Das  Schicksal der  jüdischen Juristen aus Euskirchen:
Dr. Leopold Heilberg (Dr. Lionel Hillburn) und Dr. Josef Weiss

von Hans-Dieter Arntz
04.07.2008

In meinen NEWS vom 27. April 2008 erinnerte ich an zwei jüdische Akademiker aus Euskirchen: Dr. med. Hugo Oster (1878-1943) und Rechtsanwalt Alfred Oster (1901-1960). Der Erstgenannte hatte als Arzt und SPD- Ratsherr wegen seines sozialen Engagements eine besonders gute Reputation in der Kreisstadt. Meinem Antrag, eine Straße nach ihm zu benennen, folgte der Euskirchener Stadtrat allerdings erst nach 10jähriger Beratung (!). Der von-Hindenburg-Platz wurde endlich am 29. März 1993 in Dr.-Hugo-Oster-Platz umbenannt.

Den zweiten ehemaligen Euskirchener Mitbürger stellte ich unter der Überschrift  „Vor 75 Jahren: Der 'Boykottag' und der jüdische Rechtsanwalt Alfred Oster (1901-1960) aus Euskirchen“  als  Juristen vor, der auf der Wilhelmstraße in Euskirchen seine Kanzlei hatte. Er war ungemein engagiert und hatte daher als Erster der jüdischen Gemeinde beruflich unter den rassistischen Maßnahmen der Nationalsozialisten zu leiden. Die Tatsache, dass der stets als „Nichtarier“ diskriminierte  Rechtsanwalt noch im Jahre 1933 einen Prozess gegen Hitler führen wollte, dem er mit Recht „Rassismus“ und „Despotismus“ vorwarf, spricht für sich. Beide jüdischen Akademiker ergänzen meine Vorstellung zum Thema: Prominente Euskirchener Juden.

Tragisch verlief meine geplante Begegnung mit Dr. Leopold Heilberg (später: Dr. Lionel Hillburn), der als Sohn des Euskirchener Religionslehrers Dr. Salomon Heilberg seine juristische Karriere im Rheinland begann, dann aber zu denjenigen zählte, die spektakulär am „Boykottag“ (1. April 1933) aus dem Dienst entfernt wurden. Der inzwischen in Amerika zum Karriere-Anwalt und Notar arrivierte Jurist verstarb einige Stunden vor unserem lang geplanten Treffen an einem Herzschlag in einem Kölner Hotel. Der Kölner Stadt-Anzeiger berichtete am 26. Oktober 1983 über diesen tragischen Vorfall, der mich persönlich sehr bewegte.

heimatÜber seine „Entfernung aus dem Staatsdienst“ am „Boykottag“ hatte mir Dr. Lionel Hillburn (1904-1983) detailliert berichtet. Ich hielt seinen Bericht in meinem damals gerade erschienenen Buch JUDAICA – Juden in der Voreifel  auf den Seiten 184/185 folgendermaßen fest:

Der älteste Sohn des jüdischen Religionslehrers in Euskirchen, Dr. Salomon Heilberg, war sicher einer der Ersten, der seine Existenz verlor. Kaum war der `Tag von Potsdam´ (21. März 1933) vorbei, da zeigte sich auch in Köln der Nationalsozialismus von seiner brutalen Seite, und zwar auch der Justiz gegenüber. Von Goebbels in Presse und Funk angekündigt, begann hier schon am 29. März ein mehrtägiger Boykott jüdischer Geschäfte und Warenhäuser. Am letzten Märztag stürmte dann ein starkes Aufgebot von SA und SS das Justizgebäude am Reichenspergerplatz. Die Uniformierten unterbrachen lärmend die Sitzungen, drangen mit blanker Waffe an den Richtertischen vorbei in die Beratungszimmer ein und suchten nach missliebigen, besonders nach jüdischen Juristen. Der hier als Rechtsanwalt seit 1932 zugelassene Euskirchener Dr. jur. Leopold Heilberg wurde mit seinen Kollegen zwangsweise aus dem Gerichtsgebäude entfernt. Demütigend war das Verladen auf einen offenen Müllwagen und die Fahrt durch das Spalier der johlenden Menge zum Polizeipräsidium. Auch der nicht-jüdische Landgerichtsdi­rektor Liedgens wurde Opfer dieser Aktion, weil er sich den Eindringlingen in den Weg gestellt hatte. Von den Richtern des Oberlandesgerichtes trat Senatspräsident Hahne dem Terror offen und unter lautem Ausdruck seines Abscheus entgegen. Dabei war er der einzige unter den Kölner Senatsvorsitzenden, der als überzeugter Nationalsozialist galt. Kritische Betrachter meinen heute, dass solche Zwiespältigkeit vielfach das Handeln der Menschen jener Zeit kennzeichnete, die heute gern mit den Farben `schwarz´ und `weiß´, unter Weglassung der Zwischentöne geschildert werden.

