Erinnerung an Klaus H. S. Schulte,
den Nestor der
rheinischen Nachkriegs-Judaica

von Hans-Dieter Arntz und Gerd Friedt (München)
22.06.2007

Es gibt wohl keinen Historiker im Rheinland, der bei der Erforschung der jüdischen Gemeinden nicht das Buch „Dokumentation zur Geschichte der Juden am linken Niederrhein seit dem 17. Jahrhundert“ als Grundlage seiner Forschungen gemacht hat. Vor genau 35 Jahren publizierte der Kölner Verwaltungsjusrist Klaus H.-S. Schulte (1936 – 2001) dieses wichtige Werk in den „Veröffentlichungen des Historischen Vereins für den Niederrhein – insbesondere das alte Erzbistum Köln“. Als im Jahre 1972 seine grundlegenden Ergebnisse langjähriger Archivarbeit im Verlag L. Schwann Düsseldorf  publiziert wurden, ahnte die Fachwelt, dass hier eine wissenschaftliche Lücke geschlossen worden war.

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts lagen zwar zur Geschichte der Juden in Aachen, Bonn, Köln und Düsseldorf eine Reihe von Abhandlungen vor, doch für das zwischen diesen Städten gelegene ländliche Rheinland fehlte da­gegen das bislang Entsprechende. Selbst die Beiträge in dem Handbuch der „Monumenta Judaica" (1963) stellten für die Zeit bis zum Untergang des ancien regime nur Zusammenfassungen des bis dato Bekannten dar.In einigen vereinzelten Ortschroniken bis 1939 finden sich Hinweise auf die dort in Generationenfolge ansässigen Juden. Das war der Forschungsstand der Zeit 1960 bis 1972.

Die Dokumentation von Klaus H.S. Schulte sollte diese Lücke soweit möglich schließen. Seine Aufgabe war durch die Ereignisse von 1939 bis 1945 sowie durch erhebliche Verluste der Archive  im Zweiten Weltkrieg sehr erschwert.

Durch Klaus H.-S. Schulte wurde nicht nur die rheinische Regionalhistorie belebt, sondern neue Forschungszweige konnten sicher auch durch ihn initiiert werden. Zu nennen ist hier auch die „Gedenkstättenarbeit“. Weitere neue Dokumentationsprojekte  - wie zum Beispiel die wissenschaftliche hebräische Grabsteinepigraphik mit der textlichen Erarbeitung – gehören inzwischen zum Interessengebiet der Historiker. Hier leistet seit einiger Zeit u. a. das Steinheim-Institut der Universität Duisburg eine vielseitige Arbeit. Neue Grundlagen sind auch die Erstellung des „Katalogs der Haskala-Bibliothek“, das Projekt  „Zur Konstruktion des kulturellen Tons. Deutsche Literatur in hebräischen Lettern“ sowie die Literatur-Datenbank „Geschichte der Juden in Nordrhein-Westfalen“. In diesem Zusammenhang muss besonders die Leistung von Prof. Michael Brocke genannt werden.

Gerade die wissenschaftliche Erforschung der jüdischen Friedhöfe – und besonders auch ihr „Schicksal“ -  wurde von Klaus H. S. Schulte als historisch ungemein relevant nachgewiesen.

Als Exkurs soll in diesem Zusammenhang auch ein Blick „über die Landesgrenzen“ gemacht werden. Bei meinen diesbezüglichen Recherchen fiel mir das „Alemannia-Projekt“ von Dr. Hahn auf, der hierfür  ein Kommunikationszentrum im Internet von jüdischen Friedhöfen in mehreren Bundesländern erstellt hat. Auch das Zentralarchiv der jüdischen Hochschule in Heidelberg unter Peter Honigmann sollte an dieser Stelle genannt werden. Dasselbe gilt für Dieter Peters in Aachen, der inzwischen eine ausgezeichnete Datenbank zu den Grabsteinen in NRW erstellt hat, die als WORD-File benutzbar ist.

