Anlass und Beginn meiner Recherchen
Vor einigen Jahren begann ich mit Nachforschungen zum Thema Juden in meiner Heimatgemeinde Oberwinter. Hierzu wurde ich durch eine Anfrage von Professor Micha Levy aus Jerusalem angeregt, der sich beim Rathausverein Oberwinter nach Familienmitgliedern erkundigte. Bis dahin wusste ich noch nicht einmal, dass es auch in Oberwinter bis in die 1920er Jahre jüdische Familien gegeben hatte.
Mein Interesse war geweckt. Durch Zeitzeugenbefragungen, Archivanfragen, Beschäftigung mit der regionalen und überregionalen Literatur erfuhr ich immer mehr über jüdische Familien aus und in Oberwinter. Einige Ergebnisse meiner Nachforschungen werden hier kurz vorgestellt. Eine umfangreiche Publikation zur Geschichte der jüdischen Familien in Oberwinter ist vorgesehen. (1)
Zeugnis jüdischen Lebens in Oberwinter: Fundstück aus der Hauptstraße 73, wo einst Mitglieder der jüdischen Familien David und Wolf wohnten. |
Grabstein von Rebekka Levy, früher auf dem jüdischen Friedhof in Rolandseck, jetzt in Remagen. |
Nachweise von Juden in Oberwinter
In Oberwinter sind Juden seit dem 14. Jahrhundert urkundlich nachweisbar. Einzelne Namen begegnen uns dann erst wieder ab dem 17. Jahrhundert in den Quellen. 1612 starb in Leutesdorf Uri Veibesch aus Oberwinter und wurde in Hammerstein begraben. 1647 verpfändete Sebastian Dunkhass Güter in Oberwinter an den Juden Joist.
Zwischen 1710 und 1714 tauchen die Oberwinterer Juden Brosius, Hirz, Leiser, Moyses im Linzer „Judenleibzollregister“ auf, als sie als Händler den Linzer Wochenmarkt besuchen.
1717, als alle männlichen Familienvorstände von Oberwinter aufgefordert werden, dem Landesherrn die Treue zu schwören, wird in der Huldigungsliste „Moyses Judt“ erwähnt.
Nach amtlichen Statistiken lebten 1858 in Oberwinter 22 Juden, 1895 noch 15, 1925 sind dann keine jüdischen Mitbürger mehr erfasst. Für 1879 /1880 werden namentlich fünf jüdische Familienvorstände im Rheinort aufgeführt: David Heymann (später als David Hermann bezeichnet), Jakob Levy, Max Levy, Simon Levy und Isaac Wolff. Oberwinter gehörte ab 1859 zum damals gebildeten Synagogenverband Sinzig. Zu religiösen Feiern wurde von den hiesigen Juden die Remagener Synagoge aus dem Jahre 1869 besucht.
Zum Unterricht jüdischer Kinder
Die erste Nachricht über den Schulbesuch eines jüdischen Schülers aus Oberwinter finden wir in einem Schreiben des evangelischen Pfarrers von 1839, aus dem hervorgeht, dass verschiedene Schüler, darunter Salomon Levy, im November beim Unterricht gefehlt hatten und ihre Väter deswegen vom Gerichtsschöffen auf das Rathaus geladen wurden.
1850 gab es dann zwar in Remagen einen jüdischen Elementar- und Religionslehrer, jedoch besuchten die Oberwinterer Kinder die beiden christlichen Volksschulen am Ort. Jüdischer Religionsunterricht wurde um 1900 in Remagen und Sinzig erteilt.
Die jüdischen Friedhöfe in Oberwinter und Rolandseck
Beide Friedhöfe sind durch zahlreiche Zeitzeugenaussagen belegt, jedoch ist es bisher nicht gelungen, einen schriftlichen Beleg für den Friedhof in Rolandseck zu erbringen. Der jüdische Friedhof in Oberwinter befand sich gegenüber dem Bahnhofsgebäude und war nur 55 qm groß. Beim Bau der Umgehungsstraße wurde der Friedhof 1936 vollständig beseitigt. Über den Verbleib der Grabsteine konnte bisher nichts herausgefunden werden.
In Rolandseck existierte ein jüdischer Friedhof auf einem Grundstück, das Julius Levy gehörte und von diesem später verkauft wurde.
Auf Veranlassung der jüdischen Kultusgemeinde Koblenz wurden die dort aufgefunden sieben Grabsteine auf den alten jüdischen Friedhof im Remagener Wald verbracht. Die Rolandsecker Grabsteine datieren aus der Zeit von 1883 bis 1900, sind aus Sandstein gefertigt und können den Familien David / Wolf (3) und der Familie Levy (4) zugeordnet werden.
