Das Ende der französischen Besatzungszeit in Euskirchen (1929) –
TEIL 1: Stadtgeschichtler Hans-Dieter Arntz erinnert an den Abzug der Besatzungstruppen

von Hans-Dieter Arntz
(In: Kölner Stadt-Anzeiger, Teil Euskirchen, v. 30.11.1979)
23.01.2007

Zur Befreiung Fahnen und ein Fackelzug
Am 1. Dezember 1929 war schlimme Zeit zu Ende

 

Vor 50 Jahren, am 1. Dezember 1929, gab es einen  großen Tag für Euskirchen: Nach etwa 11jähriger Besatzungszeit durch Engländer, Kanadier, Franzosen und Marokkaner erlebte die Stadt eine „Befreiungsfeier“, die von vielen Bewohnern als die größte Spontanaktion ihres Lebens empfunden wurde. Der Stadthistoriker Hans-Dieter Arntz, Oberstudienrat am  Euskirchener Gymnasium Marienschule, stellt in zwei Artikeln im Stadt-Anzeiger den Ablauf dieses bedeutsamen Ereignisses und seine Vorgeschichte dar. Heute lesen Sie die erste Folge:

Bürgermeister Disse lud „ergebenst zur Befreiungsstunde“ ein. Die Vereine wurden gebeten, sich am Fackelzug zu beteiligen. Flaggen sollten gezeigt, Häuser illuminiert werden. Dies war die Einleitung für ein Freudenfest, das als historisches Datum in die Annalen der Stadt Euskirchen einging. Zugleich ging damit eine Phase zu Ende, die mit dem Ende des Ersten Weltkrieges begann und nachhaltige Spuren hinterließ.

 

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2500 BRIEFTAUBEN wurden auf dem Annaturmplatz aufgelassen – Symbol der Hoffnung auf eine bessere Zeit. 
(Archiv H.-D.Arntz)

Revolution in Euskirchen (1918)

In der Nacht von Freitag zu Samstag, 9. November 1918, waren Angehörige des hiesigen Ersatz-Bataillons zusammengetreten, um den militärischen Gehorsam zu verweigern. In der Morgenfrühe des Samstags wurde die Bataillonskammer geplündert. Zur Aufrechterhaltung der Ordnung und der Sicherheit des Privateigentums bildeten sich aus Soldaten aller Grade unter Führung des Majors Flory ein Soldatenrat, der einen großen Teil der geplünderten Sachen wieder herbeischaffte und Sicherheitspatrouillen mit weißen Armbinden durch die Straßen schickte.

Eine Veränderung war im Straßenbilde nur insofern zu bemerken, als Soldaten mit roter Schleife und ohne Kokarde herumgingen. Während sich in der Kaserne auf der Kommerner Straße der Soldatenrat gebildet hatte, fand im Gasthof Joisten am Markt unter dem Vorsitz  von  Bürgermeister Disse eine Verhandlung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern über die Sicherstellung der  Arbeitsgelegenheit statt, insbesondere unter Berücksichtigung der aus dem Felde zurückströmenden Soldatenmassen. Während der Tagung erschienen Abgeordnete des Soldatenrates und erklärten, dass dieser die Befehlsgewalt in der Stadt an sich genommen habe.

Eine später abgehaltene Volksversammlung im Tivoli-Saal an der Kölner Straße sah einen äußerst aktiven Beigeordneten Thomas Eßer, der erfolgreich vorschlug, den Soldatenrat durch Hinzuwahl einer Bürgerliste zu ergänzen. Während der Verhandlungen erschien eine Matrosenabteilung unter Führung des Redakteurs Trimborn von der Rheinischen Zeitung, die im Kraftwagen aus Köln gekommen war.

Die Matrosen und Trimbom stellten schnell fest, dass die Dinge in Euskirchen bereits gelaufen waren. Die Euskirchener Versammlung nahm die Eßerschen Vorschläge für die Bildung eines Bürgerrates sowie über die Zusammensetzung des Arbeiter- und Bürgerrates an.

Im Einvernehmen mit der Stadtverwaltung arbeitete dieser Rat für die Aufrechterhaltung der Ordnung sowie Sicherung des Heeresgutes. Auf Befehl der britischen Heeresleitung – als erste Besatzungsmacht nach dem 1.Weltkrieg – löste sich der Rat am 20. Dezember 1918 auf.

Rückzug des deutschen Heeres (1918)

Eine weitere Belastung nach dem Ersten Weltkrieg war für Euskirchen die Betreuung der zurückflutenden deutschen Truppen. Inzwischen hatte der Rückzug des deutschen Heeres seit dem 15. November eingesetzt und an das städtische Einquartierungsamt, das seine Büros in die erste Etage des Hauses Wilhelmstraße 18 verlegt hatte, außergewöhnliche Anforderungen gestellt. Tag und Nacht war das Büro unter Stadtsekretär Schäfer in Arbeit, da der Rückzug sehr eilig war.

