Auszug aus dem Buch "Flucht der Juden über die Grüne Grenze (1933 - 1944) - Schlepper, Fänger und Retter im deutsch-belgischen Grenzgebiet", Kid Verlag, Bonn 2023, Kapitel 2, S.53 - 59, von Hans-Dieter Arntz.
Vgl. https://www.hans-dieter-arntz.de/neuerscheinungen.html
Die "Kölnische Rundschau", Lokalteil Schleiden, berichtete am 15. Januar 1984 erstmals über das Schicksal von Katharina Kaufmann geb. Frauenkron aus Ramscheid, für die und deren Familie die "Nürnberger Gesetze" zum Meilenstein des Lebens wurden. Als "Arierin" musste sie nach Belgien flüchten, um ihrem späteren Ehemann und den Kindern nahe zu sein. Das Schicksal ihres Ehemann Franz Ferdinand Kaufmann (*1893) wurde somit durch sein Judentum, seine Flucht, Konzentrationslager und Holocaust bestimmt.
Das Hauptstaatsarchiv NRW führt den in der "Kölnischen Rundschau" geschilderten Tatbestand exemplarisch in den seit 1935 vollständig geführten Akten. Die Durchsicht der von der Gestapo und den Gerichten angereicherten Ordner lässt die Vermutung zu, dass das Schicksal von Franz Ferdinand Kaufmann Hellenthal) und seinen Angehörigen noch schlimmer war, als die interviewte Ehefrau es zu schildern vermochte.
Franz Kaufmann war der Sohn von Samuel Kaufmann (1851-1938) und Helene geb. Meyer. Beide Elternteile stammten aus Hellenthal und konnten ihre Ahnen bis ins 17./18. Jahrhundert nachweisen. Nach seiner Schulentlassung trat der Sohn in das Metzger- und Viehhandelsgeschäft des Vaters ein, nahm aktiv am 1. Weltkrieg teil und widmete sich später der Landwirtschaft. Seit der "Machtergreifung" wurde er durch die Nationalsozialisten - und besonders von dem Hellenthaler Amtsbürgermeister Wilhelm Fischer - diskriminiert und verfolgt. Die in dem Interview erwähnten Versuche, eine offizielle Hochzeit in Hellenthal zu vereiteln, trieb das junge Paar in den Dschungel deutscher Paragraphen der deutschen Rassegesetze. Flucht ins Ausland schien schließlich die einzige Rettung zu sein. Aber das Beispiel beweist, dass auch das nicht die ersehnte Rettung bedeutete.
Offenbar ohne jeden stichhaltigen Grund wurde der jüdische Landarbeiter Franz Kaufmann in der Zeit vom 27. Juli 1935 bis zum 7. Februar 1936 dem Konzentrationslager Esterwegen überstellt, wohnte anschließend für 3 Monate bei seinem Schwager Isidor Salomon in Köln- Ehrenfeld, Clarastraße 44, und kehrte dann zu den Eltern nach Hellenthal zurück. Immer noch plante das Paar die baldige Eheschließung. Doch inzwischen waren am 15. September 1935 die "Nürnberger Gesetze" erlassen worden. Eine Ehe zwischen einer Arierin und einem Juden war verboten!
Am 21. August 1936 beantragte Franz Kaufmann bei der Ortspolizeibehörde in Blumenthal eine Legitimationskarte, die aber versagt wurde. Nachdem die Polizei wiederholt eine Verhaftung wegen angeblicher "unmittelbarer Gefährdung der Öffentlichkeit" versucht hatte, floh er über die "Grüne Grenze" nach Belgien. Diesem Beispiel sollten in den nächsten Jahren noch Tausende folgen.
Ergänzend zu dem publizierten Interview der "Kölnischen Rundschau" sei erwähnt, dass die Flucht über Wirtzfeld, Elsenborn nach Xhoffraix ging. Katharina Kaufmann schilderte die nächsten Jahre und die endlich erfolgte Hochzeit. Dieser Tatbestand setzte nun die eigentliche Maschinerie der Verfolgung aus "rassischen Gründen" in Gang. Juristisch war zu konstatieren:
"Der außereheliche Geschlechtsverkehr eines Juden mit einer Staatsangehörigen deutschen Blutes enthält eine unmittelbare Verletzung deutschen Blutes und damit des deutschen Staatsvolkes als eines blutsmäßig einheitlichen Organismus. Die Straftat ist daher, wird sie im AUSLAND vollzogen, auch im Gebiet e des Deutschen Reiches als dem Ort des Eintritts des Erfolges begangen (...)." (1)
Die Eheschließung im Ausland war somit angeblich - nach dem NS-Recht - ungültig bzw. verboten!
