Wie die Juden von Kommern endlich zu ihrem Gedenkstein kamen –
Teil 1: Die „Kristallnacht“ in einer Eifelgemeinde

von Hans-Dieter Arntz
26.05.2007
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Die Gemeinden und Städte der Eifel taten sich bis in die 1980er Jahre schwer, Mahnmale zur Erinnerung an die ehemaligen jüdischen Mitbürger zu errichten. Das lag nicht nur an einem diesbezüglichen Desinteresse, sondern einfach an der Tatsache, dass man zuwenig über sie wusste oder dieses verdrängt hatte.

Vieles änderte sich allmählich durch die Aufarbeitung der jüngsten regionalen Geschichte  und die Betroffenheit, die dadurch entstand. Hinzu kam, dass die Publikation der NS-Akten für die jeweilige Gemeinde ausgesprochen „spannend“ war, kannte doch auf dem Lande eigentlich jeder jeden. Als jemand, der aktiv an der Aufarbeitung und der teilweise provokativen Thematisierung der jüdischen Geschichte beteiligt war, möchte ich am Beispiel eines kleinen Eifelortes   bei Mechernich zeigen, wie es zu dieser Form von „Bewältigung der Vergangenheit“ kam. In vier Teilen soll dargestellt werden, wie es zur Errichtung eines Mahnmals in Kommern (früher: Commern) kam:

 

Teil 1:  Die „Kristallnacht“ in einer Eifelgemeinde
Teil 2:  Rückblick: Aus der Geschichte der Juden von Kommern
Teil 3:  Eine Feier ohne anwesende Opfer
Teil 4:  Ergebnis: Ein Versuch, „die Vergangenheit zu bewältigen“?

 

Obwohl heute vieles von dem vergessen ist, wie es überhaupt zu einem Mahnmal für die Juden der Gemeinde Kommern kam, soll der Weg zum Gedenken skizziert werden, denn es war am Anfang (1983) und am Ende (1985) nicht für alle so harmonisch, wie es heute scheint. Unter der Überschrift „Brückenschlag – nicht ganz gelungen“ fasste sogar das „Evangelische Sonntagsblatt für das Rheinland“ am 22. September 1985 meine Auffassung unter der Überschrift  zusammen: „Jüdische Gäste blieben der Mahnmaleinweihung fern“. Derselbe Inhalt wurde von der damals noch unbekannten Journalistin Bettina Böttinger in einem Beitrag des WDR-Hörfunks vertreten. Dieser Bericht gehörte zu den ersten in ihrer beginnenden Karriere.

Aber gehen wir der Reihe nach vor.

In Deutschland und Israel wurde 1983 -  mit sicher vielen anderen -  auch mein Buch JUDAICA – Juden in der Voreifel exemplarisch gewertet:

Aus: „deutschland-berichte“ Nr. 4 vom April 1985

Entgegen manchen Vermutungen ist die Zahl der deutschen Nachkriegspublikationen, die Themen der jüdischen Gemeinde- oder Regionalgeschichte gewidmet sind, in den letzten Jahren eher gestiegen, als dass sie sich den Gesetzmäßigkeiten des Zusammenhanges von wachsender zeitlicher Distanz und dem Verschwinden der letzten noch lebenden jüdischen Zeugen dieser Vergangenheit gebeugt hätte. Diese erfreuliche Tatsache hat sicher vielschichtige Gründe, von denen vor allem die große öffentliche Resonanz der Fernsehserie „Holocaust“ mit ihren praktischen Anstößen zu nennen wäre, aber auch die Tatsache, dass inzwischen in der Bundesrepublik eine Nachkriegsgeneration historisch Interessierter nachgewachsen ist, deren kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit auch eine verstärkte und häufig sehr intensive Beschäftigung mit der Geschichte des deutschen Juden­tums einschließt.

