Suche nach den Euskirchener Juden (1981) – Verstreut in alle Welt

von Hans-Dieter Arntz
Quelle: Kölner Stadt-Anzeiger. Lokalteil Euskirchen, v.2./3. Mai 1981
06.09.2010

Über 60 Euskirchener Juden leben in Amerika, Israel und Australien –
Trotz härtester Schicksale sind Verbindungen zur Heimat nicht abgebrochen

 

Euskirchen — „Das Verhält­nis der jüdischen Einwohner­schaft zu ihren christlichen Mit­bürgern ist das denkbar Beste: Judenhaß und konfessionelle Unduldsamkeit sind fremde Ge­wächse, die auf Euskirchener Boden nimmer gedeihen!" Die Prognose des Euskirchener Päd­agogen und Heimatforschers Peter Simons aus dem Jahre 1926 sollte innerhalb zweier Jahrzehnte auf grausame Weise widerlegt werden.

Bei Kriegsende lag Euskirchen in Trümmern, die Juden waren der „Endlösung" des Nazi-Regi­mes anheim gefallen, Tatsachen wie Judenverfolgung, „Reichskri­stallnacht“ und Deportation lie­ßen sich auch aus Euskirchen nicht mehr wegleugnen.

Ziemlich genau 36 Jahre nach Kriegsende ist man nun in der Kreisstadt soweit, den Opfern der faschistischen Terrorherr­schaft ein Mahnmal zu widmen. Landes­rabbiner Emil Davidovic wird morgen um 11 Uhr den Ge­denkstein auf der kleinen Grün­fläche an der Annaturmstraße, wo einst die Synagoge stand, weihen.

 

Verstreut in alle Welt

 

Nach — für viele Bürger un­verständlich — langen Diskus­sionen entschied der Stadtrat im vorigen Jahr, 12.000 DM für das Mahnmal bereitzustellen, das an die jüdischen Mitbürger erin­nern soll, die im Stadtgebiet, in Großbüllesheim, Kuchenheim, Flamersheim, Kirchheim und Schweinheim gelebt haben. Auf dem Stein, den Bürgermeister- Stellvertreter Franz Roggendorf morgen enthüllen wird, steht folgende Inschrift: „Unseren jü­dischen Mitbürgern — den Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft".

Zu Beginn des Nationalsozia­lismus lebten in und um Euskir­chen etwa 350 jüdische Mitbür­ger, die in das kulturelle und po­litische, wirtschaftliche und so­ziale Leben voll integriert wa­ren. Die Integration in die Bür­gerschaft unterstreicht am ehe­sten das Fehlen jeglicher „jüdi­scher Vereine", wenn man von spontan organisierten sportli­chen Aktivitäten einmal absieht.
Wie alle anderen Bürger waren in der Kreisstadt und Um­gebung die Juden Mitglieder von Kriegervereinen, Turnerbünden, Kegelklubs oder Parteien, so dass bis 1933 auffallende antisemiti­sche Strömungen so gut wie un­bekannt waren. Nach Macht­übernahme der Nazis änderte sich die Situation schnell.

Im vergangenen Jahr inter­viewten Gymnasiasten der Ma­rienschule Euskirchener Bürger und stellten dabei fest, daß man recht gut informiert war über die Situation der Juden. Man wußte, daß sie in der Baumstraße, Grünstraße oder Ursulinenstraße in „Judenhäusern" lebten, nur zu bestimmten Zeiten ein­kaufen durften und auf ihre „Reise in den Osten" warteten, was allerdings mit „harter Ar­beit" verbunden wurde.

Im Stadtarchiv befinden sich ungezählte Bittbriefe von Euskirchener Bürgern, die nach dem „Abtransport" der Juden deren Wohnungen haben woll­ten. Während fanatisierte Natio­nalsozialisten Juden schikanier­ten, waren aber andere Euskirchener bereit, ihren verfolgten jüdi­schen Mitbürgern zu helfen, so­weit es ihre Möglichkeiten zulie­ßen.

