Anlässlich meiner Recherchen zum Thema Judentum und NS-Terror war ich in der Region Worms tätig und erhielt eine Einladung zur Besichtigung der Gedenkstätte KZ Osthofen. Hier haben das NS-Dokumentationszentrum Rheinland-Pfalz und der Förderverein Projekt Osthofen e.V. seit 1991 ein Dokumentationszentrum errichtet, das auch für historisch Interessierte unserer Region in NRW wichtig sein sollte. Dieser Online-Artikel und einige meiner Fotos sollen auf die rheinland-pfälzische Gedenkstätte hinweisen. Sie erinnern an eines der ersten Konzentrationslager im Deutschen Reich. Es handelt sich hier nicht nur um Museum, sondern um einen Ort der dauernden Dokumentation und Erforschung der NS-Zeit. Das KZ Osthofen galt für den „Volksstaat Hessen (Rheinhessen, Starkenburg, Oberhessen)“ in der Zeit 1933/34 als Beginn des beginnenden NS-Terrors und war eine vorläufige Haftanstalt der ersten Verhaftungswellen.
Die offizielle Errichtung eines der ersten nationalsozialistischen Konzentrationslager im Deutschen Reich erfolgte durch Dr. Werner Best, der seit dem 13. März 1933 als „Staatskommissar für das Polizeiwesen in Hessen" zuständig war. Die Entscheidung basierte auf einer Durchführungsbestimmung der „Reichtagsbrandverordnung" zum 1. Mai 1933. Das KZ wurde in dem kleinen ländlichen Ort Osthofen errichtet, diente der „Gegnerbekämpfung“ und befand sich auf dem Gelände einer leer stehenden Papierfabrik, die einem jüdischen Osthofener Fabrikanten gehörte. Die unmittelbare Nähe an der Bahnstrecke mit unmittelbarem Anschluss an die Hauptverkehrsstraße zwischen Mainz und Worms war zudem eine Standortpräferenz.
Alle aus politischen Gründen in Polizeihaft genommenen Personen, deren Haftzeit vorerst eine Woche oder länger dauern sollte, waren dorthin zu verbringen, ehe sie „weitergeleitet“ wurden. Besonders das bei Trier gelegene SS-Sonderlager und KZ Hinzert galt diesbezüglich als berüchtigtes „Arbeitserziehungslager“.
Bereits in ihrer Wochenendausgabe am 22./23. April 1933 hatte die „Niersteiner Warte“ in einem ganzseitigen, gut bebilderten Artikel unter der Überschrift „Erziehungs- und Besserungsanstalt in Osthofen“ ausführlich, wenn auch stark beschönigend, über eines der ersten deutschen Konzentrationslager berichtet. Die Bevölkerung war somit von Anfang an informiert und konnte in den kommenden Tagen in allen Teilen Hessens darüber hinaus die offizielle Version über Sinn und Zweck dieses Lagers erfahren und über die darin herrschenden Zustände lesen.
Tagtäglich folgten Pressemeldungen über durchgeführte Razzien, Haussuchungen, Verhaftungen und Abtransporte nach Osthofen. Auch für alle Bahnreisenden wurde die Existenz des Lagers durch die mit riesigen Lettern am Gebäude angebrachte Inschrift gut sichtbar gemacht. „In Osthofen ist noch viel Platz", wurde zum geflügelten Wort. Selbst in seiner Büttenrede zur Mainzer Fastnacht warnte Seppel Glückert am 18. November 1933 vor der „Wormser Gegend". Die Existenz dieses frühen Lagers wurde also keineswegs geheim gehalten. Im Gegenteil, durch die gezielten und warnenden, aber zugleich verharmlosenden Informationen sollten die „Volksgenossen" zu einem Zeitpunkt, als die NS-Diktatur noch keinesfalls gefestigt war, am effektiven Widerstand gehindert werden. Die Landeszentrale für Politische Bildung Rheinland-Pfalz zitiert in ihren „Blättern zum Land – Extra“:
Im Ausland reagierte man bestürzt auf die Errichtung von Konzentrationslagern und die Verfolgung von Juden und politischen NS-Gegnern. Worms fand als Ort besonderen Terrors in der internationalen Presse Erwähnung. Ebenso erwähnt wurde Osthofen im „Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitler-Terror", das im August 1933 in Basel erschien. Weder die Misshandlung Carlo Mierendorffs in Osthofen, noch die Folterungen des Wormser Juden Siegfried Resch bei seiner Verhaftung durch die Wormser SS blieben im Ausland verborgen. Die über die ausländischen Botschaften eingereichten Protestnoten führten im Falle des Juden Resch wegen seiner polnischen Staatsbürgerschaft zur Freilassung. In anderen Fällen, wie bei dem SPD –Reichstagsabgeordnetenund Nazi-Gegner Mierendorff, wurden die Proteste von der Deutschen Botschaft zurückgewiesen.