Eine Anzahl historisch interessanter Dokumente findet man heute noch in Belgien. Der "Vorgang Kaufmann" ist sogar im Brüsseler Archiv unter "Fremdenpolizei" einsehbar. (2)
Im Januar 1939 hatte Franz Kaufmann eine Vorladung vom Landgericht in Aachen erhalten. Deutschen Boden wollte er jedoch nicht mehr betreten - seine Frau ebenfalls nicht. Der Bürgermeister von Malmedy bestätigte stets, dass eine in Belgien geschlossene Ehe selbstverständlich gültig und rechtskräftig wäre. Eine Ausdehnung deutscher Gesetze auf belgisches Territorium wäre staatsrechtlich nicht denkbar. In seiner Abwesenheit erklärte aber das Landgericht in Aachen die Eheschließung für nichtig. Seine Flucht war somit nach deutschem Recht vergeblich!
Mit dem Einmarsch der deutschen Truppen am 10. Mai 1940 setzte sich auch im besiegten Belgien der deutsche Justiz-Terror durch. Der "Färbereiarbeiter Ferdinand Israel Kaufmann" kam am 26. Juni 1940 in Untersuchungshaft. Seine Ehefrau wurde am 21. Februar 1941 verhaftet und beschuldigt, am 5. Januar 1938 vor dem Standesbeamten in Belverce bei Malmedy "(...) als deutsche Staatsangehörige deutschen Blutes mit einem Volljuden - Franz Ferdinand Israel Kaufmann - gegenüber gesetzlichem Verbot die Ehe eingegangen zu sein. Verbrechen nach § 1,5 Abs. 1 des Gesetzes zum Schutz des Deutschen Blutes und der Deutschen Ehre vom 15. September 1935, § 3 St.E.B. Sie ist dieser Straftat dringend verdächtig und wegen der Höhe der zu erwartenden Strafe fluchtverdächtig, da ein Verbrechen den Gegenstand der Untersuchung bildet."
Am 11. Juli 1941 wurde die Ehefrau - wie sie in dem Zeitungsinterview bestätigte - zu einer Zuchthausstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt.
Keiner kann ermessen, was die Angehörigen ebenfalls durchmachen mussten. Mit Skepsis muss Beteuerungen in der Nachkriegszeit begegnet werden, man hätte in Ramscheid (Eifel) stets zu Franz Kaufmann und seiner späteren Ehefrau gehalten. Es gibt bis in die jüngste Zeit Gegenbeweise für den Fanatismus der Bevölkerung.
