Die sicher bemerkenswerte Benennung einer Straße nach dem letzten Judenältesten von Bergen-Belsen war für viele bewegend, ganz besonders für die acht weiblichen Angehörigen der Familie Weiss, die extra aus diesem Anlass aus Israel, England und den USA angereist waren. Weder die Schwiegertochter Yona Weiss, die das KZ Bergen-Belsen miterlebt hatte, noch die Enkelin Atara Zachor Dayan hatten je daran gedacht, deutschen Boden zu betreten. Den anderen leiblichen Verwandten war es ähnlich gegangen. Nur die inzwischen 20jährige Urenkelin Ori, die sich meist im Hintergrund aufhielt und nicht auf den Fotos festgehalten werden wollte, beschloss, sich künftig in Berlin niederlassen zu wollen.
Dass es den Flamersheimer Ortsvereinen jedoch gelungen war, intensive Überzeugungsarbeit zu leisten und eine Zusage auf ihre herzliche Einladung zu erhalten, ähnelt einer privaten Form der Bemühung um eine Wiedergutmachung.
Die Geschichte der Jupp-Weiss-Straße wurde bereits auf dieser regionalhistorischen Homepage dargestellt und fand nun endlich am 16. Mai ein erfreuliches Ende, denn nicht nur die Flamersheimer Bevölkerung, sondern auch die Anwohner der neuen Straße hatten sich vor dem noch verhüllten Schild versammelt. Schon die 15minütige Radiosendung Zeitzeichen hatte auf das Ereignis und den 120. Geburtstag von Josef Weiss hingewiesen, und schlagartig hatte es an diesem Tage 265 Abrufe bei Wikipedia Josef Weiss gegeben. Die „Aktuelle Stunde“ des WDR Bonn hatte sogar ein Fernsehteam herausgeschickt, um einen kurzen Bericht zu erstellen.
Zu den Ehrengästen gehörten auch der Euskirchener Bürgermeister, Dr. Uwe Friedel, und der Landtagsabgeordnete Klaus Voussem, die mit Ansprachen an den beiden Zeremonien beteiligt waren. Nach der Begrüßung durch die beiden Vorsitzenden der Allgemeinen Ortsvereine Flamersheim, Paul-Josef Kau und Hans-Dieter Grützner, begründete der Biograf von Josef Weiss die Ehrung des letzten Judenältesten von Bergen-Belsen und dessen Bedeutung für die historische Aufarbeitung des Holocaust. Seine umfangreiche Dokumentation über die Persönlichkeit, die „würdig blieb in einer unwürdigen Umgebung“, belegt die Lebensleistung des 1976 in Israel verstorbenen ehemaligen jüdischen Mitbürgers.
Landtagsabgeordneter Klaus Voussem betonte in diesem 1. Teil der Zeremonie an der neuen „Jupp-Weiss-Straße“, dass der Euskirchener Stadtrat – als es im Dezember 2009 um eine endgültige Abstimmung ging –, einmütig mit allen Parteien die Benennung befürwortet hatte.
Im Anschluss an die beiden Ansprachen ergriff Yona Weiss das Wort. Sie ist die Stieftochter sowie gleichzeitig Schwiegertochter von Josef Weiss und hatte ihn bereits in Bergen-Belsen persönlich kennengelernt. Auch ihre englische Rede war im Vorfeld von dem Flamersheimer Ehepaar New in Deutsche übersetzt worden, sodass Yonas Worte zum Verständnis der Anwesenden von Hans-Dieter Grützner vorgetragen werden konnten:
Liebe Freunde und Familie,
zuerst möchte ich mich bei allen bedanken, die zur Organisation dieser sehr bewegenden Veranstaltung beigetragen haben, und ganz besonders Dir, lieber Hans-Dieter. Ich finde es sehr schwer, in Worten auszudrücken, wie sehr wir die enormen Anstrengungen schätzen, die Du unternommen hast, um die Welt über Jupp Weiss, meinen Schwiegervater, zu informieren, indem Du über so viele Jahre recherchiert und Deine faszinierende Biografie über sein Leben geschrieben hast.Also im Namen unserer erweiterten Familie Weiss ein großes DANKESCHÖN!!!!
Ich bin wahrscheinlich die einzige heute anwesende Person, die nicht nur eng mit Jupp verwandt war, sondern die auch gleichzeitig mit ihm, seiner Frau Erna und seinem Sohn Klaus in Westerbork und Bergen Belsen interniert war. Ich war damals noch ein Kind und kann mich nicht groß an diese schreckliche Zeit und die schlimmen Erlebnisse erinnern. Trotzdem erinnere ich mich lebhaft daran, wie Jupp, unser Judenältester, stolz und aufrecht mit den deutschen Soldaten zum Appell ging, während wir – manchmal stundenlang bei bitterer Kälte – stehen mussten, bis die Zählerei beendet war und niemand „fehlte“. Ich habe erst viel später verstanden, wie oft Jupp es geschafft hat, die Zahlen auf die eine oder andere Weise stimmen zu lassen.
Vor ein paar Tagen hat mir eine Freundin, die 2 Jahre älter ist als ich, ihre persönliche Erfahrung erzählt: Sie stand am Appellplatz und beobachtete, wie ihr Vater, der in einiger Entfernung zu ihr stand, ohnmächtig wurde. Sofort verließ sie die Gruppe, wo sie gerade stand, und wollte zu ihrem Vater herüberlaufen, was sehr gefährlich war, da es verboten war, sich zu bewegen. Jupp hat gesehen, wie sie sich in Bewegung setzte, verließ die Soldaten, die er begleitete, lief zu ihr und schob sie wieder auf ihren Platz zurück. Sie sagte mir, dass sie glaubt, Jupp habe in diesem Moment ihr Leben gerettet. Ihr Vater überlebte nicht!
Dies sind nur zwei kleine Beispiele für die tapferen und wunderbaren Sachen, die Jupp in den Lagern gemacht hat, und in Hans-Dieters Buch habe ich über viele weitere gelesen.
Zum Schluss möchte ich mich bei Ihnen allen bedanken, dass Sie hierhergekommen
sind, um das Andenken an Jupp zu ehren, einen starken und fürsorglichen Menschen, der ein kostbares Licht in jener finsteren Zeit war.
Danach enthüllte Yona Weiss das neue Straßenschild, dessen kurze Legende die Bedeutung des Judenältesten erklärte.
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Fortsetzung folgt!