteranen lautete:
Der RJF sieht die Grundlage seiner Arbeit in einem restlosen Bekenntnis zur deutschen Heimat. Er hat kein Ziel und kein Streben außerhalb dieser deutschen Heimat und wendet sich aufs schärfste gegen jede Bestrebung, die uns deutsche Juden zu dieser deutschen Heimat in eine Fremdstellung bringen will.“
Wichtiger Ansprechpartner war in Euskirchen der jüdische Mediziner Dr. Hugo Oster, der in den 1930er Jahren zumindest für sportliche Jugendliche einen RjF-Sportverein in Euskirchen geplant haben mag.
Im Gegensatz zum 19. Jahrhundert, wo viele Angelegenheiten der Synagogengemeinde öffentlich ausgetragen wurden, hielt man sich am Anfang des 20. Jahrhunderts zurück. Als im Jahre 1919 das jüdische Klubhaus von den Besatzungstruppen beschlagnahmt wurde, gab es keinen auffälligen Protest, wie das bei anderen Vereinen vorkam. Auffällig war dagegen die Großzügigkeit bei Spendenaktionen. Hier wurde zum Beispiel die „Soziale Kommission der jüdischen Wohlfahrt und des jüdischen Jugendbundes" in einem Zeitungsartikel vom 3. Dezember 1930 als großzügiger Spender gelobt.
Nicht wenige jüdische Sportler gehörten anfangs zu diesen Vereinen, was sich aber mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten radikal änderte. Sie wurden aus dieser Sportgemeinschaft offiziell ausgeschlossen.
Einen grundlegenden Wandel brachte das Jahr 1933 für den Stadtsportverband Euskirchen und seine Mitgliedsvereine mit dem Wechsel von demokratischer Freiheit zur autoritären Gebundenheit im Hitlerregime. Durch Artikel 7 des Aufbaugesetzes von 1934 wurden in den folgenden Jahren demokratische Strukturen fast völlig beseitigt. In Euskirchen wurden die DJK Rhenania 09, der Klub für Kraftsport „Borussia“ und der Arbeitersportverein verboten. Auch weitere Sportvereine und ihre Verbände, dem „Führerprinzip“ folgend, unterstellte die Regierung einem Reichssportführer.
Der einst renommierte Reichsbund jüdischer Frontsoldaten (RjF) - dem man 1936 jegliche politische Tätigkeit untersagte und 1938 verbot - ,versuchte Anfang der 1930er Jahre , jüdischen Sportlern durch Gründung eigener Sportaktivitäten eine Alternative zu bieten.
Wie der in Alfter lebende Sporthistoriker Dr. Arthur Heinrich herausfand, gründete sich daher im Laufe des Jahres 1933 in Euskirchen eine RjF-Sportgruppe in Euskirchen, die die Disziplinen Leichtathletik und Fußball pflegte. So konnte man wohl vorläufig den Vorschriften des „Arierparagrafen“ entgehen. Ansprechpartner war Alex Schwarz, wohnhaft Euskirchen, Baumstraße 14. Sein Vater war der Glasermeister Philipp Schwarz (*14.10.1889) und Johanna geb. Berger (* 22.12.1889), die noch im letzten Augenblick mit dem jüngsten ihrer vier Kinder – es handelt sich hierbei um Lothar Schwarz - am 15. Oktober 1941 nach Mexiko emigrieren konnten.
Am 19. Juni 1936 wurde diese RjF-Sportgruppe letztmalig in der jüdischen Presse erwähnt. Nichts ist aber über das präzise Gründungsdatum der RjF-Sportgruppe Euskirchen, die Mitglieder und deren Aktivitäten, Trainingsstätte und Sportplätze, auf denen Heimspiele im Fußball ausgetragen wurden, bekannt. Hierzu werden dringend Details gesucht.
Meine eigenen Recherchen bei den in Mexiko lebenden Nachfahren der jüdischen Familie Schwarz ergab, dass Alex Schwarz (1915-1970) am 30. Juli 1935 von Euskirchen nach Köln verzog und von dort aus nach Mexiko auswanderte. Aber über seine sportlichen Aktivitäten in einer Jugendgruppe beim „Reichsbund jüdischer Frontsoldaten“ ist auch bei den betagten Angehörigen in Mexiko nichts bekannt.
