WOCHENSPIEGEL-SERIE von Regionalhistoriker Hans-Dieter Arntz:

Wochenspiegel Serie

„REICHSKRISTALLNACHT“ im Altkreis Euskirchen Nr. 5 von 6

„Krankes Kind mit Fußtritten in die Nacht gejagt“
Teil 5 von 6 vom 05. November 2008: „Synagoge auf ganz ungeklärte Weise abgefackelt“

 

MÜNSTEREIFEL und KIRSPENICH

 

Am 15.3.1949 verurteilte das Schwurgericht Bonn drei Münstereifeler we­gen »Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Tateinheit mit Land­friedensbruch« zu einer Gefängnisstrafe von je sechs Monaten. Einem der Haupttäter anlässlich der »Reichskristallnacht« wurde während des Ver­fahrens sogar vorgehalten, er habe damals den Mün­stereifeler Juden Kauf­mann erschießen wollen, wenn er ihn »geschnappt« hätte. Zu den Beschul­digten gehörten weitere zwölf Einheimische, die sich ebenfalls hervorgetan hatten.

 

WOCHENSPIEGEL-SERIE von Regionalhistoriker Hans-Dieter Arntz

 

Das Gerücht von den unbekannten »Aus­wärtigen in Räuberzivil« hält sich auch permanent im heutigen Bad Münstereifel. Dies alles erhält jedoch ei­ne »pervertierende Inter­pretation«, wenn man die Bonner Urteilsbegründung genauer studiert. Die Täter im Verlaufe des November­pogroms 1938 waren fast nur Einheimische! Ein Angeklagter trug seine Uniform als Sturmführer, und sogar drei namentlich aufgeführte Polizisten aus Münstereifel waren zudem beauftragt worden, die sogenannte »Judenaktion« persönlich zu beobachten. Sie hatten auf dem glei­chen Lastwagen Platz ge­nommen wie die SA-Män­ner der Stadt. So gelangte man gemeinsam auch nach Kirspenich, wo der Besitz der jüdischen Familien Schweitzer und Kahn zer­stört wurde. Wörtlich heißt es in den Gerichtsakten:

Kirspenich

Dort hielt man in der Nä­he des jüdischen Schuh­geschäftes Schweitzer. Die Wageninsassen dran­gen unter Benutzung von Brechstangen und anderen Werkzeugen mit Gewalt in das Haus ein. Die Türen und Fenster des Hauses wurden eingeschlagen. Im Hause wurden dann Möbel und andere Einrichtungs­- und Gebrauchsgegenstände zertrümmert oder beschä­digt. Die vorhandenen Wa­ren wurden durcheinander geworfen. Von dem Hause Schweitzer zog der Trupp zu dem Wohnhaus des Ju­den Kahn in der gleichen Ortschaft. Die Polizeibeam­ten folgten der Menge. Di­ese brachen auch bei Kahn mit Gewalt in das Haus ein und nahmen wie vorher im Hause Schweitzer die gleichen Zerstörungen vor. Außerdem wurde ein bren­nender Ofen umgestürzt. Das Feuer wurde von dem Zeugen M(...) gelöscht. Die Frau Kahn wurde in halbbekleidetem Zustand vom ersten Stock die Trep­pe heruntergeworfen. Man sprach davon, in Arloff die gleiche Aktion ge­gen den Juden Josef Kahn durchzuführen. Von diesem Vorhaben wurde jedoch Abstand genommen, da es sich um eine kinderreiche Familie handelte. Nach der Beendigung kehrten Polizei und SA gemeinsam nach Münstereifel zurück, wo die Ausschreitungen fortgesetzt wurden.

Münstereifel

Auf der traditionsreichen Orchheimerstraße, der Hauptstraße des kleinen Voreifelstädtchens, lagen Tuchballen, Kleider und Schuhe aus den Geschäf­ten von Carl und Oskar Nathan. Hier wurden auch alle Einrichtungsgegenstän­de zerschlagen. Willibald Kolvenbach recherchierte, dass man den Personen­wagen von Hugo Wolff aus der Stadt schob, um ihn dort zu verbrennen. Die Synagoge auf der Orchhei­merstraße wurde geschän­det. Zu Brandstiftungen kam es nicht, weil man mit Recht eine Gefahr für die mittelalterliche Stadt mit ihren Fachwerkhäusern befürchtete. Der seit 1823 im Queckenwald bestehen­de jüdische Friedhof wurde verwüstet, die Grabsteine wurden umgestoßen und zum Teil zerstört.

