Etwa seit dem Spätsommer 1944 war Euskirchen Frontgebiet. Die Amerikaner standen kurz vor Monschau, Aachen und den Eifeltalsperren. Täglich rechneten die Deutschen mit dem weiteren Vormarsch der Feinde in Richtung Rhein und begannen deshalb mit der Evakuierung der Bevölkerung in den Eifelregionen.
In dieser Zeit spielte die Kreisstadt Euskirchen eine besondere Rolle, da sie zu einem der Zentren des deutschen Aufmarschgebietes im Westen wurde. Das Eisenbahnnetz der Voreifel wurde aus strategischer Sicht wichtig, und die Amerikaner und Engländer verstärkten ihre Luftwaffenangriffe auf diese Region und besonders auf den Bereich der Stadt Euskirchen.
Die strategische und politische Situation wird in den Büchern Kriegsende 1944/1945 zwischen Ardennen und Rhein dargestellt. Sie ist ebenfalls in den Bänden Kriegsende 1944/1945 im Altkreis Schleiden wie auch in Kriegsende 1944/1945 im Altkreis Euskirchen nachzulesen. Diese umfangreichen Dokumentationen machen ersichtlich, dass die Eifel und das linksrheinische Rheinland schon immer ein Aufmarschgebiet für Kriege und Schlachten waren, was spätestens seit den Kämpfen im Hürtgenwald (1944) wieder Wirklichkeit wurde.
Der Bericht des Euskirchener Journalisten Hermann Vieth vom 9.September 1955 handelt von der Explosion eines Munitionszuges in Odendorf, einem kleinen Ort an der Eisenbahnstrecke nach Bonn, ungefähr 5 km von Euskirchen entfernt. Mit Genehmigung von Frau Ruth Vieth durfte dieser Artikel aus der Kölnischen Rundschau für das Buch Kriegsende 1944/1945 zwischen Ardennen und Rhein (Euskirchen 1984, 3.Aufl. 1986, S. 428-429) und Kriegsende 1944/45 im Altkreis Euskirchen (Euskirchen 1994, 2. Auflage 1995, S. 154-155) übernommen werden. Er erinnerte nach 11 Jahren an ein Unglück, das noch heute vielen Bewohnern der Region Euskirchen bewusst ist. Die zahlreichen Fotos aus den Büchern wurden für diese Internet-Publikation nicht übernommen.
Die Explosion eines Munitionszuges in Odendorf am 9. September 1944 wurde von Hermann Vieth folgendermaßen dargestellt:
Am Morgen des 9. September 1944 stand auf den Gleisanlagen des Bahnhofs Euskirchen ein Munitionszug von über hundert Achsen. Das Wetter war gut, die Sonne schien schon früh durch den Morgendunst. Man mußte bald mit den ersten Tieffliegern rechnen, die erfahrungsgemäß das Gelände hinter der Front, wozu Euskirchen damals gehörte, abflogen. Was, so fragte man sich besorgt auf dem Bahnhof Euskirchen, würde geschehen, wenn der Munitionszug hier stehen bliebe. Viele hundert Häuser würden schwer beschädigt werden, wenn die Munition „hochginge". Eine Anweisung der Wehrmacht über das Ziel der Fahrt lag um sieben Uhr noch nicht vor und war auch nicht zu erwarten. Da gab um acht Uhr die Dienststelle, die für diese Fahrten die Befehle der Wehrmacht entgegenzunehmen hatte, den Befehl, den Zug, wie es in der Fachsprache der Eisenbahner heißt, sofort zu „bespannen". Gegen 8.30 Uhr traf ein weiterer Befehl ein, der besagte, der Zug solle vorerst nach dem Bahnhof Odendorf gefahren werden, auf dessen Abstellgleisen, vom Bahnhof und vom Dorf weit entfernt, bereits zwei weitere Munitionszüge standen. Sollten die Züge angegriffen werden, so konnten sie hier bedeutend weniger Schaden anrichten als auf dem Bahnhof Euskirchen. Ein Abstellen auf freier Strecke war damals nicht möglich, weil der Zugverkehr in beschränktem Umfange noch weiterlief.