Daneben ist auch ein verstärktes Interesse von Städten und kommunalen Körperschaften zu verzeichnen, im Rahmen ihrer historischenSelbstdarstellung auch ihrer ehemaligen jüdischen Mitbürger und ihres Schicksals zu gedenken. Und nicht zuletzt wäre als ein Grund auch das Engagement von Einzelpersonen, zumeist in lokalem Rahmen, zu erwähnen, zu deren individuel­ler, vom Entsetzen über das historisch Mögliche geprägter Auseinandersetzung mit der Geschichte des Dritten Reiches immer wieder eine ebenso beharrliche wie aufopferungsvolle Beschäftigung mit den verschwundenen Zeugnissen der deutsch-jüdischen Symbiose und ihrer mörderischen Vernichtung gehört. Zu dieser Gruppe, deren Verdienste um eine historische Spurensicherung jüdischen Lebens auf den von der NS-Zeit zurückgelassenen Trümmern nicht hoch genug eingeschätzt werden können, zählt auch Hans-Dieter Arntz, der Verfasser eines bemerkenswerten Werkes über die Geschichte der Juden in der Voreifel mit dem Schwerpunkt Euskirchen.

Was der Autor, Lehrer an einem Euskirchener Gymnasium, in seinem Buch „JUDAICA“  in langjähriger Arbeit an Quellenmaterial und Erkenntnissen zusammengetragen hat, verdient hohe Anerkennung, und dies umso mehr, als es indirekt bewusst macht, dass es in unserem Land trotz aller großzügigen offiziellen und institutionellen Förderung der historischen For­schung noch immer keine koordinierte oder gar systematisierte Pflege der jüdischen Gemeindegeschichte, ja, nicht einmal systematische Bestandserschließungs- und Sicherungsmaßnahmen des Quellenmaterials gibt.

Das reich dokumentierte und illustrierte Werk „JUDAICA“ von Hans-Dieter Arntz, das sich zeitlich von der Römerzeit bis zu den Versuchen des Verfassers erstreckt, das Verfolgungsschicksal ehemaliger jüdischer Einwohner der Region zu rekonstruieren, beeindruckt nicht nur durch die thematische Umsicht und Detailfülle, mit der hier allen quellenmäßig zugänglichen Aspekten jüdischer Existenz im  Raum der rheinischen Voreifel nachgegangen worden ist, sondern gewinnt eine besondere sozialgeschichtliche Bedeutung, auch durch die Tatsache, dass hier eine der wenigen umfassenden Arbeiten vorliegt, die in mikroperspektivischer Genauigkeit jüdisches Leben im kleinstädtischen und ländlichen Bereich einsichtig macht.

Dies gilt insbesondere auch für die NS-Zeit, für die Arntz beispielsweise Auswanderungsunterlagen, Dokumente über „Arisierungsvorgänge" oder Deportationsbelege von einer beklemmenden Eindeutigkeit und Genauigkeit vorlegt, die den zwangsläufigen Zusammenhang von Diskriminierung, Entrechtung und Vernichtung in mustergültiger Weise anschaulich machen und damit den historischen Wert dieses bereits in zweiter Auflage veröffentlichten Werkes nachdrücklich unterstreichen.

Im Zusammenhang mit meinen Forschungen hatten sich Kontakte zu ehemals in Kommern beheimateten Juden ergeben, die mich bei meiner Arbeit unterstützten. Unser gemeinsames Ziel war bald: Ein Mahnmal für Kommern!

Das war gar nicht so einfach, wie man sich das heute vorstellt. Dies kann später an anderer Stelle – am Beispiel der Kreisstadt Euskirchen – noch detaillierter  nachgewiesen werden.

Am 31. Mai 1983 wandte sich jedoch Frau Emmy Golding (geb. Kaufmann) aus England an den Bürgermeister von Mechernich, um unser Vorhaben darzustellen, und erhielt folgende – vom 23. Juni datierte -  Antwort:

(…) Im Zuge der kommunalen Neugliederung wurde die ehemalige Gemeinde Kommern in die heutige Stadt Mechernich eingegliedert. Ihr Schreiben vom 31.5.1983 wurde mir daher zuständigkeits­halber übergeben.