Der "Westdeutsche Beobachter" vom 7. September 1935 lieferte als Fortsetzung einer Verleumdungskampagne vom 26. Juli 1935 angebliche "Fakten", die heute noch von Historikern unkritisch zitiert werden. Aber selbst die Gestapo stilisierte damals den "Fall" in ihren monatlichen Berichten hoch und konstatierte, dass die Ramscheider Bevölkerung "zur Selbsthilfe greifen und den Juden strafen wollte". (3)
Die von der "Kölnischen Rundschau" interviewte Witwe bestätigte dies am 26. Juni 1959:
"Im Auftrage des Bürgermeisters Fischer aus Hellenthal erschien eines Tages der Polizeibeamte B(...) und teilte mit, dass mein zukünftiger Ehemann nicht mehr unser Haus in Ramscheid betreten dürfe. Durch beauftragte Jugendliche und durch SA-Männer wurde unser Haus Abend für Abend bespitzelt(...).1935 spuckte man vor uns aus, wenn wir auf der Straße waren (...)." (4)
Franz Ferdinand Kaufmann kam am 22. Januar 1943 in Auschwitz um. Sein Zwillingsbruder, August Kaufmann (geb. 3. 8.1893), emigrierte mit seiner Frau Fanny geb. Jacobs (*5.2.1893 in Sierre-les-Bains) und seinem Sohn nach Belgien. Er gehörte zwar zu den ersten Eifeler Juden im deutschen Grenzgebiet, die geplant über die "Grüne Grenze" nach Ostbelgien flohen. Doch auch seine Sicherheit währte nicht lange. Als die Deutsche Wehrmacht am 10. Mai 1940 in Belgien einmarschierte, fielen Vater und Sohn in die Hände der Gestapo. Beide kamen unmittelbar danach in einem Brüsseler Gefängnis um. Fanny Kaufmann konnte sich bei Bekannten in Verviers verstecken. Ein Arzt nahm sich der verfolgten Jüdin an und versteckte sie jahrelang unter dem Speicher. Nach dem Einmarsch der Alliierten baute sie sich in Köln eine neue Existenz auf. Auf einer Reise zum Grabe ihres Bruders starb sie im Jahre 1960. (5)
Die so genannten "Nürnberger Gesetze" mit ihren Ausführungsbestimmungen grenzten künftig die Juden aus dem gesamten sozialen, wirtschaftlichen und politischen Leben aus und waren sicher auch ein Grund dafür, dass sich jetzt viele mit Fluchtgedanken trugen. Zudem kränkte sie der Ausschluss als "fremde Rasse". Blind griffen die Nationalsozialisten die vielen "antisemitischen" Parolen auf - selbst die aus dem Ausland. Georg Ritter von Schönerer (1842-1921), Politiker und Führer der Deutschnationalen und Vertreter des alldeutschen Gedankengutes in Österreich, galt als Vater des politischen Antisemitismus. Von ihm stammt angeblich der Vers, der auch in der Eifel und Voreifel bei Propagandamärschen gegröhlt wurde:
"Was der Jude glaubt, ist einerlei - In der Rasse liegt die Schweinerei!"
Fußnoten
(1) Reichsgerichtsentscheidung vom 14.10. 1938; zitiert nach: "Deutsche Justiz", 101. Jahrgang 1939, S. 102f.
(2) vgl. folgende Unterlagen im Archiv "Fremdenpolizei" in Brüssel: Formular Öffentliche Sicherheit von Anna Katherina Frauenkron v.13.04.1937. Gemeinde Rocherth - Auskunftsformular betreffend Ausländer von Kaufmann Franz v. 28.08.1936. Dokument "Confidentielle" der Reichssicherheitspolizei Belgien bezüglich Kaufmann Franz v. 23.07.1937. Fragenbogen für "Ausländer, die behaupten, politische Flüchtlinge zu sein" - Franz Kaufmann v. 06.09.1936. Gesundheitszeugnis von Franz Kaufmann v. 24.05.1937. Pro Justitia - Gendarmerie National, Brigade Malmédy: Franz Kaufman und seine Tätigkeiten als politischer Flüchtling.
Police des étrangers Gemeinde Bevercé: Franz Kaufmann - Meldung für ein Certificat und Einschreiben in der Fremdenliste v. 09.03.1937. Frage nach Information über Franz Kaufmann, Gemeinde Bevercé.
Pro Justitia - Franz Kayfmann: Informationszettel v.11.08.1937. Bulletin D'étrangers : Familie Kaufmann, Gemeinde Spa v. 05.05.1941. Eheschließung zwischen Kaufmann, Franz und Frauenkron, Anna Katharine v. 04.01.1938. Bulletin D'étrangers: Frauenkron, Anna Catherine v. 30.03.1937. Fragebogen: Frauenkron, Anna Catherine v. 23.04.1937. Brief aus Schleiden v. 03.06.1937 "bezüglich schlechter Ruf in Schleiden" an das Justizministerium in Brüssel. Ausländerbescheinigung von Franz Kaufmann v.07.03.1937.
(3) Gestapo-Berichte von 1935, Nr. 74. Bundesarchiv Koblenz, R 58/662, Seite 165.
(4) Archiv Hellenthal, Nr. 415-13.
(5) Aussage des jüdischen Freundes Karl Haas aus Hellenthal am 12.12. 1961 und am 16.8.1963. In: Archiv Hellenthal, Nr. 415/13 (I /II).