Das Foto eines amerikanischen Kriegsberichtserstatters (1945)

von Hans-Dieter Arntz
20.06.2008

Als Maria Platten geb. Müller am 21. Mai 1984 den Lokalteil Schleiden/Eifelland der Kölnischen Rundschau öffnete, traute sie kaum ihren Augen. Sie erblickte ein Foto, das am 5. März 1945 von einem amerikanischen Kriegsberichterstatter gemacht worden war und Eifeler Frauen aus Gemünd zeigte, die – scheinbar erleichtert – lachend aus den Trümmern der gerade eroberten Eifelstadt herauskamen. Ganz deutlich war sie rechts in der vorderen Reihe zu erkennen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie nichts von der Existenz des Fotos gewusst und ahnte auch nicht, dass dieses Foto mal das Titelbild eines Buches werden sollte: Kriegsende 1944/45 zwischen Ardennen und Rhein. Sie meldete sich spontan bei dem Verfasser dieses Buches, um die fotografierte Szene zu kommentieren:

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„Ich heiße Maria Flatten geb. Müller und wohne in Gemünd, Schleidener Straße 32. Das mir vorliegende Foto zeigt von links nach rechts: Else Henz, meine Schwester Ännchen und mich sowie in der hinteren Reihe eine Einwohnerin aus Dreiborn und Maria und Friederike Frauenkron. Bis zum großen Bombenangriff auf die Stadt Schleiden - Mitte Oktober 1944 – arbeitete ich dort in der Metzgerei Pütz. Diese wurde zerstört, und die Besitzer zogen in Richtung Münstereifel. Meine Schwester, Ännchen Müller verh. Fuchs, arbeitete früher in der Gemünder Drogerie Herbrand. Auch diese wurde im Herbst 1944 zerstört.

Unser elterliches Haus in der Schleidener Straße wurde von den Bomben nicht verschont, konnte aber mit einiger Mühe wohnbar gehalten werden. Wir nagelten die Fenster mit Brettern zu und reparierten das Dach. Der beste Raum im Keller wurde zum Schlafen eingerichtet. Bei Angriffen suchten wir jedoch den Felsenkeller auf, der früher für kühle Bierlagerung geschaffen worden war.

Die Front kam immer näher. Ich erinnere mich noch daran, dass die deutsche Wehrmacht ein Eisenbahngeschütz im Tunnel an der Schleidener Straße stationiert hatte, das zum Abschuss herausgefahren wurde. Ich könnte noch viel über die schrecklichen Zustände in Gemünd erzählen, über die Verpflegungssorgen, brennenden Häuser, Todesfälle in der eigenen Familie oder die durchziehenden Truppen, die im Rahmen der Ardennen-Offensive die Wende des 2. Weltkrieges bringen sollten.

Fast 6 Wochen blieben die Amerikaner vor Gemünd liegen. Sie igelten sich auf dem Hohenfried ein. Dieses bewaldete Gebiet westlich der Olef bot ihnen, von einer großen Wiese aus, einen hervorragenden Blick auf das Tal und - unser Haus.

Bis zur nächsten Wasserstelle waren es etwa 150 Meter. Diese mussten immer zurückgelegt werden, wenn unsere Vorräte erschöpft waren. Somit war das Wasserholen immer nur unter Lebensgefahr möglich. Die amerikanischen Soldaten erkannten wohl, dass wir Frauen und nicht deutsche  Soldaten waren, so dass öfters nur mit Leuchtmunition geschossen wurde. Die militärischen Bunker auf der Wackerbergseite, östlich der Olef waren am 5. März 1945, als uns die Amerikaner aus den Trümmern herausholten, nicht mehr besetzt. Jahre vorher hatte man uns mehr über die Wirkung der Westwall-Bunker propagiert.

Kriegsberichterstatter02Wir wussten, dass die Amerikaner jeden Augenblick kommen würden. Die deutsche Wehrmacht hatte sich zurückgezogen und auch die dicke Lindenallee in der Schleidener Straße gesprengt. Wir hatten in den letzten Stunden unser Brennholz von dort geholt. Wir ahnten, dass der Friedhof am Fuße des Hohenfrieds vermint war. Im Keller erzählte man uns, dass in den Tagen vor der Einnahme Gemünds einige Männer durch die Olef gegangen waren, um sich dem Feinde zu ergeben.