Die Stadt Euskirchen wurde mit Truppen überbelegt. Vorwiegend war es die 18. Armee, Heeresgruppe Hutier, die über Euskirchen dem Rhein zustrebte. Das Oberkommando richtete im Hotel „Zur Traube“ seine Geschäftszimmer ein und leitete von dort aus mehrere Tage lang den Durchmarsch. Der in Euskirchen einquartierte General von Below, von Schülerinnen der heutigen Marienschule freundlich bewirtet, sprach später in einem besonderen Schreiben der Stadt für die vorzügliche Aufnahme seiner Truppen den besten Dank aus.

Unter besonderer Anteilnahme der Bevölkerung zog das Reserve-Infanterie-Regiment 239, von Zülpich kommend, mit klingendem Spiel ein. Die 1500 Mann starke Truppe hatte Euskirchen als Heimatgarnison überwiesen bekommen. Euskirchener waren Kriegsteilnehmer in diesem Regiment. Die Bürgerschaft hatte zum Empfang Fahnen herausgehängt. Die Truppen wurden mit Blumen überschüttet. Nach der Begrüßung auf dem Marktplatz und einem Parademarsch zogen die Soldaten in ihre Bürgerquartiere.

Der Durchmarsch der Truppen war am 4. Dezember 1918 beendet. Als letzte Regimenter marschierten das Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 7 sowie das Füsilierregiment 122 durch unsere Stadt. Danach überkam die Euskirchener Bürger das Gefühl der Verlassenheit. Die Fahnen wurden eingezogen, die Straßen gereinigt. Liegen gebliebene Waffen und Munition wurden eingesammelt und auf dem Polizeibüro abgeliefert. Die Erfrischungsstation auf dem Bahnhof schloss ihre Pforten. Das hiesige Reservelazarett unter dem Leiter Stabsarzt Dr. Bayer versammelte seine Ärzte, Schwestern und Pflegerinnen zum Abschied und löste sich auf.

Besatzungszeit (1918-1929)

Am 6. Dezember 1918 erschienen die ersten Besatzungstruppen. Erst knapp 11 Jahre später, am 1. Dezember 1929, konnte sich das Alltagsleben in Euskirchen wieder normalisieren. Dem neuen Jahrbuch 1980 für den Kreis Euskirchen sind genauere Schilderungen der bedrückenden Besatzungszeit durch Franzosen und Marokkaner zu entnehmen.

Der Durchzug britischer Truppen währte mehrere Tage. Als dauernde Besatzung kam das Hauptquartier des 9.und 10 englischen Corps nach Euskirchen, mit einer Reihe von  Infanterie- und Artillerie-Abteilungen. Im Sitzungssaal  des Tathauses richtete der Stadtkommandant (Town-Major) sein Büro ein, um mit dem städtischen Einquartierungsbüro die ständig wechselnden Einquartierungen zu7 regeln; desgleichen die Fülle von Requisitionen. Da die Gebäude einschließlich der Schulen für die Truppen nicht reichten, wurde an der Billiger Straße ein Holzbarackenlager, das sogenannte „Englische Lager“ eingerichtet.

Neben der Beschlagnahme von Bürgerquartieren, Schulen, Hotels und Villen verbitterte das oft unkontrollierte Verhalten farbiger französischer Soldaten die Euskirchener Bevölkerung. Bei Beginn des Passiven Widerstandes im Februar 1923 erhielt Euskirchen größere Mas­seneinquartierungen von französischen Eisenbahntruppen.

Zeitungen verboten

Am 11. Februar 1923 begannen auf Befehl der Besatzung die Ausweisungen. Am 5. Mai, mittags zwölf Uhr, erhielten 60 Euskirchener Eisenbahnerfamilien den Befehl, ihre Wohnungen zu räumen und unter Zurücklassung sämtlichen Mobilars sich nachmittags um vier Uhr am Bahnhof zum Abtransport ins unbesetzte Gebiet zu melden.

Dasselbe geschah an den folgenden Tagen. Weiterhin wurden Ende März viele Euskirchener wegen angeblicher Verbreitung von Propagandaschriften für den Passiven Widerstand verhaftet und nach Bonn ins Gefängnis abtransportiert. Gleiches geschah Stadtverordneten, Redakteuren, Lehrern. Von Mai bis November 1923 waren die beiden Euskirchener Zeitungen fast ununterbrochen verboten. Infolgedessen mussten die öffentlichen Bekanntmachungen nach dem Muster alter Zeiten durch Ausschellen der Bevölkerung zur Kenntnis gebracht werden.Zeitweise wurde eine Straßensperre ab 8 Uhr abends verhängt. Jeglicher Autoverkehr war untersagt. Auch in Euskirchen sehnte man sich nach der „Befreiung“…

 

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Noch nie veröffentlicht: Bild von marokkanischen Besatzungstruppen in Euskirchen vor den Kaserne an der Kommerner Straße.

(Archiv H.-D.Arntz)

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