Die Dauerausstellung „Verfolgung und Widerstand in Rheinland-Pfalz 1933-1945“ konzentriert sich nicht nur auf die beiden Konzentrationslager Osthofen und Hinzert, sondern u.a. auch auf die Judenverfolgung. Weiterhin heißt es im ausliegenden Prospekt:
Weiterer Schwerpunkt ist die Thematik „Verfolgung und Widerstand" im heutigen Rheinland-Pfalz. Die Ausstellung bietet zahlreiche biographische und geographisch-regionale Elemente. Eine wichtige Rolle spielen dabei die gesammelten Überlieferungen der Zeitzeugen, ihre persönlichen Lebensgeschichten und Dokumente. Anhand einzelner biographischer Informationen über verfolgte Personen wird den Besucherinnen und Besuchern der gnadenlose NS-Terror vor Augen geführt; aber auch Karrieren von Tätern aus der Region werden durch Kurzbiographien vorgestellt. Die Ausstellung besteht aus Informationstafeln mit zahlreichen Text- und Bilddokumenten. In Vitrinen mit herausziehbaren Schubladen sind biographische Zeugnisse zu Opfern der Konzentrationslager und zu den durch die Nationalsozialisten verfolgten Personen untergebracht. Auf drei Großbildschirmen sind Filme zu sehen, die die Ereignisse in Osthofen, Hinzert und anderen Orten in Rheinland-Pfalz in den gesamtgeschichtlichen Zusammenhang der Jahre 1933 bis 1945 stellen. Zusätzliche Informationen bieten spezielle Hörstationen.
Ein Raum in der Gedenkstätte KZ Osthofen ist dem Roman „Das siebte Kreuz" von Anna Seghers (1900-1983) und der Biographie der Autorin gewidmet. Besonders auf dieses Buch der Weltliteratur möchte ich besonders hinweisen. Das Foto zeigt den Titelholzschnitt des Mexikaners Mendez für die erste deutschsprachige Ausgabe des Romans „Das siebte Kreuz" von Anna Seghers im Verlag El Libro Libre, Mexiko 1942.
Die Autorin Netty Reiling wurde am 19. November 1900 als einziges Kind einer wohlhabenden jüdischen Mainzer Familie geboren. Ihr Vater, Isidor Reiling (1868 -1940), betrieb zusammen mit seinem Bruder Hermann eine auch international erfolgreiche Kunst- und Antiquitätenhandlung am Flachsmarkt 2.
Das bekannteste und erfolgreichste Werk der Mainzerin Netty Reiling, die unter dem Pseudonym Anna Seghers zur weltberühmten Schriftstellerin wurde, war der Roman „Das siebte Kreuz“ (1942), der in der Gedenkstätte KZ Osthofen besonders berücksichtigt wird. Sie schrieb es fern der Heimat im französischen Exil, angewiesen auf die Kraft ihrer Kindheitserinnerungen an die rheinhessische Landschaft, die Menschen, ihre Sprache und Mentalität und - zunehmend - auf die Berichte in Paris eintreffender deutscher Exilanten. Mit diesem Roman und mit der in Mexiko geschriebenen Novelle Der Ausflug der toten Mädchen (1946), einer ihrer schönsten Erzählungen, setzte sie ihrer Heimatstadt und der Region zwischen Frankfurt, Mainz und Worms ein unvergängliches literarisches Denkmal.
Es ist zu begrüßen, dass die Anna-Seghers-Gesellschaft Berlin und Mainz e.V. sowie die Landeszentrale für Politische Bildung Rheinland-Pfalz diesem Buch der Weltliteratur und der Autorin einen speziellen Raum in der sehenswerten Gedenkstätte Osthofen widmen.
Es gibt nicht viele deutsche Konzentrationslager, die in der literarischen Weltliteratur als Roman verewigt wurden. Wie der Inhalt des Buches „Das siebte Kreuz“ beweist, bezieht es sich nicht nur auf die Regionalhistorie, sondern gilt auch als stete Warnung vor jeder Form des Faschismus:
Im Herbst 1937 fliehen sieben Häftlinge aus dem Konzentrationslager Westhofen (bei Worms / Osthofen). Die Jagd der SS beginnt rücksichtslos auf die fliehenden Männer. Jeder Flüchtling versucht auf eigene Faust seinen Verfolgern zu entrinnen. Mit Bluthunden gehetzt, haben die Verfolgten wenig Chancen, und bald werden die ersten zwei Häftlinge kurz nach ihrer Flucht gefasst.
Trotzdem entsteht im KZ Westhofen Panik. Der Lagerkommandant befiehlt sieben Bäume zu fällen und daraus sieben Kreuze zu zimmern. An diese Kreuze sollen die Geflohenen gebunden werden. Er ordnet an, dass bis zur neuen Woche alle Geflohenen dort hängen sollen, sonst wäre er selbst kein Kommandant mehr.
Georg Heissler, der die Flucht geplant hat, wird systematisch, durch Überwachung seines gesamten Umfeldes, gesucht. Trotzdem findet er in diesem ganzen Terrorumfeld immer wieder Menschen, die ihm, trotz eigener Gefahr, helfen, während die restlichen sechs Flüchtlinge gefangen werden oder auf der Flucht sterben.
Der Lagerkommandant ist nervlich am Ende, denn er weiß, er muss auch den letzten Häftling wieder einfangen, sonst sind seine Tage im Lager gezählt. Sieben Tage braucht Georg Heissler um seinen Peinigern, durch Hilfe aufrichtiger Menschen, zu entkommen; sieben Kreuze werden abgeschlagen und verbrannt. Der Kommandant richtet sich durch Selbsttötung.
„Das siebte Kreuz“ ist ein politischer Roman, der versucht den Nationalsozialismus und die Menschen, die damit leben oder darunter leiden, darzustellen. Die Botschaft und Aussage des Romans ist deutlich. Anna Seghers will den Menschen zeigen, dass nur der Zusammenhalt der Gegner des Naziregimes, dieses Regime auch vertreiben können. Ihre Widmung in dem Buch lautet daher: "Den toten und lebenden Antifaschisten in Deutschland".