Der Euskirchener Jurist Dr.Leopold Heilberg (später: Dr. Lionel Hillburn) schilderte dem Autor des Buches „JUDAICA“, die Zeit nach seiner 'Entfernung':

Am 31. März 1933 wurde ich (…) zwangsweise aus dem Gerichtsgebäude am Reichenspergerplatz entfernt. Das wurde von dem damaligen preußischen Justizminister in einem Schreiben vom 5. April 1933 'als die, auf Grund der bekannten Vereinbarungen geschaf­fene jetzt bestehende Lage' bezeichnet, `die wir bei Anträgen auf Wiederzulassung als rechtsverbindlich anerkennen sollten.

Ich hatte damals keine Wahl, als meine junge Praxis schleunigst zu liquidieren. Dann bin ich in mein Elternhaus nach Euskirchen zurückgekehrt, ohne mich hier allerdings bei der Verwaltung polizeilich anzumelden. Im Hinblick auf die Unsicherheit unserer Lage erschien es mir ratsam, meine Spur soweit ich konnte, dadurch zu verwischen, dass ich mich von meiner bisherigen Kölner Adresse an eine fiktive Anschrift in Köln ummeldete. (…) Ende 1937 bin ich mit den jüngeren Geschwistern Max, Martha und Ernst nach England ausgewandert(…).

heimat2Ein beruflicher Boykott war mehr als eine Ausschaltung vom normalen Broterwerb. Zu der psychischen Belastung kam bei vielen Juden die absolute Hoffnungslosigkeit auf eine bessere Zukunft hinzu, was bei jungen Leuten den Wunsch zur baldigen Auswanderung steigerte. Das Gesetz 'Zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums' vom 7. April 1933 ordnete die Entlassung von Beamten an, wenn sie 'nichtarischer Abstammung' waren und wenn sie 'nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten'.

Im Oberlandesbezirk Köln gab es  1933 unter 571 planmäßigen höheren Justizbeamten 15 Juden, von denen sechs nach den Ausnahmebestimmungen im Amt verblieben. Die acht jüdischen Gerichtsassessoren wurden sofort entlassen. Von 70 jüdischen Referendaren durften nur sieben im Vorbereitungsdienst bis auf weiteres bleiben.“

Im  Oktober 1982 wollte ich mich mit dem inzwischen arrivierten Rechtsanwalt und Notar (Attorney and Councelor of Law) Dr. Lionel Hillburn  in Euskirchen treffen. Warum es hierzu nicht kam, habe ich bereits erwähnt.

Mir war inzwischen bekannt, dass er eine große Kanzlei in Forest Hills besaß, nachdem er 1955 in den USA erneut Jura studieren musste, was er mit Bravour drei Jahre lang  an der New York Law School  tat. Während er tagsüber in einer Anwaltskanzlei aushalf, musste er abends und nachts seine Studien erledigen. Mrs Lottie Hillburg betonte vor einigen Tagen in einer E-mail, dass sich  auch heute noch die amerikanische von der deutschen Rechtsprechung deutlich unterscheidet.

Die Lebensumstände waren nicht gut, zumal die junge Familie Hillburn inzwischen zwei kleine Kinder hatte. Vor seiner Einreise in die USA im Februar 1955 hatte Dr. Lionel Hillburn mit seinen zwei Brüdern, seiner Mutter und seiner Ehefrau in Cuba gelebt, was aber ab 1955 sehr erschwert wurde. Seinen bereits in Deutschland erworbenen Doktortitel konnte er auch in den USA behalten.

Frau Lottie Hillburn überließ mir Anfang Juli 2008 ein Foto, das ihren Mann während der Graduation-Feier zeigt. Weitere Examina bestand der aus Deutschland stammende Jurist in den folgenden Jahren.

Erinnerung an die jüdischen Anwälte durch den Bonner Anwalt-Verein e.V. (1992)

Am 28. 10.1992 befasste sich der Bonner Anwaltverein anlässlich zweier Veranstaltungen mit dem Schicksal der jüdischen Rechtsan­wälte während der Zeit des Nationalsozialismus.

In einer Gedenkstunde am Vormittag des 28.10.1992 wurde in den Räumen der Geschäftsstelle des Vereins im Gebäude des Landgerichts Bonn eine Gedenktafel enthüllt, die die Namen der jüdischen Rechtsanwälte trägt, welche 1933 im Landgerichtsbezirk Bonn zugelassen waren. Einige davon wurden umgebracht, andere überlebten zwar, mit ihnen wurde aber in unmenschlicher Weise umgegangen.