Ich habe mit Interesse davon Kenntnis genommen, dass Sie das erst kürzlich erschienene Buch JUDAICA von Herrn Hans- Dieter Arntz schon erwerben konnten. Dass beim Lesen dieses Buches auch bei Ihnen alte Erinnerungen wach wurden, ist nur allzu verständ­lich. Das von Herrn Arntz geschaffene Werk verdient in seiner Einmalig­keit auch hier große Beachtung. Es wird durch seine Einstellung in die Büchereien der Stadt Mechernich in Mechernich und Kommern einen großen Leserkreis finden.

Ihre Anregung, in Kommern ein kleines Denkmal für die ehemaligen jüdischen Mitbürger zu errichten, ist anerkennenswert. Sie lässt sich jedoch leider heute, bei der  sehr angespannten Finanzlage der Stadt Mechernich, nicht mehr verwirklichen. Ich bitte Sie hierfür ganz herzlich um Ihr Verständnis.

Die Stadt Mechernich hat 4 jüdische Friedhöfe in ihrer Unter­haltung, die sämtlich in einem guten gepflegten Zustand ge­halten werden. Wir müssen uns leider damit begnügen, diese Friedhofsanlagen auch weiterhin zu pflegen, um  mit ihnen den verstorbenen jüdischen Mitbürgern ein ewiges Andenken zu bewahren.

Ich glaube, dass auch die Bürger der Stadt Mechernich durch das Vorhandensein der jüdischen Friedhofsanlagen an das damals geschehene Unrecht erinnert werden (…).

Man kann sich vorstellen, welchen Eindruck dieses Schreiben bei den etwa 20  jüdischen Überlebenden machte. Immerhin hatte man den Holocaust überlebt und war bereit, die versöhnende Hand auszustrecken. In vielen Korrespondenzen, die gesammelt vor mir liegen, wird diese Absicht immer wieder bestätigt.

Die folgende Darstellung (S. 422 bis 427) der so genannten „Reichskristallnacht“ in Kommern liest sich in meiner umfangreichen Dokumentation Judenverfolgung und Fluchthilfe im deutsch-belgischen Grenzgebiet (1990) folgendermaßen. Die jeweiligen Fußnoten und Quellen sind dem Buch zu entnehmen:

Das Statistische Jahrbuch des Deutsch-Israelitischen Gemeindebundes für das Jahr 1896 konstatiert 87 Juden in der Betgemeinde Mechernich. Sie setzten sich aus 13 Familien zusammen. Damals waren S. Wolff und M. David die Vorsteher. Religionsleh­rer war Nathan Nathan, Cantor H. J. Kaufmann. In der Religionsschule waren 16 Kinder. Im 2 km entfernten Commern gab es dagegen 120 Juden in 20 Familien. Durch eine Neueinteilung der Gemeindebezirke sah es im Jahre 1905 etwas anders aus: Mechernich mit seinen 3.846 Einwohnern hatte 60 Juden (1,6 %), Kommern mit 2.197 Einwohnern 99 Juden (4,5 %). Die „Kristallnacht" in Kommern  ist auch in direktem Bezug zu Mechernich zu sehen.

In KOMMERN war die wohl­habende Familie Levano - trotz häufiger Beschuldigung, „Kriegsgewinnler" gewesen zu sein -, als wohltätig und spendabel be­kannt. Im „Kreiswochenblatt“  hatten sie oft Mitbürger zu ihren Familienfesten eingeladen. Daher muss es für viele Ein­heimische schockierend gewesen sein, als der zuständige NSDAP-Leiter mit al­len Mitteln versuchte, den einst florie­renden Getreidehandel stillzulegen, so dass mancher Dorfbewohner seine sichere Stellung verlor.

