70-jähriges Gedenken an die Befreiung des niederländischen “Durchgangslagers” Westerbork (1945) – Begegnung mit ehemaligen jüdischen Insassen aus der Eifel

von Hans-Dieter Arntz
26.04.2015

Als besondere Anerkennung empfand ich die persönliche Einladung des „Herinneringscentrum Kamp Westerbork“, am 12. April an der Gedenkfeier zur Erinnerung an die Befreiung des niederländischen „Durchgangslagers Westerbork“ teilzunehmen. In meinem Buch „Der letzte Judenälteste von Bergen-Belsen“ hatte ich den dortigen Aufenthalt niederländischer und deutscher Juden auf den Seiten 96-195 dokumentiert und jahrelang Kontakte zu einigen Überlebenden gepflegt. Mehrere von ihnen stammten aus dem Rheinland sowie der Eifel und freuten sich nun auf ein Wiedersehen anlässlich der Befreiung des Lagers Westerbork vor genau 70 Jahren. Auch sie waren einst hier, hatten dann Theresienstadt und Auschwitz überlebt und gehörten somit nicht mehr zu den etwa 900 Befreiten, die im KZ Westerbork von den Kanadiern gerettet wurden.....

 

 

Das „Polizeiliche Judendurchgangslager Westerbork“ war eines der beiden zentralen Durchgangslager (KZ-Sammellager), die von den nationalsozialistischen Besatzern in den Niederlanden eingerichtet wurden. Von hier aus deportierte die SS niederländische und sich in den Niederlanden aufhaltende deutsche Juden in andere Konzentrations- und Vernichtungslager. In den Niederlanden ist heute der Begriff Kamp Westerbork bzw. Concentratiekamp Westerbork verbreitet.

 


Dirk Mulder (l.), Direktor des Herinneringscentrum Kamp Westerbork, und Archivleiter Guido Abuys (r.) mit dem Buch „Der letzte Judenälteste von Bergen-Belsen“ (Foto: © Herinneringscentrum).

Buchautor Hans-Dieter Arntz im Herinneringscentrum Kamp Westerbork

In Emmen, etwa 30 Kilometer von Westerbork entfernt, hielt ich einen Vortrag über Josef Weiss, der schon in Westerbork eine bedeutende Rolle gespielt hatte, und stellte mein Buch „Der letzte Judenälteste von Bergen-Belsen“ vor. Die kleine Gruppe der einst aus der Voreifel und Eifel stammenden jüdischen Gäste erlebte auch den volksfestartigen Umzug der kleinen Stadt Westerbork und die Aktivitäten der Bevölkerung.

Eigentlicher Höhepunkt waren der Besuch des Museums im Erinnerungszentrum sowie am Sonntag, dem12. April, die Feierlichkeiten auf dem Lagergelände, wo Direktor Mulder in einer bewegenden Rede auf die Bedeutung des Tages und das Ende des Terrors hinwies. Das niederländische Fernsehen strahlte von der Veranstaltung unter der Überschrift NOS 70 jaar bevrijding: Herdenking kamp Westerbork (Uitzending: Zondag 12 April, 14:00) einen längeren Film aus.

Es soll an dieser Stelle auf einen Film (1944) hingewiesen des Erinnerungszentrums Kamp Westerbork hingewiesen werden, der die Gedenkstelle, aber auch die originalen Filmaufnahmen von Rudolf Breslauer (1903-1945) zeigt, die das frühere „Polizeiliche Judendurchgangslager Westerbork“ und die Deportationen zeigen.

In drei früheren Beiträgen, die ich beifüge, befasste ich mich schon mit Westerbork. Vgl. meine NEWS vom 15. Juli 2012, 24. Mai und 31. März 2010:

 

 

News v. 15.07.2012

Gedenkfeier im niederländischen Westerbork

von Hans-Dieter Arntz

 

Der 15. Juli 1942 gilt in den Niederlanden als ein wichtiges Datum, weil es den Beginn des Holocaust beinhaltet. An diesem Tag verließ der 1. Auschwitz-Transport das Polizeiliche Judendurchgangslager Kamp Westerbork mit 1.132 Juden. Dieses „Auffanglager“ sowie den erwähnten Transport beschreibe ich auch in meinem Buch Der letzte Judenälteste von Bergen-Belsen, das im kommenden Herbst im Buchhandel erscheint, anhand von eindringlichen Augenzeugenberichten, wobei das Schicksal der kleinen Kinder besonders erschütternd ist. Dankbar erhielt ich als Autor eine persönliche Einladung des Erinnerungszentrums Kamp Westerbork  zur Gedenkfeier „Herdenking van Het Eerste Transport“ am 15. Juli.