Weiterhin veröffentlichte das „Israelitische Familienblatt“ in der Ausgabe vom 13. September 1934 Siegerlisten der am 2. September 1934 in Köln-Mülheim ausgetragenen „Leichtathletikmeisterschaften des westdeutschen RjF-Sportbundes“. Danach hatte ein „Herrmanns (Euskirchen)“ das Speerwerfen gewonnen. Die Liste „Jüdische Bevölkerung der Stadt Euskirchen“ führt allerdings keinen „Herrmanns“. Gemeint ist sehr wahrscheinlich Hans Hermann (* 04.11.1914), aus Flamersheim, später Euskirchen. Auch über seine RjF-Aktivitäten wurde bisher nichts bekannt.
Die Euskirchener RjF-Gruppe bestand nicht nur aus Alex Schwarz und (vielleicht) Hans Hermann, sondern stellte darüber hinaus eine komplette Fußballmannschaft, die am Meisterschaftsbetrieb und an Pokalwettbewerben des RjF-Landesverbandes teilnahm. In der jüdischen Presse wurden die Euskirchener Fußballer letztmalig am 19. Juni 1936 erwähnt. Vielleicht gibt es Euskirchener Fußballfreunde oder deren Archive, die etwas hierüber wissen.
Ich habe mir die Geburtsdaten der damals in Euskirchen lebenden jungen Juden, die als „Mannschaftsmitglieder" in Frage kommen könnten, noch einmal angesehen. Ich kenne den Lebenslauf der meisten von ihnen. Daher bezweifele ich jetzt sogar, ob sogar noch Hans Hermann 1936 (!!!) offiziell Fußball spielte.
Ähnlich sieht es mit dem engagierten Fußballer Siegfried (Siggi) Oster (*10.08.1912 in Flamersheim) - Sohn von Jakob Oster (24.01.1868 - 03.01.1924) und Therese geb. Wolf (1873 in Gemünd - Febr. 1933 in Flamersheim) aus Flamersheim aus. Er ist auf dem Foto(1930) als Dritter von links in der hinteren Reihe zu sehen.
Er könnte vielleicht anfangs zu der Mannschaft der erwähnten RjF-Sportler gehört haben. Vgl. auch "JUDAICA", Seite 176. Ich begegnete ihm ab 1984 mehrfach. Meines Wissens war er aber nie Mitglied eines jüdischen Sportvereins, sondern nur bei VfR Flamersheim 1928 eV. Nachweislich gehörte er dort zur 1. Mannschaft und wurde im Jahre 1984 zum Ehrenmitglied ernannt wurde.
Der bereits erwähnte Karl Schneider ( *10.11.1902), dessen Holocaust-Erlebnisse ich bereits publiziert habe, war ein renommierter jüdischer Sportler und bis zur „Machtergreifung“ Vorsitzender des Euskirchener Radvereins. Dieser Verein hatte so viel Anstand, sich sofort aufzulösen, als ihrem Vorsitzenden die Mitgliedschaft verboten wurde. Nach dem 2. Weltkrieg hieß es in der Euskirchener Vereinschronik:
Selbstauflösung des Vereins nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Der Vorstand kommt so dem Ausschluss seines jüdischen Vorsitzenden Karl Schneider zuvor. Einige Rennfahrer schließen sich dem RC Endspurt Gehn an, bis auch dort das Vereinsleben zum Erliegen kommt. Karl Schneider wandert in die USA aus. Mit Sympathie und finanzieller Unterstützung begleitet er nach dem Zweiten Weltkrieg die Neugründung des Vereins und die Radsportaktivitäten.
Ziel des vorliegenden Beitrags ist jetzt die Frage:
Wer kann Auskunft über jüdische Sportler in Euskirchen geben – besonders in einer „Sportgruppe des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten“ (RjF) während der Zeit 1933-1936?