 

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Mitarbeiter der jüdischen Firma Levano in Kommern (1934). Vorne links: Lilly Kaufmann verh. Clyne, ganz rechts:
Gerda Kaufmann verh. Schwartz. Beide leben heute in England. Im Mittelpunkt das Geburtstagskind Hedy Kahn.

 

Am 10. November kamen nachmittags Euskirchener SA-Männer, unterstützt von einigen Nationalsozialisten der einquar­tierten Westwall-Arbeiter, nach Kommern. Sie hielten auf der Kölner Straße in Höhe der heutigen Poststelle. Zwei Mädchen im Alter von 12 und 13 Jahren beobachteten von einem Garten aus die Männer und hörten, wie sie sich nach der Synagoge erkundigten und davon sprachen, sie anzuzünden. Die Kinder rannten nach Hause, um die Eltern zu alarmieren.

Nach dem Bericht der Kölnischen Rundschau v. 15. 7.1947 warf dann der Euskirchener SA-Standartenführer S(...) den Benzinkanister in das Gebäude. Wenig später loderten die Flammen schon aus dem jüdischen Bethaus in der Pützgasse - nur die Mauern blieben stehen, wie auch das Getreidelager der Levanos (445). Der später nach England geflüchtete Siegmund Kaufmann gab dort den Tatbestand folgendermaßen zu Protokoll:

Als (…) ihr kleiner Heimatort von Pogromen heimgesucht wurde, schleppte man den damals 61jährigen Siegmund Kaufmann weg, während seine Frau und die beiden Töchter auf die Straße gejagt wurden. Das Haus wurde vollkommen demoliert, das ganze Geschirr zerschlagen, die Möbel kaputt gehauen, die Teppi­che zerschnitten. Die Synagoge brannte. Kein ,Arier' hatte gewagt, die Juden zu beherbergen - aus Angst vor Strafe. Man konnte deutlich spüren, dass kein Hass da war, sondern nur Mitleid. Es war ja nur ein kleines Örtchen, und jeder kannte jeden. Ein katholischer Pfarrer hatte sogar zwei Verwandten von Siegmund Kauf­mann für eine Nacht aufgenommen. Die Polizei half, jüdische Leute zu finden, die ihnen für diese Nacht Unterkunft gewährt hatten.

 Frau Kaufmann und ihre Töchter gingen am nächsten Morgen in ihr zerstörtes Haus zurück. Sie hatten nur das eine Ziel vor Augen, den Vater zu befreien.

Siegmund Kaufmann wurde (…) mor­gens um 10 Uhr verhaftet. Erst kam er nach Zülpich ins Gefängnis, dann in ein Sträflingsheim bei Köln. Von dort transportierte man ihn nach Da­chau. Seine Kleider wurden ihm ab­genommen. Er musste einen Sträf­lingsanzug tragen. Die Gefangenen lagen auf Pritschen eng aneinander gepresst. Das Essen bestand aus einer Wassersuppe, in der einige Gemüse­stückchen schwammen. Gearbeitet hat Kaufmann nicht, aber täglich musste er sich zum Appell anstellen, und als Juden wurden sie gezwungen, Übun­gen zu machen. Er ist auch nicht misshandelt worden; aber es wurde ihm erzählt, dass die Juden eine ganze Nacht unbeweglich still stehen mussten, weil ein Jude irgendeines Vergehens beschuldigt wurde.

Frau Kaufmann und ihre Tochter Emmy haben die drei Orden des Vaters einem Gesuch beigelegt, das ih­nen ein Verwandter, ein Rechtsanwalt, aufgesetzt hatte. Sie sind damit zur Gestapo gegangen und haben wirklich die Freilassung von Siegmund Kaufmann erwirkt.

Herr Kaufmann wurde nach acht Tagen entlassen, und es wurden ihm seine Kleider wiedergegeben. Doch bevor er Dachau verließ, musste er sich verpflichten, nichts zu erzählen, was er dort gesehen hätte. Und es wurde ihm gedroht, dass er wieder eingesperrt würde, wenn er das Versprechen nicht hielte.

