Wer sich mit der Geschichte der Kreisstadt Euskirchen befasst, der kommt nicht an den kaum noch bekannten Artikeln des ehemaligen Volksblatt-Verlags vorbei. Dieser publizierte ab 1924 unter der Überschrift „Euskirchener Land im Wandel der Zeit“ eine Beilage, in der viele Heimatforscher und besonders Peter Simons interessante Beiträge publizierten.
Selbst der von den Nazis verfemte Vizepräsident des Reichstages, Thomas Eßer, steuerte später unter Pseudonym Wesentliches bei. Ein noch unvollständiges Inhaltsverzeichnis für die Jahre 1926 bis 1928 legte dankenswerterweise inzwischen der engagierte Familienforscher Kurt Baltus aus Düren vor. Die früheren und späteren Jahrgänge scheinen ihm wohl nicht vorzuliegen, lassen sich aber im Euskirchener Stadtarchiv finden.
Das derzeitige Osterfest gibt vielleicht Anlass, sich für dessen Gestaltung vor etwa 130 Jahren zu interessieren. Ein unbekannter Euskirchener äußert sich hierzu in der Ausgabe Nr.7/1926, S. 52 der oben erwähnten Zeitungsbeilage „Unsere Heimat im Wandel der Zeit“. Wenn diese Erinnerungen schon im Jahre 1926 einen nostalgischen Eindruck hinterließen, um wie viel mehr müssen sie heute auf den heimatkundlich interessierten Leser wirken. Um es kurz zu machen, man wird auch jetzt mal wieder an die „gute alte Zeit in Euskirchen“ erinnert.
Der Autor beginnt seinen Rückblick mit dem Tage seiner Schulentlassung und dem Vergleich zwischen diesem Zeitabschnitt und der damit beginnenden „Neuzeit“. Auch für ihn hatte grundsätzlich die vorösterliche Zeit etwas mit dem Ende eines Schuljahres zu tun, das damals im Frühjahr mit der Zeugnisübergabe beendet wurde, und mit den „Glocken“, die währenddessen „nach Rom flogen“.
Ab Gründonnerstag verstummen nämlich die Glocken - zusammen mit der Orgel in allen katholischen Gemeinden - aus Trauer um den Kreuzestod Jesu. „Sie sind wieder da“, wenn in der Osternachtsfeier die Auferstehung Christi gefeiert wird. Im Volksmund sagt man hierzu: „Die Glocken fliegen nach Rom. Dort legen sie beim Heiligen Vater die Beichte ab und bitten ihn um seinen Segen“. Das Verstummen der Glocken und der Orgel wird auch als „Fasten für die Ohren“ angesehen.
In dem Euskirchener Artikel über die Karwoche und Ostern in den 1850er Jahren heißt es:
Die Karwoche und das heilige Osterfest nehmen in meinen Jugenderinnerungen einen breiten Raum ein. Unverwischbare Eindrücke habe ich aus jener Zeit mit hinüber genommen in den Ernst des Lebens. Erinnerungen, von denen manche in ihrer Art seltsam anmuten, im Vergleich zu den Verhältnissen der Neuzeit.
Da steht zunächst der Tag der Schulentlassung vor meinem geistigen Auge, da wir mit Hangen und Bangen die Schulzeugnisse erwarteten und der bei aller Strenge seinen Schülern doch von Herzen so wohlgesinnte Lehrer mit väterlichen Worten der Ermahnung die ältesten von uns ins Leben hinausgeleitete. Und dann begannen die kurzen, aber schönen Osterferien. Sie brachten zunächst die drei letzten Tage der Karwoche. Mit Spannung harrten wir des Momentes, wenn mit einem letzten feierlichen Geläute am Gründonnerstagmorgen die Glocken nach Rom flogen.
Dann wurde die aus der Rumpelkammer hervorgesuchte Klapper in die Hand genommen und mittags und abends in mehr oder minder zahlreichen Knaben-Trupps durch die Straßen gezogen, um das unmelodische Geräusch hervorrufen zu helfen, das in diesen Tagen der Trauer an die Stelle des Angelusläutens tritt. Die Bevorzugtesten unter uns, die in der Kirche Chorknabendienste tun durften, holten aus dem Dicken Turm hinter der Pfarrkirche – (heute: Martinskirche/d.V.) - , der jetzt noch immer vergeblich auf die Anfänge des städtischen Museums wartet, die schweren, mechanischen Holzknarren heraus, deren nervenzerrüttender Ton dem Klappern der Schläge die nötige Bindung gab. Der Träger dieser musikalischen Marter-Instrumente führten unseren Trupp an.
