Auch für die Regionalhistorie gibt es noch viele Themen aus der nationalsozialistischen Zeit, die bearbeitet werden müssten. Hierzu gehört zweifellos die Verunglimpfung und Verfolgung katholischer Geistlicher und, was noch wichtiger ist: ihre Rehabilitierung. Unzählige Artikel in der NS-Presse berichteten von Prozessen, die einer heutigen Rechtssprechung nicht standhalten würden. Daher ergibt sich die Frage, ob man wirklich diesbezüglich bisher alles aufgearbeitet hat. Und unter regionalhistorischen Aspekten sollte sich die Frage stellen, ob auch hier „Hilfestellung“ geleistet wurde.
Welche regionalhistorischen Forschungen haben ihrerseits den einstigen Sachverhalt einmal untersucht? Wahrscheinlich müssten sogar viele Urteile revidiert werden!
In einem Teil des Rheinlandes waren es weniger der Westdeutsche Beobachter und auch nicht Der Stürmer – der ja grundsätzlich die Juden als Hauptgegner ansah -, sondern die Rheinische Landeszeitung und das Schwarze Corps, die in widerlicher Form – als „Sprachrohr der NSDAP“ - angebliche Verbrechen christlicher Geistlicher anprangerten.
Unter dem Titel „An ihren Taten sollt ihr sie erkennen“ publizierte der fanatische Nationalsozialist Fritz Weitzel (1904 -1940) aus Düsseldorf im „Völkischen Verlag Mönchengladbach“, eine diffamierende Schrift, die exemplarisch über angeblich 300 Verbrechen katholischer Geistlicher (1933 und 1936) Auskunft geben sollte. Allein die beiden ersten Seiten des Inhaltsverzeichnisses lassen den Geist dieses Pamphlets erkennen:
Zudem gab es weitere Hetzartikel in der Rheinischen Landeszeitung vom 28. Nov. 1933 bis zum 20. Juli 1936 gegen Jesuiten, Pallotiner, Franziskaner u. a., die wegen Devisenverbrechen, Verteilung marxistischer Hetzschriften, Sittlichkeitsvergehen, Hochverrat u.a angeprangert wurden. Ab 1938 wurde Fritz Weitzel von seinem Duzfreund Heinrich Himmler zum Höheren SS- und Polizeiführer „West“ (HSSPF) mit Sitz in Düsseldorf ernannt und hatte damit zeitweilig Zugriff auf über 200.000 Mann Polizei, SS und Sipo. War der Posten als neuer Chef der Sittenpolizei der Dank für seine Diffamierungskampagne gegen katholische Geistliche, die sich nicht wehren konnten?
Im Kreise Euskirchen hatte sich tatsächlich noch 1934 ein katholischer Theologiestudent – und späterer Dechant - gewehrt und für seinen Widerstand noch Respekt und verhältnismäßig milde Richter gefunden (1934). Es handelte sich um Heinrich Althausen (1911-1979) aus Lommersum, heute ein Ortsteil von Weilerswist. Aber bald danach hagelte es überall im Deutschen Reich Anzeigen wegen kirchlicher Devisenvergehen, politischer Hetzerei und wegen angeblicher Sittlichkeitsverbrechen. Besonders katholische Geistliche wurden sexueller Missbrauchsfälle beschuldigt:
Heute, nach etwa 75 Jahren, sollte sich auch die Regionalhistorie ein Urteil bilden, aber wahrscheinlich nicht in dem Sinne, wie es 1936 der Nazi-Journalist und Höhere SS- und Polizeiführer Fritz Weitzel erhofft hatte. Damals hetzte er seine Leser auf:
Über die im Folgenden veröffentlichten Zeitungsartikel, die rein objektiv über Tatsachen berichten, mag sich jeder ein eigenes Urteil bilden. Sie stellen nur einen Auszug der in den letzten Jahren von Geistlichen aller Richtungen begangenen und bisher erst aufgedeckten Verbrechen dar und sind ein weiterer Beweis dafür, dass die fast 2000jährige verbrecherische Geschichte der Kirche ihren Fortgang nimmt. Wer ist der Sünder? Der sich mit Abscheu von ihr wendet, oder der, der dennoch zu ihr steht?
Als Webmaster der regionalhistorischen Homepage www.hans-dieter-arntz.de bin ich seit dem Jahre 2006 zuständig für Internet-Kontakte, Recherchen und Beiträge zum regionalen Christentum und Judentum. Ich unterrichte als Studienrat am Erzbischöflichen Berufskolleg Köln und daher interessiert mich die angesprochene Thematik besonders. Vor einigen Wochen hatte ich mit der von mir initiierten NEWS vom 30.10.10 eine unerwartet dankbare Resonanz.
Besonders katholische Archive und Geistliche reagierten per E-Mail auf meinen kurzen Beitrag: Diskriminierung katholischer Geistlicher durch die Nazipresse: „An ihren Taten sollt ihr sie erkennen“. Mehrere regionale Archive wollen sich nun künftig mit der Rehabilitierung der in ihren Gemeinden eingesetzten Priester befassen. Einige Heimatforscher wollen ihnen folgen ...
Heute - im Jahre 2010 -bleibt dennoch die konkrete Frage: Welche Priester, Nonnen, Vikare und Pfarrer, die im Nationalsozialismus offiziell verurteilt wurden, konnten bisher – auch durch Anstoß durch regionalhistorische Forschungen - rehabilitiert werden?