Den Marienschülern fiel bei ihrer Untersuchung auf, daß man wenig über das Schicksal der jüdischen Mitbürger nach 1952 wußte. Man gewann den Eindruck, daß mit dem Ende des Nationalsozialismus auch das Ende der meisten jüdischen Eus­kirchener verbunden sei. Und das ist Gott sei Dank nicht der Fall.

„Träume, nichts als Träume!"

Wenn auch das Koblenzer Bundesarchiv eine stattliche De­finitivliste umgekommener Mit­bürger führt, so weisen die Kor­respondenzen mit 60 im Ausland lebenden jüdischen Ex-Euskir­chenern, Flamersheimern und Kuchenheimern nach, daß doch noch viele gerettet wurden.

Wer will es leugnen, daß ihr Verhältnis zu ihrer Geburtsstadt oft noch gespalten ist. Der heute in Miami lebende Moritz Schweizer, einst prominenter Repräsentant der jüdischen Ge­meinde von Euskirchen, formu­lierte 1946 in einer für die dama­lige Zeit unbegreiflichen Tole­ranz: „Träume, nichts als Träu­me! — Aber die Erinnerung bleibt, und die läßt noch ihren Glanz über all dem aus jener Zeit ausgebreitet, so daß man stets nur das Schöne nacher­lebt!"

Und mit welcher Liebe hing der im Januar 1981 verstorbene Arthur Israel (Isdale) an seiner Heimatstadt Euskirchen, aus der er 1938 flüchtete, um 1945 als britischer Besatzungssoldat wie­der einzurücken. Daß man von hier drei Jahre vorher seine El­tern deportierte, hat er aller­dings nie verstehen können.

Flamersheim und sein evange­lisches Presbyterium plante schon 1979 eine Gedenktafel als Erinnerung an seine jüdischen Mitbürger. Wie sinnvoll wäre al­lerdings ein persönlicher Kon­takt zur „Flamersheimer Kolo­nie" in Israel. Da lebt Siegfried Oster, einst erfolgreicher Fuß­baller in seiner deutschen Hei­mat, und kann sich immer noch nicht überwinden, das Dorf zu betreten. Da konnte Erna Herzberg geb. Herz, im Sommer letzten Jahres leichter über ihren Schatten springen, zumal sie wußte, wer ihren deportierten Eltern vorher noch geholfen hatte.

 Auch der Sohn des ehemaligen Synago­genvorstehers Arthur Weiss, Kurt Weiss/Raanana, ist bereit, Vorurteile abzubauen. Er hatte 1934 als letzter jüdischer Schü­ler am heutigen Emil-Fischer- Gymnasium sein Abitur ge­macht und lobte in einem Schreiben vom 15. Januar 1981 die menschliche Haltung seines damaligen Klassenlehrers Her­mesdorf. Oskar Aron, geboren in Arloff und seßhaft in Flamersheim, galt lange Zeit als „ältester Briefträ­ger Israels". In seinen Tagebü­chern werden die Flamershei­mer namentlich aufgeführt, die ihm und seiner Frau Veronika während der „Kristallnacht" ge­holfen haben.
Die heute 87jährige Rieka Weiss, einst Mönchstraße 64, die heute in der Nähe von Detroit/ Michigan wohnt, überlebte im Konzentrationslager Theresienstadt. Sie bestätigte schrift­lich am 11. November 1980: „An der Kristallnacht hat sich die Flamersheimer Jugend nicht be­teiligt, aber kein Flamersheimer hatte die Courage, etwas dage­gen zu tun!" Überlebt hat zum Beispiel auch Else Oster und manch an­derer Jugendlicher, der auf dem Gruppenfoto „Flamersheimer Judenschule 1923" zu finden ist.