 

Einladung

 

In meinen NEWS vom 31. März und 24. Mai 2010 wies ich darauf hin, welche Bedeutung das niederländische Lager Westerbork auch für die einst in unserer Region beheimateten Juden hatte. Wenn man nämlich das Gedenkbuch des Bundesarchivs und die Karteikarten des Lagers Westerbork durcharbeitet, ist man überrascht, wie viele jüdische Bewohner der Altkreise Schleiden und Euskirchen in der NS-Zeit nach Holland flüchteten, um dort eine vorläufig neue Heimat zu finden. Die Unterlagen des einstigen „Zentralen Flüchtlingslagers Westerbork“ weisen mehrfach Wohnorte wie Euskirchen, Kuchenheim, Zülpich, Flamersheim, Mechernich, Kall, Gemünd, Münstereifel oder Hellenthal auf. Schlussendlich jedoch strandeten alle jüdischen Flüchtlinge in einem Barackenlager, das am 1. Juli 1942 offiziell zum „Polizeilichen Judendurchgangslager Kamp Westerbork“ - unter direkter deutscher Verwaltung - umfunktioniert worden war.

 

Lager Westerbork 1   Lager Westerbork 2

 

 Dies war der Ort, an dem von der SS fast alle holländischen Transporte zusammengestellt wurden. Am 15. Juli 1942 begannen die Deportationen in die Vernichtungslager. Der zuverlässigste Augenzeuge für dieses Geschehen war der aus Flamersheim stammenden Jupp Weiss, der als letzter Judenältester von Bergen-Belsen bekannt wurde.

 

 

NEWS v. 24.05.2010

Eifeler Juden im holländischen Lager Westerbork

von Hans-Dieter Arntz

Westerbork 01Wenn man das Gedenkbuches des Bundesarchivs und die Karteikarten des Lagers Westerbork durcharbeitet, ist man überrascht, wie viele jüdische Bewohner der Altkreise Schleiden und Euskirchen in der NS-Zeit nach Holland flüchteten, um dort eine vorläufig neue Heimat zu suchen. Viele Eifeler nutzten spätestens nach der sogenannten „Reichskristallnacht“ die Chance, um über die „Grüne Grenze“ nach Belgien oder in die Niederlande zu gelangen. Die Karteikarten weisen ehemalige Wohnorte wie Euskirchen, Kuchenheim, Zülpich, Flamersheim, Mechernich, Kall, Gemünd, Münstereifel oder Hellenthal auf.

Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg wurde das „Zentrale Flüchtlingslager Westerbork“ von der niederländischen Verwaltung in der Provinz Drenthe gegründet, um die große Zahl der Flüchtlinge - insbesondere von Juden aus Deutschland und Österreich - außerhalb der niederländischen Städte und Dörfer aufzufangen. Ich wies bereits in meinen NEWS vom 31. März 2010 darauf hin.

Westerbork 02Die damalige niederländische Regierung hatte, angeblich um die Freundschaft zu Deutschland zu wahren, kurz nach der „Reichskristallnacht“ am 15. Dezember 1938 die Grenzen für Flüchtlinge geschlossen und stempelte sie so zu unerwünschten Ausländern, die keinesfalls integriert werden sollten.

Die Flüchtlinge sollten in diesem Lager, dessen Errichtung bereits im Februar 1939 beschlossen wurde, zentral aufgefangen werden. Das Grundstück war ungefähr 500 Meter lang und 500 Meter breit und sollte anfangs ca. 3000 jüdische Flüchtlinge aus Deutschland, die illegal nach Holland gekommen waren, aufnehmen. Die ersten Bewohner kamen in den Herbstmonaten 1939, als sich das Lager noch im Aufbaustadium befand. Zur Zeit des deutschen Überfalls auf Holland im Mai 1940 hielten sich im Lager ungefähr 750 Flüchtlinge auf.

Dies änderte sich schlagartig mit dem Angriff der Deutschen auf die Niederlande. Soweit sie sich meldeten oder festgenommen wurden, kamen alle in die Niederlande geflohenen jüdischen Deutschen und Österreicher hierher in Haft. Insgesamt waren es im Laufe der Jahre mehr als 100.000.

Westerbork 03Erst am 1. Juli 1942 wurde aus dem Zentralen Flüchtlingslager Westerbork offiziell das „polizeiliche Judendurchgangslager Kamp Westerbork“ unter direkter deutscher Verwaltung. Josef Daniel aus Flamersheim (1894-1943) und Paula Daniel (1876-1944) aus Kuchenheim gehörten zum Beispiel zu den Insassen von Westerbork wie auch Salomon Heumann (1858-1943) aus Hellenthal. Am 15. Juni begannen die Deportationen in die Vernichtungslager. Das Durchgangslager Westerbork war der Ort, an dem von der SS fast alle Transporte zusammengestellt wurden.

Heute ist den meisten Bewohnern der Eifel und Voreifel das Lager Westerbork kein Begriff mehr. Daher möchte ich hiermit auf das Herinneringscentrum Kamp Westerbork hinweisen, das auch die Karteikarten der Inhaftierung von Anne Frank dokumentiert.