In einer Liste, die der Bonner Anwaltverein 1992 erstellte, erscheint unter den 9 jüdischen Anwälten - neben dem bereits benannten Alfred Oster (1901-1960) -  auch Rechtsanwalt Dr. Josef Weiss (1901-1990), der Cousin des ehemaligen „Judenältesten von Bergen-Belsen“, Jupp Weiss aus Flamersheim.

In dem Heft  Das Schicksal der im Landgerichtsbezirk BONN zugelassenen jüdischen Rechtsanwälte während der Zeit des Nationalsozialismus (bearbeitet von Heidwin Paus), Bonn 1992, S. 21/22 wird der promovierte Jurist aus Flamersheim folgendermaßen skizziert:

Herr Kollege Dr. Josef Weiss, geboren am 30.11.1901, wurde zur Anwalt­schaft beim Amts- und Landgericht Bonn am 28. 03.1929 zugelassen. Kurz vor der Machtübernahme assoziierte er sich mit Herrn Justizrat Dr. Georg Schumacher und unterhielt mit diesem die Kanzlei in Bonn Wilhelmstraße 26. Privat wohnte er in der Kaufmannstraße 37 in   Bonn.

Herr Kollege Dr. Weiss war 1932 Sprecher der Ortsgruppe Bonn der Zionisti­schen Vereinigung für Deutschland. Die Zionisten bildeten damals in Bonn nur eine verschwindend kleine Gruppe und hatten in der stark assimilierten Gemeinde einen schweren Stand. Das änderte sich erst   1933.

Möglicherweise aufgrund seiner nur kurzen Tätigkeit als Anwalt in Bonn konnten sich die befragten Zeitzeugen nicht näher an Herrn Kollegen Weiss erinnern.

Aufgrund des Gesetzes über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft vom 7. April 1933 wurde Herrn Dr. Weiss am 26.06.1933 die Zulassung schon wieder entzogen. An seine Stelle trat Herr Kollege Dr. Kugelmeier in die Praxis des Justizrats Dr. Schumacher ein. Nach dessen Angaben wanderte Herr Kollege Dr. Weiss nach Israel aus und soll dort in Jerusalem eine Wäscherei betrieben haben.

Wie wenig der Bonner Anwaltverein 1992 über seine ehemaligen jüdischen Kollegen tatsächlich wusste, wird aus dem letzten Satz der knappen Skizzierung des aus Euskirchen-Flamersheim stammenden Juristen Dr. Josef Weiss ersichtlich. Offenbar war sich die Bonner Anwaltschaft aber dieser Problematik bewusst, denn in ihrer Dokumentation Jüdische Rechtsanwälte im Dritten Reich, Deutscher Anwaltverlag, Bonn 1994, heißt es auf Seite17:

Wenn der Bonner Anwaltverein erstmalig im Jahre 1992 - 47 Jahre nach dem Ende des Dritten Reichs - an das Schicksal der im Landge­richtsbezirk Bonn zugelassenen jüdischen Rechtsanwälte während der Zeit des Nationalsozialismus erinnert, so werden sich viele — ich befürchte die Mehrheit - fragen: Warum noch immer „Vergangen­heitsbewältigung?

Die Frage ist falsch gestellt. Sie muss lauten: Warum erst jetzt! Diese Frage richtet sich nicht nur an die Bonner Anwaltschaft, sondern an die gesamte Anwaltschaft in der Bundesrepublik.

Es erschienen zwar in den siebziger und verstärkt in den achtziger Jahren Publikationen, die sich generell mit der Situation der jüdischen Rechtsanwälte im Dritten Reich befassten, ausgespart blieben jedoch die Einzelschicksale - mit Ausnahme der berühmten Namen in der jüdischen Anwaltschaft. Die Anwaltschaft vor Ort bzw. die örtlichen Anwaltvereine, deren Aufgabe und Verpflichtung es gewesen wäre, frühzeitig an die Verfol­gung, Vertreibung und Tötung der jüdischen `Kollegen´ zu erinnern, hielten sich weitgehend bedeckt und blieben mit wenigen Ausnahmen untätig.“

Der Rechtsanwalt Klaus H.S. Schulte mit dem ich jahrelang kollegial die Geschichte der Juden im Rheinland bearbeiten konnte, korrespondierte mit dem jüdischen Juristen aus Euskirchen-Flamersheim und hielt in seinem Buch Bonner Juden und ihre Nachkommen bis um 1930 – Eine familien- und sozialgeschichtliche Dokumentation, Bonn 1976, S. 83/84, weitere Stationen in der Biographie seines Kollegen fest:

Einzelheiten nach den schriftlichen Mitteilungen von Herrn Dr. Weiss, zuletzt 28.7.1974: Studium und Referendarzeit in Bonn, dann 1929 als Sozius aufgenommen von der Praxis Dr. jur. Georg Schumacher II in Bonn. Nach der `Reichskristallnacht´ 1938 Aufenthalt im KZ Oranienburg, dann Emigration. Die Eltern, Markus Weiss (d.Raanana 1949) und Rosaly Levy (Aach/Trier 1861 -1943 Raanana) gelangten im März 1939 nach Israel.