Siegmund Kaufmann kam nach Kommern zurück und wurde gezwungen, Land und Haus zu verkaufen und seine Metzgerei zu schließen. Eines Tages ließ ihn der Bürgermeister W(…) rufen, er hätte die Steuern nicht bezahlt und müsste deshalb 5 000 RM hinterlegen. Herr Kaufmann hatte aber die Steuern bezahlt, und es gelang ihm, den Erpresser mit 500 Mark zu befriedigen. Dieser Bürgermeister hatte auf diese Weise auch bei anderen Juden Gelder erpresst und sich auf deren Kosten bereichert.

Die Familie Kaufmann ist dann bald nach England ausgewandert; nur mit einem Koffer ausgerüstet, kam sie in London an (…) (446).

Die Aussagen jüdischer Einwohner der kleinen Gemeinde Kommern unterscheiden sehr deutlich zwischen Nazis und Nicht-Nazis. In dem in der Londoner Wiener Library hinterlegten Protokoll der Familie Siegmund Kaufmann wird ganz besonders die Familie Golden hervorgeho­ben. Frau Golden kümmerte sich nach der „Kristallnacht" um die jüdischen Kinder: „Diese Frau schlich oft nachts heimlich durch die Hintergärten, um den Kindern, die vollkommen abgerissen und ausgehungert waren, Kleider und Lebensmittel zu bringen. Unter Lebensgefahr! - Auch der Postmeister Holtzem muss  hier erwähnt werden." (447)


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Siegmund Kaufmann mit Ehefrau 1939 in Kommern

 

Jahre später stellte sich erst heraus, was noch in der „Kristallnacht" von Kommern geschah:

Am 10. November 1938 arbeitete ich auf dem Bauernhof in der Burgstraße. Die Mittagspause war gerade beendet, als wir im Dorf Feueralarm hörten. Der Feuer­säule nach konnte der Brandherd nur in der Hüllenstraße oder in der Pützgasse sein. Da ich gut zwei Monate vorher das Wohn- und Geschäftshaus Hüllenstraße von den Erben Löwenstein (jüdische Familie) gekauft hatte, bekam ich Angst und fuhr sofort mit dem Fahrrad dorthin. Meine Fahrt endete im Hof des jüdischen Markus Schmitz, der mit seiner Frau ein Gemischtwarengeschäft betrieb. Markus Schmitz war in erster Ehe mit einer geb. Löwenstein verheiratet und hatte 1938 das Amt des Vorstehers der Synagogengemeinde inne. Sofort erkannte ich, dass die Synagoge brannte, die sich hinter dem Garten von Markus Schmitz befand.

Ich hörte Menschen johlen und schreien. Andere schrieen Befehle. Genau sehen konnte ich nichts, weil beide Grundstücke durch eine zwei Meter hohe Mauer getrennt waren, was übrigens auch heute noch der Fall ist.

Jetzt hatten mich auch Markus Schmitz und seine Frau erblickt. Sie kamen zögernd in den Garten. Wir diskutierten über die Brandstifter. Das jüdische Ehepaar wusste wohl noch nichts über die Grynspan-Affäre und vermutete sogar, einheimische Kinder hätten Feuer in der Synagoge gelegt. Heute meine ich, dass die jüdische Familie mehr wusste, als sie damals zugab.