Eine besondere Gedenkstätte in Form von unzähligen kleinen Stelen erinnert an die vielen Juden im Lager von Westerbork. Am historischen Ende des Schienenstranges zum Lager enthüllte Königin Juliana 1970 das Nationale Monument Westerbork. Das Museum sowie das sich daran anschließende, etwa 3 km lange Gelände wird von Holländern – leider weniger von Deutschen – stark besucht. (Fotos: Hans-Dieter Arntz)

 

 

NEWS v. 31.03.2010

Gedenkfeier in Westerbork (einst Lager auch für Eifeler Juden)

von Hans-Dieter Arntz

 

Westerbork Uitnodiging

Am 12. April 1945 wurde das niederländische „Durchgangslager“ Westerbork von kanadischen Soldaten befreit. Zur Erinnerung an dieses Ereignis gestaltet das „Herinnerungscentrum Kamp Westerbork“ am 12.04.2010 eine Gedenkfeier, an der nicht nur viele jüdische Gäste erwartet werden. Auch für die einst in den Altkreisen Euskirchen und Schleiden beheimateten Juden war Westerbork der erste Meilenstein zum Holocaust. Nicht wenige von ihnen waren in das benachbarte Holland geflüchtet und wurden später hier zuerst interniert und dann meist nach Auschwitz und ab 1944 nach Bergen-Belsen deportiert. Zu ihnen gehörte auch Anne Frank. Bei der Befreiung waren noch zirka 900 jüdische Häftlinge im Lager.

Kamp WesterborkKurz vor dem Zweiten Weltkrieg wurde das „Zentrale Flüchtlingslager Westerbork“ von der niederländischen Verwaltung in der Provinz Drenthe gegründet, um die große Zahl der Flüchtlinge - insbesondere von Juden aus Deutschland und Österreich - außerhalb der niederländischen Städte und Dörfer aufzufangen. Die damalige niederländische Regierung hatte, angeblich um die Freundschaft zu Deutschland zu bewahren, kurz nach der „Reichskristallnacht“ am 15. Dezember 1938 die Grenzen für Flüchtlinge geschlossen und stempelte sie so zu unerwünschten Ausländern, die keinesfalls integriert werden sollten. Die Flüchtlinge sollten in einem Lager, dessen Errichtung im Februar 1939 beschlossen wurde, zentral aufgefangen werden.

Plakat Autorenlesung ISIDORS BRIEFESchlomo Samson, ein guter Bekannter des aus Flamersheim stammenden Jupp Weiss, erinnert sich an das Lager Westerbork und schrieb:

Am 15. Juli 1942 in den frühen Morgenstunden kam in Hooghalen ein Zug aus Amsterdam mit 800 Personen an. Diese Leute befolgten den Aufruf der "Zen­tralstelle" und kamen "freiwillig", um sich am Arbeitseinsatz in Deutschland zu beteiligen, 800 Männer, Frauen und Kinder. Der Aufruf war in der holländischen Sprache verfasst. Von Hooghalen wurden die Leute nach Westerbork gebracht. Fast alle mussten zu Fuß gehen, nur die Behinderten wurden mit Lastautos transportiert. Es war jedoch nur das einzige Ziel dieses sehr kurzen Aufenthaltes in Westerbork, die Juden in den großen Saal zur Registrierung zu bringen, in deren Rahmen die Leute jeglichen Besitz - Wohnungsschlüssel, Bankkonten, Wertpapiere us.w. - abliefern mussten. Sie waren die Ersten, deren Namen in der Zentralkartothek als "abgereist" verzeichnet wurden. Diese Kartothek wurde über zwei Jahre, bis zum 3.September 1944, als der letzte Zug nach Auschwitz fuhr, benutzt. Über 100.000 Personen, die in 90 Zügen nach dem "Osten" deportiert wurden, waren diesem S.S.-Ritual unterworfen.

Sofort nach dem Verlassen des Registratursaales wurden alle wieder nach Hooghalen gebracht und in einem Güterzug mit geschlossenen Viehwaggons nach dem "Osten"deportiert.

Wir wissen nicht wie viele "Freiwillige" die S.S. in der Nacht zwischen dem 14. und 15. Juli erwartete, aber sie waren darauf vorbereitet, dass die gewünschte Zahl nicht erreicht würde. Es war klar: im Zug von Amsterdam nach Westerbork fehlten viele Leute, aber der Zug nach dem Osten wird planmäßig besetzt sein. Den 800 aus Amsterdam gekommenen Leuten wur­den 350 Personen, die am Vortage in Westerbork registriert wurden, hin­zugefügt. Ein verhängnisvoller Tag für die jüdische Gemeinde in Westerbork, - nicht der einzige! (...)

« zurück zum Seitenanfang