Flucht oft nur ein „Spaziergang“
KALTERHERBERG: „Juden in der Nordeifel“ - der Titel lässt aufhorchen, herrscht doch die weit verbreitete Ansicht, diese Region hätte mit Juden nicht viel zu tun gehabt, auch nicht zur Zeit des Nationalsozialismus und der Judenverfolgung. Dass das jedoch nicht ganz richtig ist, demonstrierte der Regionalhistoriker Hans-Dieter Arntz aus Euskirchen in einem eindrucksvollen Dia-Vortrag im vollbesetzten Saal des Pfarrzentrums Kalterherberg. Dies war eine Veranstaltung einer gemeinsamen Initiative der evangelischen Gemeinde Monschau und der katholischen Gemeinden des Dekanats Monschau.
Das eigentliche Thema des Vortrages lautete: „Verfolgung und Fluchthilfe zur Zeit des Nationalsozialismus". Hans-Dieter Arntz, der sich mit mehreren Büchern zum Kriegsende, zur Ordensburg Vogelsang und zur jüdischen Bevölkerung in der Eifel profiliert hat, gab zunächst einen Überblick über die Geschichte der Juden auf dem Gebiet des späteren Westdeutschland seit dem Beginn des Mittelalters. Für die Jahre bis etwa 1930 resümierte Arntz: „Juden gehörten zur Eifel". Er untermauerte dies insbesondere durch Bilder von Viehhändlern, des jüdischen Friedhofs oder der Synagogein Euskirchen. Umso beklemmender die folgende Entwicklung: Waren zunächst in den ländlichen Orten eher die Nazis selbst die Außenseiter, gelang es ihnen seit 1933, die Juden zunehmend in diese Rolle zu drängen. Ergreifende Bilder zeigten den Brand der Euskirchener Synagoge oder die öffentlichen „Pranger-Tafeln", auf denen man die Namen derjenigen festhalten konnte, die in jüdischen Geschäften gekauft hatten.
Überhaupt war im 2.Teil des Vortrages der enge Anschluss an die Quellen bezüglich Nordeifel und auch Kalterherberg beeindruckend. Das gilt nicht nur für die vielen Ablichtungen, sondern auch für das umfangreiche Aktenmaterial, aus dem Arntz lange Abschnitte wörtlich zitierte. Er beleuchtete nicht nur die Ausbreitung des Nationalsozialismus im Monschauer Land anhand von Zeitungsberichten und Gestapo-Akten, sondern kam auch bald auf die Fluchthilfe zu sprechen. Er zeigte zahlreiche Tricks, die die Flüchtlinge anwendeten, um unbehelligt über die Grenze nach Neu-Belgien zu kommen – zum Beispiel „Spaziergänge" zu „Verwandten“ im nahen Belgien –, und hob erstaunliche Tatsachen hervor wie etwa die, dass die Juden, die in Monschau und Umgebung über die grüne Grenze flohen, hauptsächlich aus Österreich, Sachsen oder Schlesien kamen.
Arntz erinnerte auch mehrfach an einzelne, besonders markante Fluchthelfer und an zwei „professionelle“ Fluchthelfer-Organisationen aus Berlin/Aachen, die er im Laufe seiner Forschungen entdeckt hat. Diese waren bis 1943 noch tätig und wirkten europaweit. Sein Fazit: Nur wenige Bewohner der Grenzgegend haben tatsächlich aus Nächstenliebe Juden bei der Flucht geholfen – häufiger waren die, die aus der Lage der Flüchtlinge noch Profit schlugen oder sie verrieten. Arntz wollte damit jedoch nicht die Moralkeule gegen solche schwarzen Schafe und vom Nationalsozialismus Verführte schwingen, denn auch heute könne niemand für sein Verhalten in einer Situation wie der damaligen garantieren. So schloss er nicht aus, „dass man unter Umständen selber gefährdet gewesen wäre.