Da sich nichts Neues tat, fuhr ich mit dem Fahrrad zur Arbeit zurück, in der Annahme, die hiesige Feuerwehr würde sich schon um den Brand kümmern. Kurz nach 18 Uhr aßen wir zu Abend, als wir plötzlich gewahr wurden, dass ganz in der Nähe, aus dem stattlichen Haus der Familie Levano, Möbel auf die Straße geworfen wurden. Einheimische Nazis waren in voller Aktion. Etwa 100 Dorfbe­wohner standen auf der gegenüberliegenden Straßenseite und starrten in das hell erleuchtete Haus. Wir sahen keinen Fremdarbeiter, dafür aber erschreckte Mädchen der jüdischen Familie und Rabauken, die sogar einen großen Schrank mit wertvollen Kristallsachen nach vorne kippten. Dies alles beobachteten wir macht­los etwa 1 1/2 Stunden. Inzwischen hatten sich weitere Dorfbewohner eingefunden, die über ähnliches in der Kreisstadt Euskirchen berichteten. Alle Geschäftshäuser hätte man zerstört und sogar die Synagoge ausbrennen lassen!

Auch der aus unserem Dorf stammende Möbelhändler Horn hätte in Euskirchen durch Brand seine Existenz verloren.

Als ich von Zerstörungen in Kommern hörte, befürchtete ich, dass mein neu erworbenes Haus in der Hüllenstraße gefährdet sei. Es hätte ja immerhin sein können, dass man Markus Schmitz noch als Besitzer vermutete.

Mit einem Freund schlich ich zu dem heutigen Haus Nr. 16-18, wo anscheinend alles ruhig war. Jedoch hörte ich von den Fensterladen aus, dass im Hause selber viele Menschen beteten und schluchzten. Da klopfte ich an die Fensterlade, und sofort wurde alles still. Als mich der ängst­liche Synagogenvorsteher erblickte, ließ er mich und meinen Freund so­fort hinein und bat uns um Beistand für die etwa 15 hier versammelten Menschen. Ich weiß noch genau, dass z. B. Lenchen und Selma Frohwein mit zwei Kindern hier waren, Abra­ham Hörn und Frau, Frau Steinhardt, Frau Levi mit Kind, die sonst in der Weingartenerstraße wohnte (…).

Diese Menschen waren mir deshalb so vertraut, weil wir bis 1932 in nächster Nachbarschaft mit ihnen gewohnt hatten. Wegen der Ereignis­se in den letzten Jahren hatten wir alle nicht mehr miteinander gespro­chen, und so war die Begegnung jetzt besonders herzlich.

Als plötzlich Dachpfannen schepperten, stürmte ich nach draußen und sah zwei Westwall-Arbeiter, die mit Steinen auf mein Haus warfen. Sie glaubten, das Haus sei noch in jüdischem Besitz und ließen sich nur schwer von weiteren Zerstörun­gen abbringen.

Während die jüdischen Mitbewohner unter sich blieben und im Wohnzimmer beteten, hielt ich mich mit meinem Freund bis etwa Mitternacht lesend rechts neben dem Ladenlokal auf. Dann ging mein Freund nach Hause, und ich schlug den verängstigten Juden vor, sie ins Kloster zu bringen. Alle erhofften, mit meiner Hilfe bei den Nonnen Schutz zu finden. Ich selber hatte Angst, wenn ich an den Weg dorthin dachte, und hoffte, dass mich keiner unterwegs sehe. Eigentlich brauchten ja nur 100 Meter von der Hüllenstraße entlang zum Kloster zurückge­legt zu werden.

Wir traten alle auf die Straße und verhielten uns ruhig. Die beiden älteren Frauen, Frau Schmitz und Frau Horn, hatten sich bei mir eingehakt. Vorsichtig zogen wir los und bemerkten links lebhaften Betrieb zwischen Rathaus und Parteilokal, rechts Krach im Hause Levano. Es bedeutete für uns alle einen großen Schock, als wir plötzlich feststellen mussten, dass der Haupteingang verschlossen war und wir zum Hintereingang schleichen mussten. Als wir etwa 50 m davon entfernt waren, lief Herr Schmitz schon vor, kam aber dann zurück und bat mich ängstlich, doch die Glocke zu läuten. Erst kam der Nachtwächter, dann die Mutter Oberin in Begleitung einer weiteren Nonne heraus. Wir kannten uns alle persönlich. Ich erzählte von dem Geschehen und der Angst unserer Kommerner Juden. Alle durften sofort ins Kloster kommen!