Zum Verhältnis zwischen jüdischer und christlicher Bevölkerung
Wir können heute nur darüber spekulieren, wie die religiösen Gruppen zueinander gestanden haben. Religiöse Unterschiede und vor allem lange Zeit Unkenntnis über Inhalte der jüdischen Religion, gaben Raum für wilde Spekulationen und Vorurteile. Auch das Nebeneinander der beiden christlichen Religionen verlief in Oberwinter nicht immer so harmonisch, wie es heute gerne dargestellt wird. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gab es wohl von beiden Seiten verstärkte Bemühungen um Akzeptanz.
Eine Zeitzeugin aus unserer Gemeinde, die noch mit jüdischen Schülern zusammen die Schule besucht hat, berichtete, diese seien ebenso wie die christlichen behandelt worden. Lediglich am Sabbat mussten sie die Schule nicht besuchen.
Die Tagebuchaufzeichnungen von Ferdinand Stausberg aus den Jahren 1871 – 1879 zeugen von der Freundschaft zu seinem jüdischen Freund Julius Levy. Die Kinder der beiden Familien gingen auch bei anderen Familien ein und aus. Zum Pessach-Fest (jüdisches Fest, das etwa um Ostern gefeiert wird) verschenkte Familie Levy Matzen (ungesäuertes Brot) an die Nachbarskinder. Ferdinand Stausberg und Julius Levy blieben auch noch befreundet, als beide nach Köln gezogen waren.
Jüdische Familien und Einzelpersonen in Oberwinter
Der Anteil der Juden an der Gesamtbevölkerung war auch in Oberwinter gering. Fast alle waren Metzger oder Viehhändler und relativ arm. Sie besaßen ab Anfang des 19. Jahrhunderts meist bescheidenes Wohneigentum, das sie sich oft mit mehreren Familien teilen mussten, kleine Gärten, Äcker und Weingärten. Ihre wirtschaftliche Situation war somit durchweg mit den meisten Einwohnern des Ortes vergleichbar.
Vor allem aus wirtschaftlichen Gründen setzte dann ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Wegzug der Juden in größere Städte ein. Da die Juden in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts ihre volle Emanzipation und damit Niederlassungsfreiheit erhielten, zogen viele von ihnen in die Städte, da sie dort bessere Bildungschancen für ihre Kinder und bessere wirtschaftliche Möglichkeiten zu finden hofften. Nachfolgend werden einige Daten und Schicksale von jüdischen Familien und Einzelpersonen vorgestellt, die in Oberwinter im 19. und 20. Jahrhundert lebten. Eine ausführliche Würdigung dieser Menschen bleibt der Buchpublikation vorbehalten.
Familie David kam aus dem rechtsrheinischen Unkel nach Oberwinter.
Das Familienmitglied Hermann David liefert ein Beispiel dafür, wie schwierig es zuweilen ist, den Lebensweg hier geborener Juden nachzuvollziehen. So gibt es seinen Namen in verschiedenen Varianten. 1821 wurde er als Hermann Nathan geboren und nahm im Zuge der Namensdeklaration auf der rechten Rheinseite im Jahre 1846 den Namen Heumann David an. In verschiedenen Quellen wird er auch Heymann David oder auch David Heumann genannt.
Von Beruf war er Metzger. Er heiratete Adelheid Wolff aus Münstereifel, mit der er insgesamt sechs Kinder hatte. Sein Sohn Adam David wanderte nach Chicago aus, Isidor gründete als Handelsmann eine Familie und wurde ebenfalls Handelsmann in Düngenheim bei Kaisersesch. Isidor wurde ebenfalls Handelsmann und gründete eine Familie in Düngenheim bei Kaisersesch. Tochter Fanny heiratete den Glasermeister Adolf Aron (Aaron), der in Bad Honnef eine Firma gründete. Während Isidor, Gustav und Fanny eines natürlichen Todes starben, wurden fast alle ihre Nachkommen von den Nationalsozialisten ermordet.
Daniel Meyer und seine Frau Jeannette, geb. Cahn, betrieben eine Metzgerei in Oberwinter, wo sie von 1893 bis 1910 lebten. Sie besaßen außer der Metzgerei Weingärten, Wiesen und eine Holzung. Zwei ihrer insgesamt sechs Kinder, die zwischen 1889 und 1900 geboren wurden, besuchten 1899 eine christliche Schule im Ort. Einer der Söhne fiel im Ersten Weltkrieg. Die bisherigen Recherchen ergaben auch bei dieser Familie, dass sich die Spuren der meisten in den Konzentrations- und Vernichtungslagern verlieren. Nur wenigen gelang die Flucht aus Deutschland.