Einer der besonders fana­tischen Haupttäter beklei­dete das Amt des Propa­gandaleiters, wurde aber nach dem Kriege durch den Entscheid des Entnazi­fizierungsausschusses vom 5. Februar 1949 nur in die »Gruppe 4 ohne Beschrän­kungen« eingestuft. Bezüg­lich eines anderen Täters wird in dem neu erschie­nene Buch »Reichskristallnacht« – Der Novemberpogrom 1938 auf dem Lande  aus den Gerichtsun­terlagen zitiert:

An den Ausschreitungen bei der jüdischen Familie Kaufmann war auch der Angeklagte G(...) beteili­gt. Er befand sich in einer Menge, die sich alsbald nach Beginn der geräuschvollen Zerstörungsarbeit vor dem Hause angesammelt hatte und aus neugierigen Zuschauern und solchen Personen bestand, die von außen Gewalttätigkeiten gegen das Haus verübten. Aus dieser Menge heraus hob der Angeklagte G(...) schwere Steine auf und warf sie in die Fenster des Hauses Kaufmann hinein. Von dem Hause Kaufmann zog die gewalttätige Menge zu dem Hause des Juden Adolf Wolff und verübte hier dieselben Gewalttä­tigkeiten gegen den Besitz der Juden wie in den bereits heimgesuchten Häusern. Aus diesem Hause wur­den eine jüdische Familie, die dort noch nicht lange wohnte - ein Mann, eine Frau, ein Junge und ein krankes Kind - mit Schlägen und Fußtritten in die Nacht hinausgetrieben.

Stadtbekannt

Ein Zeuge sagte während des Prozesses vor der Strafkammer des Bonner Landgerichtes im März 1949 unter Eid aus, dass er schon am Nachmittag des 10. November über die Ab­sichten der stadtbekannten Münstereifeler National­sozialisten informiert ge­wesen sei. Er sei deswegen am Nachmittag mehrfach durch das Stadtzentrum gegangen und habe alle Vorgänge sehr genau beobachtet. Dieses wäre sogar möglich gewesen, obwohl der Hauptangeklagte und ein Elektriker mit einer Zange für die Unterbre­chung der Straßenbeleuch­tung gesorgt hatten.

Die Gerichtsunterlagen be­legen, dass die Ausschrei­tungen in Münstereifel fast die ganze Nacht vom 10. zum 11. November andau­erten. Dennoch wurden nur wenige Zeugenaussagen von den Richtern berück­sichtigt oder als unwirklich abgetan. In der Anklage­schrift hieß es dennoch:

Die drei Polizeibeamten (...) machten auch in Mün­stereifel während der Ak­tion Überwachungsdienst. Kurz nach der Rückkehr von Kirspenich wurde be­kannt, dass dort schon wie­der die geschädigten Judenhäuser von Einheimischen ausgeplündert würden.

Die Polizei wollte aber nichts mehr festgestellt haben. Der Zeuge Z(...) hatte vor der Strafkammer des Bonner Landgerichts »eidlich und glaubwürdig bekundet«, was er alles gesehen habe. Aber die Richter bewerteten diese Aussagen folgenderma­ßen:

Diese Bekundung kann aber aus dem Grunde nicht als unbedingt zuver­lässig angesehen werden, weil der Zeuge heute stark kurzsichtig ist und in seiner Wahrnehmungsfähigkeit weiter durch - wenn auch mäßigen - Alkoholgenuss während eines Wirtshaus­aufenthaltes von minde­stens 4 Stunden sicher be­einträchtigt war...

 

LINKS
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JUDAICA – Juden in der Voreifel, Euskirchen 1983 (3. Aufl. 1986)

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JUDENVERFOLGUNG und FLUCHTHILFE im deutsch-belgischen Grenzgebiet, Euskirchen 1990 (Dokumentationsband mit 810 Seiten  und 550 Fotos)

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„REICHSKRISTALLNACHT“ – Der Novemberpogrom 1938 auf dem Lande, Aachen 2008

„REICHSKRISTALLNACHT“ im Altkreis Euskirchen

josef weiss

Teil 1:  Euskirchen

Teil 2: Euskirchen („Synagogenbrand-Prozess“)

Teil 3: Weilerswist und Lommersum

Teil 4: Zülpich und Sinzenich

Teil 5:  Münstereifel und Kirspenich

Teil 6:  Mechernich und Kommern

 

 

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