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Vor der abgebrannten Synagoge in Kommern, Pützgasse

 

Auf dem Heimweg kam ich an dem Parteilokal R. vorbei; wo noch „große Stimmung“ herrschte. Ich ging hinein und trank noch einige Glas Bier. Innerlich war ich zu erregt, um irgendeinen Kontakt mit diesen Menschen zu finden.

Da ich die Schlüssel von Markus Schmitz hatte, konnte ich mit seiner Genehmi­gung in die Wohnung gehen, um seinen Besitz zu sichern. Diese Aufgabe nahm ich sehr ernst. Der Vorsteher der Synagogengemeinde dankte mir später, und unser Kontakt hielt noch lange an, zumal wir danach noch 5 Monate gemeinsam unter einem Dach lebten.

Morgens gegen 5.30 kehrte ich erst nach Hause zurück und kam dann wieder am Hause Levano vorbei. Am Kellereingang saßen immer noch mir bekannte Partei­genossen und tranken aus den Beständen des Weinkellers. Ich wurde aufgefordert mitzutrinken, konnte aber glaubhaft versichern, dass ich schon auf dem Wege zur Arbeit wäre. Sicher vermuteten sie, dass auch ich in der „Kristallnacht“  in Kom­mern aktiv mitgewirkt hätte und somit eine Stärkung verdient hätte.

In der Küche traf ich meine Mutter, deren Hauptsorge war, ob mich eventuell jemand bei meiner „Hilfsaktion“ beobachtet hätte.

Im Mai 1939 wurden dann die ersten Juden aus Kommern in das ehemalige Haus Frohwein in der Kölnerstraße „umgesiedelt“. Familie Schmitz gehörte auch dazu. 1942 wurden alle deportiert. (448)

 

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Auch die 3 Levano-Schwestern (Flora, Paula und Elvira) aus Kommern wurden von Köln aus in den Holocaust geschickt.

 

Das Mechernicher Gemeindearchiv bietet in seinem Kommerner Bestand weitere Unterlagen, die hier nicht alle aufgeführt werden können. (449)                          

Soweit ein Bericht aus dem Buch Judenverfolgung und Fluchthilfe im deutsch-belgischen Grenzgebiet.

Mit der Ablehnung der Stadtverwaltung von Mechernich, ein Denkmal zu Erinnerung an die jüdische Gemeinde von Kommern zu errichten, konnte man sich nicht zufrieden geben. Es mussten andere Wege gefunden werden. Ich nahm Kontakt mit den  jüdischen Gemeinden der nahen Großstädte und dem Kölner Regierungspräsidenten auf. In Vorträgen und Publikationen versuchte ich zudem, die Bevölkerung für die Problematik zu sensibilisieren und Sponsoren zu finden. In diesem Zusammenhang fand ich beim Kiwanis-Club Norddeifel lebhaftes Interesse, über das der „Schleidener Wochenspiegel“ am 14. Juni 1984 berichtete. Der Vorstand ließ sich schnell von der Notwendigkeit eines Mahnmals oder Gedenksteines überzeugen und stellte eine beträchtliche Geldsumme in Aussicht.

Im Laufe der Zeit kristallisierte sich die Realisierung des Projekts heraus, an der am Schluss die christlichen Kirchengemeinden, das Vereinskartell, die Schule und andere Organisationen beteiligt waren.

 

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Im Gespräch: der Vorsitzende des Kiwanis-Clubs Nordeifel, Erich Heizmann (2. v. r.), Sekretär Wolfgang Hoesch (r.)
und Schatzmeister Fritz Winandy (2.v.l.) mit dem Initiator des  Mahnmals, Hans-Dieter Arntz (l.)

  

Fortsetzung folgt

Teil 2:  Rückblick: Aus der Geschichte der Juden in Kommern

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