Berta Bukofzer, geb. Levy (*17.02.1865 Oberwinter). Sie kam im Holocaust um. |
Siegmund Levy (*25.02.1876 Oberwinter). |
Familie Levy hat nachweislich 200 Jahre in Oberwinter gelebt. Die Mitglieder der Familie ernährten sich früher hauptsächlich vom Viehhandel, waren Metzger oder Schächter. Im 19. Jahrhundert kommen die Berufe Köchin, Commis (Handlungsgehilfe), Hausierer, Buchhalter und Kaufmann hinzu.
Nach und nach zogen Familienmitglieder in die größeren Städte des Umlandes nach Bonn, aber auch nach Köln, Düsseldorf und Wuppertal, wo einigen der wirtschaftliche Aufstieg gelang. So wurde der 1876 in Oberwinter geborene Siegmund Levy Mitherausgeber der Handelskammerblätter in Düsseldorf. Er heiratete 1808 in Bonn Julie Ursell aus Mülheim, die in Bonn das Damenmodegeschäft Ursell gegründet hatte, das noch bis um 1995 von einem Neffen weiter geführt wurde. Ihr Sohn Maximilian (Mordechai) studierte in Köln und legte dort 1933 als einer der letzten jüdischen Studenten das Doktorexamen ab, bevor er nach Palästina auswanderte. Siegmund Levy war Soldat im Ersten Weltkrieg und ein glühender Patriot. Zusammen mit seiner Frau wurde er 1943 nach Izbica deportiert und wie so viele andere Mitglieder der Familie, ermordet.
In der Steuerliste von 1879 ist in Oberwinter auch eine Familie Wolff / Wolf aufgeführt.
Neben diesen Familien sind in Oberwinter auch die Familiennamen Veibesch, Joist und Cahn belegt. Rosa Cahn übernahm 1819 die Hebammenstelle in Oberwinter und den umliegenden Dörfern. 1821 heißt es über sie, dass ihre Leistungen zwar gut seien, einige Frauen sie aber trotzdem mieden, weil sie Jüdin war.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts betrieb der evangelische Metzger Gustav Nowack mit seiner jüdischen Frau Sabine eine Ochsenmetzgerei in Oberwinter und war Besitzer eines kleinen Schlachthauses. Das Ehepaar zog aber 1933 von Oberwinter fort, nachdem das Haus mit der Metzgerei abgebrannt war. Ihre Spur verliert sich dann.
Während der NS-Zeit fanden in Oberwinter mehrere Personen Aufnahme und Hilfe vor der Verfolgung. Dazu gehörten Rosa Doerflinger und ihr Sohn Karl-Heinz aus Köln, die dann auch nach 1945 ganz nach Oberwinter zogen, wo der Schneidermeister Wilhelm Doerflinger Lehrlinge ausbildete.
Johanna Kirchhoff, geb. Wolff, konnte in Rolandseck durch die Hilfe ihres späteren Ehemannes Robert Murmann gerettet werden.
Ebenfalls in Rolandseck versteckten sich zeitweise die betagten Eheleute Salomon und Henriette Jacoby mit ihrer Tochter Hildegard Schott, deren Ehemann bereits deportiert worden war.
Einige wenige jüdische Personen, meist in christlich-jüdischen Ehen, haben in Oberwinter nach 1945 gelebt, ihr Judentum jedoch nie nach außen getragen. Zu groß waren die Traumata, die die wenigen Nachkommen der deutschen Juden mit sich herumtragen mussten. Es liegt an uns, durch die Aufarbeitung dieser Zeit auch für künftige Generationen die Erinnerung an die Opfer wach zu halten.
Anmerkung
1) Diese Darstellung stellt eine Kurzfassung eines längeren Aufsatzes dar, der zu einer Buchpublikation erweitert wird. Die englische Version “Jewish life in the community of Oberwinter in the Rhine Valley” wurde veröffentlicht in der Fachzeitschrift für Genealogie der Juden in Deutschland des Leo-Baeck-Instituts New YorK „Stammbaum“, Nr. 31, Sommer 2007. Anmerkungen, Literatur und Quellennachweise finden sich in diesen Darstellungen. Für weitere Hinweise ist die Verfasserin dankbar.