Doch nun zurück zu Klaus H. S. Schulte, den Nestor der rheinischen Nachkriegs-Judaica:
Erstmals wurden in seiner Pionierarbeit nicht nur Auszüge der Deportationslisten publiziert, sondern auch Grabsteine zur Quellenforschung benutzt.  Die hier systematisch gesammelten Epitaphe fallen jedoch  für die Zeit vor der Mitte des 19. Jahrhunderts fast ganz aus, weil die Zahl der erhaltenen jüdischen Grabsteine aus der Zeit vor 1847 denkbar klein ist. Die Begren­zung der Dokumentation auf die Kreise Bergheim, Düren, Euskirchen, Grevenbroich, Jülich (ohne Stadt Jülich), Köln-Land und Rhein-Sieg (linksrheinisch) ergab sich von selbst: hier pulsierte jüdisches Leben am stärksten.

Der Aufbau des immer noch lesenswerten Werkes „Dokumentation zur Geschichte der Juden am linken Niederrhein seit dem 17. Jahrhundert“ gliedert sich wie folgt: nach einer knappen Ein­leitung über die jüdische Geschichte im rheinischen Raum folgt der alphabetisch gegliederte Ortsteil; in ihm sind alle bekannten Nachrichten vom 17. Jahr­hundert an über die Juden am Ort notiert. Die davor liegende Epoche wurde aus methodischen Erwägungen unberücksichtigt gelassen. Sofern die Quellen reichlicher fließen, weitet sich die Dokumentation zur Darstellung aus. In einem zweiten Hauptteil sind ausgewählte oder ad hoc erarbeitete Zusammenstellungen als Anlagen zusammengefasst; sie sind vor allem für überörtliche Fragestellungen von Interesse. Schließlich folgt am Schluss ein Verzeichnis aller noch fassbaren Grabinschriften in dem erforschten Raum.

Über das Lebenswerk des rheinischen Genealogen und Forschers soll folgende Biographie Auskunft geben:

Zur Biographie von Klaus H.S. Schulte (1936-2001)

Klaus H.S. Schulte wurde 1936  in Köln als Sohn des Kölner Arbeiterarztes Dr. med. August Schulte  geboren. Seine Familie war eng mit etlichen Mitgliedern der alten Kölner Kehilla befreundet und half während und nach der Shoah jüdischen Mitbürgern.

In seiner gymnasialen Schulzeit befasste er sich u. a. auch mit Heinrich Heine und der Wirtschaftsverfassung des Staates Israel. Nach dem Abitur nahm er das Jurastudium auf, vertiefte aber zusätzlich seine Kenntnisse in der jüdischen Geschichte des Rheinlandes. In einer Zeit, in der es noch keine israelische Botschaft gab, hatte Klaus H. S. Schulte gute Kontakte zur Israel-Mission in Köln, von der er Hilfe und Anregungen bekam.

Neben seinem Beruf als Verwaltungsjurist befasste er sich später intensiv und unter einem unvorstellbaren Zeitaufwand -  oft auf Kosten von Familie und Gesundheit -  mit der Erforschung des Judentums im Rheinland.

In E. G. Loewenthal, Berlin/London, fand er früh einen Mentor, der ebenfalls nicht müde wurde, durch seine Publikationen an die Historie der jüdischen Gemeinden zu erinnern. Zu Beginn der 1970er Jahre erschienen die ersten Publikationen über jüdische Friedhöfe und die alten jüdischen Familien im Raum Schleiden und Mayen(Eifel). Bereits 1972 folgte dann seine "Dokumentation zur Geschichte der Juden am linken Niederrhein seit dem 17. Jahrhundert".

Die diesbezüglische rheinische Landeskunde hatte einen der ersten Impulse nach 1945 und Hinweise auf das Werden und den Untergang der jüdischen Landgemeinden zwischen Köln, Bonn und Aachen und sowie innerhalb der gesamten Eifel erhalten.  Diese Pionierarbeit - mit noch einigen Fehlern und Lücken behaftet, aber dafür mit einem ausgezeichneten Quellenteil, der leider auch oft falsch zitiert ist, versehen - fand bis heute Einzug in fast alle Arbeiten zur ortsgeschichtlichen Judaica im linken Rheinland.

1974 publizierte er im Heinejahrbuch einen Artikel über den Vater des jüdischen Dichters. 1976  folgte seine umfangreiche Dokumentation über die Bonner Juden, die besonders in Israel Aufsehen erregte. Hier hat er außer den Genealogien auch zur geschichtlichen Darstellung Wesentliches an Grundlagenarbeit geleistet. Dasselbe gilt für seine Sozial- und Wirtschaftsgeschichte in Jülich-Berg. Diese Arbeit stellt erstmals die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der Juden im Spannungsfeld zur Politik und den Unterherren in den Kleinstherrschaften dar. Wahrscheinlich hat sich vor Schulte im Rheinland nur Heinrich Schnee (Hoffaktoren) mit diesem Thema befasst.