Verstreut in alle Welt

 

Zur „High-Society" avancierte Ilse David, deren Mutter eine in Flamersheim geborene Cleffmann war. Sie wanderte mit dem letzten Schiff vor Ausbruch des Krieges nach Casablanca aus, wo sie in zweiter Ehe den Bruder des früheren französi­schen Außenministers, Maurice Schumann, heiratete. Noch heute befindet sich ein großer Teil des Weidelandes zwischen Kirchheim und Flamersheim in ihrem Besitz.

Trotz Stadtsanierung ist selbst äußerlich noch jüdisches Ge­schäftsleben - fast symbolhaft - sichtbar. An der Außenwand des Hauses Bischofstraße 21 ist noch schwach die Werbung der bekannten jüdischen Metzgerei Fröhlich sichtbar. Von den zahl­reichen Familienmitgliedern lebt heute nur noch Martha Cleffmann geb. Schnog in Hei­delberg. Ihre Flucht zur fran­zösisch-belgischen Wider­standsbewegung hat ihr das Leben gerettet. Ihr Haus in der Bischofstraße ist bis heute in ihrem Besitz.

Schweres Überleben

Das Überleben unserer jüdi­schen Mitbürger war – egal, wo man sich befand - unvorstell­bar schwer. Glück hatte der, der bereits rechtzeitig das Unglück voraussah und auswanderte. Die Familie Hanauer, stadtbekannt wegen eines gut florierenden Stoff- und Kurzwarengeschäftes in der Wilhelmstraße, wanderte nach Palästina aus.

Paul Hanauer schilderte die ersten Jahre: „Ich schloß mich einem Kibbuz an. Das Leben war sehr schwer, wenig zu essen; aber schwere Arbeit! Dazu kamen alle diese »Pionier­krankheiten« wie Malaria etc. Die ersten vier bis fünf Jahre wohnten wir nur in Zelten, die in den Winterstürmen manchmal mal wegflogen. Aber das Gefühl der Verbundenheit war so stark, daß man alles ertrug. Mein Va­ter, Siegfried Hanauer, war 57 Jahre alt, als er mit seiner Frau ins Heilige Land kam. Er arbei­tete (früher Geschäftsmann und Mitglied in vielen Euskirchener Vereinen) als landwirtschaftli­cher Arbeiter. Aber das Klima und die schwere körperliche Ar­beit waren zuviel für ihn. Er starb bereits nach knapp zwei Jahren."

Vor drei Jahren war Schaul (Paul) Hanauer zum letztenmal in Euskirchen, um seinem Enkel die Heimat zu zeigen. Der Rabbiner Bayer, der mit seiner Familie auf der Billiger Straße wohnte, konnte rechtzei­tig über Holland nach Kanada emigrieren. Sein Sohn Raphael, heute selber geachteter Rabbiner in Jerusalem, konnte dank des Engagements hilfsbereiter Hol­länder überleben. Der aus Meckenheim stam­mende Fritz Juhl, Vetter des gleichnamigen Mitbürgers, aus Zülpich, war mit der Familie Frank befreundet, deren Tochter Anne das weltberühmt gewor­dene Tagebuch verfaßte. Sein „Untertauchhospes" Benschop wurde jedoch am 8. März 1945 zusammen mit 16 anderen als Geisel von den Deutschen er­schossen.

Mit dem Kulturleben der Stadt Euskirchen war auch die Familie Heilberg verbunden, war doch Vater Salomon Heilberg jahrzehntelang jüdischer Religionslehrer, Internatsleiter und Mitglied des Stadtrates. Während seine Familie zum größten Teil ins Ausland flüch­ten konnte, verstarb er am 18. März 1942 im Exil. Die uns er­halten gebliebene Gedenk- und Trauerrede sollte eine Bereiche­rung des Stadtarchivs werden.

Man kann nicht jedes Schick­sal unserer einstigen Mitbürger darstellen. Aber fest steht, daß mit der Einweihung des jüdi­schen Gedenksteins die Namen vieler jüdischer Familien ver­bunden sind.

« zurück zum Seitenanfang