Der zuständige Lokdienstleiter bestimmte als Zugführer den Oberlokführer Josef Schmitz aus Derkum und als Heizer Hubert Fuchs (Euskirchen), die im Bunker bereitsaßen, um in solchen und ähnlichen Fällen eingesetzt zu werden. Nun hat jeder Zug, auch ein Güterzug, einen Zugführer, der im Packwagen mitfährt, die Paniere führt und verantwortlich für die Fahrzeiten, das Ab- und Anhängen usw. ist. Der Fahrmeister Josef Meinen, der einen Zugführer abstellen sollte, hatte niemanden mehr zur Verfügung. Freiwillig erklärte er sich bereit, selbst den Zug zu begleiten. Er nahm in einem Heizerhäuschen Platz, da der Zug keinen Packwagen mitführte. Gegen neun Uhr setzte sich der Munitionszug in Bewegung.
Die drei Männer verabschiedeten sich von den Kollegen. Die Fahrt verlief bis kurz vor Odendorf ohne Zwischenfälle. Als der Lokführer hier bemerkte, daß die Leute auf dem Bahnhof zum Himmel schauten und dann fluchtartig ins Feld rannten, wußte er Bescheid: Tiefflieger unterwegs in Richtung auf den Bahnhof Odendorf. Er zog die Schnellbremse. Der Heizer sprang als erster ab, brach sich den Fuß und blieb hilfslos neben dem Gleise liegen. Der Lokführer sprang etwas später von der Maschine und kam heil auf dem Erdboden an. Da krachte es auch schon.
Von einer Bombe getroffen explodierte einer der mittleren Waggons. Der Lokführer warf sich zu Boden und ließ Splitter und Dreckfontänen über sich ergehen. Nun blieb es wenige Sekunden still; die nutzte er, um wieder einige Schritte weiterzukommen. Es gelang ihm, sich in Abständen aus dem Gefahrenbereich herauszuarbeiten. Völlig erschöpft, verdreckt und verstört kam er eine Stunde später zu Fuß auf dem Bahnhof Euskirchen an, wo man alle drei schon aufgegeben hatte.
Was war aus den übrigen geworden? Der Heizer war hinter eine umgestürzte Lore gefallen und konnte sich nicht mehr erheben. Jedesmal wenn ein Waggon in die Luft flog, wurde er von dem Luftdruck hochgewirbelt und fiel dann wieder hinter die schützende Lore auf den Boden. Als die Detonationen aufhörten, hatte er noch die Kraft, um Hilfe zu rufen. Endlich wurde er von einigen Frauen, die in der Nähe vorübergingen, entdeckt, die dafür sorgten, daß der Schwerverletzte ins Lazarett gebracht wurde.
Der Fahrmeister ist vermutlich von der Munition des zuerst getroffenen Wagens getötet worden, in dessen Bremshäuschen er gesessen hat. Sein Andenken wird von allen Bahnbediensteten des Bahnhofs Euskirchen in Ehren gehalten. Der Bahnhof Odendorf bot ein Bild des Grauens. Die zerfetzten Waggons lagen teils übereinandergeschichtet, teils weit verstreut in den Feldern umher. Es dauerte lange, ehe die schwer beschädigten Gleisanlagen provisorisch wieder in Ordnung gebracht werden konnten. Die Bewohner Odendorfs erinnern sich an diesen Tag des Schreckens heute noch mit leichtem Grauen. Bis nach Euskirchen hinein klirrten an jenem Morgen die Fensterscheiben.
Während der Oberlokführer bald seinen damals sehr gefährlichen Dienst wieder antreten konnte, mußte der Heizer seinen Beruf aufgeben, da seine Verwundungen es ihm unmöglich machten, nach der Entlassung aus dem Lazarett wieder seiner Arbeit nachzugehen.
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