1980 entstanden die „Beiträge zu den Juden Krefelds“ und 1984 mehrere Artikel in der Festschrift „25 Jahre Germania Judaica". Als ausgezeichnete Grundlagenarbeit erwies sich in Fachkreisen 1988 sein Typoscript zur „Sozial und Wirtschaftsgeschichte der Juden im Herzogtum Jülich", das leider keinen Verleger fand.

In all den Jahren galt sein Augenmerk weiterhin seiner Heimatstadt Köln. Dies beweisen die vielen Akten und Unterlagen in seinem Archiv. So war es verständlich, dass im Jahre 1992 sein „Familienbuch der Deutzer Juden“ entstand. 1995 erschien seine Arbeit „Zeugnisse jüdischen Lebens in der Ost-Eifel“ und 1998 sein „Familienbuch zu den jüdischen Familien in Dülken, Süchteln und Viersen“. Leider war es ihm nicht mehr vergönnt,  seine letzte große Arbeit  „Zur Geschichte und den Familien der Juden in Wesel“  abzuschließen.

Die respektable Lebensleistung des Juristen und Historikers Klaus H.S. Schulte focussiert sich in der Grundlagenforschung der jüdischen Geschichte im Rheinland, der jüdischen Genealogie, der Erforschung ländlicher Friedhöfe und einem Archiv, das an Qualität die Unterlagen mancher Universitätsinstitute  übertrifft.    

Das Sozial- und Wirtschaftsgeschehen im Spannungsfeld zwischen jüdischer und nichtjüdischer Bevölkerung während der Jahrhunderte transparenter machen, das war das Lebenswerk von Klaus H.S. Schulte. Als Jurist hatte er zudem Zugang zu vielen Quellen, die von anderen Forschern bis damals nicht beachtet wurden. Nicht zu vergessen seine Liebe zur Schrift, zum Talmud. Und auch der Sohar, aus dem er oft zitierte, war ihm nicht fremd.

Wirtschaftsgeschichte im Kontext zum jeweils gültigen Recht, das zu erklären, war die Stärke von Klaus H. S. Schulte.

Die unzähligen genealogischen Arbeiten - z. B. mit Hannelore Göttling (Hamburg), die Wissenschaftler Leo Hoenig und Ralph Baer (USA), Helmut Baum, Friedel David (Schweden) sowie den vielen jüdischen Freunden in Holland und Israel – können hier nur am Rande erwähnt werden.

Hinter seinen Bestrebungen stand der Wille, nicht die Holocaust-Opfer vergessen zu lassen und den anonymen Opfern wieder ein Gesicht und eine Biographie zu geben. Viele seiner Arbeiten fanden in den Augen der universitären Zunft, wie an einigen Rezensionen ersichtlich, nicht uneingeschränkt Beifall. Die einst vertriebenen jüdischen Rheinländer in aller Welt, die zu den Lesern und später persönlichen Freunden zählten, blieben jedoch der immer wiederkehrende Antrieb für neue Werke. Selbst in Enkirch, seinem Altersruhesitz an der Mosel, begann er wieder mit der Erforschung der  jüdischen Ortsgeschichte. Seine Arbeiten unterstellte er selten dem Primat der Wissenschaft, zu deren jüngeren Vertretern, von ihm als „Zunft“ bezeichnet, er manchmal ein gespaltenes Verhältnis hatte, weil er sich oft von ihnen ausgenutzt fühlte.

Heute wissen wir, dass seine Arbeiten für weitere wissenschaftliche Publikationen benutzt wurden, ohne den eigentlichen Forscher zu zitieren. Dies schlug sich dann in der Tatsache nieder, dass er sehr kritisch jüngeren Forschern entgegentrat.

eder, der Klaus H.S. Schulte persönlich um Auskunft bat und mit ihm Kontakt hatte, entdeckte in ihm auch immer wieder den typischen Kölner, der mit Witz und Schlagfertigkeit gesegnet war. Formulierungen wie „jeder Jeck ist anders", oder „denk wie de Ostermanns Will" oder „die künne mir der Nachen däue" bleiben unvergessen, weil sie einen Kontrast zur trockenen Archivarbeit und meist doch traurigen jüdischen Genealogie bildeten.

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