Was offenbar die Juristen des Bonner Anwaltvereins 1992 nicht wussten, war die Tatsache, dass Dr. Josef Weiss sich weiterhin für den Zionismus und das Judentum einsetzte. In meiner Studie Jupp Weiss aus Flamersheim, der Judenälteste von Bergen-Belsen, die ich erstmals 1982 beim Kölnischen Geschichtsverein,  dann in meinem o.a. Buch JUDAICA publizierte, findet sich eine Spur zu dem jüdischen Juristen. Im Jahre 1945 fungierte er offenbar  als Mitarbeiter der Jewish Agency of Palestina, die damals als Palästina-Amt, in 8,Rue Petitot, in Genf ihren Sitz hatte.

Sein Cousin Josef („Jupp“) Weiss, der „Judenälteste von Bergen-Belsen“, hatte wohl von den Deutschen die Aufforderung erhalten, dass die verwandtschaftliche Beziehung genutzt werden sollte.

Die profilierte Position zweier „Weisse" aus Flamersheim ist an einem besonderen Dokument erkennbar, das ich 1980 von den Angehörigen in Israel zur Verfügung gestellt bekam. Es dokumentiert ihre jeweilige Situation:

Jupp Weiss, der Judenälteste von Bergen-Belsen, und Dr. Josef Weiss, Sohn von Markus Weiss, zur damaligen Zeit Leiter des Palästina-Büros in Genf. Im März 1945 kamen 500 wollene Decken in Bergen-Belsen an. Jupp Weiss musste ein Dankschreiben an die Jewish Agency in Genf unterzeichnen, obwohl die Juden die dringend erforderlichen Decken nie zu sehen bekamen, weil die SS diese nicht austeilen wollte. Auch sollte von Genf aus ein Betrag in Höhe von 20 000 Reichsmark überwiesen werden, damit die angekündigte Auswanderung und die damit verbundenen Zollgebühren finanziell geleistet werden könnten. Als Judenältester unterzeichnete der Flamersheimer „Mit vorzüglicher Hochachtung Josef Weiss", setzte aber u. a. als Postskriptum „Beste Grüße für meinen Vetter Josef Weiss" hinzu".

Der einst in Bonn präsente Rechtsanwalt Dr. Josef Weiss (1901-1990), geboren in Euskirchen-Flamersheim, hatte eine historisch nachweisbare Spur hinterlassen.


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Schreiben des Judenältesten von Bergen-Belsen, Jupp Weiss aus Flamersheim, an die Jewish Agency (Palästinaamt in Genf).
Leiter war Vetter Dr. Josef Weiss - Privatarchiv Zachor/Israel


Am 3. Mai 2004 wurde im Kölner Verwaltungsgericht eine Ausstellung über Schicksale jüdischer Juristen nach 1933 eröffnet. Damit wurde ein Versprechen realisiert, verstärkt der einstigen jüdischen Kollegen zu gedenken. Die von der Bundesanwaltskam­mer und dem Deutschen Juristentag konzipierte Ausstellung war auf In­itiative der Kölner Rechtsanwalts­kammer nach Köln geholt worden, wie der Präsident des Verwaltungsgerichts, Joachim Arntz, betonte: „Diese Ausstellung ist Teil unserer Anstrengungen, die Geschichte der Justiz in der NS-Zeit endlich umfas­send aufzuarbeiten", betonte Arntz. Sie erinnere an Anwälte und Anwältinnen, die seit 1933 unter vielfälti­gen Maßnahmen der Nazis zu leiden harten. „Die Ausstellung macht uns den Verlust, den Ausgrenzung, Ver­treibung und Mord bewirkt haben, beklemmend deutlich", sagte Peter Thümmel, der Präsident der Rechts­anwaltskammer Köln. „Sie soll zugleich ein Zeichen sein, dass wir be­reit sind, uns kritisch mit unserer Vergangenheit auseinanderzusetzen.“ (Zitiert nach Kölner Stadt-Anzeiger vom 3.5.2004)

Als weiterführende Literatur kann empfohlen werden: Klaus Luig: „...weil er nicht arischer Abstammung ist". Jüdi­sche Juristen in Köln während der NS-Zeit. Herausgegeben von der Rechtsanwaltskammer Köln. Verlag Dr. Otto Schmidt, 428 Seiten, 29,80 Euro.

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