Der 5. März 1945 – also der Tag, an dem das Foto gemacht wurde – war nass und kalt. Es gab viele Schneeschauern. Else Henz (links auf dem Foto) holte aus dem Stall des elterlichen Hauses ein Schaf. Als wir es endlich zerteilt im Bräter hatten, gab es einen großen Krach, und die Haustüre wurde eingestoßen. Amerikanische Soldaten stürmten mit der Waffe in den Keller und fanden uns, d. h. meine Mutter, Schwester Ännchen, Tante Traudchen, Else Henz und mich. Wir wurden gezwungen, nach oben zu gehen – und unseren Braten zurückzulassen. Im Hof trafen wir auch unseren Vater wieder, der Minuten vorher die Lage erkunden wollte; er hatte die Hände erhoben und war leichenblass.

Weil es so kalt war, wollten wir unsere Mäntel holen. Dies wurde uns nicht gestattet. Unter Bewachung mussten wir über die Schleidener Straße in Richtung Stadtmitte marschieren. Im Haus Wilden, wo auch noch Bewohner ausgehalten hatten, hielten wir an und konnten deren Mäntel anziehen. Hier muss wohl das Foto von dem amerikanischen Reporter gemacht worden sein, denn ich hatte den Kleppermantel gerade angezogen.

 

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Quelle: Hans-Dieter Arntz, Kriegsende 1944/45 zwischen Ardennen und Rhein, Euskirchen 1984, Seite 212/ 3.Auflage 1987. Auch Titelbild des gleichnamigen Buches.

 

Trotz der schrecklichen Momente waren wir alle froh, dass für uns der Krieg vorbei war. Befreit lachten wir auf, was wohl dem Fotografen gefallen haben musste. Noch am gleichen Tage wurden wir alle im Treck über die Dürener Straße zum Forsthaus Heidahl geführt, etwa in halber Berghöhe vom Tal zur Kreuzstraße. Unterwegs kamen weitere Gemünder hinzu, die man in anderen Ruinen der Stadt aufgegabelt hatte.

Dennoch hatten wir unseren Humor nicht verloren. Als wir zum Beispiel das Haus Arentz auf der Dürener Straße passierten, fror ich unheimlich und sagte zu meinen Leidensgenossen: `Eigentlich eine Unverschämtheit, uns bei diesem Sauwetter auf die Straße zu treiben. Daheim war es viel wärmer.' Da fragte ein amerikanischer Soldat: ´Mädchen, bist Du kalt? Ich (…). Bei dem Wetter wird es auch dem Teufel in der Hölle noch kalt.' Der Soldat hatte deutsche Sprachkenntnisse.

Das Forsthaus war durch Kriegseinwirkung beschädigt. Daher war es auch hier zugig und kalt. Ich fror in meinem dünnen Kleppermantel. Einige amerikanische Soldaten waren hilfsbereit, holten von einer Quelle frisches Wasser und schenkten uns Kaffee, so dass wir wenigstens etwas Warmes im Magen hatten.

ckAm 6. März 1945 zogen wir alle nach Malsbenden hinunter, wo wir etwa acht Tage blieben. Hier verteilten uns die Amerikaner auf verlassene Häuser. Alle, die in unserem Keller auf der Schleidener Straße angetroffen worden waren, konnten in einem leeren Haus zusammenbleiben. Die Bauern, die in Malsbenden geblieben waren, versorgten uns leidlich mit Milch, Mehl, Kartoffeln und einigen Eiern. Dies langte für einige Suppen.

Bei uns auf der Schleidener Straße standen noch immer zwei Kühe und ein Pferd im Stall. Meine Tante und Schwester erhielten von den Amerikanern die Erlaubnis, sich um die Tiere zu kümmern. Sie brachten zudem Milch und etwas Eingewecktes mit.

Als wir etwa am 14. März 1945 in unser Haus auf der Schleidener Straße zurückkehrten, befand sich das angebratene Fleisch noch im Bräter. Es war gut und schmeckte uns nach der aufregenden Zeit ausgezeichnet."

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