Überall in den Dörfern kennt man die Kinder mit den Klappern, die mit dem jeweiligen Ruf „Morgenklock, Mittagsklock, Abendklock“ während dieser Zeit die Kirchenglocken ersetzen. Am Beispiel von Rheinbach-Oberdrees berichtete der Bonner General-Anzeiger darüber. Anbei zwei Fotos, die ich 1977 und 2013 von den „Klapperkindern“ bei uns in Rheder gemacht habe.
Im Bericht des unbekannten Euskircheners wird auch noch der alte Begriff„Offermann“ zitiert. Gemeint ist der niederdeutsche und damals auch in der Eifel gebräuchliche Begriff für „Opfermann“, eine Bezeichnung für einen Küster, der gleichzeitig auch noch Organist war:
Der unbekannte gebliebene Verfasser erinnerte sich im Jahre 1926 auch daran, dass „die Familien-Bekanntschaft“ mit dem alten Küster ihm „am Karfreitag das Recht verschaffte, unzählige Eimer in die großen Bottiche schleppen zu helfen, deren Inhalt am Karsamstag feierlich geweiht und zum Teil an die Gläubigen abgegeben wurde.“
Zum Dank für die geleistete „Mithülfe“ bekamen er und seine hilfreichen Freunde nach der gottesdienstlichen Feier zuerst den Steinkrug mit Weihwasser gefüllt. Wörtlich heißt es weiter: „Inzwischen waren die Glocken wiedergekommen, und festliche Osterstimmung zog in die Herzen ein. Des Nachmittags galt es, kräftig der Mutter zu helfen, um das Haus in feiertäglichen Zustand zu versetzen.“
Unvergesslich blieb dem Erzähler wohl, dass er am Ostermorgen stets noch vor Morgengrauen von seinem Vater geweckt wurde, um beizeiten zur Auferstehungsfeier zu erscheinen:
Vater hielt mit Nachdruck darauf, dass der erste Osterfeiertag ganz und gar dem Herrn geweiht wurde. Er konnte es nicht begreifen, dass die „neue Welt“ sich nicht scheute, selbst am ersten Osterfeiertage Vergnügungen zu veranstalten, am zweiten sogar zu tanzen. „Das war zu meiner Zeit anders“, sagte er, „da hätte man sich am ersten Ostertage noch nicht einmal erlaubt, eine Kegelkugel in die Hand zu nehmen. Von diesen Prinzipien ausgehend, wurde in meinem Elternhause der Ostersonntag in der Familie gefeiert. Die Ablass-Stunde zum Troste der Verstorbenen durfte unter keinen Umständen versäumt werden. Das wäre gegen alle Tradition gewesen.
In Rheinland-Pfalz, der Eifel und Osteifel gibt es die Begriffe „Pättche“ und „Jüttche“. Gemeint sind Patenonkel und Patentante. In der Nordeifel lautet die Bezeichnung „Patt“ und „Jott“. Der Euskirchener Erzähler benutzt die rheinischen Bezeichnungen „Patt“ und „Gött“, die er mit seinen Eltern regelmäßig am Ostermontag besuchte, um die angemalten und versteckten Ostereier zu suchen. Dass es am um die Mitte des 19. Jahrhunderts noch keine Eisenbahn nach Bonn oder Münstereifel gab, hatte ich schon an anderer Stelle dargestellt. Also musste man beim Oster-Spaziergang gehörige Strecken zurücklegen.
Abschließend heißt es in der heimatkundlichen Reminiszenz, dass man sich – als jemand ohne Beruf und Angehöriger der „jungen Welt“ – am Osterdienstag „noch am Schluss des 40stündigen Gebetes beteiligen konnte“.
Der Erzähler resümiert im Jahre 1926, dass die schlichte Osterfeier in den 1850er Jahren noch von echtem, katholischen Familiensinn getragen wurde, „der leider heutzutage immer mehr im Schwinden begriffen ist“: