WOCHENSPIEGEL-SERIE von Regionalhistoriker Hans-Dieter Arntz:

Wochenspiegel Serie

„REICHSKRISTALLNACHT“ im Altkreis Euskirchen Nr. 4 von 6

Teil 4 von 6 vom 29. Oktober 2008: ZÜLPICH: „Frauen flüchteten im Schutz der Dunkelheit“

 

ZÜLPICH und SINZENICH

 

Zwei Mädchen aus Sinzenich, Ilse und Ruth Scheuer, überlebten den Holocaust sowie das Vernichtungslager Auschwitz. Beide leben heute verheiratet in den USA und sind inzwischen bekannte Zeugen im Projekt von Steven Spielberg »Survivors of the Shoah« Auschwitz II (Birkenau, February 1944).

Gemeinsam mit ihrer Cousi­ne Evelyn Heilbronn geb. Levy standen sie dem Autor des neuen Buches »Reichskristallnacht - Der Novemberpogrom 1938 auf dem Lande« als Augenzeugen zur Verfügung. Über ihr Schicksal ist im Internet mehr zu erfahren.

 

WOCHENSPIEGEL-SERIE von Regionalhistoriker Hans-Dieter Arntz

 

Detailliert sind die inzwi­schen gefundenen Gerichtsunterlagen über die »Reichskristallnacht« in Zülpich und Sinzenich. Die Strafkammer des Bonner Landgerichtes sah diesbe­züglich antisemitisches Verhalten bereits für Fakten, die zum 1. April 1933 zurückverfolgt werden muss­ten. Die gleichen Täter, die in der Pogromnacht vom 10./11. November plün­derten, zerstörten, jüdische Familien quälten und sogar weitaus Schlimmeres noch planten, hatten am »Boykottag« von 1933 den jüdischen Arbeiter Voss mit zerschlagener Nase und umgehängtem Schild »Judenlümmel« durch die Zülpicher Innenstadt getrieben und ihn, wegen seiner Separatistenzeit in Kall, per Handglocke den Bürgern vorgeführt.

Das Obergeschoss des sogenannten »Haus Horn« in Sinzenich, heute auf dem Sand Nr. 12, diente zeitwei­lig als Betraum, während die eigentliche Landsyna­goge unauffällig im rückteiligen Bereich des Anwesens lag. Dies war wohl auch der Grund, weshalb sie als ein­ziges jüdisches Gotteshaus des Kreises Euskirchen nicht von den Nationalso­zialisten in Brand gesetzt wurde und in baulicher Substanz bis zur Gegenwart überstand - ohne Denkmalschutz!

»Alles ist vorüber!«

Im Januar 2008 berichtete Ruth Scheuer, verh. Na­than (USA), telefonisch, dass sie, ihre Mutter und die Cousine Emmy Kaufmann rechtzeitig ihr Haus in Sin­zenich verlassen hatten und in der Dunkelheit über die Felder nach Zülpich liefen. Man hätte sich dauernd umgedreht, um nach einem Feuerschein Ausschau zu halten. In der Römerstadt fanden sie mit anderen Ju­den im Hause Sommer ei­ne Übernachtungsmöglich­keit.

Am nächsten Morgen kam der Zülpicher Synago­genvorsteher Juhl zu ihnen, beruhigte alle und teilte mit, dass man wieder unbe­schadet nach Hause gehen könne. Er sagte: »Alles ist vorüber.«

Dort fanden sie ein Chaos vor. Jedoch waren die Auf­räumungsarbeiten bald be­endet. Auch die Stimmung in der Dorfbevölkerung hatte sich etwas beruhigt. Große Verluste hatte die Familie von Ludwig Levy, die erfolgreich ihre Aus­wanderung nach England betrieben und die Koffer in der Sinzenicher Synagoge abgestellt hatte. Während das jüdische Gotteshaus »nur« verwüstet und die Gebetbücher in den nahen Bach geworfen wurden, durchstöberten andere die Koffer der Auswanderer und stahlen das, wofür sie Verwendung hatten. Ein Telefonat mit Evelyn Le­vy, verh. Heilbronn (USA), ergab, dass sie als kleines Mädchen trotz der Hektik den Gebetsschal des Vaters an sich nahm und ihn heute noch in Ehren hält.

Gefängnisstrafen

Gegen sieben Täter an­lässlich der »Reichskri­stallnacht« am 10./11. No­vember 1938 wurde nach dem 2. Weltkrieg Anklage erhoben, da sie an Verbre­chen gegen die Menschlich­keit und Landfriedensbruch teilgenommen hätten. Der Anführer, H.H. aus Zülpich-Hoven, hatte bereits nach Ansicht der National­sozialisten Schuld auf sich geladen. Unmittelbar nach der »Reichskristallnacht« verurteilte man ihn zu neun Monaten Gefängnis. Nach dem Kriege folgten weitere zwei Jahre Zucht­haus. Zwei Kameraden aus dem gleichen Ort erhielten sechs Monate Gefängnis, da sie u.a. in den jüdischen Häusern von Zülpich und Sinzenich gewütet hatten.

Anders als in den groß­en Städten, wo häufig aus ideologischen und antise­mitischen Gründen heraus die Juden verfolgt wurden, bereicherten sich die Täter in Sinzenich und Zülpich am Besitz der ihnen persön­lich bekannten Juden. Der bereits erwähnte H.H. war gar Angestellter der Stadt Zülpich und hier wegen seines rassistischen Radika­lismus bestens bekannt. Da­her hinderte ihn und seine SA-Kameraden - in Beglei­tung von zwei Polizisten, von denen der Beamte F. sogar Fotos machte - kei­ner daran, sein Unwesen zu treiben.

Die Verteidigung von wei­teren Angeklagten war aus­gesprochen naiv. Man stellte sich selber als Geschädigte dar! Der eine hatte Schnitt­verletzungen im Gesicht, weil er am jüdischen Haus Klaber »zufällig« vorbei­kam und dabei durch die he­rabfallenden Glasscherben verwundet wurde, andere hatten Kleidungsstücke und Wertsachen in Besitz, weil man diese für die Juden »aufbewahren« wollte. Es sei Zufall gewesen, dass in Sinzenich beinahe das Baby der Jüdin Horn verunglückt sei!

Der verurteilte G. hat­te sich noch den Martinszug in Zülpich angesehen, ehe er mit einigen Kameraden nach Lövenich fuhr, um »von dort Vieh zurückzu­holen, das man den armen Juden aus Sinzenich wegge­trieben hatte.« Ortsgruppenleiter und Bür­germeister der Römerstadt Zülpich hatten »Edles« vor: Sie wollten die Synagoge angeblich vor dem Feuer retten. Ernsthaft sagten Zeugen aus, dass der Sy­nagogenvorsteher Juhl der Stadt das jüdische Bethaus als Heim für die HJ ange­boten habe. Zwar waren die Angeklagten aus Zülpich, Füssenich und Hoven dabei beobachtet worden, wie sie die Bänke aus der Synago­ge schleppten, aber sie hät­ten das nur getan, um »die Umgestaltung von einer Synagoge zum HJ-Heim zu beschleunigen.« Der Kauf sollte nämlich innerhalb von zwölf Stunden notariell abgewickelt werden... Dieser notarielle Vertrag, bei dem kein Vertreter der jüdischen Gemeinde, wohl aber Dr. Friedrich V(...), der Notar, ein Notariats­sekretär und der Erwerber anwesend waren, kam si­cherlich auf Druck der Stadtoberen zustande.

Wörtlich heißt es:

Die Erschienenen erklärten: Die jüdische Syna­gogengemeinde Zülpich verzichtet zu Gunsten des Herrn R. B. in Zülpich auf ihr Eigentum, eingetragen im Grundbuch von Zülpich Blatt 524, als Flur 14 Num­mer 1465/528 und Nummer 1947/529, Totengasse, be­bauter Hofraum (Synago­ge), groß 1,82 und 0.66 ar und überträgt den Grund­besitz auf Herrn R(...) B(...). Herr (...) nimmt die Eigentumsübertragung an und verpflichtet sich, das Synagogengrundstück dem Erdboden, gleichzumachen. Die Abbrucharbeiten über­nimmt die Stadt Zülpich, die das Altmaterial für ihre Zwecke verwendet.

 

LINKS
link

JUDAICA – Juden in der Voreifel, Euskirchen 1983 (3. Aufl. 1986)

link

JUDENVERFOLGUNG und FLUCHTHILFE im deutsch-belgischen Grenzgebiet, Euskirchen 1990 (Dokumentationsband mit 810 Seiten  und 550 Fotos)

link

„REICHSKRISTALLNACHT“ – Der Novemberpogrom 1938 auf dem Lande, Aachen 2008

„REICHSKRISTALLNACHT“ im Altkreis Euskirchen

josef weiss

Teil 1:  Euskirchen

Teil 2: Euskirchen („Synagogenbrand-Prozess“)

Teil 3: Weilerswist und Lommersum

Teil 4: Zülpich und Sinzenich

Teil 5:  Münstereifel und Kirspenich

Teil 6:  Mechernich und Kommern

 

 

« zurück zum Seitenanfang